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Zweiunddreißigstes Kapitel

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»Das ist ein netter Junge, der uns um ein Haar schön eingeseift hätte,« sagte Bunou-Bunou, als Dantin die Thüre hinter sich zugemacht hatte.

»Es gehört zur Rolle eines Polizisten, überall Schurken zu sehen.«

»Aber Sie werden zugeben, daß es ein starkes Stück ist, sich bis zum Prinzen von Heinick zu versteigen.«

»Ich frage mich, ob nicht alles auf Einbildung beruht, was er von den Manövern Theodors und Juliens gesehen zu haben vorgibt.«

»Das frage ich mich auch.«

»Zu denken, daß wir die armen Burschen bezichtigt und aus ihrem Dienst gejagt hätten.«

»Ich weiß nicht, ob ich mich irre, aber es scheint mir, daß man bei diesem Gewerbe der Polizisten häufig die Einbildung für die Wirklichkeit nehmen muß.«

»So kommt es, daß man sich allgemein so viele Märchen über die Betrügereien in den Klubs erzählt: niemand hat betrügen sehen, aber man kennt Leute, die es gesehen haben, und hernach. ...«

»Und hernach?«

»Und der Polizeipräfekt mit seiner geheimnisvollen Miene: ›mein lieber Herr Abgeordneter, es wird in Ihrem Klub falsch gespielt‹, ah! ah! ah!«

»Ah! ah! ah!«

»Und merken Sie wohl, es ist noch dazu der beste Beamte der Spielpolizei!«

In diesem Augenblick klopfte es an die Thüre. Adeline hatte eben nur Zeit, eine Zeitung auf die Karten zu werfen, die seinen Schreibtisch bedeckten. Es war Friedrich, der Nachforschung halten wollte. Dieses Hin und Her, diese geheimen Zusammenkünfte, welche er sah, beunruhigten ihn; was hatte das alles zu bedeuten? Als er aber seinen Präsidenten und Bunou-Bunou laut lachend beisammen fand, beruhigte er sich – es war klar, daß nichts von Bedeutung vorging. Und nach einigen Redensarten, um sein Erscheinen, so gut es gehen wollte, zu entschuldigen, zog er sich in der Ueberzeugung wieder zurück, daß sie sich über den Kaufmann aus Nantes lustig machten.

»Ich weiß nicht, ob ich mich irre, aber es scheint mir der pure Wahnsinn zu sein, zu behaupten, daß auf neuen Karten, die in mit staatlichem Stempel versehenen Umschlägen verpackt sind, irgend welche Zeichen sich befinden könnten. Wollen Sie, der Sie das Spiel besser kennen als ich, wollen Sie mir erklären, was er hat sagen wollen?«

»Ich verstehe wirklich nichts davon.«

»Und es ist der beste Beamte der Spielpolizei.«

»Und wir bleiben hier sitzen und warten, anstatt schlafen zu gehen.«

Sie sollten nicht lange warten; vor Ablauf der zwanzig Minuten kam Dantin zurück.

»Wollen Sie mir erlauben, die Thüre zu schließen,« sagte er mit keuchender Stimme.

»Wie Sie wünschen.«

Dantins Untersuchung mit seiner Lupe dauerte nicht lange.

»Da ist es, das Zeichen,« rief er aus; »sehen Sie, meine Herren, sehen Sie selbst, da.«

Er gab Adeline die Lupe und die Karte und deutete mit dem Finger auf die Stelle, wohin er sehen sollte.

Die Karten, mit welchen man im »Grand J« spielte und welche man eigens für denselben herstellte, waren auf der Rückseite anstatt einfarbig, rautenförmig rosa und weiß gemustert und das Zeichen, das mit der Lupe sichtbar war, bestand in einem ganz kleinen unmerklichen Fleckchen in einer der Rauten, das den Augen der Karte entsprach, in der ersten für das Aß, in der dritten für die Drei, in der neunten, in der zwölften (in leicht zu schätzendem Abstande) für die Zehn und die Bilder. So erkannte man an diesem kleinen Zeichen die Karte, wie wenn man sie vor Augen gehabt hätte.

