Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Präsident hält Bank!«

Das war das Wort, das sich augenblicklich im Klub verbreitete.

Selbst in den Zimmern, wo Gesellschaftsspiele gespielt wurden, ließen die Whist- und Ecartéspieler, die Billard-, die Tricktrack-, selbst die Schachspieler ihre Partie im Stich, um dieses Wunder anzustaunen: Der Präsident hielt Bank! Von diesem Lärm aufgeweckt, waren auch diejenigen, welche im Lesesaal oder da und dort in einem lauschigen Winkel ein Schläfchen machten, dem Strome gefolgt, der sich in den Baccaratsaal ergoß.

»August, sechstausend.«

Bei diesem Verlangen seines Präsidenten hatte August, der Spielunternehmer, ohne auch nur Barthelasse mit einem Blicke zu befragen (was ihm bisher nie vorgekommen war), sich beeilt, die sechstausend Franken in Spielmarken auf einem Präsentierteller herbeizubringen, und ehrfurchtsvoll, andächtig mit einer Kniebeugung, wie sie der Sakristan vor dem Altare macht, hatte er sie auf den Tisch gelegt.

Es war etwas so Außerordentliches, so Erstaunliches, den »Herrn Präsidenten« Bank halten zu sehen, daß Julien, der Croupier, vergaß, das Spiel in Gang zu bringen. Er wartete, bis rings am Tische jeder seinen Platz gefunden hatte, was schwierig war, denn diejenigen, welche schon saßen, hüteten sich wohl, ihren Platz aufzugeben.

In diesem gewöhnlich so stillen Saale, wo unter der hohen Wölbung stets eine Art Andacht, wie in einer Kirche oder in einem Gerichtssaale herrschte, hatte sich ein ganz ungewöhnlicher Lärm erhoben.

Adeline hatte sich unterdessen auf dem Stuhle des Bankhalters niedergelassen, wobei es ihm selbst überraschend vorkam, so viel höher zu sitzen als die rings um den Tisch gruppierten Spieler, – sein Herz klopfte hörbar und er blickte unsicher um sich, ohne viel zu sehen, denn sein Geist und seine Gedanken weilten wo anders, als an diesem Tische.

In Erwartung, daß das Spiel beginnen sollte, neigte sich einer von denen, die neben seinem Stuhle standen, über seine Schulter und sagte in spöttischem Tone: »Halten Sie sich gut, Herr Präsident, der Kampf wird schrecklich werden – Frimaux kommt aus dem Odeon.«

Ein allgemeines Gelächter entstand am Tische und aller Augen richteten sich auf einen Spieler, der neben dem Croupier saß und kein andrer war als Frimaux, der abergläubischste Mensch im Klub. Frimaux, der einige Theaterstücke mit wechselndem Glücke auf die Bühne gebracht und entweder einen gründlichen Durchfall erlebt oder einen nachhaltigen Erfolg erzielt hatte, je nachdem die Umstände zusammenwirkten, kannte nur eine Sorge, die, seine Premieren an einem Freitag oder mindestens an einem Dreizehnten zu geben. Im Klub, wo er vom 1. Januar bis zum 31. Dezember alle Tage vier Stunden zubrachte, um, wie er selbst sagte, im Schweiße seines Angesichts sein ärmliches Dasein zu fristen, d. h. die vier oder fünf zum Leben nötigen Louis zu gewinnen, spielte er nur unter gewissen besondern Umständen, welche ihm Glück bringen sollten. Vor drei Monaten hatte er sich eingebildet, daß er nur dann gewänne, wenn er der Avenue de l'Opéra den Rücken zudrehe; so oft er ihr gegenüber saß, zog er die verkehrte Karte, das war ärgerlich; jetzt gewann er nur, wenn er vom Odeon her kam. Daher stieg er allabendlich nach dem Essen die Anhöhen von Batignolles, wo er wohnte, herab, um nach dem Odeon zu gehen, welches er siebenmal umkreiste und wobei er vor sich hin monologisierte, wie eine Person der alten Theaterstücke: »Heute abend werde ich Glück haben.« Dann kam er in den »Grand J«, wo er vier Stunden lang in seinem unerschütterlichen Glauben sitzen blieb. Und obgleich ihn oft genug das Unglück verfolgte, fand er stets die triftigsten Gründe zu einer Erklärung, ohne in seinem Aberglauben, der so fest stand wie die Mauern des Odeons selbst, jemals wankend zu werden. In allen andern Stücken war er übrigens ein Ungläubiger, ohne Treue und Glauben, der sich weder an Gott noch an dem Teufel kehrte und nicht einmal an seine Vaterschaft glaubte, obgleich Frau Frimaux die ehrbarste Frau von der Welt war.

