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Neunundzwanzigstes Kapitel

Als sie sich getrennt hatten, konnte sich Adeline des Eindrucks dieser Ratschläge nicht erwehren. »Ueberlassen Sie diese Leute da ihren Vergnügungen.« War es denn sein freier Wille, daß er bei ihnen blieb?

Aber im Laufe des Tages wurde ihm eine zweite Mahnung zu teil, die ihn noch mehr aufregte.

Im Begriffe, in den Sitzungssaal zu treten, hielt ihn der Polizeipräfekt, derselbe, der ihm die Erlaubnis, den »Grand J« zu eröffnen, erteilt hatte, im Durchgange an.

»Nun, mein lieber Herr Abgeordneter, sind Sie mit Ihrem Klub zufrieden?«

Adeline, welcher glaubte, daß dies eine Anspielung auf die Scene von heute morgen sein solle, beeilte sich, dieselbe zu erzählen und zu erklären, indem er beifügte, daß die Präfektur sehr rasch unterrichtet sei.

Aber der Präfekt begann zu lachen.

»Ich kann Ihren Zorn gegen Ihren Koch nicht teilen und ich fände es selbst wünschenswert, wenn die Spieler ihre Darlehen zuweilen auf solche Art zurückzahlen müßten; dann würden sie seltener borgen. Ich wollte also nicht davon sprechen. Ich fragte, ob Sie mit Ihrem Klub zufrieden seien.«

»Warum sollte ich es nicht sein? Unsre Mitgliederzahl wächst alle Tage, unsre Feste sind sehr gelungen, unsre Vermögenslage ist gut, – ich kann Ihnen nur den Dank für die Ermächtigung, die Sie so zuvorkommend und mit so viel Wohlwollen erteilt haben, wiederholen.«

Und darauf begann er sofort für die gut unterhaltenen und streng überwachten Klubs eine Verteidigungsrede zu halten, die ungefähr die Wiederholung dessen war, was Friedrich ihm mehr als fünfzigmal in allen möglichen Variationen vorgetragen und wiederholt hatte. »Wenn,« sagte er, »die Betrügereien bis zu einem gewissen Grade in einem geschlossenen Klub möglich sind und zwar gerade dadurch, daß alle Mitglieder gewissermaßen nur eine und dieselbe Familie bilden und niemand seine Nachbarn überwacht, so verhält es sich ganz anders mit den offnen Klubs, wo im Gegenteil Mißtrauen und Ueberwachung die Regel bilden, als ob man sich mitten unter bekannten Spitzbuben befände.«

Aber der Präfekt unterbrach ihn lachend: »Lassen Sie mich Ihnen sagen, daß mir die geschlossenen Klubs ebensowenig unbedingtes Vertrauen einflößen, als die offnen, da man überall, wo gespielt wird, betrügen kann. Das kommt in den vornehmsten Klubs, wie in den Spelunken vor, und damit befassen sich sowohl Leute, die Hunderttausende besitzen, als solche, die halb verhungern. Ich weiß wohl, daß, sobald man den Geschäftsführer eines offnen Klubs über die Betrügereien zur Rede stellt, er erwidert, daß infolge der Ueberwachung etwas derartiges bei ihm sehr schwer vorkommen könne, ja daß es geradezu unmöglich sei; wenn es überhaupt vorkomme, dann müsse es wohl bei seinem Nachbar der Fall sein. Kommt man aber zum Nachbar, dann behauptet dieser freilich, daß er den Gaunern so gründlich das Handwerk gelegt habe, daß niemals auch nur einer sich bei ihm sehen lasse, sie gingen vielmehr ins Haus nebenan, wo abscheuliche Dinge vorkämen. Das erste Mal ist man ganz erstaunt darüber, daß die Erzählung dieser abscheulichen Dinge dieselbe in beider Mund ist: was hier geschieht, geschieht dort, und was dort geschieht, geschieht hier. Diese einfache Rolle eines Vertrauten, der ein williges Ohr leiht, hat mich in meiner Jugend in die Manipulationen jener liebenswürdigen Weltweisheit, welche die Kunst lehrt, wie man sich andrer Leute Gut aneignet, eingeweiht. Und aus diesem Grunde widerstehe ich soviel ich kann den an mich gerichteten Gesuchen um Eröffnung neuer Klubs.«

»Glauben Sie, daß man jetzt noch ebensolche Spitzbübereien treibt, wie vor einigen Jahren, als man dem Spiel noch weniger Beachtung schenkte?« fragte Adeline, dem die ihm eingeimpften Ideen im Kopfe staken.

