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Vierunddreißigstes Kapitel

Während Adeline gen Elbeuf rollte, hielten Friedrich, Barthelasse und Raphaëlla bei letzterer Rat.

Seit der »Grand J« eröffnet war, hatte er sich nie in einer so kritischen Lage befunden. Wenn schon die Mahnung des Präfekten: »Bei Ihnen wird falsch gespielt«, nichts Gutes verhieß, weil sie auf gewisse Beschwerden schließen ließ, so offenbarte die mit solcher Vorsicht und Geheimnisthuerei ins Werk gesetzte Ueberwachung durch den Polizeispion die ganze Gefahr der Sachlage.

Raphaëlla, welche nicht im Klub verkehrte und daher in keiner Weise für das, was dort vorging, verantwortlich gemacht werden konnte, war wütend über ihre Genossen, die sie mit Vorwürfen und Beleidigungen überhäufte. Friedrich wie Barthelasse und Barthelasse wie Friedrich, einen wie den andern scherte sie über denselben Kamm; einem wie dem andern wusch sie gründlich den Kopf.

»Nein, wahrhaftig, das ist zu dumm; wozu treibt ihr euch im Klub herum, frage ich euch. Es scheint, daß Sie (an Barthelasse sich wendend) Ihr Tagewerk gethan glauben, wenn Sie ein zweifelhaftes Darlehen von fünfhundert Louis verhindert haben, und daß du (an Friedrich sich wendend) ruhig in einem Sessel schlafen zu können meinst, wenn du dein Personal hast Revue passieren lassen und alles in Ordnung gefunden hast. Und ihr seid vom Handwerk!«

Sie zuckte die Achseln und maß sie mitleidigen Blickes. Dann sagte sie zu Barthelasse: »Sie behaupten, der Geriebenste unter den Geriebenen zu sein (dabei ahmte sie seinen Dialekt nach), ja, mein Guter, Sie behaupten es; alle Kniffe, die es gibt, kennen Sie, aber wenn einer mit einer Brille kommt und vor Ihrer Nase anstatt auf die Vier auf die Sechs umschlägt und schamlos gewinnt, dann finden Sie das ganz natürlich.«

So unverschämt und großmäulig Barthelasse, der wie ein Stier gebaut war, gegen Männer sich benahm, so leicht ließ er sich von Frauen, die ihm Widerpart hielten, einschüchtern, und von Raphaëlla mehr als von jeder andern, wenn sie auch nur »ein kleines Persönchen« war, wie er selbst zu sagen pflegte.

»Ich habe das durchaus nicht natürlich gefunden,« gab er zurück.

»Nein, aber anstatt nachzusehen, wo es not thut, haben Sie alle den alten Trödel Ihrer ehrbaren Laufbahn durchstöbert, nach den ›Telegraphisten‹ gefahndet, die Sie nicht entdecken konnten, aus dem guten Grunde, weil keine da waren, nach der ›Eskamotierung‹ der Karten, wovon Sie nichts hören konnten, weil er nicht eskamotierte, kurz, Sie haben Ihr ganzes Repertoir durchgegangen, anstatt nach Neuem zu spüren. Das war nicht sehr schwer zu erfinden, jenes kleine mit der Stricknadel gemachte Merkzeichen, das die Augen der Karten angab, und das war auch nicht sehr schwer zu entdecken, weil jener Polizist es entdeckt hat.«

Was die Verwirrung Barthelasses steigerte, war, daß er die ihm von Raphaëlla gemachten Vorwürfe sich selbst machte. Warum war er nicht auf den Gedanken gekommen, sich einer Lupe zu bedienen, denn er hatte die Karten, mit welchen der Prinz spielte, untersucht und wie Dantin zuerst nichts gesehen, beim Befühlen nichts gefühlt.

Sie ließ ihn los und machte sich an Friedrich.

»Und du, du unterhältst dich mit jenem Polizisten, und du siehst nicht, was er ist – ein Kaufmann aus Nantes!«

»Ich hatte Verdacht.«

»Und du hast ihn für dich behalten; konntest du ihn denn nicht über Nantes ausfragen? Er ist vielleicht niemals dort gewesen und hätte dir dummes Zeug geantwortet.«

»Du wirst zugeben, daß es nicht leicht ist, auf einen Polizeibeamten, den niemand kennt, zu raten.«

»Es hätte ein Kommissär mit seiner Schärpe kommen müssen; dann hättet ihr die Augen aufgemacht; inzwischen hat der Beamte sie aufgemacht.«

»Was hat er gesehen?« unterbrach Barthelasse, »das ist die wesentliche Frage.«

»Es ist klar, was er gesehen hat.«

»Und die Spielkasse?« fuhr Barthelasse fort.

