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4. Kapitel.
Glaubenskämpfe


Laß uns in Leid und Last der Erden,
Laß uns nicht durch den Geist der Zeit
Das helle Licht verdunkelt werden.
Erzieh' uns für die Ewigkeit.

Der Tag ging zur Neige, und die Sonne grüßte noch einmal vergoldend das blühende Land und die spitzen Giebeldächer des Städtleins, als zwei Mönche in der braunen Ordenstracht der Franziskaner aus Penzlins Thoren kamen, und den Weg in der Richtung nach Neubrandenburg einschlugen. Der Ältere der beiden Männer schien ein höher gestellter Geistlicher zu sein, der Jüngere ging ihm bescheiden in der Haltung des Untergebenen zur Seite. Es waren der Franziskanerprior und ein junger Mönch aus dem Kloster zu Neubrandenburg, der in Penzlin angestellt war.

»Also vergiß mir nicht die junge Witwe oben auf der Burg! Habe ein Auge auf sie, suche ein Gespräch mit ihr, so oft du kannst, ich bin fest überzeugt, wir haben es hier mit Ketzerei zu thun!« sagte der Prior. »Die Inquisitoren kommen in allernächster Zeit nach Neubrandenburg, es wäre gut, wenn du vorher etwas Verdachterregendes gemeldet hättest, denn ganz ohne Grund kann ich sie Ritter Berendt nicht auf die Burg bringen!«

Der junge Mönch hatte schweigend zugehört und neigte, die Befehle seines Oberen anhörend, zustimmend das Haupt. Es war ein edles, schön geformtes Gesicht, dessen feine Züge nichts von der kalten Berechnung und Grausamkeit, die dem Antlitz des älteren Franziskaners aufgeprägt waren, an sich trugen, und ein scharfer Beobachter hätte einen Schatten über das junge Gesicht gleiten sehen können, als er den Auftrag des Priors vernahm.

»Binnen drei Tagen erwarte ich, etwas zu hören,« schloß der eifrige Mönch und reichte dem jungen die Hand. »Lebe wohl, du mußt in die Stadt zurück. Es ist spät geworden und du hast noch einen weiten Weg vor dir, Laurentius.«

Der Jüngling beugte sich über die Hand des Vorgesetzten, und sie trennten sich. Seufzend fuhr er mit der Rechten über die Augen und ging langsam den Weg, den er gekommen, nach der Stadt zurück. Seit kurzer Zeit erst verwaltete er in Penzlin das heilige Pfarramt. Eine schwierige Stellung war's für den Sohn des Konvents, dem sein Prior ein Amt übertragen, zu dem er nach den Regeln des Klosters nicht verordnet war. Aber ein Ignatius Kruse fragte wenig nach Regel und Richtschnur, denn er war gewohnt, nach dem Wahlspruch jenes mächtigsten Ordens, der sich mit dem Namen des Herrn zeichnete, zu handeln: »Der Zweck heiligt die Mittel.« Der Prior von St. Franziskus zu Neubrandenburg hatte mit scharfem Verstande und weitem Gewissen gewußt, Macht und Gewalt an sich zu reißen, und die zerrütteten Zustände im Volks- und Gemeindeleben hatten sein kühnes Handeln begünstigt. Vorsichtig und klug, dem Haushalter gleich, der mit dem ungerechten Mammon arbeitete, war er zu Werke gegangen, bis seine Macht so befestigt war, daß ihn niemand anzutasten wagte, denn der Lohn, den Ignatius Kruse austeilte, war in Blut getaucht. Der Bischof, zu dessen Diözese er gehörte, ein schwacher Greis, der den thatkräftigen und ränkesüchtigen Franziskaner als eine gefährliche, ihm weit überlegene Persönlichkeit fürchtete, räumte ihm stillschweigend das Feld ein, und so herrschte er unumschränkt nach seinem Gefallen.

In Penzlin war ein junger Geistlicher, den er, um seine Macht zu entfalten, aus dem Wege räumen wollte. Er beschuldigte die Mutter desselben hussitischer Ketzerei und brachte ihn schließlich selbst auf die Folter. Unter entsetzlichen Qualen verteidigte er die Mutter und starb auf dem Rost. Ignatius aber setzte einen jungen Mönch nach Penzlin zur Verwaltung des heiligen Amtes. So kam's, daß der Jüngling im Klosterkleide die Geschäfte eines Pfarrers versah. Wohl hatte man die Köpfe geschüttelt im Städtlein, aber niemand wagte, etwas wider den gefürchteten Prior zu äußern, und da der Mönch aller Herzen gewann, so war man für diesmal mit dem Übergriff nicht unzufrieden.

