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Siebenundzwanzigstes Kapitel

»Kann man einen Spieler heilen?«

Das fragte sich Adeline. War sein Vorsatz, andre heilen zu wollen, nicht lächerlich, da er sich selbst nicht heilen konnte?

Aber er mußte sein Versprechen halten, jene arme kleine Frau war in ihrer Verzweiflung zu rührend, als daß er ihr nicht zu Hilfe kommen sollte.

Wie mancher Ruin, wie manches Unglück könnte verhütet werden, wenn es den Spielern nicht so leicht gemacht würde, Geld zu leihen! Das verleitet sie und richtet sie zu Grunde. Würde er selbst jemals gespielt haben, wenn er die ersten, im Baccarat aufs Spiel gesetzten Tausenfrankbillets aus seiner Tasche, wo sich übrigens gar keine befanden, hätte ziehen müssen? »August, sechstausend, zehntausend,« das war nicht schwer zu sagen, besonders dann, wenn man auf eine gute Serie hoffte. Und so kam man daran, er wußte dies besser, als irgend jemand.

Combaz arbeitete tagsüber in seinem Atelier bei seiner Frau, und erst am Abend, nachdem er seine drei kleinen Mädchen, die schon halb eingeschlafen in ihren weißen Bettchen lagen, geküßt hatte, kam er in den Klub. Adeline war daher sicher, daß er ihn nicht verfehlen werde; er wollte ihn im Baccaratsaale abfassen.

Am selben Abend, nach zehn Uhr, sah Adeline, der schon seit einigen Augenblicken auf seinem Posten war, ihn in der That mit gleichgültiger Miene, aus der man aber die Befangenheit herauslesen konnte, eintreten. Sein unsicherer, für äußere Eindrücke unempfindlicher Blick schien gänzlich nach innen gekehrt.

Er trat auf ihn zu.

»Ich wünschte ein Wort mit Ihnen zu reden.«

»Wann Sie wollen,« erwiderte Combaz, augenscheinlich ohne seinen Worten irgend einen Sinn unterzulegen.

Als sie in sein Kabinett getreten waren, schloß Adeline die Thüre, schob dem Maler einen Sessel hin und setzte sich ihm gegenüber, ihn mit den Augen musternd.

Obgleich Combaz seit einigen Monaten nicht mehr zum Scherzen aufgelegt war, stak doch von seiner Jugend- und Lehrzeit her noch zu viel keckes Wesen in ihm, als daß er seiner Ueberraschung in andrer Weise als durch Scherz Ausdruck hätte verleihen können.

»Habe ich das Vergnügen, vor dem Herrn Untersuchungsrichter zu erscheinen?« sagte er.

»Nicht vor dem Untersuchungsrichter,« erwiderte Adeline, »die Untersuchung ist beendet, aber vor dem Richter, oder wenn Sie lieber wollen, vor dem Präsidenten, oder was der Wahrheit näher kommt, vor einem Bewunderer Ihres Talentes, vor einem Freunde, wenn Sie mir dies Wort erlauben.«

Combaz blieb steif sitzen, in der Haltung eines Mannes, der auf seiner Hut ist, weil er fühlt, daß er leicht anzugreifen ist.

»Ich danke Ihnen, Herr Präsident, für Ihre gütigen Worte.«

Und er knüpfte daran eine Höflichkeitsphrase, welcher er in Wirklichkeit keinen weiteren Sinn beilegte.

»Es würde Sie doch nicht verletzen,« hob Adeline an, »wenn ich Ihnen bemerkte, daß Sie zu hoch spielen.«

Aber da kam er schön an: »Erlauben Sie, mein Herr!« sagte Combaz, den Kopf in die Höhe werfend, in ärgerlichem Tone.

Adeline ließ sich aber nicht das Wort abschneiden.