»Noch ebensolche, ja, und sogar noch mehr. Bloß haben sich die Kunstgriffe vervollkommnet, sie sind jetzt weniger plump und damit schwerer zu entdecken. Weil man heutzutage wenig mit bewaffneter Hand stiehlt, folgt daraus, daß man überhaupt weniger stiehlt als früher? Durchaus nicht; der Dieb hat einfach sein Verfahren geändert, er hat ein neues, für ihn weniger gefahrvolles erfunden. Das erklärt Ihre Antwort, warum Sie mit Ihrem Klub nicht zufrieden sein sollten, eine Frage, die Sie eigentlich mehr an sich selber, als an mich gerichtet haben.«

»Aber was geht denn vor? Sprechen Sie, ich bitte.«

»In Ihrem Klub wird falsch gespielt.«

»Das ist unmöglich.«

»Wenn Sie mir mit dieser Bestimmtheit erwidern, dann habe ich nichts beizufügen.«

»Aber wer spielt denn falsch?«

»Das ist kitzlicher. Wir haben Verdacht, aber wie dies oft der Fall ist, fehlen die Beweise. Während meine Leute dem armen Teufel, dem man fünf Franken stiehlt, helfen können, können sie für den Herrn, dem man hunderttausend Franken stiehlt, nichts thun, weil sie nicht in Ihre Klubs hineinkommen. Kurz, ich habe ernsthafte Berichte, die einen Zweifel nicht aufkommen lassen. In Ihrem Klub wird falsch gespielt. Es ist wahr, daß man auch anderwärts falsch spielt, aber was anderwärts geschieht, kann Ihnen gleichgültig sein, während Sie ein Interesse haben, zu erfahren, was bei Ihnen vorgeht, um einen Skandal zu vermeiden. Aus diesem Grunde warne ich Sie.«

So bestürzt Adeline über diese Enthüllung war, fand er doch warme Dankesworte. Dann setzte er die Maßregeln auseinander, die er mit seinem Geschäftsführer und seinem Spielkommissär treffen wolle, um die Spitzbuben zu entdecken.

Aber bei den ersten Worten unterbrach ihn der Präfekt: »Hören Sie auf mich und treffen Sie mit niemand Maßregeln, treffen Sie sie für sich selbst. Sie haben Vertrauen zu Ihrem Geschäftsführer, sei's; aber schließlich ist es ebenso gewiß, daß ihn in diesem Falle eine Schuld trifft, weil er nichts gemerkt hat; oder wenn er etwas bemerkt hat, ohne darauf aufmerksam zu machen, dann trifft ihn eine noch viel schwerere. Und es ist immer ein schlechtes Mittel, sich an die zu wenden, welche einen Fehler begangen haben. Handeln Sie selbst. Verlassen Sie sich nur auf sich selbst. Es kann Ihnen nicht schwer fallen, diejenigen zu überwachen, die hoch spielen.«

»Der, der am höchsten spielt, ist der Prinz von Heinick.«

»Ueberwachen Sie den Prinzen wie die andern; am grünen Tische gibt es keine Prinzen, sondern nur Spieler, und die Art, wie ein Spieler den andern überwacht, zeigt Ihnen, welches Vertrauen sich die Gesellschaft gegenseitig einflößt.«

»Muß man denn alle Welt im Verdacht haben?«

»Je nun ...«

»Aber dann wäre es geboten, sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen.«

»Wenigstens aus einer gewissen Gesellschaft.«

Nach dieser Bemerkung wollte der Präfekt sich entfernen, aber Adeline hielt ihn zurück. Er war entsetzt über die Verantwortlichkeit, die auf seinen Schultern lastete, und er war es nicht minder über seine Unfähigkeit, die er offen bekannte. Wie sollte er die neuen Betrügereien entdecken, da er kaum bezüglich der alten Bescheid wußte?