Ehrerbietig grüßten die von den Feldern Heimkehrenden den Mönch, der für jeden einen freundlichen Gegengruß, für manchen einen warmen Blick, ein herzliches Wort hatte. Die Kinder warteten schon, auf den Steintreppen der Hausthüren sitzend, auf seine Rückkehr; viele kleine Flachsköpfchen umringten ihn, viele kleine Hände, mit Frühlingsblumen gefüllt, streckten sich nach ihm aus, und die blauen und braunen Kinderaugen leuchteten ihm entgegen.

»Bruder Laurentius,« jubelte es durch die schmalen Gäßchen, »du sollst alle unsere Blumen haben! Sieh', wir haben schon Himmelschlüssel gefunden!« und das kleine Volk drückte ihm die goldenen Sträuße in die Hand.

In den großen, traurigen Augen schimmerte es sonnig, er nahm ein kleines Mädchen auf den Arm und küßte das Kind.

»Habt Dank, lieben Kinder,« sagte er zu den übrigen, »die Himmelschlüssel sollen in meiner Zelle blühen, und wenn ich sie ansehe, denk' ich an euch!«

Er nickte ihnen freundlich zu und schritt weiter nach seiner einsamen Wohnung.

Ein schmuckloser, kahler Raum war's, dies Gemach eines Franziskaners, der noch streng nach der Ordensregel des Stifters lebte. Ein einfaches Lager, ein Betpult, ein Tisch und eine Bank mit einem Kruzifix und dem Bilde des heiligen Franziskus darüber, bildeten den ganzen Hausrat. An der Wand hing außerdem noch ein Bort mit einigen Büchern. Ein Krug mit Wasser stand auf dem Tisch, daneben lag ein Brot. Laurentius steckte die Himmelschlüssel in den Krug und setzte den duftenden Strauß unter das Kruzifix. Dann nahm er den Rosenkranz, kniete nieder und betete. Andächtig hatte er drei Paternoster gesprochen, da zogen ihn seine Gedanken ab, und er konnte sie nicht wieder sammeln. Seufzend blickte er auf zur Marter des Herrn an der Wand, schmerzlich zuckte es um den feinen Mund, als er nachdenklich, wie zu sich selber sagte: »Was der Hochgelobte wohl denken mag von all dem Blutvergießen! Ich kann's ja nicht fassen, daß es recht sein soll, daß wir Priester ein solch Gericht halten. Wenn ich sein Bild ansehe, wie er blutüberströmt am Kreuz hängt um unserer Sünde willen, wo soll's denn hinaus, daß wir, deren Gewissen täglich schlägt, andere so grausam verfolgen. Ist mir's doch immer, wenn ich der Ketzerei nachspüre, als beflecke ich meine Seele und das Ordenskleid, das ich trage – und nun, wo ich eben leichteren Herzens dem leeren Gefängnis den Rücken kehre, soll ich wieder ein armes, schwaches Weib auf die Folter bringen und ein unschuldiges Kindlein zur Waise machen – Herr, Herr Gott – ich kann's nicht! Dies kann nicht dein Wille sein, oder unser ganzer Glaube ist Wahnsinn.« Er trocknete sich den Schweiß von der Stirn und nahm die lateinische

Bibel vom Bort herab. »Wie soll ich mir das Wort: ›Liebet eure Feinde‹ nur deuten?« fuhr er fort, das vierte Kapitel im Evangelium Matthäi aufschlagend. »Sie haben uns noch nicht einmal gehaßt und geflucht, wir haben nie eine Beleidigung aus ihrem Munde vernommen, still und demütig gehen sie ihren Weg, und das einzige, was man ihnen vorwerfen kann, ist, daß sie die Wahrheit dieses Buches zu erforschen suchen, und weil sie es nicht erlangen können und die Sprache desselben nicht verstehen, nach den Schriften der Männer greifen, die mit deutschem Wort aus demselben Bericht erstatten. Es ist mir nicht möglich, Huß als Ketzer anzusehen, seit ich ein Buch von ihm gelesen – Wahrheit ist's, was er sagt, bittere, harte, namenlos schwere Wahrheit allerdings, aber wovon soll sich unsere Kirche bessern, wenn sie immer den falschen Heiligenschein ums Haupt trägt! Nein, dann ist's besser: Herunter damit, als am letzten Ende zur Hölle zu fahren! Denn leugnen kann's kein gesunder Menschenverstand, daß wir gesunken sind, daß viele aus dem Klerus mit der Hefe des Volks aus des Satans Kelch trinken!

