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Vierundzwanzigstes Kapitel

Wie der abergläubische Mensch stets triftige Gründe findet, um darzuthun, warum sein gestern noch unfehlbarer Götze heute nichts mehr taugt, so findet auch der Spieler nicht weniger triftige, um seinen Verlust zu erklären und sich selbst mit Hilfe von »wenn« und »aber« einzureden, daß derselbe hätte verhütet werden können.

So war es auch Adeline ergangen; wenn er gewann, hatte er gut gespielt, er hatte im Gegenteil aber schlecht gespielt, so oft er verlor.

»Wenn ...«

Wenn man seine Fehler einsieht, so ist man nahe daran, sie gut zu machen. Gewiß hatte er Glück; doch was hilft alles Glück, wenn es durchkreuzt wird? Und er hatte das seinige durch Mangel an Sachkenntnis noch mehr als durch Ungeschicklichkeit durchkreuzt. Aber war dieser Mangel bei einem, der zum zweitenmal spielte, nicht ganz natürlich? Nicht die Theorie lehrt einen mit Geschick spielen, sondern die Praxis, nicht die Theorie verleiht Scharfblick, Kaltblütigkeit und raschen Entschluß, sondern die Praxis.

Diese Praxis, diese Kunst hätte er lernen können, wenn er sich ganz einfach vor das eine oder andre der beiden Felder gesetzt und vorsichtig ein paar Louis daran gewagt hätte; das hätte ihn weder ärmer noch reicher gemacht. Aber obgleich er erst zweimal Bank gehalten, hatte ihn bereits eine Krankheit eigner Art erfaßt und zwar diejenige, welche die bloße Berührung des Ledersitzes, auf den sich der Bankier niederläßt, bei so vielen Spielern erzeugt, und die hinfort durch nichts mehr, als durch den vollständigen Ruin geheilt werden kann, diejenige Krankheit, welche darin besteht, immer und immer Bankhalter sein zu wollen.

Diese Rolle zu spielen, lassen sich die stärksten Geister verblenden, davon lassen sich die ruhigsten Naturen bezaubern. Es ist keine Schlacht, in der man als Soldat seine Schüsse abgibt, sondern ein tolles Handgemenge, wo man kommandiert und, den Helmbusch auf dem Kopfe, alle die stolzen Beklemmungen durchempfindet, die aus der Verantwortlichkeit entspringen. Auf hohem Sessel thronend, hält der Bankier den Ansturm aus und bietet den auf ihn gerichteten Blicken von dreißig oder vierzig Spielern, die ihn zu verschlingen drohen, trotz. »Zehn Lümmel gegen einen Edelmann.«

Adeline war weder ein Edelmann, noch ein Raufbold, und er hatte auch keinen Helmbusch auf seinem Kopfe; aber wie so viele andre, die es nicht anekelt, sich auf den noch warmen Ledersitz niederzulassen, war er jener Verblendung, jenem Zauber unterlegen: Bankhalter stets, pointierender Spieler niemals.

So hatte er Bank gehalten. Unglücklicherweise war ihm sein Glück nicht beständig treu geblieben und öfter als einmal hatte es sich den »Lümmeln« zugewandt und zwar so gründlich, daß er seinem Klub allmählich erst kleinere Summen, drei-, vier-, fünftausend Franken und schließlich fünfzigtausend Franken schuldig geworden war.

Wenn er verloren hatte, war Friedrich da, um ihn zu trösten.

»Sie werden das Verlorene wiedergewinnen.«

Und wenn er gewonnen hatte, fanden sich einige Bedürftige ein, um ihm zu Ader zu lassen: »Mein lieber Herr Präsident ...«

Die Stimme war so kläglich, die Geschichte so rührend, daß er es nicht abschlagen konnte, obgleich er mehr als einmal gesehen hatte, wie die soeben hergeliehenen Louis sofort in Spielmarken umgewechselt wurden und zum grünen Tische zurückwanderten. Auch sie, die Entleiher, glaubten, daß sie das Verlorene wiedergewinnen würden; wie konnte er es ihnen verdenken?