»Hat er dir nichts von der Spielkasse gesagt, dein Präsident?« fragte Raphaëlla.

»Nichts.«

»Er hat keine Anspielung gemacht?«

»Keine.«

»Dann hat der Beamte in dieser Richtung nichts gesehen,« sagte Raphaëlla.

»Warum sollte er in andern Richtungen alles und in dieser nichts gesehen haben?« sagte Barthelasse, »er hat gute Augen, der Schlingel!«

»Weil er nichts gesagt hat.«

»Der Präsident hat nichts zu Friedrich gesagt, aber wissen wir, was der Beamte zum Präsidenten gesagt hat?«

»Wenn aber doch der Präsident nichts darüber gesprochen hat,« beharrte Raphaëlla zornig.

»Wenn man von einer Sache nicht spricht, beweist das, daß man nichts davon weiß?«

»Hat er Bedenken getragen, von Julien und Theodor zu reden und deren sofortige Entlassung zu verlangen? Hat er Bedenken getragen, selbst den Leon wegzujagen?«

»Julien, Theodor, Leon, was liegt ihm an denen? frage ich, was?« schrie Barthelasse, »während ihm die Spielkasse wieviel einbringt? Schöne sechsunddreißigtausend Franken, und Sie glauben, daß er sich mit ihr auf Kriegsfuß stellen werde? Er will nichts wissen, ihm ist nichts gesagt worden, der Polizist hat nichts gesehen; das ist die Art dieses Mannes, nicht zu wissen, was er nicht wissen will. Ich sage es Ihnen heute nicht zum erstenmal, er ist nicht der einzige, ich habe mehr als einen derart gekannt.«

»Es handelt sich nicht um Leute, die Sie gekannt haben,« unterbrach Raphaëlla, durch Barthelasses Geschichten gereizt, »es handelt sich um unsern Präsidenten.«

»Nun denn, unserm sind die Augen von dem Beamten geöffnet worden, und wenn er nicht von der Spielkasse spricht, so thut er es darum nicht, weil es ihm nicht paßt, davon zu sprechen, er steckt den Gehalt stillschweigend ein; er läßt den Dingen ihren Lauf, weil er nichts weiß.«

»Er steckt ihn ein?«

»Er hat ihn doch eingesteckt, ich denke, unsre Kasse weiß davon zu erzählen.«

»Ja, aber wird er ihn noch weiter annehmen?«

»Was willst du damit sagen?« fragte Raphaëlla erschrocken.

»Daß ich fürchte ...«

»Was?«

»Daß er uns im Stiche läßt.«

»Er ist sechzigtausend Franken schuldig,« schrie Barthelasse, »wir haben ihn in der Hand!«

»Er kann sie bezahlen, wie haben wir ihn dann noch in der Hand, wie?«

»Was hat er denn gesagt?«

»Nichts,« erwiderte Friedrich, »aber seine Miene hat für ihn gesprochen. Dieser gute Mann hat zum Klubpräsidenten nicht mehr das Zeug, als ich zum Bischof. Mit Gewalt haben wir ihn hineingeritten, ich weiß, welche Mühe ich gehabt habe-, er sinnt nur darauf, loszukommen, und wenn er noch nicht weg ist, so hat das seinen Grund darin, daß wir ihm gewisse Vorteile zuwendeten, die ihm in seiner Lage willkommen waren, und dann, weil er andre, die aber nicht in Erfüllung gingen, erhoffte. Aber was in Erfüllung gegangen ist, das sind die Widerwärtigkeiten und Scherereien, die ihn abschrecken. Er fürchtet, sich bloßzustellen, und was sich soeben abgespielt, hat ihn ganz toll gemacht. Ein Schrecken hat sich seiner bemächtigt, der ihn zu allen möglichen Dummheiten hinreißen wird. Ich würde durchaus nicht überrascht sein, wenn er jetzt eben keinen andern Gedanken hätte, als sich die sechzigtausend Franken, die er uns schuldet, zu verschaffen, um uns sitzen zu lassen. Was soll dann aus uns werden?«

Die drei Verbündeten sahen einander betroffen an.

