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Zweiundvierzigstes Kapitel

Es war kaum eine Viertelstunde vergangen, daß Adeline wieder bei seiner Frau saß, als die Thüre des Comptoirs sich öffnete und ein Mann von dreißig bis fünfunddreißig Jahren eintrat, welcher unter seinem Arme eine mit Papieren gefüllte Mappe, ähnlich der der Advokaten, trug; zweifellos, das war der Feind.

»Herr Adeline?«

»Der bin ich, mein Herr.«

»Könnte ich ein paar Augenblicke – unter vier Augen – mit Ihnen reden?«

Während er dies sagte, hielt er Adeline seine Karte hin.

 

Lepargneux
Direktor des »Ehrlichen Mannes«.

 

Adeline machte seiner Frau ein Zeichen, daß sie ihn nicht stören möchte, und ging dann dem Direktor des »Ehrlichen Mannes« in den Salon voraus.

»Ich weiß nicht,« sagte Lepargneux, indem er seine Mappe öffnete und darin herumkramte, »ob Sie die Zeitung, deren Direktor ich bin, kennen. Sie erscheint noch nicht lange und ist Ihnen möglicherweise entgangen, trotz der großen Bedeutung, die sie in der Pariser Welt schnell erlangt hat.«

Adeline hielt es für angezeigt, eine vorsichtige Zurückhaltung zu beobachten und ihn herankommen zu lassen.

»Meine Zeitung,« fuhr Lepargneux fort, »hat kürzlich die Veröffentlichung einer Studie über das Spiel in Paris, betitelt: ›Eine Spielhölle‹ angekündigt, hier ist sie.«

»Ich habe jene Anzeige gesehen,« erwiderte Adeline, die Entgegennahme der Zeitung, welche Lepargneux ihm hinreichte, ablehnend.

»Und Sie haben sie gelesen?« fragte dieser.

Adeline nickte, denn wenn er auch den Fragen dieser zweifelhaften Persönlichkeit nicht zuvorkommen wollte, fand er es doch weder würdig noch klug, den Versuch zu machen, sich an der Sache vorbeizudrücken.

»Ich muß Ihnen sagen,« fuhr Lepargneux, durch die Ruhe Adelines außer Fassung gebracht, fort, »daß, wenn auch die Geschäftsleitung des ›Ehrlichen Mannes‹ in meinen Händen liegt, ich doch nicht gleichzeitig der Chefredakteur bin; es besteht sogar zwischen diesem Chefredakteur und mir eine erklärte Feindschaft. Daraus werden Sie ersehen, daß ich jene Studie über das Spiel nicht bestellt habe, ich habe erst durch diese Anzeige davon erfahren. Aber als ich las, daß Porträts bekannter Persönlichkeiten, welche alle Welt erkennen würde, erscheinen sollten, bin ich unruhig geworden; ich habe gefragt, wer jene Persönlichkeiten wären, und unter den Namen, die man mir nannte, befand sich auch der Ihrige, als Präsident des Epir ...« – aber er unterbrach sich und rief mit allen Zeichen der Verwirrung: »Pardon! ich wollte sagen des ›Grand J‹.«

Darauf fuhr er in seiner Rede wieder fort: »Ich muß noch beifügen, wenn Sie es erlauben, daß ich Ihnen die höchste Achtung zolle, nicht allein als dem Abgeordneten, dessen Ansichten ich teile, sondern auch als dem Industriellen und dem Kaufmanne, da ich selbst Kaufmann bin – Lepargneux, Schwammgroßhandlung, Rue Samte Croix de la Bretonnerie. Sie werden begreifen, daß ich unter diesen Umständen nicht zugeben konnte, daß Sie in einer Studie über das Spiel vorkamen, so daß alle Welt Sie erkennt, in einer Studie, in der eine Menge skandalöser Dinge der Oeffentlichkeit preisgegeben werden. Um dies zu verhindern, habe ich mich entschlossen, nach Elbeuf zu gehen, um mich mit Ihnen ins Benehmen zu setzen.«

»Sich mit mir ins Benehmen zu setzen?«

»Ich verstehe Ihre Ueberraschung. Sie sagen sich, nicht wahr, daß ich als Direktor des ›Ehrlichen Mannes‹ nicht nötig habe, mich mit jemand ins Benehmen zu setzen, um in meiner Zeitung die Veröffentlichung dessen, was mir mißfällt, zu verhindern. Nun wohl, das ist ein Irrtum. Ueber mir, dem Direktor, steht ein Chefredakteur, der die Zeitung macht, und da wir uns im Kriegszustande miteinander befinden, so nimmt er gerade das auf, was mir mißfällt. Es gibt solche Gegensätze bei den Zeitungen, die das Publikum nicht ahnt.«

»Inwiefern geht das alles mich etwas an?« fragte Adeline, der allmählich die Geduld verlor.