Und morgens sah man ihn blaß, mit aufgedunsenen Augen, halb im Schlaf die große Treppe seines Klubs herabsteigen, deren Stufen unter seinen Tritten widerhallten; auf der Straße schüttelte ihn ein morgendlicher Schauer wach, und voll Scham, böse auf die andern, wandte er sich seiner kleinen Wohnung in der Rue Tronchet zu, wo er sonst so ruhig geschlafen hatte, und wo er jetzt nur noch einige unruhige Stunden vor der Kammersitzung zubrachte.

Manchmal hatte er sich in diesen Morgenstunden, in denen bei vielen Leuten die Stimme des Gewissens am stärksten spricht, gesagt, daß er auf seinen Klub verzichten und sein Amt als Präsident niederlegen müsse, weil es das einzig sichere Mittel sei, der Versuchung nicht zu erliegen.

Aber zuerst mußte er das, was er der Kasse schuldete, zurückzahlen, und dieses Geld hatte er nicht.

Und bewies denn das Unglück, das ihn seit einiger Zeit verfolgte, wirklich, daß er seine Chance eingebüßt hatte? Wenn er an dem Tage, an welchem er zum erstenmal Bank hielt, ohne sich Rechenschaft von seinem Thun zu geben, vierzigtausend Franken gewann, warum konnte er jetzt, wo er alle Kniffe des Baccarat kannte, nicht fünfzig-, hunderttausend Franken gewinnen? In Wirklichkeit hatte er nur etwa fünfzehntausend Franken Schulden gemacht, weil er fünfunddreißigtausend nach Elbeuf geschickt, die, Gott sei Dank, unberührt waren. Sollte er, weil er fünfzehntausend Franken aufs Spiel gesetzt, alle Hoffnung aufgeben? Was bedurfte es viel, damit sie sich erfüllte, selbst in weit höherem Maße, als er es Bertha versprochen? Einige Augenblicke des Glückes! Er war ein Narr, daß er glaubte, sie würden für ihn nicht wiederkehren!

Und dann war es andrerseits für seinen Klub, den er liebte, unerläßlich, daß er auf seinem Posten, daß er Präsident blieb.

Wenn seine Leitung und seine Ueberwachung in der ersten Zeit von Nutzen gewesen war, so war dies auch jetzt und selbst mehr als je der Fall. Sein Klub, das war er. In der Kammer sagten seine Freunde nicht: »Gehen wir in den großen internationalen Klub«, oder einfach wie Boulevardiers: »Gehen wir in den ›Grand J‹«, sie sagten in familiärem Tone: »Gehen wir zu Adeline«. Das schuf ihm neben der Verantwortlichkeit auch Pflichten.

Bereits war der »Grand J« nicht mehr, was er anfänglich gewesen, und es hatten sich Aenderungen vollzogen, die freilich nicht für jedermann zu Tage lagen, die aber seinem stets mit väterlicher Aufmerksamkeit beobachtenden Auge nicht verborgen blieben.

An der Table d'hote erschienen jetzt Gestalten, die sich früher nicht gezeigt hatten, und die ihn in Erstaunen versetzten; tadellose Erscheinungen, fast zu tadellos, mit Orden geschmückt, ja, mit mehr Kreuzen und Bändchen, als man anstandshalber trägt, und dazu Namen und Titel, die länger und klangvoller waren, als man sie in Wirklichkeit findet.

