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Dreiunddreißigstes Kapitel

Als der Prinz von Heinick unterwegs nach Köln war, konnte sich Adeline endlich mit Friedrich auseinandersetzen und von ihm die Entlassung des Croupiers Juliens und des Spieldieners, der so schön das Geldwechseln verstand, zu verlangen; er that es mit Offenheit und Ernst.

Bei den ersten Worten bemächtigte sich Friedrichs eine lebhafte Aufregung. Ein Polizeibeamter im Klub! Was hatte er gesehen? Was hatte er gesagt? Was wußte der Präsident? Er hörte, ohne ein einziges Mal zu unterbrechen, zu; bevor er in die Bresche trat, mußte er klar sehen.

Erst als Adeline mit seiner Anklage zu Ende war, ergriff er das Wort mit einer teils bestürzten, teils gekränkten Miene.

»Zunächst muß ich Ihnen sagen, daß vor Ablauf einer Stunde Theodor und Julien aus dem Klub weggejagt sein werden; es sind Elende, die um so weniger Mitleid verdienen, je mehr Vertrauen wir in sie setzten; ich gestehe, daß ich in dieser Hinsicht gefehlt habe; gerade das allzu große Vertrauen ist mein Fehler gewesen; ich habe sie nicht mit argwöhnischen Blicken überwacht, ich bin im Unrecht, ich erkenne es an.«

Er hatte diese kleine Tirade gesenkten Hauptes, demütigen Tones vorgebracht; aber er erhob es wieder und nahm seine stolze, eines Mussidan würdige Miene an.

»Nun erlauben Sie mir beizufügen, daß ich – mehr als überrascht, mehr als peinlich berührt, mit einem Worte, tief verletzt bin, daß dies alles sich hinter meinem Rücken abgespielt hat, über meinen Kopf hinweg, daß man mich umgangen hat, wie wenn ich nicht die Verantwortlichkeit für die Verwaltung unsres Klubs trüge. Sie werden es daher verstehen, daß ich Sie nach den Gründen frage, aus welchen Sie so gehandelt haben.«

Diese Empfindlichkeit war zu berechtigt, als daß Adeline sich darüber geärgert hätte, er erwartete diesen Ausbruch sogar und hätte bei einem Manne, wie dem Vicomte, das Gegenteil nicht begriffen. Seine Antwort hatte er übrigens in Bereitschaft.

»Ich mußte mich den Wünschen des Präfekten fügen; der Dienst, den er mir, den er uns geleistet, war so groß, daß mir nichts übrig blieb, als auf die Bedingungen, die er an seine Mitwirkung knüpfte, einzugehen.«

Friedrich mußte mit dieser Erklärung fürlieb nehmen oder böse werden – er wurde nicht böse. Er hatte etwas Bessres zu thun, das war, Adeline dahin zu bringen, daß er sich des längeren über jenen Beamten ausließ, um genau zu erfahren, wie weit die Entdeckungen desselben gingen.

Aber Adeline hatte alles gesagt, er konnte das Gesagte bloß wiederholen.

Alsdann erklärte Friedrich, warum er in ihn gedrungen: er wollte klar sehen, er suchte aus den Beobachtungen jenes Beamten Nutzen zu ziehen, nicht bezüglich dessen, was bereits geschehen war, sondern für künftige Zeit. Das, was vorgefallen war, durfte nicht wieder vorkommen, weder mit den Croupiers und den Spieldienern, noch auch mit den Falschspielern, wie der Prinz Heinick. Dessen Betrügerei war so originell, so kühn gewesen, daß er sich hatte täuschen lassen. Obgleich jene Sicherheit im Umschlagen und jenes unglaubliche Glück Verdacht erregten, hatte er doch nichts entdecken können. Aber künftig sollten Vorsichtsmaßregeln getroffen werden, welche jede Betrügerei verhindern würden; es sollten nun auch einfarbige Karten und dreierlei Kartenspiele mit drei verschiedenen Farben, weiß, rosa und chamois gebraucht werden; das würde jeden Schwindel verhüten; jeden Abend sollten die Karten, mit denen man spielte, vor den Augen der Spieler verbrannt werden; zwar würde das einen Verlust von fünf- oder sechstausend Franken jährlich ausmachen, die man aus dem Wiederverkauf jener Karten einnahm; allein die unbedingte Sicherheit könne nicht zu teuer bezahlt werden. Im übrigen würde diese den andern Klubs gegebene Lektion, die trotz des gesetzlichen Verbotes ihre Karten verkaufen, schon Früchte tragen, denn sie würde von neuem beweisen, daß der »Grand J« das Muster eines Klubs sei.