Er mußte jemand haben, um ihn aufzuklären, ihn zu leiten. Er bat schließlich den Präfekten, ihm diesen Jemand zu geben.

»Es gibt Inspektoren der Spielpolizei, geben Sie mir einen derselben.«

»Wenn die Inspektoren die Falschspieler kennen, so kennen die Falschspieler die Inspektoren noch besser. Wenn ich Ihnen so einen gebe und Sie führen ihn in Ihren Klub ein, dann wird während seiner Anwesenheit alles vollkommen ordnungsmäßig verlaufen.«

Adeline zeigte sich so enttäuscht, daß der Präfekt es nicht bei dieser entmutigenden Antwort lassen wollte.

»Ich will Erkundigungen einziehen, ob sich jemand finden läßt, der die Ueberwachung, ohne Gefahr erkannt zu werden, und ohne die Aufmerksamkeit zu erregen, besorgen kann; meine Leute rekrutieren sich unglücklicherweise nicht aus den Kreisen der Diplomaten und mehr als einer würde mit seinem Benehmen und seiner Haltung in Ihrem Klub eine schlechte Figur machen. Morgen sollen Sie meine Antwort haben.«

Die folgende Nacht brachte Adeline im Klub mit der Ueberwachung der Spieler zu, er strich um die Spieltische herum, paßte auf und beobachtete, allein er konnte keine Unregelmäßigkeit entdecken. Zwar hielt der Prinz von Heinick mit außergewöhnlichem Glücke Bank, aber die Art, wie er die Karten gab, konnte in keiner Weise Verdacht erregen, im Gegenteil es geschah in der korrektesten, elegantesten Weise, die man je im »Grand J« gesehen. Es war fast ein Glück zu nennen, auf alle Fälle war es für manchen seiner Gegner beinahe eine Ehre, an einen so vornehmen Bankier, der im Gothaer Almanach stand und mit Hoheiten verwandt war, sein Geld zu verlieren: »Ich habe aber gestern gegen den Prinzen Heinick ein Pech gehabt, das sich sehen lassen kann!« Das macht sich nicht schlecht, sich von einem Prinzen ausziehen zu lassen.

Adeline erwartete am nächsten Tage den Präfekten in nervöser Unruhe.

»Ich habe Ihren Mann gefunden, mein lieber Herr Abgeordneter, fassen Sie Mut. Ein früherer politischer Agent, der sich in Sachen des Spiels auskennt. Es scheint, daß er von den Falschspielern ›unter die Freien aufgenommen‹ worden ist und daß er mit ihnen nicht gemeinschaftliche Sache hat machen wollen. Man sagt mir, daß er auf eine überraschende Art zu Werke geht. Auf jeden Fall kennt er alle Schliche jener Herren, und wenn das, was sich bei Ihnen abspielt, neu ist, so ist er gerieben genug, um es herauszubringen. Ich vergaß, Ihnen zu sagen, daß er ganz geeignet ist, um in Ihrem Klub und überall unauffällig zu verkehren; er besitzt außerdem einen für politische Dienste verliehenen fremdländischen Orden. Wenn Sie wollen, wird er morgen früh zu Ihnen kommen. Um wie viel Uhr?«

»Um zehn Uhr.«

Am nächsten Tage klopfte es mit dem Glockenschlag zehn an Adelines Thür und in dessen kleinen Salon trat in ungezwungener Weise ein Mann von fünfundvierzig Jahren, von militärischer Haltung, anständig gekleidet und behandschuht, wie jedermann. Der Kopf war energisch, das Gesicht zeigte einen schlaffen und müden Zug, wie bei Schauspielern, welche die ganze Stufenleiter der Leidenschaften dargestellt haben. Was bei ihm aber noch mehr überraschte, waren die schönen und glänzenden schwarzen Augen, die, ohne sich sichtbar zu bewegen, einen größeren Gesichtskreis zu umfassen schienen, als dies einem gewöhnlichen Blicke gegeben ist.

»Ich komme vom Herrn Polizeipräfekten.«

In einigen Worten setzte Adeline auseinander, was er von ihm erwartete.