»Wie man diese Fleckchen angebracht hat.« sagte Dantin, »das weiß ich nicht, weil ich nicht dabei war, aber ich möchte darauf schwören, daß es mit der Spitze einer glühenden Nadel geschah, mit der die Karte berührt wurde und die eine Trübung des Glanzes bewirkte. Auf alle Fälle ist's hübsche, saubere, originelle und – sinnreiche Arbeit.«

»Aber diese Karten befanden sich in von der staatlichen Behörde versiegelten Hüllen,« sagte Bunou-Bunou.

»Mit den Streifbändern der Behörde verhält es sich wie mit den gummierten Briefumschlägen der Post; sie werden, ohne sie zu zerreißen, mittels heißen Wasserdampfes geöffnet, dann zieht man aus dem geöffneten Ende eine Karte nach der andern heraus, zeichnet sie und steckt sie, wenn sie trocken sind, wieder eine nach der andern an ihren Platz, man gummiert den Umschlag und das Kunststück ist fertig. Da haben Sie also neue Karten, die volles Zutrauen einflößen müssen. Der, der keine Lupe oder scharfe Brille hat, sieht nichts daran. Sie sind sehr geschickte Optiker, diese Deutschen.«

»Aber dazu ist ein Helfershelfer nötig,« sagte Adeline.

»Der ist auch dabei, einer oder zwei; jedenfalls einmal der Lakai vom Dienst, der die Spielkarten bringt und die ihm eingehändigten mit den präparierten vertauscht.«

»Ist es möglich?« murmelte Bunou-Bunou.

»Sie werden es sehen, wenn Sie jenen Diener zur Rede stellen; aber vorerst lassen Sie mich, bitte, Ihnen den Beweis liefern, daß man mit diesen Karten wie mit offnen spielt und Ihnen zeigen, wie der Prinz zu Werke geht. Soeben haben Sie an mir gezweifelt, ich habe es wohl gemerkt, gestatten Sie, daß ich mich rechtfertige und Sie überzeuge, daß ich nicht der Narr bin, für den Sie mich hielten.«

Sie schämten sich wegen ihrer Ungläubigkeit noch zu sehr, als daß sie ihm seinen Wunsch hätten abschlagen sollen. Er setzte sich mitten an den Schreibtisch und hieß Adeline rechts und Bunou-Bunou links von ihm Platz nehmen, als wenn sie an einem Baccarattische säßen, wo er Bank hielt; dann gab er, seine Lupe in der linken, mit der rechten Hand die Karten.

»Jetzt,« sagte er, »will ich Ihnen, bevor Sie Ihre Karten aufheben, Ihre Augen sagen: rechts ist ein Bild und eine Sechs, links ein Aß und eine Sieben, ich habe ein Bild und eine Fünf; ich muß also abziehen und ich thue es um so sicherer, da ich weiß, daß die Karte, die ich umschlagen werde, eine Vier ist.«

Indem er so sprach, schlug er um; es war richtig eine Vier, wie auch die von ihm genannte Augenzahl seinen Angaben entsprach.

Adeline und Bunou-Bunou sahen sich voll Bestürzung an; der Beweis war mehr als erbracht.

»Wollen Sie mir erlauben, Sie zu fragen, was Sie zu thun beabsichtigen?«

Aus beider Munde kam gleichzeitig dieselbe Antwort: »Kein Skandal, wir müssen die Sache totschweigen.«

Diese Antwort war so herkömmlich, daß Dantin sich nicht darüber wunderte. Kein Skandal, so sagen alle Präsidenten der Klubs, wenn es einen Skandal gibt. Auf der Straße, vor aller Welt schreit man »Haltet den Dieb«; in einem Klub, wo sich eine ausgewählte Gesellschaft bewegt, schreit – man gar nichts. Man weist dem Spitzbuben fein säuberlich die Thüre, ohne ein Wort verlauten zu lassen, damit er es möglichst bequem hat, beim Nachbar seine Diebereien fortzusetzen.

Aber Adeline, welcher einen Skandal vermeiden wollte, in den sein Name hineingezogen und der »Grand J« bloßgestellt würde, wollte darum doch nicht, daß der Prinz sein Gewerbe in andern Pariser Klubs fortsetzte.

»Es versteht sich von selbst,« sagte er, »daß wir den Prinzen von Heinick nicht straflos ausgehen lassen, und daß wir uns nicht damit zufrieden geben, ihm einen nichtssagenden Brief zu schreiben, der ihm den Verkehr in unserm Klub untersagt, sondern er muß Paris und Frankreich verlassen.«

»Mag er sein Gewerbe in seinem Lande ausüben,« sagte Bunou-Bunou, »darin sehe ich nichts Schlimmes, im Gegenteil.«

»Und der Diener?« fragte Dantin.