Mochte der »Grand J« in Zukunft ein noch mustergültigerer Klub werden, als er es schon war, das konnte an Adelines Entschluß nichts ändern.

Seitdem der Präfekt zu ihm gesagt hatte: »In Ihrem Klub wird falsch gespielt,« hatte es wie eine erdrückende Last Tag und Nacht auf ihm gelegen. Er sah sich, wie er als Zeuge vor Gericht auf die Fragen des Vorsitzenden antworten und mit gesenktem Haupte dessen Verwarnungen anhören mußte; welche seinen Charakter kränkende, seine Ehre verletzenden Fragen würde man an ihn richten?

Und wenn er sich die strengen oder wohlmeinenden Fragen des Vorsitzenden oder sein höhnisches oder verächtliches Lächeln vergegenwärtigte, dann wiederholte er sich die Worte des Vater Eck: »Ueberlassen Sie diese Leute da ihren Vergnügungen; nicht bloß mit Rücksicht auf das Vermögen hat die Familie ihr Gutes.«

Da, in dieser heftigen Aufregung hatte er ein Gelöbnis gethan, wie der Seemann im Sturm: Wenn er der Gefahr entging, die ihm drohte, so wollte er diese Existenz, die so wenig seinem Wesen entsprach, aufgeben und, dem Rate des Vater Eck folgend, jene Leute ihren Vergnügungen, die nicht für ihn paßten, überlassen.

Niemals hatte er so voll Angst und mit so ernstem Nachdenken sein Gewissen geprüft. Was hatte er von diesem Dasein gehabt, welchem er sich nur mit Rücksicht auf die eingebildeten herrlichen Erfolge, die aber in Wirklichkeit vom ersten Tage an ausgeblieben waren, angepaßt hatte? Welchen Vorteil für seine persönlichen Interessen hatte ihm diese Präsidentschaft, durch welche er so viele nützliche Beziehungen anzuknüpfen gedachte, eingebracht? Keinen. Und wenn er mit Beiseitelassung seines persönlichen Interesses nur das allgemeine Interesse ins Auge faßte, so mußte er ebenfalls notgedrungen zugeben, daß die Gründung seines Klubs, der zur Entfaltung des glänzenden Lebens in Paris beitragen sollte, lediglich zur Entfaltung des Spiels beigetragen hatte. Wo waren die Kaufleute, die der Klub bereichert hatte? Er sah sie nicht, während er nur zu deutlich diejenigen sah, die er in Armut und Elend gestürzt hatte – ihn zu allererst. Denn was bei diesem elenden Abenteuer am klarsten hervortrat, war seine Schuld an die Spielkasse, die nunmehr sechzigtausend Franken betrug.

Aber ungeachtet dieser Schuld mußte er seinem Gelöbnis treu bleiben und durch seinen Rücktritt seine Freiheit, seine Würde wiedererlangen. Es gab für ihn kein Zögern, kein Wägen mehr; seine Ruhe, seine Ehre vielleicht, stand auf dem Spiel. Was er in den letzten paar Tagen gesehen und erfahren hatte, versetzte ihn in Schrecken. Ei was, das also waren die Sitten jener Kreise, die Dieberei, überall die Dieberei, bei Hohen und Niedrigen – nicht ein einziger mit reiner Hand; und dieses ganze Schandtreiben deckte er mit seinem Namen: »Kommt mit zu Adeline«; bei Adeline eskamotierten die Croupiers die Spielmarken, bei Adeline betrog der Prinz von Heinick im Spiel; – zwei Jahrhunderte redlicher Arbeit nahmen ein solches Ende!

Sein Entschluß war gefaßt; koste es, was es wolle, er mußte aus dieser Hölle heraus, die nicht nur sein Vermögen und seine Ehre, sondern auch ihn selbst zu schanden machte, alles Gute in ihm erstickte und nur das Schlechte übrig ließ. Wenn Leidenschaften das Herz und den Geist erheben können – das Spiel ist gerade keine davon. Seitdem er in seinem Klub lebte, hatte er alle Arten von Spielern mit eignen Augen gesehen und in Situationen, wo das Tierische im Menschen offen zu Tage trat; er wollte ihnen nicht gleichen.

