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Achtundzwanzigstes Kapitel

Schon oft hatte Adeline den Vater Eck eingeladen, gelegentlich einer seiner Reisen nach Paris einmal im Klub zu speisen, aber die Reisen des Vaters Eck nach Paris waren selten, er zog vor, in Elbeuf zu bleiben und seine Fabrik zu überwachen.

Während der Fabrikant von Nouveautés genötigt ist, zweimal jährlich nach Paris zu kommen und sich hier jedesmal zwei oder drei Wochen aufzuhalten, um für die Muster der Saison Käufer zu finden, und bei vierzig oder fünfzig Tuchhändlern, die seine Kunden sind, seine »Marmotte«, das heißt seinen Musterkoffer herumzuschleppen, braucht sich der Fabrikant von glatten Tuchen diesen Unannehmlichkeiten und großen Ausgaben nicht zu unterziehen, die damit verbunden sind, zum voraus für die Winter- und die Sommersaison fünf- oder sechshundert Muster herzurichten, von welchen er mit den Käufern über jeden Faden, jede Farbe, die Haltbarkeit und den Appret eingehend reden muß. Die Auswahl dessen, was er fabriziert, ist bedeutend geringer. Bei einem Geschäftsabschlusse oder bei der Ablehnung seiner Offerten wird nicht viel gesprochen, ein Blick, ein Wort besagt alles, und um Bestellungen entgegenzunehmen, braucht sich der Chef des Hauses selbst nicht zu bemühen.

Der Vater Eck bemühte sich denn auch nur sehr selten; was hätte er in Paris machen sollen? Paris mit seinen Vergnügungen hatte keinen Reiz für ihn, sondern nur Elbeuf, seine Fabrik, deren Treppen er von morgens bis abends, wie der flinkste seiner Söhne auf und ab lief, sein Comptoir, wenn er über seinen Büchern saß. Und sein größtes Vergnügen hatte er am Tage der Inventur, die er ganz allein abschloß, wenn er seine Söhne und seine Neffen herbeirief und ihnen mit kurzen Worten sagte: »Das ist dein Teil, Samuel; deiner, David; deiner, Nathanael; deiner, Naphtali; deiner, Michel; so, geht jetzt wieder an die Arbeit.«

Indessen hatte er sich eines Tages, als ein bedeutendes Geschäft seine Anwesenheit in Paris erforderte, entschlossen, zu reisen. Bei dieser Gelegenheit beabsichtigte er Adeline und jenen berühmten Klub, von welchem Michel so oft sprach, zu besuchen. Gegen sechs Uhr erwartete er Adeline an der Ausgangsthüre der Kammer.

»Ich werde mit Ihnen in Ihrem Klub speisen.«

Bunou-Bunou, der seine Mappe unter dem Arme schleppte, begleitete Adeline. Die Vorstellung fand in aller Form statt und der Vater Eck gab seiner vollen Befriedigung Ausdruck, welche er darüber empfand, einen Abgeordneten, dessen Namen er so oft in den Zeitungen gelesen hatte, kennen zu lernen. Gewöhnlich war es kein geeignetes Mittel Bunou-Bunou in gute Laune zu versetzen, wenn man ihm von den Zeitungen sprach, so sehr hatten sie sich über ihn lustig gemacht; aber das offne Gesicht des Vater Eck und seine gutmütige Miene ließen schnell den Eindruck verschwinden, den das Wort »Zeitungen« zuerst hervorgebracht hatte.

Von diesen und jenen Dingen sich unterhaltend, kamen sie nach der Avenue de l'Opéra. Als Adeline, während sie die große Treppe hinaufstiegen, die erstaunten Blicke sah, die der Vater Eck ringsumher warf, auf die Marmorverkleidungen wie auf die pfirsichfarbene Livree der Diener, mußte er innerlich lächeln, als ob er selbst sich diesen Luxus gestattete und Berthas künftigen Onkel damit zu blenden vermöchte.

»Soll ich Ihnen unsre Räume zeigen?« sagte er, als sie in die Vorhalle kamen.