»Den werde ich fortjagen.«

»Wenn wir den Hauptthäter nicht dem Arme der Gerechtigkeit übergeben,« sagte Bunou-Bunou, »können wir's auch bezüglich des Helfershelfers nicht thun.«

»Wünschen Sie nicht zu erfahren, wie er sein Mitschuldiger geworden ist?«

»O gewiß.«

»Wir wollen ihn ins Gebet nehmen.«

Adeline schellte und wies den erschienenen Diener an, Leon herbeizuholen.

»Wenn Sie gütigst erlauben,« sagte Dantin, »so will ich ihn selbst verhören; ich werde ihn schneller zu einem Geständnis bringen und ihn zugleich zwingen, die Sache nicht ruchbar werden zu lassen.«

»Thun Sie es.«

Leon trat mit verlegener und unruhiger Miene um sich schauend herein.

»Antworten Sie auf alles, was dieser Herr Sie fragt,« sagte Adeline, indem er mit der Hand auf Dantin deutete, der ans Kamin gelehnt dastand.

»Wie heißt du?« sagte dieser in barschem Tone.

»Ich ... Leon.«

»Dieser Name besagt nichts, du hast noch einen andern.«

»Chemin.«

»Du bist aus der Normandie?«

»Jawohl.«

»Woher?«

»Von Arques.«

»Im Kasino von Dieppe hast du wohl das Geschäft gelernt.«

»Ja.«

»Bist du verheiratet?

Er nickte.

»Wo ist deine Frau; was treibt sie?«

»Sie hält ein Kaffeehaus in Arques.«

»Gut, du wirst heute morgen mit dem Zug sechs Uhr fünfundvierzig nach Dieppe fahren und bei deiner Frau bleiben und dein Café mit ihr führen. Wenn du nach Paris zurückkehrst – Zuchtpolizeigericht und hernach Poissy. Bevor du aber abreisest, wirst du diesen Herren hier sagen, was dir der Prinz von Heinick gibt, damit du ihm präparierte Karten bringst, und wie die Sache zwischen euch abgemacht worden ist.«

»Präparierte Karten!«

Dantin hob die Zeitung auf, welche die drei Spiele bedeckte.

»Hier sind sie.«

Leon war schon halb ohnmächtig; diese brutale Art, ihn zur Rede zu stellen und ihm alles auf den Kopf zuzusagen, hatte ihn vollständig außer Fassung gebracht; der Anblick der Karten that das Weitere.

»Ich habe niemals mit dem Prinzen gesprochen, ich schwöre es Ihnen,« stotterte er.

»Nun, wer gibt dir denn die Spiele?«

»Ich kenne seinen Namen nicht. Ein kleiner, gelber, pockennarbiger Mann, den ich im Café, das ich besuche, kennen lernte. Er sagte mir, der Prinz könne nur mit seinen Karten spielen, neuen eigens für ihn hergestellten Karten, ein Talisman, so was.«

»Sicherlich.«

»Sonst und wenn die Karten nicht in ihrem Streifband gewesen wären, hätte ich mich niemals darauf eingelassen. Man kann sich erkundigen, jeder wird sagen, daß ich ein ehrlicher Mensch bin, ich habe vier Kinder.«

»Der ist was wert, so ein Talisman, wie der da, denn er ist ausgezeichnet.«

Leon zögerte einen Augenblick.

»Stell dich nicht so,« sagte Dantin grob.

»Tausend Franken.«

»Jetzt wirst du deine Siebensachen zusammenpacken und, ohne jemand ein Wort zu sagen, machen, daß du fortkommst. Wenn du plauderst, anstatt nach Arques zu reisen, wo du glücklich sein wirst, wie der Fisch im Wasser, kommst du nach Poissy, wo es nicht zum lustigsten sein soll.«

Leon ließ sich das nicht zweimal sagen; er hatte sich allmählich gegen die Thüre zurückgezogen, nun öffnete er sie ein wenig und schlüpfte hinaus.