»Richtig,« sagte Frimaux in trockenem Tone, denn er liebte es nicht, daß man sich über ihn lustig machte.

»Sie brauchen es nicht zu sagen, das sieht man.«

In der That war Frimaux, der zu seinen andächtigen Wanderungen niemals einen Wagen nahm (die Fiaker sind nicht immer rein und zweifelsohne), beschmutzt von unten bis oben.

Nach und nach jedoch gab es Ordnung unter denen, die sich um den Tisch drängten.

»Messieurs, faites votre jeu ...«

Von seinem hohen Sitze aus sah Adeline aller Augen auf sich gerichtet, und besonders die von Friedrich, der ihm gerade gegenüber hinter drei Reihen von Spielern und Neugierigen stand, über welche er vermöge seines hohen Wuchses hinwegschauen konnte.

»Rien ne va plus!«

Adeline, der sich zum voraus genügend aufgeregt hatte, war jetzt ziemlich kühl. Es machte sich gut, wie er als Bankhalter die Karten für die beiden Felder und für sich austeilte; und als er einen »Treffer«, d. h. eine Figur und eine Neun (die meisten Punkte, um zu gewinnen) bekam, war seine Art, wie er, ohne die Mitspielenden länger zappeln zu lassen, und ohne unfeine Ueberhastung die Karten auf den Tisch legte, wiederum tadellos.

Man vernahm nur einen Ausruf: »Und er wollte nicht spielen!«

Obgleich Adeline sich Mühe gab, seine Haltung zu bewahren, jauchzte er doch innerlich auf, denn er freute sich über andres als über das gewonnene Spiel, welches eigentlich nur ein unbedeutendes Resultat gehabt hatte. Er hatte Glück, jetzt war die Probe gemacht und sie bestätigte die Ahnungen seiner Jugend. Welchen Fehler hätte er begangen, wenn er es nicht wagte!

Die Karten zum zweiten Spiel gab er mit vollkommener Ruhe; niemals hatte man einen so ruhigen Bankhalter gesehen, man hätte glauben können, daß Gewinn und Verlust ihm ganz gleichgültig wäre; die alten Spieler beobachteten ihn verwunderten Blickes und kamen ob seiner Sicherheit außer Fassung.

»Wer hätte das von ihm geglaubt?«

Diese wie viele andre übrigens hatten bis zu diesem Augenblicke angenommen, daß, wenn er nicht spielte, dies ganz einfach deshalb nicht geschehe, weil er nicht in der Lage sei, irgend einen bedeutenden Verlust zu ertragen.

Das zweite Spiel war bedeutungslos, der Bankhalter verlor auf dem rechten Felde und gewann auf dem linken: das dritte, das vierte fielen zu seinen gunsten aus, und als es ans letzte Spiel ging, hatte er ungefähr zwanzigtausend Franken gewonnen.