»Niemand weiß besser als ich, wie widerwärtig er ist,« fuhr Friedrich fort, »wie schwer es ist, mit ihm zurechtzukommen, wie lästig er einem fällt; aber all das hindert nicht, daß er auch seine guten Seiten hat, und daß, wenn wir ihn verlieren, wir keinen so wie er jemals wieder finden werden. Er ist ein Blitzableiter; alle Leute, alle Kreise schätzen ihn, er ist der Freund des Präfekten; solange er uns deckte, hatten wir nichts zu fürchten, weder der Klub noch wir, die Geschichte mit dem Prinzen beweist es zur Genüge. Wir müssen zugeben, daß Raphaëlla, als sie ihn entdeckte, eine glückliche Hand hatte; wenn sie ihn selbst erschaffen hätte, hätte sie ihn nicht besser zuwege gebracht.«

»Auf alle Fälle hätte ich ihn solider gemacht, so daß er länger vorgehalten hätte.«

»Was werden die Leute nicht alles sagen, wenn er uns im Stiche läßt? Man wird nach den Gründen fragen, weshalb er sich zurückzieht, abgesehen davon, daß er sie vielleicht selbst angeben wird, seine Gründe. Dann sind wir die Beute der ›Fresser‹; wenn wir ihre Dienste ablehnen, werden sie uns verfolgen, wenn wir sie annehmen, müssen wir sie bezahlen, und um wie viel teurer als die sechsunddreißigtausend Franken, welche wir dem Puchotier gaben! Mit ihm konnten wir ruhig schlafen, und großartig pflegte ich zu erwidern, daß wir niemand brauchten: ›Ich danke, wir haben unsern Präsidenten‹.«

»Sie übertreiben vielleicht etwas,« sagte Barthelasse, »sechsunddreißigtausend Franken läßt man nicht so leicht fahren.«

»Wenn Sie bei unsrer Unterhaltung zugegen gewesen wären, mein Lieber, würden Sie einsehen, daß ich nicht übertreibe, und Sie würden ebenso beunruhigt sein wie ich. Nach dem ersten Schrecken, als er mir die Geschichte vom Prinzen von Heinick erzählte und die Entlassung Juliens und Theodors begehrte, streng wie ein Richter, der sich zu einem Angeklagten wendet, habe ich mich schnell gefaßt und ihm des langen und breiten alle Vorsichtsmaßregeln auseinandergesetzt, welche wir treffen, alle Opfer, welche wir uns auferlegen wollten, um derartige Vorkommnisse für die Zukunft zu verhüten. Er hörte mich kaum an, er, der sonst Erklärung über Erklärung verlangt hätte, schien zu mir sagen zu wollen: ›Sie wissen, daß mir das alles gleichgültig ist, es ist nicht meinetwegen;‹ das hat mich erst aufmerksam gemacht. Wenn er die Absicht gehabt hätte, weiter von der Partie zu sein, hätte er mich ausgefragt, anstatt mir den Mund zu schließen.«

»Aber warum dann die Entlassung Juliens und Theodors fordern?« fragte Barthelasse.

»Um noch vor seinem Abgange Gerechtigkeit zu üben. Uebrigens könnt ihr euch wohl denken, daß ich ihm von vornherein keine Zeit ließ, jene Forderung zu stellen, sondern ihm zuvorkam.«

»Ich habe dasselbe Vorgefühl wie Friedrich,« sagte Raphaëlla, »er muß die Absicht haben, sich zurückzuziehen. Was soll aus uns werden?«

Es trat einen Augenblick Stillschweigen ein und sie sahen einander an, als suche eins in den Augen des andern die Ideen, die ihm selbst abgingen.

»Ich will euch meine Meinung sagen,« schrie Barthelasse, »dieser Mann hat zu viel verloren; wenn er gewonnen hätte, würde er keinen andern Wunsch haben, als daß es auch fernerhin so bleibe; aber immer verlieren, es ist doch begreiflich, daß man schließlich den Geschmack daran verliert.«

»Er hat nicht genug verloren,« gab Raphaëlla zurück, »wenn er uns zweimalhunderttausend Franken schuldete, dann hielten wir ihn fest.«

»Wenn er noch spielte, könnte man es einrichten, daß er sie verliert,« sagte Friedrich.

»Ich bin dafür, daß man sie ihn gewinnen läßt,« fuhr Barthelasse fort. »Zunächst thut das der Kasse keinen Abbruch, der mit jener Canaille von Prinzen ja eine wahre Last vom Halse geschafft worden ist, und dann gibt es nichts, was das Band um Menschen fester schlingt, als der Erfolg, das ist eine Regel der Sittenlehre.«

Raphaëlla und Friedrich waren nicht zum Scherzen aufgelegt, doch machte sie diese »Regel der Sittenlehre«, auf die sich dies alte Krokodil Barthelasse berief (so nannten sie ihn unter sich), auflachen.