»Sie sollen es gleich sehen. Wenn ich allein Herr meiner Zeitung wäre, würde ich die Veröffentlichung alles dessen, was Sie betrifft, verhindern. Aber das könnte ich nur, wenn ich meinem Chefredakteur den Laufpaß gäbe, und das ist wiederum nur möglich, wenn Sie mir Ihren Beistand leihen.«

Nichts war einfacher, ehrlicher, als der Beistand, den er von Adeline begehrte – ein Kaufmann vom andern, denn er war Kaufmann, vor allem Schwammhändler von Beruf, und Journalist nur so nebenher, weil ein glücklicher Zufall ihm ein ausgezeichnetes Geschäft in die Hände gespielt hatte, womit er in kurzer Zeit ein schönes Vermögen verdienen würde, – das mit dem »Ehrlichen Manne«. Unglücklicherweise war der Chefredakteur, dem er seine Zeitung anvertraut hatte, ein Gauner, den er nur loswerden konnte, wenn er ihm siebenundachtzigtausend Franken gab – und die hatte er nicht, in diesem Augenblicke nicht – und er bat Adeline darum, welcher mehr als sonst jemand ein Interesse an der Entlassung jenes Gauners hatte. Aber er stellte dieses Verlangen nicht, ohne etwas dagegen in Tausch zu bieten, nämlich die Teilhaberschaft am »Ehrlichen Manne«, der im besten Zuge war, eine hervorragende Stelle in der französischen Presse einzunehmen, diejenige, welche der von der öffentlichen Anerkennung getragenen, makellosen Ehrenhaftigkeit gebührt. Es war klar, daß in diesem Augenblicke von gewissen Zeitungen gegen den Präsidenten des »Grand J« etwas ins Werk gesetzt wurde. Wenn Adeline eine gewisse Anzahl Aktien des »Ehrlichen Mannes« mit dem in jenem Spiele gewonnenen Gelds, das heißt mit gefundenem Gelde, kaufte, so sicherte er sich bedeutende Vorteile. Erstens kam er den gefährlichsten, sich gegen ihn vorbereitenden Angriffen zuvor; zweitens konnte er, wenn er selbst über eine Zeitung verfügte, seinen Gegnern, die ihn dann fürchteten, die Zunge binden; drittens stand ihm seine Zeitung nicht allein für diesen besondern Fall, sondern in allen Fragen, wo seine politischen Bestrebungen ins Spiel kamen, zur Verfügung; viertens endlich würde auch ihm von den Reichtümern sein Teil zufließen, die der »Ehrliche Mann« binnen kürzester Zeit seinen Eigentümern einbringen mußte.

An dieser Stelle seiner Rede legte Lepargneux seine Mappe auf den Tisch und zog daraus verschiedene Papiere hervor.

»Ich verkaufe Ihnen keine Katze im Sack,« sagte er im Tone eines Marktschreiers, der seine Ware anpreist, »was ich behaupte, beweise ich; hier sind die Belege, die Sie von der Solidität des Geschäfts überzeugen werden, sehen Sie sich dieselben an.«

Adeline hatte sich bisher nur mit Mühe zurückgehalten. Er erhob sich, aber anstatt an den Tisch zu treten, wo Lepargneux feine Belege ausbreitete, schritt er aus die Thüre zu und sagte mit einer energischen Gebärde aus sie hinweisend: »Hinaus!«

Wenn auch einen Augenblick überrascht, gewann Lepargneux doch rasch seine Haltung wieder.

»Sie haben also nicht begriffen,« sagte er, »daß das Bild, welches man in jener Studie veröffentlichen will, Sie entehren, Sie in der Kammer und hier unmöglich machen, den Abgeordneten vernichten, den Kaufmann zu Grunde richten, die Heirat Ihrer Tochter (von der ich nichts wußte, sondern erst erfuhr, während ich auf Sie wartete) hintertreiben wird? Ich biete Ihnen das Mittel, sich zu retten, und Sie zögern?«

»Ich zögere nicht, ich weise Ihnen die Thüre,« sagte Adeline gedämpften Tones, denn seine Frau sollte ihn nicht hören.