Wo kamen diese Leute her? Die von ihm eingezogenen Erkundigungen ergaben, daß sie meistens in genügender Weise eingeführt, oder daß sie ordentliche Mitglieder mehrerer Klubs waren. Zwar überwachte er stets mit derselben Strenge die Aufnahme der ständigen Mitglieder, und unter seiner Leitung hatte man es mit der Abstimmung stets ernst genommen, aber ein Artikel der Statuten besagte, daß, wie dies bei allen Klubs der Fall ist, ein ständiges Mitglied einen Gast einführen könne, und diese kleine Hinterthüre, die bedeutungslos erscheint, in der That aber mehr benutzt wird, als der Haupteingang, hatte mehr als einen neuen Gast, der ihn beunruhigte, hereinschlüpfen lassen.

Wenn er sie nur einmal an seinem Tische gesehen hätte, so hätte er sich darüber weiter keine Sorge gemacht; es waren Eingeladene, ohne Zweifel; aber sie kamen im Gegenteil regelmäßig und sie brachten andre Gäste mit, die in der Regel ehrbar und einfach aussahen, gewiß brave Leute waren und sich auch nicht lange im Klub herumtrieben; sie speisten ein- oder zweimal, spielten des Abends und verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Er hatte von Friedrich vergebens eine Erklärung darüber zu erhalten versucht; trotz seiner Kenntnis der Pariser Gesellschaft, kannte sie Friedrich nicht besser als er; alles, was er bestätigen konnte, war, daß jene so tadellosen und ordengeschmückten Leute keine »Beitreiber« waren, wie man in einem andern Klub als dem »Grand J« hätte vermuten können, d. h. Lockvögel, deren Aufgabe es war, »Gimpel« einzufangen, die man im Baccarat rupfen konnte. Im »Grand J« war das nicht Sitte, und überdies mußte man nicht alles glauben, was man von den Spitzbübereien, die in den Klubs vorkämen, erzählte, das waren Zeitungsgeschichten; er, der doch viel in den Pariser Klubs gelebt, hatte niemals eine wirkliche Spitzbüberei gesehen ...

Und als ihm Adeline darauf bemerkte, daß seine Worte mit den Geschichten, die er ihm früher erzählt, im Widerspruch ständen, hatte Friedrich sich mit der Provinz ausgeredet.

In Nizza, in Biarritz, in den Bädern, dort, wo man sich nicht kennt, ist alles möglich; aber in Paris! in einem Klub, wie der »Grand J«, wo nur Freunde verkehren, bei Mitgliedern wie die Ihrigen!

Was Adeline keine Ruhe ließ, war, daß der »Grand J« nicht, wie er es gehofft hatte, in exklusiver Weise zusammengesetzt war, wenn auch nicht aus Freunden, so doch mindestens aus Mitgliedern, die unter sich nähere Beziehungen haben, durch welche eine Art von Gemeinsamkeit und gemeinschaftlicher Verantwortlichkeit geschaffen wird. Er hätte gemocht, daß man nur zur Pflege der Geselligkeit hier zusammengekommen wäre, um sich in einem Mittelpunkte zu vereinigen, wo alle denselben Zweck verfolgen. Was er aber tagtäglich sah, ließ ihn fürchten, daß man nur hierher kam, um zu spielen. Die wenigen Monate, die er in seinem Klub zugebracht, hatten ihm einen tieferen Einblick in das Pariser Leben gewährt, als mehrere Jahre in der Kammer. Er sah jetzt, welche bedeutende Stelle das Spiel in gewissen Gesellschaftskreisen einnimmt, wo Geldverlegenheiten fast die allgemeine Regel sind, wo man jeden Monat mehr ausgibt als man hat, und wo man nur auf einen Glücksfall rechnet, um das Defizit zu decken, das sich von Tag zu Tag vergrößert. Es paßte ihm nicht, daß der »Grand J« ein Stelldichein für jene Bedürftigen sei, gerade weil er selbst einer davon war; es paßte ihm nicht, daß die andern in seinem Klub die bequeme Gelegenheit fänden, welcher er zum Opfer gefallen war.