»Ich hatte keine Vorstellung, was ein Klub ist, es ist sehr schön.«

In jedem Salon wiederholte der Vater Eck, nachdem er einen neugierigen Blick umhergeworfen und den Teppich verständnisvoll wie einer, der die Qualität der Wolle kennt, mit dem Fuße betastet hatte, halblaut, um die hehre Ruhe dieser weiten Räume nicht zu stören: »Es ist sehr schön.«

Vor dem Diner zogen sie sich mit Bunou-Bunou und einigen Kaufleuten, die der Vater Eck kannte, in Adelines Kabinett zurück. Während sie da plauderten, trat Herr von Cheylus ein; er blieb an der Thür stehen, um auf den Vater Eck zu lauschen, der ihm den Rücken zukehrte und sich mit Bunou-Bunou unterhielt.

»Ah! Ah!« sagte Herr von Cheylus hinzutretend, »ich glaube den Dialekt meines früheren Departements zu erkennen.«

»Herr Graf von Cheylus früherer Präfekt von Straßburg,« sagte Adeline, »Herr Eck vom Hause Eck und Debs.«

Aber der Vater Eck konnte es nicht leiden, wenn man über seinen Dialekt scherzte.

»Ja, mein Herr,« sagte er sich an Herrn von Cheylus wendend, »ich bin Elsässer, oder wenn ich es nicht mehr bin, so ist es nicht meine Schuld, sondern die gewisser Leute; ich bin stolz auf meinen Dialekt und ich möchte ihn noch prononcierter sprechen, um die Fahne meines Landes hoch zu halten.«

Als er bemerkte, daß Herr von Cheylus ein wenig betroffen war, fuhr er in freundlicherem Tone fort: »Unglücklicherweise hat die Gewohnheit des steten Zusammenlebens mit den Normannen ihn sehr abgeschwächt, wie Sie bemerken können, und ich bedaure es. Der Dialekt ist das nämliche, wie die Blume des guten Weines; möchten Sie Straßburger Pasteten, die nach nichts schmecken?«

»Gewiß nicht,« sagte Herr von Cheylus, der sich nie, über nichts und über niemand erzürnte.

Bei Tisch wiederholte der Vater Eck die nämliche Phrase mit einer kleinen Aenderung: »Es ist sehr gut, wirklich, für den Preis ist es sehr gut.«

Und da er von den Geheimnissen der Spielkasse nichts ahnte, fügte er bei passender Gelegenheit bei: »Es ist wirklich eine schöne Sache um die Vereinigung der Kräfte; welche Wunder bewirkt sie! Ich hätte niemals geglaubt, daß man für einen Beitrag von hundert Franken jährlich so hübsche Räume und einen so guten Tisch mit so gut geschulten Dienern und mit all diesem Luxus haben könnte.«

Aber als er abends im Baccaratsaale sah, welche Summen in zwei oder drei Minuten verspielt wurden, begann er seine Ansicht über die Klubs zu ändern.

»Ist es wahr,« fragte er Adeline, »daß diese Perlmuttertäfelchen fünftausend Franken und zehntausend Franken wert sind?«

»Jawohl!«

»Aber das ist ja ein Greuel; wenn die Spieler zehntausend Franken in Gold auf den grünen Tisch legten, würden sie sich zweimal und zehnmal bedenken; diese Täfelchen da gleiten durch die Finger, wie Bohnen durch die der Kinder. Und ich sehe Kaufleute an diesem Tische sitzen, Leute, die wissen, was verdientes Geld ist. Es ist eine Schande!«

Adeline, der bisher an der Verwunderung des Vater Eck seine Freude gehabt hatte, suchte das Gespräch auf ein andres Gebiet zu bringen, da es eine schlimme Wendung zu nehmen und zu einem demjenigen ganz entgegengesetzten Resultate, das er sich anfänglich von diesem Besuche versprochen hatte, zu führen drohte.

