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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Eines Morgens, als Adeline spät nach Hause kam, in jenem Zustande halber Schlaftrunkenheit eines übernächtigen Spielers, körperlich übermüdet, dabei fieberhaft erregt und geistig abgespannt, sich vor sich selber schämend und zornig auf die andern, während in seinem Kopfe alle die verlorenen Spiele nochmals wirr durcheinander wirbelten, die seine Schuld um zehntausend Franken erhöht hatten, da meldete man ihm, daß ihn eine junge Dame im Empfangszimmer des Hauses erwarte.

Er war kaum in der Verfassung, Bittsteller zu empfangen und sie anzuhören. Er fühlte das Bedürfnis, sich vor der Kammersitzung, wo ein Gesetzentwurf auf der Tagesordnung stand, über den er Referent war, zu erfrischen, ein wenig Ruhe zu genießen und wieder zu sich zu kommen.

»Sie können jener Dame sagen, daß ich sie nicht empfangen kann,« erwiderte er.

Und er stieg die Treppen zu seiner Wohnung hinauf.

Aber in seiner schlechten Laune hatte er nicht leise genug gesprochen, die Thür des Zimmers wurde rasch geöffnet und er befand sich einer jungen, eleganten Frau gegenüber, die ihm den Weg versperrte.

»Herr Adeline?«

»Ich bin es, Madame, aber ich kann Sie in diesem Augenblick nicht empfangen, ich habe große Eile, teilen Sie mir Ihre Wünsche schriftlich mit.«

»Ich bitte Sie, mein Herr, schenken Sie mir Gehör, ich flehe Sie an.«

Der Ton war so bewegt, so zitternd, der Blick so umdüstert, so trostlos, daß Adeline sich erweichen ließ.

Er ging vor ihr her und führte sie in den kleinen einfachen Salon seiner möblierten Wohnung, der vor seinem Wohnzimmer lag. Als er dieses kalte Zimmer, das jetzt die meiste Zeit unbewohnt war, betrat, schüttelte ihn ein Schauer von oben bis unten. Nun zündete er ein Streichhölzchen an und hielt es an das im Kamin zurechtgelegte Holz; dann zog er einen Sessel herbei und setzte sich seiner Besucherin, welche in einer verwirrten und beschämten Haltung wartete, gegenüber.

»Ich stehe zu Ihren Diensten, Madame.«

Da sie nicht begann, wollte er ihr zu Hilfe kommen. Sie war sehr hübsch, und die Traurigkeit und die Herzensangst auf ihrem Gesichte mußten Teilnahme einflößen.

»Madame ...?« fragte er.

»Madame Paul Combaz.«

»Die Frau des Malers?«

»Ja, mein Herr.«

Das klang eher traurig als stolz.

Die etwas laue Teilnahme Adelines verwandelte sich in Interesse. Er vergaß seine Müdigkeit und seine Aufregungen der Nacht, um diese junge Frau zu betrachten, die da in einer trostlosen Haltung vor ihm saß. Paul Combaz war ihm nicht nur dem Namen nach als ein talentvoller und in der Pariser Gesellschaft geschätzter Maler, sondern auch persönlich bekannt, und zwar als einer der treuesten Gäste des »Grand J« seit einiger Zeit.

»Verzeihen Sie mir meine Verzagtheit,« sagte sie endlich, »die Lage einer Frau, welche sich über ihren Mann, den sie liebt, zu beklagen hat, ist eine so schmerzliche, daß ich nicht weiß, wie ich mich ausdrücken soll, obgleich ich seit länger als einem Monat hundertmal täglich überlegt habe, was ich Ihnen sagen wollte.«

Adeline suchte ihr durch ein Zeichen Mut einzuflößen.

»Sie kennen meinen Mann?« fragte sie, ihn furchtsam anblickend.

»Ich achte ihn ebensosehr als Künstler, wie ich ihn als Menschen wertschätze.«

Sie ließ einen Seufzer der Erleichterung hören, und in ihren umflorten Augen blitzte ein Strahl von Zärtlichkeit und Stolz auf.