»Sie denken nicht daran. Spaß beiseite, mein Herr, überlegen Sie sich's. Wenn Sie augenblicklich in Geldverlegenheit sind, so läßt sich darüber reden.«

»Hinaus, hinaus!«

»Ich will für Sie ein übriges thun, und wenn es an den siebenundachtzigtausend Franken hapert, so sagen wir sechzigtausend.«

Adeline zeigte auf die Thüre.

»Sagen wir fünfzigtausend.«

Adeline ging auf den Kamin zu, wo neben dem Spiegel ein Klingelzug herabhing.

»Soll ich klingeln, damit man Sie hinauswirft?«

Lepargneux raffte seine Papiere zusammen, aber ohne allzu große Eile.

»Ich hätte mir nie eingebildet,« sagte er, sie in seine Mappe steckend, »daß Sie mir so meine Reise, die ich allein in Ihrem Interesse unternommen habe, vergelten würden. Aber, wie dem auch sei, ich will annehmen, daß Sie sich die Sache überlegen und daß Sie begreifen werden, daß ich lediglich die Absicht hatte, Sie zu retten. Die Veröffentlichung jener Studie wird erst in einigen Tagen beginnen; Sie haben noch Zeit, auf die Stimme der Vernunft zu hören. Wenn sie gesprochen hat, denn sie wird sprechen, dessen bin ich sicher, dann schreiben Sie mir an die Expedition des ›Ehrlichen Mannes‹; Gott sei Dank, ich trage nichts nach.«

Und mit diesem großmütigen Ausruf verließ er endlich das Zimmer.

»Wer war dieser Herr?« fragte Frau Adeline, als ihr Gatte in das Comptoir zurückkam.

»Der Direktor einer Zeitung, der mich veranlassen wollte, mich an seinem Geschäfte zu beteiligen.«

»Der kam gelegen!«

»Ich habe die unglaublichste Mühe gehabt, ihn loszuwerden,« sagte Adeline, um seine lauten Ausbrüche, falls sie bis ins Comptoir gedrungen waren, zu erklären.

Als Adeline von Lepargneux befreit war, fragte er sich, ob er auf jene Drohung nicht in andrer Weise hätte antworten sollen. Aber welche andre Antwort war möglich, ohne sich zu entehren? Denn die Sachlage war derartig, daß, er mochte es anstellen, wie er wollte, stets Entehrung das Ende war. Wenn er sich auf Unterhandlungen einließ, entehrte er sich vor sich selbst, wenn er widerstand, entehrte ihn jener Elende. Und wenn er Zugeständnisse machte, wenn er jene siebenundachtzigtausend Franken hingab, würden sie einhalten? Würden sie ihn nicht mit Haut und Haar auffressen? Und obwohl er sich sagte, daß er eine andre Antwort nicht erteilen konnte, wiederholte er sich in jedem Augenblicke die Schlußfolgerung Lepargneux': »Sie haben also nicht begriffen, daß diese Studie Sie in der Kammer und in Elbeuf unmöglich machen, den Abgeordneten vernichten, den Kaufmann zu Grunde richten, die Heirat Ihrer Tochter hintertreiben wird?«

Die Heirat seiner Tochter – wie konnte er sich jetzt damit beschäftigen, wo die nötige Ruhe finden, um aus die Mama stetig einzuwirken?

Als er drei Tage später den Posteinlauf durchsah, was er nur noch mit Zittern und Beben und möglichst hinter dem Rücken seiner Frau that, aus Furcht, sich vor ihr zu verraten, fand er einen Brief, der mit sichtlich verstellter Hand geschrieben war:

 

»Mein Herr!«

»Es bereitet sich gegen Sie ein Anschlag vor, um von Ihnen Geld zu erpressen, indem man Ihnen droht, gewisse Kunstgriffe beim Spiel, wodurch Sie große Summen gewannen, aufzudecken. Ich bin in der Lage, jene Anschläge zu verhindern, wenn Sie geneigt sind, ein Abkommen mit mir zu treffen. Sie können Ihre Antwort adressieren: A G. 943. Poste restante.

 

Natürlich antwortete er nicht und versuchte nicht einmal zu erraten, wer jener Beschützer sein könne, der den Anschlag »gegen Abkommen« zu verhindern sich erbot.