»Sie müssen es mir schon erlauben, denn ich bin nicht zu Ende, ich habe sogar nicht einmal angefangen mit dem, was ich Ihnen zu sagen habe. Ich bin der Präsident dieses Klubs, Sie spielen gewissermaßen bei mir, und Sie werden wohl zugeben, daß ich das Recht habe, Ihnen meine Bemerkungen zu machen, da sie insbesondre von dem Interesse für Sie diktiert sind ...«

»Aber, mein Herr! ...«

»Von dem für Ihre junge, so liebenswürdige Frau, von dem für Ihre drei kleinen Mädchen, die Sie soeben noch in ihren Bettchen geküßt haben und die morgen vielleicht schon ohne Bett, ohne Brot auf der Straße liegen. Und nun kommen Sie geradewegs hierher gelaufen ...«

Combaz erhob die Hand, um dagegen Verwahrung einzulegen. Adeline ergriff sie und drückte sie ihm mit Wärme.

»Sie sehen, daß ich alles weiß. Ihr Haus ist für achtzigtausend Franken verpfändet, Ihre Bilder sind an August verkauft, Ihre Kunstgegenstände, Ihre Gobelins sind verschwunden.«

»Wer hat Ihnen gesagt?«

»War es denkbar, daß ich einen Künstler mehr als zweihunderttausend Franken hier verlieren sah, ohne mich darum zu kümmern, welche Mittel ihm zu Gebote stehen, ob es sein Vermögen oder das Brot seiner Kinder ist, das er verspielt? Es ist das Brot seiner Kinder, und das werde ich nicht zugeben. Ich rede nicht nur als Präsident zu Ihnen, sondern auch als Freund, der Ihre Zukunft im Auge hat, als Vater, der an Ihre kleinen Mädchen denkt, weil er seine eigne Tochter liebt und weil er aus Mitgefühl sich für die Ihrigen interessiert. Wollen Sie sie Ihrer Leidenschaft opfern, Sie, ein Künstler, dessen Herz und dessen Sinn edlere Regungen erfüllen, als die, welche das Spiel gewähren kann?«

Combaz befand sich in einer Lage, in welcher die Teilnahme, selbst wenn sie von Vorwürfen begleitet wird, auch auf die verhärtetsten Naturen Eindruck macht, und er war durchaus keine verhärtete Natur.

»Und Sie glauben,« sagte er in bitterem Tone, »daß es Leidenschaft ist, was mich spielen heißt? Leidenschaftlich ja, das bin ich gewesen, als ich jünger war; ganz jung habe ich dem Spiel und seinen Aufregungen zuliebe Nächte am Spieltische zugebracht, aber diese Zeiten liegen weit hinter mir.«

»Warum spielen Sie aber denn?«

Er schüttelte den Kopf, dann sagte er nach längerem Stillschweigen entschlossen: »Sie fragen, warum ich spiele, warum ich wieder angefangen habe zu spielen, nachdem ich sieben Jahre keine Karte mehr berührt – lediglich aus Berechnung, ohne jede Leidenschaft, damit uns das Spiel die Mittel, unser bisheriges Leben fortzusetzen, liefern möge, wozu meine Arbeit nicht ausreichte, aus keinem andern Grunde. Ich verdiente ungefähr sechzigtausend Franken ein Jahr ins andre. Als ich beinahe nichts mehr verdiente, weil meine Bilder keine Käufer mehr fanden, sollte nach meiner Absicht der Uebergang vom Wohlleben zu einem eingeschränkten Leben kein zu harter sein und ich erwartete vom Spiel, daß es unser Budget ins Gleichgewicht bringen würde; es hat es über den Haufen geworfen. Wie viele andre, in gleich bedrängter Lage wie ich, haben es ebenso gemacht!«

»Und haben sich, wie Sie, zu Grunde gerichtet!« rief Adeline mit einer Heftigkeit im Tone aus, die Combaz überraschte, »und haben ihre Familie zu Grunde gerichtet. Es fehlen zwei-, drei-, zehntausend Franken, um in Ordnung zu kommen, man sucht sie im Spiel zu gewinnen und im Spiel verliert man zehntausend, hunderttausend, alles, was man hat.«

»Wenn man sie nicht wiedergewinnt – man verliert nicht immer.«

Dieses Argument aller Spieler konnte seinen Eindruck auf Adeline nicht verfehlen.