Im Kloster suchte ich den Frieden – das Schwert habe ich gefunden – aber nicht das Schwert des Geistes, um meiner Sünde Herr zu werden – nein, ein Schwert, das ich befleckt in den Kampf hinein- und befleckt wieder heraustrage – verzweifeln könnt' ich am Leben, an mir selbst, der ich an Leib und Seele elende Ketten trage! – – Hier ist doch das Licht! dies ist doch Gottes Wort! warum lebt denn keiner danach, warum wendet die Gemeinde der Heiligen ihrem eignen Bekenntnis den Rücken!? Noch halt' ich mich an die Schrift, noch glaube ich, daß sie Gottes Wahrheit birgt – aber wo bleibt mein Glaube daran, wenn eine ganze Welt dagegen streitet!? Und doch heißt's: ›Lasset uns anlegen die Waffen des Lichts!‹ (Röm. 13, 12), wir aber beschränken uns darauf, ihren Glanz zu beschauen und leben in den alten Sünden weiter!« Er stöhnte laut und barg das Haupt in den Händen. »Herr Gott, laß mich nicht untergehen,« kam's von seinen Lippen, »laß deine Arzenei noch so bitter sein, wenn sie nur mein Leben rettet. Reiß mich heraus aus der Tiefe des Zweifels und der Anfechtung, zeige mir deinen klaren Weg, der herausführt aus der Finsternis. Ob du mein Leben äußerlich vernichten mußt, ob du es nehmen mußt, thu' an mir, wie du willst, nur nimm mir den Gedanken, daß du mich auf verkehrtem Wege im Verderben der Sünde lässest, daß du mir fluchst. Ich muß es wissen, daß du mein Heiland bist, daß du mich erlöst hast von aller Sünde; aber so lange ich die Hand zu diesem Werk ausstrecke, sagt mir mein Gewissen, daß ich Kains Opfer bringe, daß ich, trotz des Gelübdes der Reinheit und Keuschheit, trotz des Mönchsgewandes, das ich trage, nicht im Buche des Lebens stehe.«

Der Mond war aufgegangen und leuchtete voll und klar auf das Kreuzbild des Herrn an der Wand und den im Gebete ringenden Mönch. Regungslos lag er auf den Knieen, das Antlitz in den gefalteten Händen verborgen. Die Nacht brach an, er verharrte in dieser Stellung, man hätte glauben können, er schliefe. Aber die krampfhaft gefalteten, ringenden Hände zeigten, daß seine Seele den Kampf kämpfte, der härter ist, als der blutigste Streit im Felde.

Im Osten dämmerte es, und die Morgenröte brach an. Golden schimmerten die ersten Sonnenstrahlen über dem jungen Tage und spiegelten sich im Tau des Frühlingsmorgens. Am Fenster in stiller Zelle stand ein Mönch und blickte hinaus. Er war sehr bleich, aber aus seinen Augen strahlte ein sieghaft Leuchten, als läge die ganze Welt bezwungen zu seinen Füßen.

Jahrtausende waren vergangen, seit in fernen Morgenlanden ein Mann in der Stille der Nacht mit einem unbekannten Streiter an den Ufern des Jordan gerungen, bis die Morgenröte anbrach. Das Gelenk seiner Hüfte war verrenkt, aber Jakob ließ nicht ab vom Kampfe, ob auch der Fremde rief: »Laß mich gehen, denn die Morgenröte bricht an!« »Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn,« klang's unabweisbar von seinem Munde, bis die Gotteshand ihn gesegnet, und er fröhlich rühmen durfte: »Ich habe Gott von Angesicht gesehen und meine Seele ist genesen.« (1. Mos. 32, 24-31.)

Geschlechter und Völker waren gekommen und wieder zu Grabe getragen, aber hoch über irdischem Leid und Glück walteten die Hände, die den Erzvater gesegnet, gerecht und barmherzig weiter bis an das Ende der Zeiten. Der Hüter Israels hatte auch in dieser Nacht nicht geschlummert, der junge Mönch aus dem Franziskanerkloster hatte sein Pniel gefunden.

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