Nun verließ ihn die Ruhe und von neuem schnürte die Erregung ihm das Herz zusammen, Schweißtropfen rollten von seiner Stirne herab. Zwar war das kein Vermögen, wie er es geträumt hatte, als er die Frage erwog, ob er spielen solle oder nicht, aber es war immerhin eine Summe, und das letzte Spiel, das er jetzt machte, konnte sie verdoppeln oder in nichts zerrinnen lassen; das letzte Spiel würde nun darüber entscheiden, ob er Glück habe oder nicht, und das war der wesentliche Punkt.

Diesmal ließ die Art, wie er als Bankhalter die Karten abzog, zu wünschen übrig: es schien, als könnten sie sich nicht von seinen Fingern trennen, gleich als hoffte er dadurch, daß er sie in der Hand behielt, ihnen Zeit zu lassen, das zu werden, was er sich wünschte; langsam nahm er die seinigen auf und wagte nicht, sie anzusehen.

Er hatte fünf.

Die Lage war kritisch: was würden seine Gegner wohl thun? Weder der eine noch der andre verlangte eine Karte.

Seitdem er in seinem Klub verkehrte, klangen ihm die Ohren von den Erörterungen über das Abziehen bei der Fünf: Soll man oder soll man nicht abziehen? Aber von allem, was er über diesen heiklen Punkt gehört, war in seiner Erinnerung nicht viel hängen geblieben und er war in diesem Augenblicke nicht im stande, sich die Theorie ins Gedächtnis zurückzurufen und darüber nachzudenken.

Was die Beklemmungen beim Spiel so heftig macht, ist die Schnelligkeit, mit welcher man seine Entschlüsse fassen muß. War es geraten, auf die Fünf zu halten, oder sich eine Karte zu geben? Wenn er sich eine Zwei, eine Drei oder eine Vier gab, so verbesserte er seine Karte und kam der Neun näher; aber wenn er sich eine Fünf, eine Sechs oder eine Sieben gab, bekäme er zehn, elf oder zwölf und verlor. Ein alter Spieler hätte augenblicklich die Frage theoretisch gelöst, aber er war kein alter Spieler, es fehlte ihm alles dazu und es blieben ihm nur eine oder zwei Sekunden, um sich schlüssig zu machen.

Es war noch nie unter eigenartigeren Umständen das Glück herausgefordert worden; er wollte eine Karte abziehen, sie sollte entscheiden.

Er zog eine Drei ab, das machte acht für ihn; das Feld zur Rechten hatte fünf, das zur Linken sieben – die vierzigtausend Franken gehörten ihm.

Ohne Frage war die Probe gelungen, die Entscheidung war gefällt: er hatte Glück.

Uebrigens sagten das alle.

Unter denen, die sich beeilten, ihn zu beglückwünschen, war Friedrich nicht der letzte, und er verstand dies in feinerer Weise zu thun als die andern.

Als Adeline ihm gegenüber wiederholte, daß es das erste Mal sei, daß er spiele, war er nicht so albern, an dieser Versicherung zu zweifeln, und erspähte sofort den Vorteil, den er daraus ziehen konnte.

»Die Art, wie Sie gespielt haben, beweist eins, nämlich, daß Sie Talent zum Spielen haben, und Ihr Gewinn beweist noch eins, nämlich, daß Sie Glück haben; Sie müßten wirklich auf Geld keinen Wert legen, wenn Sie mit diesen beiden außergewöhnlichen Eigenschaften nicht spielten.«

Zum Schaden für seinen Geldbeutel mußte Adeline nicht bloß denen stand halten, welche ihn beglückwünschten, sondern auch denen, die sich, um ihn anzupumpen, auf ihn stürzten. Herr von Cheylus an der Spitze lockte ihm fünfzig Louis heraus, dann kamen fünf oder sechs andre und endlich Frimaux, der sich die fünf Louis, die er verloren hatte, zurückgeben ließ.

Adeline war nicht zum Scherzen aufgelegt, und an diesem Abende weniger als sonst je; nichtsdestoweniger konnte er es sich nicht versagen, eine leichte Anspielung auf das Odeon zu machen.

