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2. Kapitel.
Sankt Barbara


Im Kloster hängt ein Bildnis –
Auf gold'nem Grunde gemalt:
In lichten Farbentönen
Die schönste Frauengestalt.

Wieder und immer wieder
Zieht's mich zum Heiligenschrein,
Es gleicht Sankt Barbaras Bildnis
Meinem blonden Schwesterlein.

Blaue Augen lächeln nieder.
Und winken mir freundlich zu – –
Du süßes Jungfrau'nantlitz,
Sag', bringst du der Seele Ruh'?

Im Thorwächlerhäuslein zu Penzlin lag der alte Andreas auf seinem Lager. Es war wohl das letzte, denn der alte Mann litt an keiner besonderen Krankheit, sondern es erging ihm nach dem Wort des Psalmisten: »Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre, und wenn's köstlich gewesen ist, so ist's Mühe und Arbeit gewesen.« Das war alles ganz genau so eingetroffen, und nun kam das. letzte Stündlein, und der Neunundsiebzigjährige murrte nicht, denn er war müde vom Erdenleid und Freud' und wußte, daß Gottes Wege immer die besten sind. Still und friedlich lag er auf seinem Lager; Schmerzen plagten ihn nicht, nur übergroße Schwäche. Es fehlte ihm an nichts; die Herrin Scholastika kam täglich zu ihm und ließ ihm die liebevollste Pflege zu teil werden, und auch die beiden kleinen Mädchen waren oft ein Stündchen bei dem Alten. Besonders die kleine Sophie Dorothea schlüpfte viel in das Wärterhäuschen hinüber und brachte immer etwas Schönes mit, eine Blume, einen Apfel oder ein Heiligenbildchen, das sie sich vom Herzen gerissen.

Die Turmuhr schlug sechs – nun mußte sie kommen; die alten Augen blickten erwartungsvoll auf die Thür. Schon hörte er den leichten Schritt draußen, ein kleiner Finger pochte an, und sie trat ein, – aber es war ja nicht Sophie Dorothea, sondern Ilsabe, die die Schwelle überschritt. Der Alte war fast enttäuscht; das Kind seines Herrn war, trotz aller Anhänglichkeit an die Märtyrerin, doch sein Liebling. Aber er ließ es das kleine Mädchen nicht fühlen und sagte freundlich: »Das ist schön, Ilsabe, ich hoffte schon, daß eine von euch heute nachmittag herüberkäme.«

Das Kind legte ein kleines hölzernes Kruzifix auf das Bett des Alten und sagte: »Das will ich dir schenken, Andreas. Du mußt es aber nicht weglegen, es ist der liebe Heiland. Sophie Dorothea hat gestern geweint, weil du die heilige Barbara, die sie dir geschenkt, in die Lade gelegt hast. Nicht wahr, Andreas,« fuhr sie eifrig fort, »den lieben Heiland legst du nicht in die Lade, ich möchte es nicht, sonst will ich ihn lieber behalten!«

Der Alte lächelte. »Nein, Ilsabe, wir wollen das Kreuz über das Bett hängen. Sieh', dort steckt noch ein Nagel in der Wand.« Er erhob sich mühsam und befestigte es mit zitternden Händen. »Siehst du, nun freue ich mich immer daran. Hab' Dank, liebes Kind,« und er streichelte die kleine Hand.

Ilsabe schien tief in Gedanken. »Andreas,« sagte sie plötzlich, »warum hast du die heilige Barbara in die Lade gethan?«

»Warum? O, weil sie dort gut aufbewahrt ist,« sagte der Alte ausweichend.

»Aber du hast doch den lieben Heiland gleich an die Wand gehängt, wie ich dich darum bat, und Sophie Dorothea wollte so gern, daß die heilige Barbara auch über deinen: Bett hinge, warum willst du's nicht, Andreas?«

Dem Alten wurde es schwül zu Sinn, warum war das Kind auch so unheimlich klug, gerade wie seine Mutter – wo sollte dies Gespräch hinaus? Er durfte doch um keinen Preis von seinen hussitisch angehauchten Überzeugungen zu ihm reden, und nun zweifelte das kleine Fräulein schon seine Heiligenverehrung an, das war eine schlimme Geschichte.