»Da haben wir's,« sagte Dantin, »tausend Franken, um ein Kartenspiel mit dem andern zu vertauschen, das verrückt einem freilich den Kopf.«

Adeline und Bunou-Bunou berieten, wie sie es mit dem Prinzen halten sollten, und beschlossen, sein Kommen am nächsten Tage abzuwarten und daß er dann, anstatt ihn in den Baccaratsaal einzulassen, ersucht werden sollte, in das Kabinett des Präsidenten einzutreten.

»Sie werden sich einfinden,« sagte Adeline zu Dantin »und werden die Betrügereien klarlegen, wenn der Prinz versuchen sollte, sie zu bestreiten.«

Dantin wollte sich zurückziehen, doch Adeline hielt ihn auf.

»Wir sind Ihnen Dank schuldig,« sagte er, »für den Dienst, den Sie uns geleistet haben; auch müssen wir uns bei Ihnen entschuldigen, denn, ich gestehe es, einen Augenblick haben wir an Ihnen gezweifelt. Der Präfekt soll erfahren, wie nützlich Sie sich uns in dieser leidigen Geschichte erwiesen haben.«

Als Dantin abends um elf Uhr in den »Grand J« kam, bemerkte er, daß man ihn mit seltsamen, verdächtigen Blicken musterte; in der That hatten die geheimen Zusammenkünfte im Zimmer des Präsidenten, das Verschwinden der Karten, die von dem Prinzen von Heinick als Bankhalter benutzt worden waren, endlich die unerklärliche Abwesenheit Leons die Zungen in Bewegung gesetzt. Ein Klub ist nicht der Ort, wo man Schicksalsschläge mit der Ruhe eines guten Gewissens abwartet. Indessen richtete niemand das Wort an ihn, selbst Friedrich nicht, der mit Barthelasse plauderte, denn Adeline kam ihm zuvor.

»Wollen Sie mich in meinem Kabinett erwarten,« sagte dieser, »Sie werden Herrn Bunou-Bunou dort treffen, ich folge Ihnen sogleich nach.«

In der That blieb Adeline nicht lange und trat in Begleitung des Prinzen, dem er artig den Vortritt ließ, ein.

»Sie wünschen mit mir zu sprechen,« fragte der Prinz in stolzem und wegwerfendem Tone.

»Ja, mein Herr, wir haben uns von Ihnen Erklärungen auszubitten über Ihre Art zu spielen.«

»Von mir!«

Dieses kam im allerhochmütigsten Tone heraus.

»Und wir ersuchen Sie, sie uns vor diesem Herrn zu geben,« fuhr Adeline fort, indem er auf Dantin zeigte.

Dieser trat vor.

»Dantin, Inspektor bei der Spielpolizei.«

»Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, daß Sie falsch spielen, Prinz.«

»Elender!«

»Sie betrügen mit diesen Karten« – er zeigte die Karten vor – »welche Ihnen der Lakai vom Dienste überreicht und dem Sie tausend Franken dafür geben.«

Der Prinz zauderte einen Augenblick, wilde Blicke um sich werfend. Dann ließ er plötzlich den Kopf auf die Brust sinken und seine Beine begannen zu schlottern, als wenn er ohnmächtig werden wollte.

»Meine Herren, meine Herren, machen Sie mich nicht unglücklich um der Ehre meines Namens willen ... ein Augenblick der Verirrung ... ich will Ihnen erklären ...«

»Sie haben nichts zu erklären,« sagte Dantin, »Sie haben morgen früh um sieben Uhr dreißig den Zug nach Köln zu besteigen und niemals wieder nach Frankreich zurückzukehren.«

»Morgen ist es unmöglich, die Prinzessin ...«

Die Prinzessin wird Ihnen nachkommen. Köln oder das Zuchtpolizeigericht.«

»Ich reise.«

Am nächsten Tage um sieben Uhr fünfzehn sah Dantin, der den Nordbahnhof überwachte, den Prinzen im Reiseanzug und ohne Brille aus dem Wagen steigen und auf den Schalter zugehen. Er folgte ihm von weitem, hielt sich aber außerhalb der Barrieren und drehte den Kopf herum, damit ihn der Prinz nicht erkennen sollte.

»Compiègne« verlangte der Prinz, indem er eine Banknote auf das Schalterbrett legte.

Dantin faßte ihn am Arme.

»Compiègne ist in Frankreich, Köln wollen Sie sagen?«

»Köln.«


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