»Ohne Zweifel,« sagte er »man bekommt gute und schlechte Serien, aber seit den drei Monaten, die Sie spielen, bekommen Sie nur schlechte; bestehen Sie nicht hartnäckig darauf! Wenn Sie einige hunderttausend Franken als Rückhalt hätten, könnten Sie weiter spielen und die glückliche Wendung abwarten, aber Sie haben sie nicht. Setzen Sie das wenige, das Ihnen noch bleibt, nicht aufs Spiel, weil Sie, wenn auch dieser Rest verloren ist, dem Elende preisgegeben sind. Für Sie würde das nicht viel zu bedeuten haben, ein Mann reißt sich immer aus der Verlegenheit. Aber die Ihrigen, Ihre Frau, Ihre Kinder! Sie wollten nicht, daß ihre Lebensweise sich verschlechtere; was soll aber werden, wenn man sie aus dem Hause, in welchem sie geboren sind, vor die Thüre jagt und Sie, gebrochen oder verrückt, außer stande sind, Ihre Arbeit wieder aufzunehmen? Bedenken Sie doch, daß infolge Ihrer Handlungsweise sie vielleicht Hungers sterben, oder was noch schlimmer ist, eine Jugend voll Elend hinschleppen werden. Noch ist es Zeit; halten Sie ein! Sie werden schlimm daran sein, das ist gewiß, aber eine solche Lage ist immer noch der Schande und dem Elend vorzuziehen; Sie werden abwarten, bessre Zeiten werden wiederkehren.«

Combaz war sichtlich ergriffen. Bei Licht betrachtet, hatte Adeline das, was er sagte, oft genug sich selber gesagt. Aber eben dieses häufige Sichvorsagen hatte seinen Worten eine Kraft verliehen, wie sie die Ueberzeugung allein nicht gab.

Adeline versuchte den errungenen Vorteil auszunutzen: »Sie kommen, um zu spielen?«

»Ich ahne, daß ich eine Serie bekommen werde, das hat mich noch ein letztes Mal veranlaßt.«

»Wieviel glauben Sie, daß man Ihnen leiht?«

»Nichts.«

»Und dann?«

»Ich habe mir dreitausend Franken verschaffen können.«

»Nun denn, setzen Sie sie nicht aufs Spiel; mit dreitausend Franken kann Ihre Familie mehrere Monate lang leben; gehen Sie nach Hause und geben Sie dieses Geld Ihrer Frau, die jetzt vor Betrübnis vergeht und, weil sie weiß, daß Sie hier sind, weinend bei Ihren Kindern sitzt. Die Freude, die Sie ihr heute abend bereiten würden, würde so groß sein, daß, wollten Sie morgen hierher zurückkehren, der Gedanke an sie Sie davon abhielte.«

Dies Wort kam Adeline aus dem Herzen, aus dem eines Vaters und eines Gatten, und machte Combaz' Unschlüssigkeit ein Ende.

In plötzlicher Aufwallung ergriff er seine Hand und drückte sie lange.

»Ich kehre nach Hause zurück,« sagte er.

»Wohl, wir gehen zusammen, ich habe gerade an der Place Malesherbes zu thun.«

»Sie mißtrauen mir?« sagte Combaz lachend.

Adeline schlug ein andres Gesprächsthema an, denn er hielt es für unklug, seine Zweifel an dem wackeren Entschlusse eines Spielers merken zu lassen. Und bis auf die Place Malesherbes unterhielten sie sich freundschaftlich von dem und jenem, ohne ein einziges Mal die Sprache aufs Spiel zu bringen.