»Das Odeon!« rief Frimaux aus, »das haben sie auch schön zugerichtet! Da werden Sie begreifen, daß ich's ebenfalls nicht besser verlangen kann!«

Am nächsten Tage begannen in der Kammer die Beglückwünschungen von neuem. Die Freunde Adelines redeten von nichts, als von seinem Glück; nicht vierzigtausend Franken waren es, die er gewonnen hatte, sondern zweimalhunderttausend, dreimalhunderttausend.

Aus Furcht, daß er sich könnte verleiten lassen, seine vierzigtausend Franken, oder was ihm davon übrig blieb, d. h. fünfunddreißigtausend Franken wieder zu verspielen, schickte sie Adeline als kluger Mann, der rettet, was zu retten ist, nach Elbeuf, wo sie sicherer aufgehoben sein würden als in seinen Händen. Nur hütete er sich wohl, seiner Frau zu sagen, woher sie kamen. Damit sie sich nicht beunruhigte, erfand er eine nicht unwahrscheinliche Geschichte: Sie waren in der letzten Zeit in genug und ziemlich bedeutende Fallimente verwickelt gewesen, so daß es ganz natürlich war, anzunehmen, daß bei einem derselben diese Summe herausgesprungen sei; die Schuldner, welche ihre Schulden bei Heller und Pfennig bezahlen, um die Ehre ihres Namens wieder herzustellen, sind zwar selten, aber schließlich finden sich doch welche.

Als Adeline in seinen Klub kam, umringten ihn die, welche er tags zuvor hereingelegt hatte.

»Sie müssen uns Revanche geben, Herr Präsident.«

»Sie müssen uns etwas von dem Gelde zurückerstatten, das Sie uns gestern abgewonnen haben.«

Er erwiderte lachend, daß ihm das unmöglich wäre, da jenes Geld unterwegs nach Elbeuf sei. Dann setzte er ernsthaft auseinander, daß er kein Spieler sei und keiner werden wolle, er habe, wenn er am Abend zuvor die Bank gehalten, nur den Bitten derjenigen nachgegeben, welche ihn bestürmten, durchaus nicht in seinem Interesse, sondern in dem der übrigen, um sich ihnen angenehm zu erweisen und dem Klub ein Vergnügen zu machen.

»Ei, und wir, wollen Sie für uns nichts thun? Sind Sie uns nichts schuldig?«

Schließlich, da er Glück hatte, warum sollte er es sich nicht zu nutze machen, das Geld war für ihn nicht wertlos, wie Friedrich meinte, weit entfernt.

Aber an diesem Abende war ihm das Glück untreu, sein Glück, das er gewissermaßen als sein Recht in Anspruch nahm. Das Zünglein der Wage schwankte wenigstens hin und her, und als seine Bank zu Ende war, hatte er einen Verlust von sechstausend Franken zu verzeichnen.

Da er diese Summe nicht bei sich hatte, sagte er an der Kasse, daß er morgen zahlen werde.

»Die Kasse wird Ihr Geld nicht annehmen, mein lieber Herr Präsident,« sagte Friedrich, »Sie haben heute nicht für sich gespielt, sondern für den Klub. Sie selbst haben es gesagt, ich wiederhole Ihnen Ihre eignen Worte. Sobald Sie die Scharte wieder ausgewetzt haben werden und darauf halten, die sechstausend Franken zurückzuzahlen, werden wir die Annahme nicht verweigern können, aber bis dahin bleibt Ihnen die Kasse verschlossen – um Geld anzunehmen. Mit Ihrem Glück, mit Ihrem Talente zum Spiel wird es Ihnen leicht sein, sich zu revanchieren. Sie werden sich Ihre sechstausend Franken und noch mehr dazu wieder holen.«

Auf diese Weise war er gekapert worden; er zählte bald zur zahlreichsten Gruppe der Spieler, zu derjenigen, welche ihrem Gelde nachläuft.


 << zurück weiter >>