»Seien Sie versichert, daß er es verdient: er ist das ehrlichste Herz, der geradeste Charakter, und Ihnen brauche ich es nicht zu sagen, daß er ein großer Künstler ist, seine Erfolge bestätigen das. Ich würde die glücklichste und stolzeste Frau sein, wenn ... wenn er nicht spielte; und weil er spielt ... in Ihrem Klub spielt, deswegen komme ich, um Sie zu bitten, daß Sie uns retten, meine Kinder und mich.«

»Aber ich habe nicht die Macht, die Leute am Spielen zu verhindern!« rief er, durch diese Anrufung seiner Vermittelung verletzt, aus. Sie schien ihn für die Spielverluste ihres Mannes verantwortlich machen zu wollen. »Sie täuschen sich gewaltig über den Einfluß des Präsidenten eines Klubs.«

Sie sah ihn mit ganz verstörten Blicken, mit bebenden Lippen an.

»O! mein Herr; ich bitte Sie, stoßen Sie mich nicht zurück. Wenn Sie mich nicht um meinetwillen anhören (und ich begreife es, weil Sie mich nicht kennen), so thun Sie es meiner Kinder, meiner drei kleinen Mädchen wegen, die in einem Monate, vielleicht schon in acht Tagen, auf die Straße geworfen und vor Hunger, vor Kälte sterben werden – wenn Sie sich nicht ins Mittel legen. Sie haben eine Tochter, die Sie lieben, an den Vater wende ich mich.«

»Sie kennen mich, Sie kennen meine Tochter?«

»Nein, mein Herr, ich kenne Fräulein Adeline nicht, aber ich weiß, daß Sie eine Tochter haben, und indem ich an sie dachte, ist in mir die Hoffnung erwacht, daß Sie uns helfen würden. In Verzweiflung über die Spielverluste meines Mannes habe ich mich wie eine Verrückte nach einem Menschen umgeschaut, dessen Schutz ich anrufen könnte, und da ist mir die Idee gekommen, eine Eingebung, daß, wenn ich meinen Gatten auch nicht verhindern könnte, in den Klub zu gehen, wo er sich ruiniert hat, der Präsident des Klubs ihm die Thüren desselben verschließen könnte. Aber ist dieser Präsident ein Mann, welcher mich anhörte? Oder wird er mich abweisen, weil er selbst aus dem Ruin der Spieler Gewinn zieht? ... es gibt ja solche, hat man mir gesagt. Durch meinen Gatten, den ich befragte, habe ich erfahren, welche Stellung Sie auch in der politischen Welt einnehmen, welche Achtung Sie allgemein genießen. Das war viel und doch war es nicht genug. Wohnte in der Brust des Politikers ein Herz, das für die Verzweiflung der Mutter ein Verständnis hatte und der Teilnahme fähig war? Ich habe eine Schulfreundin, die in Rouen verheiratet ist; an sie habe ich geschrieben, daß sie in Erfahrung bringen möchte, was für ein Mann Herr Constant Adeline sei. Ihre Antwort kennen Sie, ohne daß ich sie Ihnen mitteile, und als ich nun erfahren hatte, welch ein Vater Sie Ihrer Tochter sind, da habe ich Zutrauen zu Ihnen und da habe ich Mut gefaßt, diesen Schritt zu thun.«

Nach und nach hatte er sich gewinnen lassen. Diese zitternde Stimme, diese schönen, thränenfeuchten Augen, dieses Feuer und gleichzeitig diese Bescheidenheit im Ausdruck, vor allem aber diese Anrufung Berthas bewegte ihm das Herz.

»Was kann ich für Sie thun? Was in meiner Macht steht, soll geschehen, das verspreche ich Ihnen.«

»Ich fühlte, daß ich mich nicht vergeblich an Sie wenden würde, und von ganzem Herzen danke ich für Ihre Worte. Wenn ich Ihnen erst unsre Lage auseinandersetze, wird es Ihnen klar werden und gewiß klarer als mir selbst, wie Sie uns retten können und wie Sie es mit meinem Manne anfassen müssen.«

Adeline klingelte und befahl dem die Thüre öffnenden Diener, niemand herauf zu lassen.