»Sehr wohl, mein Herr. Wollen Sie mich gefälligst als einen Herrn Ihrer Bekanntschaft vorstellen.«

»Gewiß, Ihr Name?«

»Wir wollen sagen Dantin, wenn es Ihnen beliebt. Das ist ein bequemer Name, ein adliger oder ein bürgerlicher, je nach der Auffassung desjenigen, der ihn nennen hört und sich ein Apostroph dazu denkt oder nicht.«

Dantin wollte sich wieder empfehlen, aber Adeline hielt ihn zurück.

»Der Herr Präfekt hat mir gesagt, daß Sie alle Schliche der Falschspieler kennen.«

»Alle, nein, denn es werden täglich neue erfunden und ganz frisch in die Klubs gebracht: aber ich kenne ungefähr alle diejenigen, deren man sich schon einmal bedient hat, und bezüglich der unbekannten hilft mir eine gewisse Erfahrung, sie manchmal zu erraten.«

»Der Herr Präfekt hat mir gesagt, daß Sie selbst in überraschender Weise mit Karten umzugehen verstünden.«

»Der Herr Präfekt ist zu freundlich: ich habe mir nur eine gewisse Fingerfertigkeit erworben. Uebrigens stelle ich mich Ihnen zur Verfügung, und wenn Sie wollen, werde ich Ihnen eine – Vorstellung geben, ich bin bereit. Haben Sie Karten hier?« Aber Adeline hatte keine Karten bei der Hand, er mußte welche holen lassen.

Als sie gebracht wurden, setzte sich Dantin an Adelines Schreibtisch, nahm sie, mischte sie und schien sie, während er plauderte, oberflächlich zu betrachten.

»Sie sind recht dünn, aber schließlich wird es doch gehen, hoffe ich.«

Er breitete sie auf dem Schreibtische aus und schob sie mit beiden Händen, wobei er stark die Schultern und die Ellbogen bewegte, durcheinander; dann nahm er sie zusammen und legte sie auf einen Haufen vor Adeline hin.

»Bitte, abzuheben, oben oder unten, wie Sie wollen. Wenn Sie mir jetzt gefälligst eine Neun bezeichnen wollen, werde ich sie Ihnen geben; Sie sehen, daß weder die Karte oben noch die unten eine Neun ist.

Adeline verlangte die Pique-Neun und ließ Dantins Finger nicht aus den Augen.

»Hier ist sie,« sagte dieser; »wollen Sie eine andre?«

»Ja, die Trefle-Neun,« sagte Adeline, indem er sich vornahm, recht aufzupassen und zu sehen, wie Dantin es machte, aber er sah nichts, weder bei der Trefle-Neun, noch bei der Coeur- und Carreau-Neun, die er ihm nachher gab. Er war aufs höchste erstaunt.

»Sie haben also nichts gesehen,« sagte Dantin, »und auch nichts gehört.«

»Durchaus nichts.«

»Wie Sie wissen, liegt die große Schwierigkeit, eine Karte zu eskamotieren darin, daß das Ohr erfaßt, was dem Auge entgeht. Glücklicherweise habe ich heute morgen eine Stunde vorgearbeitet, denn, um zu eskamotieren, muß man seine Fingerübungen machen wie ein Musiker. Wenn ich es einen Tag unterließe, mich zu üben, würden Sie mich vielleicht nicht hören, aber ich würde mich hören. Und nun, da ich keinen Anspruch erhebe, als Zauberkünstler zu gelten, im Gegenteil, so betrachten Sie diese Karten; während ich Ihre Aufmerksamkeit dadurch in Anspruch nahm, daß ich Ihnen sagte, sie seien schlecht, habe ich sie mit einigen Nägeleindrücken gezeichnet, die fürs Auge kaum sichtbar sind, doch mit den Fingern sich fühlen lassen. Dann habe ich, anstatt die Karten wie andre Leute zu mischen, den sogenannten »Salat gemacht«. Ich habe Ihnen abzuheben gegeben, aber vermittelst dieser leichtgewölbten Karte habe ich eine kleine Brücke hergestellt, bei welcher Sie abgehoben haben. So ist es. Was das Eskamotieren der Karte betrifft, so ist das Sache der fleißigen Uebung und der Gewandtheit.«


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