»Lacht nur, lacht nur,« fuhr Barthelasse fort, »ich weiß, was ich sage, ich kenne Beispiele. Ein gewisser Jules Ramot in Luchon – es ist jetzt sieben Jahre her – schuldete mir fünfzigtausend Frankens und ich begriff allmählich, daß alle Mühe, sie jemals wiederzubekommen, wohl vergeblich sein werde. Was that ich da? Ich habe ihm, ohne ein Wort zu sagen, Sequenzen in die Hand gespielt, womit er gegen neunzigtausend Franken gewann. Das Jahr darauf ist er wiedergekommen, das folgende Jahr ebenfalls! er wollte bloß noch bei mir Bank halten, und doch halten wir kein Wort gewechselt; aber feine Leute verständigen sich leicht untereinander. So ist's auch mit unserm Manne, dessen bin ich sicher. Morgen, übermorgen, kurz bevor er die Bank nimmt ...«

»Wird er jetzt jemals wieder im Klub Bank halten?«

»Laßt mich einmal voraussetzen, daß er sie hält. Er ist also entschlossen, sie zu nehmen. Dann nähere ich mich ihm und sage mit ganz harmloser Miene: ›Herr Präsident, Sie achten das Spielglück zu wenig; wenn Sie Bank halten wollen, so thun sie es doch nur, wenn Camy Croupier ist, bei dem gewinnen die Bankiers.‹ Und mein Camy, der seinesgleichen nicht hat, spielt ihm eine hübsche Sequenz in die Hand, die ich selbst präpariert habe und die ihm sieben oder acht Treffer sichert. Da es anerkannt ist, daß unser Präsident der ehrenhafteste Mann von der Welt ist, wagt niemand, ihn zu verdächtigen, und er steckt ein hübsches Sümmchen ein, das ihm den Geschmack an der Sache beibringt. Wenn er von der ›Füllung‹ der Spielkasse nichts gesagt hat, so wird er sich noch viel eher die Sequenzen, die ihm persönlichen Vorteil bringen, gefallen lassen, während die fettesten Brocken der Spielkasse ihm an der Nase vorbeigehen.«

Raphaëlla zuckte die Achseln in einer Manier, die ihr noch aus der Zeit ihrer Kindheit aus der Vorstadt anhaftete.

»Wissen Sie, welche Wirkung Ihre Ansprache an den Präsidenten hervorbringen wird?« erwiderte sie. »Er wird Verdacht schöpfen und sich weigern, Bank zu halten, oder, wenn er keinen Verdacht schöpft, wird er sich einfältig und dumm anstellen, die Karten mischen und abheben, dann ist's aus mit Ihrer schönen Sequenz und – er verliert.«

Barthelasse nahm diese Einwendungen nicht übel.

»Ich behaupte nicht, daß es nicht bequemer wäre, ihm ganz einfach die Sequenz in die Hand zu geben mit dem Beifügen, daß er die Karten in der zurechtgelegten Reihenfolge spielen solle; aber er ist nicht der erste, dem man, lediglich um sich seiner Erkenntlichkeit zu versichern, eine Sequenz verabreicht, ohne daß er etwas ahnt, und ohne daß man ihn, wenn es einmal geschehen, in zarter Weise zu verständigen brauchte.«

»Und wie das?« fragte Raphaëlla, welche in Dingen des Spiels weniger erfahren und nicht in allen Schelmenstreichen so zu Hause war wie Barthelasse.

»Ganz einfach, indem wir ihn das Spiel seines Vormannes aufnehmen lassen. Wir machen den Baron oder Salzmann zum Bankhalter und geben ihnen die Sequenz in die Hand; sie werden sie nicht durcheinander bringen, nicht wahr? Aber nach zwei- oder dreimaligem Abzuge geben sie's auf, und wir werden es dann so einrichten, daß der Präsident ihr Nachfolger wird. Er spielt dann die Karten, die der Baron oder Salzmann übriggelassen, und so macht er, ohne daß jemand gegen einen Mann in seiner Stellung Verdacht hegen könnte, einen Fang, der ihn uns in die Hände liefert.«

»Dazu gehört aber, daß er noch bei uns Bank hält,« sagte Friedrich. »Und wird er das thun? Das ist die Frage.«


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