»Seit sieben Jahren bin ich verheiratet,« sagte sie; »ich habe meinem Manne hunderttausend Franken in die Ehe gebracht, und ein Jahr nachher beim Tode meines Vaters weitere zweihunderttausend Franken. Als mein Mann mich heiratete, besaß er kein Vermögen, aber Talent und einen Namen, was ihm fünfzig- bis sechzigtausend Franken einbrachte. Wir lebten sehr behaglich in einem kleinem Hause der Rue Jouffroy, das mein Mann gebaut und das samt Mobiliar mit meinem Eingebrachten und der Hinterlassenschaft meines Vaters bezahlt worden war. Das konnte man keine Verschwendung nennen, denn Sie wissen, daß der Maler, der kein eignes Haus besitzt, so zu sagen kein Ansehen beim Bilderhändler und noch weniger beim Kunstliebhaber genießt; es ist eine geschäftliche Notwendigkeit, so etwas wie ein Stück Handwerkszeug. Wir waren sehr glücklich, ich war sehr glücklich; mein Mann liebte mich, ich liebte ihn, lebte in ihm, um ihn, war stolz, ihn arbeiten zu sehen, stolz, wenn ich sah, daß er sich nach mir umwandte und mit einer Handbewegung oder mit einem Blick mich um meine Ansicht befragte. Ich kam nicht aus dem Atelier und die einzigen Stunden in den sechs Jahren, die ich nicht an seiner Seite verbrachte, waren die, in welchen ich meine Kinder im Park Monceau spazieren führte. Die Krisis, welche der Kunsthandel durchmacht, hat uns indessen ebenfalls berührt und die sechzigtausend Franken, die mein Mann in den ersten Jahren unsrer Ehe verdiente, schrumpften auf einige tausend Franken zusammen, da, wie Sie wissen, die Händler nichts mehr kauften. Wir mußten uns einschränken. Ich selbst hatte zuerst darauf gedrungen und brachte es auch zu stande, unsre Lebensweise anders einzurichten – ganz genügend, wenigstens nach meinem Ermessen, wir hätten, bis bessre Zeiten eintraten, ganz gut so durchkommen können. So ging's, bis vor drei Monaten (Sonntag werden es drei Monate, zu meinem Unglück weiß ich das Datum nur zu wohl) Herr Fastou ...

Adeline machte eine unwillkürliche Bewegung.

»... der Bildhauer, welcher Mitglied Ihres Klubs ist, meinen Mann besuchte. Natürlich sprach man vom Krach. Fastou schalt meinen Mann, warf ihm vor, daß er zu sauertöpfisch sei, daß man, da die Händler nicht mehr kauften, sich an die Liebhaber wenden, daß aber, um sie zu finden, man sie aufsuchen müsse, daß, um mit ihnen in passender Weise zusammenzutreffen, die Klubs als neutraler Boden der richtige Ort seien, daß er zum Beispiel in seinem Klub zwölf oder fünfzehn Büsten bestellt bekommen habe, wovon er lebe. Und zum Schlusse schlug er meinem Manne vor, Mitglied des ›Grand J‹zu werden. Ich drang so inständig in meinen Mann, daß er es abschlug; aber er begleitete Herrn Fastou einigemal – um mit jenen Liebhabern, die Bilder kaufen sollten, zusammenzutreffen.«

»Und nachher?« fragte Adeline beklommen, denn er hatte Combaz schon oft am Baccarattische gesehen.

»Heute ist unser Haus mit achtzigtausend Franken Hypotheken belastet, d. h. ungefähr für seinen wirklichen Wert. Alle Bilder, die mein Mann in seinem Atelier hatte, sind weg, auch ein Teil der Möbel, alles, was gut und leicht verkäuflich war, ist den Bildern gefolgt.«

»Aber die Spielkasse nimmt keine Hypotheken,« rief Adeline aus, »sie kauft keine Bilder!«

»Die Kasse nein, aber der Kassierer oder der Spielunternehmer, ich weiß nicht, wie Sie ihn nennen, der welcher den Spielern leiht, August.«

»Das ist unmöglich,« unterbrach Adeline, welcher zu wissen glaubte, daß August nur ein kleiner Angestellter sei.