Einige Tage darauf erhielt er, ebenfalls unter Briefumschlag eine zweite Nummer des »Franz I« worin stand, daß die Erhebungen bezüglich gewisser Spieler ihrem Ende nahten, und daß demnächst das überraschende Endergebnis veröffentlicht werden würde.

So zogen sich die Maschen enger und enger um ihn zusammen: heute oder morgen konnte der Skandal losbrechen, ohne daß er etwas dagegen hatte thun können.

Zwar gab es Stunden, in denen er sich sagte, daß diejenigen, welche ihn kannten, jenen Anschuldigungen keinen Glauben beilegen würden, und daß in der Kammer ebensowenig wie in Elbeuf sich jemand finden werde, der glauben könne, daß er im Spiel betrogen habe. Aber nicht alle Leute kannten ihn, und überdies war der Gewinn der siebenundachtzigtausend Franken eine Thatsache, die, was er auch anfing, was er auch sagte, selbst bei den ihm günstig Gesinnten immer einen schlechten Eindruck hinterließ. Er hatte sie gewonnen, jene siebenundachtzigtausend Franken, das war eine feststehende Thatsache – er hatte sie gestohlen. Wie sollte er die Leute überzeugen, daß er mit denen, die ihn in die Möglichkeit versetzt hatten, zu gewinnen, nicht unter einer Decke gespielt habe? Jede noch so wahrheitsgetreue Erklärung würde für seine Freunde unwahrscheinlich und für Fremde geradezu albern klingen.

Unterdessen ging sein Urlaub zu Ende, und er mußte nach Paris zurückkehren. War Paris jetzt gefährlicher für ihn als Elbeuf, wo er Ruhe zu finden gehofft und wo man ihn so unsanft aus seiner Ruhe aufgeschreckt hatte?

Er konnte seinen Urlaub umsoweniger verlängern, als mit dem Ablaufe desselben eine für ihn sehr bedeutungsvolle Wahl zusammenfiel, diejenige des Abteilungsvorstandes der »Industrie nationale«. Seine Freunde hatten ihn zu dieser Vorstandschaft vorgeschlagen, seine Wahl schien gesichert, er konnte nicht umhin, sich sehen zu lassen.

So reiste er denn ab, nachdem er noch Bertha das Versprechen gegeben, in einigen Tagen wiederzukommen, um die Mama weiter zu bearbeiten; wenn er auch noch nichts erreicht hatte, so durfte das Spiel doch nicht verloren gegeben werden.

Ohne daß er erwartete, einen feierlichen Einzug in die Kammer zu halten, bildete er sich doch ein, daß seine Freunde, die er seit vierzehn Tagen nicht gesehen hatte, ihn herzlich bewillkommnen würden – so wie er es gewöhnt war.

Aber der Willkomm war im Gegenteil sichtlich ein eisiger; man entfernte sich von ihm; es fehlte wenig, so hätte man ihm den Rücken gekehrt.

Im Begriffe, in das Zimmer einzutreten, wo die Wahl vor sich gehen sollte, wurde ihm eine Depesche eingehändigt. Er öffnete dieselbe: »Wir senden soeben die erste Nummer der Studie nach Elbeuf, besonders und persönlich an Herrn Eck – noch ist es Zeit.«

Die Wahl fand statt; er erhielt nur drei Stimmen; in der Voraussetzung, einstimmig gewählt zu werden, hatte er sich die seinige nicht gegeben.

»Ich habe für Sie gestimmt,« sagte Bunou-Bunou zu ihm, »aber so geht es, was man von ›Epirus‹ erzählt, thut Ihnen den größten Eintrag.«

Was erzählte man denn? Er wagte nicht zu fragen und verließ völlig kopflos das Palais Bourbon. Es blieb ihm kein Ausweg, als ins Wasser zu springen, einen Toten würden sie in Ruhe lassen – die Ehre und die Seinigen wären gerettet.

Er ging über die Brücke und stieg nach dem Quai hinunter, um einen kleinen Flußdampfer zu besteigen. Unterwegs würde es ihm leicht sein, wie zufällig in die Seine zu fallen.

Aber als er das Schiff, welches er besteigen wollte, herankommen sah, stieg das Bild seiner Frau, seiner Tochter vor seinen Augen auf. Durfte er sie verlassen, ohne die Heirat seiner Tochter sichergestellt zu haben?


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