»Da sind Sie ja in zwei Schritten zu Hause,« sagte Adeline, als sie auf dem Platze ankamen, »guten Abend!«

»Ich werde Ihnen den Dank meiner Frau abstatten,« sagte Combaz, indem er seine beiden Hände mit Wärme drückte, »und ich werde Ihnen meine beiden Aeltesten bringen, damit sie Sie umarmen.«

»Ich werde mir den Dank von Frau Combaz und die Küsse Ihrer lieben Kleinen bei ihnen selbst holen,« sagte Adeline, »Sie dürfen die Schwelle des Klubs nicht mehr betreten.«

»Fürchten Sie nichts,« sagte Combaz lachend.

Adeline kehrte zu Fuße langsam und vergnügt im Bewußtsein einer guten That zurück, er hatte einen braven Menschen gerettet. Gewiß war dieser Rettungsversuch ein peinliches Ding für ihn gewesen in Anbetracht so mancher schmerzlichen Berührungspunkte zwischen seiner eignen und Combaz' Lage; indessen erfüllte ihn das Bewußtsein gethaner Pflicht mit stolzer Befriedigung.

Als er über die Place de la Madeleine ging, überlegte er, ob er nach Hause gehen und sich schlafen legen, oder ob er noch einmal im Klub nachsehen sollte. Und da er sicher zu sein glaubte, daß er sich diesen Abend nicht zum Spielen werde verleiten lassen, da noch seine eignen Worte in ihm nachzitterten, entschloß er sich für den Klub.

Als er in den Baccaratsaal trat, ließ der Croupier gerade die Worte hören, die so oft in einer Nacht erschallen: » le jeu est fait.« Mechanisch sah er hin, wer Bank hielt. Er mußte einen Schrei der Ueberraschung zurückdrängen, es war Combaz. Darauf näherte er sich dem Tische und sah nach den Einsätzen: Ungefähr zwanzigtausend Franken und Combaz hatte nur noch einige Karten in der linken Hand, den Rest seines Spiels, den seine Finger nervös festhielten, während über sein bleiches Gesicht der Schweiß in Strömen herunterlief.

» Rien ne va plus!«

In diesem Momente begegnete Combaz' Blick dem Adelines und rasch schlug er die Augen nieder und gab die Karten.

Das Feld zur Rechten und das Feld zur Linken hatte eine Karte verlangt und es bekam das eine eine Zehn, das andre ein Bild. Jetzt malte sich auf Combaz' Gesicht eine offenbare Unschlüssigkeit und seine Augen suchten Hilfe bei Adeline. Sollte er abziehen oder nicht? So zornig auch Adeline war, so überwog doch seine Angst. Der Spieler trug über den Präsidenten den Sieg davon und seine Augen sprachen aus, was er selbst gethan hätte. Combaz zog nicht ab und gewann.

»Ich sagte Ihnen wohl, daß ich eine Serie bekommen würde!« rief Combaz aus, indem er lebhaft auf Adeline zukam. »Diese Gewißheit war es, die mich abhielt, nach Hause zu gehen: ich nahm eine Droschke und Sie sehen, daß ich recht gehabt habe.«

»So machen Sie wenigstens jetzt, daß Sie fortkommen.«

»So schnell wie möglich.«

Während Combaz seine Spielmarken gegen hübsche fünfundzwanzig Tausendfrankscheine umwechselte, näherte Adeline sich Friedrich.

»Ich bitte Sie, dafür zu sorgen, daß künftig Herrn Combaz kein Geld mehr geliehen werde.«

»Und warum denn, mein lieber Herr Präsident?«

»Er ist ruiniert.«

»Er ist wenigstens seine fünfundzwanzigtausend Franken wert, da er diese Summe soeben in die Tasche steckte?«

»Ich wünsche, daß er sie behalte.«

»Und was soll aus dem Spiel werden, wenn wir die Spieler verjagen? Sie wissen wohl, daß wir es anders abgesprochen haben. Die Einnahmen gehen herunter. Der Maler Combaz, das sage ich mit Ihnen, ist eine interessante und sympathische Persönlichkeit, aber wenn wir diejenigen, die uns sympathisch sind, fernhalten, wovon sollen wir denn existieren, da Schufte nicht herkommen?«


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