»Sie glauben, mein Herr, aber ich weiß. Auf alle Fälle, wenn August nicht zu seinem Vorteil die von meinem Manne verlorenen Summen geliehen hat, so geschah es zum Vorteil derjenigen, die ihn angestellt haben und für uns bleibt das Ergebnis dasselbe, es ist der Ruin. Wenn noch die paar Möbel, die paar Wandbehänge und die paar Teppiche verkauft sind, dann bleibt uns nichts mehr übrig und es wird nicht lange dauern, bis auch das Haus verkauft wird, weil wir die Zinsen des Hypothekenkapitals nicht bezahlen können. Sie sehen, in welcher Lage wir sind. In drei Monaten ist alles durchgebracht worden; mein Mann arbeitet nicht mehr, er ist der unglücklichste Mensch von der Welt, das Fieber verzehrt ihn, er schläft nicht mehr, er ißt nicht mehr; ich fürchte, daß die Verzweiflung darüber, uns ins Elend gestürzt zu haben, ihn zum Selbstmorde treibt. Schon wagt er es nicht mehr, mir ins Auge zu sehen, und wenn er seine Kinder umarmt, thut er es mit einer Leidenschaftlichkeit, die mich erschreckt. Jetzt werden Sie begreifen, wie ich den Mut fassen konnte, mich an Sie zu wenden. Wenn mein Mann in Ihrem Klub nicht mehr spielen darf, so wird er, da er auch anderswo beim Spiel nicht ankommt, weil er ruiniert ist, zu mir zurückkehren; ich werde ihn trösten, ihn wieder aufrichten, er wird seine Arbeit wieder aufnehmen, und wäre es nur, um Illustrationen zu zeichnen; Sie werden ihn geheilt, Sie werden ihn gerettet haben.«

Adeline schüttelte das Haupt und vielleicht mehr zu sich selbst als zu Frau Combaz murmelte er: »Kann man einen Spieler heilen?«

Sie glaubte, daß dieser Ausruf an sie gerichtet sei, und erwiderte lebhaft: »Ja, man kann ihn heilen, und mein Mann ist ein lebendes Beispiel. Wir haben unsre Hochzeitsreise in die Pyrenäen gemacht; als wir in Luchon ankamen, begann mein Mann zu spielen und brachte jede Nacht im Kasino zu. Ich begleitete ihn, und da Frauen keinen Zutritt zu den Spielsälen haben, wartete ich auf ihn ganz allein in einem kleinen Salon, voll Betrübnis, voll Verzweiflung; ich fragte von Zeit zu Zeit die Diener, wie es mit dem Spiel stehe und ob es nicht bald zu Ende gehe. Obgleich ich eine anständige Erziehung genossen, war ich so weit gekommen, mit ihnen bekannt zu thun, damit sie mir nur Rede und Antwort stehen möchten. Und sie antworteten mir nicht nur, sondern sie zeigten sich auch bereit, meinen Mann von meiner Anwesenheit in Kenntnis zu setzen. Er ließ sich rühren. Am sechsten Abende gab er mir das Versprechen, daß er nicht spielen werde, und seitdem hat er es nicht mehr gethan.«

»In Luchon?«

»Nirgends mehr.«

»Aber in Paris?«

»Nach sieben Jahren! Sie sehen, daß die Heilung lange vorgehalten, daß sie möglich ist.«

Adeline sprach nicht aus, was er auf der Zunge hatte.

»Sie thaten recht, sich an mich zu wenden,« sagte er, »ich verspreche Ihnen mein möglichstes zu thun, um Ihren Gatten zu retten.«

»Vor allem aber darf er nichts von meinem Gange zu Ihnen wissen.«

»Seien Sie ruhig, ich werde in meinem eignen Namen mit ihm reden.«


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