»Das verstehst du noch nicht, Ilsabe,« sagte er ruhig; »sieh', ich habe ja auch gar nicht so viel Platz, und so viele Bilder habe ich nicht gern über meinem Bett hängen. Über den lieben Heiland freue ich mich sehr und sehe ihn nun immer an; ich brauche mich dann ja nicht mehr, zu fürchten und werde immer wieder daran erinnert, daß ich durch sein Blut in den Himmel komme.«

»Magst du die heilige Barbara nicht leiden?« fragte sie unermüdlich.

»Ja, warum nicht? Ich finde sie sehr hübsch.«

»Ach, Andreas,« rief sie ungeduldig, »ich meine ja, ob du sie lieb hast? Du betest doch zu den Heiligen?«

Nun war die entscheidende Frage gethan, und der Alte saß fest. »Ich bete immer zu dem Herrn Jesus selbst,« sagte er.

Die dunklen Augen sahen ihn erstaunt an. »Nicht zu den Heiligen?«

»Nein.«

»Aber warum denn nicht?«

Es war ja nun doch heraus, und die Unwahrheit konnte er nicht sagen, so antwortete er: »Weil der Herr Jesus gesagt hat, daß wir zu ihm selbst beten sollen; wenn man's immer erst den Heiligen sagen soll, geht es so langsam, weil man so lange warten muß, bis sie es ihm gesagt haben, und der Herr Jesus hat es gern, wenn man ihn selbst bittet.«

Die arme kleine Ilsabe war ganz verwirrt. »Aber Pater Florian sagt doch, wir sollten zu den Heiligen beten. Gestern hat er es noch gesagt, als er Sophie Dorothea und mir vom Tüchlein der heiligen Veronika erzählte. Dann hat er ja schon wieder gelogen,« fuhr sie heftig fort, und eine rasche Blutwelle stieg in das schöne Gesicht des Kindes.

»Ilsabe,« sagte der Greis vorwurfsvoll.

Aber Ilsabe war auf diesen Punkt schlecht zu sprechen und sagte mit funkelnden Augen und geröteten Wangen: »Doch, Andreas, er hat gesagt, die Mutter sei eine Ketzerin gewesen, und das hat er gelogen. Dich würde er gewiß auch so nennen, und du bist doch gewiß kein Ketzer, nicht wahr?« schloß sie, ihn scheu von der Seite anblickend.

»Ich weiß gar nicht genau, was ein Ketzer ist,« entgegnete er ruhig.

»Ich glaube es nicht, daß du einer bist,« sagte sie weise, »denn daß du zum Herrn Jesus gebetet hast, ist doch nichts Böses. Wissen muß er es ja doch, und die lieben Heiligen haben gewiß schon sehr viel zu thun.«

»Das ist möglich,« sagte er, über ihre kindliche Auffassung lächelnd.

»Andreas,« fuhr sie leise fort, »ich will es aber lieber niemand sagen, daß du's gethan hast. Pater Florian ist immer gleich so böse, er darf es nicht wissen, sonst thut er dir vielleicht noch etwas. Ich will heute abend auch einmal ganz heimlich zu dem Herrn Jesus beten, darf ich es wohl?«

»Ja, mein Kind, das darfst du!«

Eine Magd kam, um sie zur Abendmahlzeit zu holen, und Ilsabe sagte dem Alten Lebewohl.

»Heute abend bete ich zu dem Herrn Jesus, daß du in den Himmel kommst,« flüsterte sie ihm ins Ohr und schlüpfte aus dem engen Stübchen.

Als sie gegangen war, legte der alte Mann die Hände in einander und betete für das verwaiste Kind, daß es auf einem leichteren Wege, als seine heldenmütige Mutter, das Heil finden möchte; drüben in der Burg aber falteten sich in derselben Stunde zwei Kinderhände, und die kleine Ilsabe flüsterte ihr erstes Gebet zu dem Heiland, der die Kleinen nicht zur heiligen Barbara schickt, sondern sie zu sich zieht und ruft: »Lasset die Kindlein zu mir kommen!«

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