Anstatt daß der Gewinn, den die Spielkasse machte, für ihn ein Gegenstand der Beruhigung war, war er im Gegenteil Grund der Besorgnis. Er hätte gewünscht, daß sie weniger eingebracht hätte, weil der Ertrag im Verhältnis zum Spiel stand: Ein Louis für eine Bank von fünfundzwanzig Louis, drei Louis für eine Bank von hundert Louis. – Eines Morgens wohnte er der Oeffnung dieser vielbesprochenen Spielkasse bei; er war starr darüber, wie viele Spielmarken und Täfelchen sie enthielt – nahe an zehntausend Franken. Zehntausend Franken Gewinn für eine Nacht! Seine Bestürzung war so groß gewesen, daß er sie Friedrich, welcher damit beschäftigt war, die Spielmarken und Täfelchen zu zählen, offen merken ließ. Der Klub war leer, in dem düsteren und stillen Baccaratsaale waren nur er, Friedrich, Barthelasse, Maurin, der Kassierer und einige Angestellte zurückgeblieben.

»Zehntausend Franken! Ist es möglich?«

Friedrich hatte ihn mit Befremden, ohne etwas zu erwidern und mit einem rätselhaften Lächeln angesehen.

Schließlich sagte er: »Wie Sie sehen, mein lieber Herr Präsident.«

Sie blickten sich von neuem an und Adeline schlug die Augen nieder. Er wagte nicht die Sache weiter zu verfolgen; denn das hieße doch eingestehen, daß er die betrügerische Anfüllung der Spielkasse für möglich hielt, jene berüchtigte »Anfüllung«, wovon er mehr als einmal hatte sprechen hören, und die darin besteht, daß der Croupier Spielmarken zum Nachteile der Spieler einschmuggelt. Aber um diese »Anfüllung« zu ermöglichen, müssen der Geschäftsführer und die Croupiers unter einer Decke spielen, und er hatte nicht den geringsten Grund, Friedrich einer solchen Niederträchtigkeit zu zeihen.

»Sollen wir die Annahme verweigern?« fragte Friedrich scherzend.

»Sie sind nun einmal da!« erwiderte Adeline.

»Ich bin glücklich, zu sehen,« fuhr Friedrich fort, »daß wir einig sind.«

Einig! Einig! Sie waren es nimmer wie anfangs.

Eines Tages begegnete Adeline einem Kaufmann aus Bordeaux, zu dem er früher Beziehungen gehabt hatte. Dieser kam freundlich lächelnd, ihm die Hand hinstreckend, auf ihn zu.

»Es war sehr liebenswürdig von Ihnen, mich für heute abend in Ihren Klub zum Diner einzuladen,« sagte der Kaufmann.

»Ich habe Sie eingeladen?« sagte Adeline höchst erstaunt, »für heute abend?«

»Hier ist Ihr Brief; ist es nicht für heute abend?«

Es war eine elegant auf Bristolpapier lithographierte Einladung, unterzeichnet: »Der Präsident Adeline«. Nur die Adresse war mit der Hand geschrieben.

»Ich bin sehr überrascht gewesen, als der Kellner des Gasthofs mir diesen Brief einhändigte, denn ich bin erst gestern nacht hier angekommen.«

»Auf Wiedersehen heute abend,« sagte Adeline, der sich beeilte, noch mißlicheren Erklärungen aus dem Wege zu gehen.

Diese Erklärungen sollte Friedrich ihm geben. Wie, die Kellner der Gasthöfe verteilten Einladungen, die mit seinen: Namen: »Der Präsident Adeline« unterzeichnet waren?!

»Aber, mein lieber Herr Präsident,« antwortete Friedrich, indem er zu lachen versuchte, »was Sie in Erstaunen setzt, geschieht allerwärts.«

»In meinem Klub dulde ich es aber nicht.«

»Dann, mein Herr, werden wir ihn schließen. Womit wollen Sie, daß wir unsre Kosten decken sollten, wenn nicht gespielt wird? Damit aber gespielt werden kann, müssen Spieler da sein.«

»Mein Name soll nicht dazu dienen, sie anzulocken.«


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