Zwar hieß das auf die Hoffnung verzichten, die er für Bertha gehegt; aber konnte er die Mitgift, die er zu gewinnen dachte, mit seiner Ehre bezahlen? Sie wäre die erste gewesen, dies von sich zu weisen.

Als Friedrich ihn verließ, um Julien und Theodor den Abschied zu geben, zögerte Adeline, im Gegensatze zu seinem sonst üblichen Verhalten, wenn es galt, einen schweren Entschluß zu fassen, keine Minute. Er verließ den »Grand J« und reiste nach Elbeuf ab, denn bevor er seinen Rücktritt erklärte, galt es, bei der Kasse seine Schuld zu berichtigen, was nur dadurch möglich war, daß er von seiner Frau die fünfunddreißigtausend Franken, die er ihr geschickt, als er zum erstenmal gespielt, zurückverlangte, und indem er mit ihr die Mittel und Wege beriet, um sich die fehlenden fünfundzwanzigtausend zu verschaffen.

Welcher Schmerz für seine arme Frau, welche Erniedrigung für ihn!

Die Geschichte mit dem Prinzen hatte ihn verhindert, zur gewöhnlichen Zeit nach Elbeuf zu reisen; nun schickte er seiner Frau eine Depesche, um ihr seine Ankunft zu melden, und als er in das Speisezimmer trat, fand er all seine Lieben versammelt, die ihn beim gedeckten Tisch erwarteten, die Mama in ihrem Sessel, seine Frau, Bertha und Leonie.

»Wie lieb ist es von dir, daß du den Samstag, an welchem du uns im Stiche ließest, jetzt nachholst,« sagte Bertha, ihn umarmend.

»Macht dir denn die Politik so heiß?« sagte die Mama.

Seitdem die Mama über die Heirat Berthas mit Michel ihre Meinung kundgegeben hatte, sprach sie nur noch über Politik, wenn er einen Tag in Elbeuf zubrachte. Das war ihre Art, gegen jene Heirat zu protestieren; sie machte ihrem Groll keine Luft, aber sie vermied jedes Thema, welches Fragen des Familieninteresses aufs Tapet bringen konnte. Da Adeline und Frau Adeline ihrerseits nicht minder bestrebt waren, solche Themata nicht anzuschlagen, und da Bertha ebenfalls darauf bedacht war, ihrer Großmama nicht die geringste Gelegenheit zu bieten, um offen oder durch Anspielung ihre feindliche Gesinnung zu bekunden, so pflog man politische Gespräche ohne Ende, an welchen alle sich beteiligten.

Aber an diesem Abend versagte selbst das politische Thema und wiederholt ließ Adeline zerstreut das Gespräch fallen, ohne die mit seiner Mutter begonnene Unterhaltung fortzusetzen.

»Gehen wir morgen nach Thuit?« fragte Bertha, die stets gerne Spaziergänge mit ihrem Vater machte.

»Nein, ich kehre morgen früh nach Paris zurück.«

Gleich nach dem Abendessen rollte Adeline seine Mutter in ihr Zimmer, dann küßte er seine Tochter und Leonie und ging mit seiner Frau ins Comptoir.

»Was hast du?« fragte diese, sobald die Thüre sich hinter ihnen geschlossen hatte. »Wie zerstreut du heute abend bist!«

»Eine böse Angelegenheit, die dir einen großen Kummer verursachen wird ... die mir die Schamröte ins Gesicht treibt.«

Sie betrachtete ihn mit Schrecken; er wendete die Augen ab. Da kam sie auf ihn zu, legte ihm in mütterlicher Weise den Arm um den Hals und neigte sich zu seinem Ohre.

»Du hast gespielt!« sagte sie mit gedämpfter Stimme, ohne ihn anzusehen.

»Ja.«

»Mein armer Constant!«

»Ich bin verführt worden – ein Verhängnis!«

»Ich glaube es gern.«

Sie hatte den ersten Schlag schon etwas verwunden, wenn schon das Schlimmste noch nicht heraus war.

»Wieviel?« fragte sie.

»Ich brauche fünfundzwanzigtausend Franken.«

Obgleich in ihrer Lage die Summe sehr bedeutend war, hatte sie doch ein noch größeres Unheil befürchtet.

»Wir werden sie auftreiben, beunruhige dich nicht,« sagte sie. Und in der Absicht, ihn aufzurichten, fuhr sie fort: »Betrachten wir es als ein unglückliches Ereignis, als einen Bankrott, dies Jahr gerade haben wir noch keinen gehabt.«

»Teures Weib,« murmelte er, »welche Güte, welche Nachsicht spricht aus dir!«

»Willst du wohl still sein!« sagte sie, indem sie zu lächeln versuchte, um das Weinen zu unterdrücken. »Kann zwischen uns von Nachsicht die Rede sein?«

»Mehr als jemals, denn ich habe dir nicht alles gesagt.«

»Mein Gott!«

In der That hatte Adeline infolge der Art und Weise wie die Unterhaltung sich zufällig gestaltete, auch infolge seiner Verwirrung, seiner Herzensangst, seines Bestrebens, den Schlag, den er seiner Frau zu versetzen im Begriffe stand, abzuschwächen, eine andre als die beabsichtigte Taktik befolgt: Fünfundzwanzigtausend Franken außer den fünfunddreißigtausend, die er gewonnen und beiseite gelegt hatte, gebrauchte er.

»Weißt du, die fünfunddreißigtausend Franken aus dem Falliment Beaujour?«

»Sie rührten nicht aus dem Falliment Beaujour her.«

»Wer sagte dir?« ... rief er aus.

»Du hattest sie im Spiel gewonnen.«

Er sah sie sprachlos an.

»Kannst du lügen? Glaubst du, daß man sechsundzwanzig Jahre wie ein Herz und eine Seele zusammenleben kann, ohne sich zu kennen und ohne eins in dem andern zu lesen? Als du mir von jenen fünfunddreißigtausend Franken sprachst, wußte ich wohl, woher sie kamen. Und das gerade war seither mein Kummer. Da du einmal gespielt hattest, konntest du wieder spielen; ich zitterte; wie oft wollte ich es dir sagen, und dann wartete ich, daß du zuerst anfangen solltest. So fest stand es bei mir, daß jene fünfunddreißigtausend Franken vom Spielen herrührten und daß du sie von mir eines Tages zurückverlangen würdest, daß ich sie nie angreifen wollte; sie liegen bereit für dich, du brauchst sie nur zu nehmen.«

Er schloß sie in seine Arme.

»Wenn uns stets das Glück gelächelt hätte, hätte ich dich nicht ganz kennen gelernt!« rief er mit leidenschaftlicher Erregung.

»Also sechzigtausend Franken schuldest du?« unterbrach sie ihn.

»Ja.«

»Nun gut; ich empfinde es wie eine Erleichterung, daß ich es weiß; ich bin so veranlagt, daß ich stets das Schlimmste annehme. Oft habe ich weit mehr als das gefürchtet, ich sah alles verloren. Wie oft bin ich aus dem Traume, in welchem ich mich zu Grunde gerichtet, auf die Straße geworfen, als Bettlerin gesehen, in die Höhe gefahren; du siehst, welches Leben ich führte, seitdem jene verfluchten fünfunddreißigtausend Franken in meine Hände gelangten. Und wenn du dich entschließest, jene sechzigtausend Franken zurückzuzahlen, so verzichtest du doch, sie im Spiele wiederzugewinnen, nicht wahr?«

»Ich verzichte nicht nur, sie wiederzugewinnen, sondern auch auf die Präsidentschaft des Klubs.«

»Gott sei gelobt!« rief sie aus.

»Da ich diese Summe der Spielkasse schulde, so kann ich mich nicht zurückziehen, ohne sie bezahlt zu haben; sobald ich gezahlt habe, erkläre ich meinen Rücktritt.«

»Morgen schon wirst du sie bezahlen,« rief sie aus, »unsre Ruhe kann nicht zu teuer erkauft werden.«

Sofort schloß sie die Kasse auf und holte aus dem Portefeuille die Werte, mit welchen sie jene fünfundzwanzigtausend Franken decken konnte.

»Wir ziehen uns noch so ungefähr aus der Klemme,« sagte sie, »es konnte alles verloren sein.«

»Selbst die Ehre.«

Und er erzählte ihr, wie es gekommen war, daß er sich entschlossen hatte, seinen Rücktritt zu erklären.


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