Aber man änderte den Gedankengang des Vater Eck ebensowenig, als man ihn zum Schweigen brachte, wenn er reden wollte; er fuhr fort: »Ich sage, daß ein derartiges Spiel eine Schande ist; es ist eine Spekulation, keine Unterhaltung; sie spielen, um zu gewinnen, nicht um sich wie anständige Leute zu unterhalten. Und sehen Sie nur, was für häßliche Gesichter sie haben, wie sie blaß oder rot sind, was sie für Grimassen schneiden, alle schlechten, tierischen Instinkte malen sich in ihren Zügen. Wir wollen fortgehen!«

Aber Adeline wollte ihn mit diesem schlechten Eindruck nicht fortlassen. Wenn er auch bereit war, den Baccaratsaal zu verlassen, wo den Puchotier (einen noch viel größeren Puchotier als er selbst) diese zornige Erregung erfaßt hatte, so wußte er es doch einzurichten, daß der Vater Eck den Klub nicht in dieser heftigen Gemütsverfassung verließ. Er führte ihn durch die Zimmer, wo mehrere Mitglieder ruhig Gesellschaftsspiele machten, stillschweigend wie Automaten Whist oder Ecarté spielten, dann geleitete er ihn in sein wohl durchwärmtes und hellerleuchtetes Kabinett, wo Bunou-Bunou pünktlich wie jeden Abend die zwanzig oder dreißig Briefe von Bittstellern, die er tagsüber erhalten hatte, beantwortete.

»Und dafür gründet man Klubs?« sagte der Vater Eck, am Kamine Platz nehmend.

»Nicht doch, mein lieber Freund; das Spiel ist nur ein Anhängsel, etwas Zufälliges und heute abend gerade hat die Partie eine ungewöhnliche Ausdehnung angenommen.«

Und Adeline setzte auseinander von welch andern höheren Gesichtspunkten aus ihr Klub gegründet worden war. Leider wurde er in seinen Darlegungen, denen der Vater Eck, ohne daß sie anscheinend großen Eindruck machten, zuhörte, durch den eintretenden Herrn von Cheylus unterbrochen.

»Es spielt sich in diesem Momente eine Komödie ab, die Herrn Eck recht unterhalten haben würde, wenn er Zeuge derselben gewesen wäre,« sagte er.

»Was für eine Komödie?«

»Der Graf von Sermizelles hat soeben zwölftausend Franken verloren. Woher er sie hatte, werden Sie mich fragen. Ich weiß es nicht, aber kurz er hatte sie sich verschafft, sonst hätte er sie nicht verlieren können. Daraus, in der Ueberzeugung, daß er eine neue Serie bekommen werde, versuchte er, um wieder beginnen zu können, nur fünf Louis zu leihen. An der Kasse, abgeblitzt; bei August, abgeblitzt; bei allen Kellnern, abgeblitzt; mehr als abgeblitzt, und so sehr abgeblitzt, daß er sogar nicht einen einzigen Louis bekommt. Entweder gibt man ihm keine Antwort, oder man lehnt es in der demütigendsten Weise ab. Er läßt sich nicht abschrecken; das ganze Personal kommt an die Reihe. Sie hätten seine Bemühungen, sein Lächeln, seine Schmeichelkünste und den Demütigungen gegenüber seine Unempfindlichkeit sehen müssen. Von August aufmerksam gemacht, habe ich sein Treiben beobachtet. Ich wollte nur, daß Herr Eck diese Komödie mit angesehen hätte; ich muß noch jetzt darüber lachen. Endlich gerät er an eine gute Seele, oder an einen Witzbold, der ihm sagt, daß der Koch Geld habe. Und nun stürzt der Graf die Diensttreppe hinunter in die Küche. Dort ist er jetzt.«

»Ist es möglich!« rief der Vater Eck aus, die Arme gen Himmel streckend.

»Sie kennen den Grafen nicht; das Spiel liegt ihm im Blut, wie bei der ganzen Familie. Sein Bruder, der sich übrigens nicht ruiniert hat, war ein so eingefleischter Spieler, daß er sich sogar nicht einmal die Mühe gab, sein Vermögen zu verwalten. Nach seinem Tode hat man bei ihm einen Haufen von Eisenbahn- und Anlehensobligationen mit allen ihren Coupons gefunden. Warum sich damit abmühen, diese Coupons mit der Schere abzuschneiden, wenn man allnächtlich dreißig- oder vierzigtausend Franken umschlägt? Da können Sie sich denken, daß diese Rasse spielt. Kurz im Augenblick sind der Graf und der Koch aneinander und ersterer sucht letzteren kirre zu machen. Kommen Sie, kommen Sie, wir wollen sehen, ob er Geld erhalten hat oder nicht; jedenfalls ist es der Mühe wert, zu beobachten, wie er sich benimmt.«

Als sie in den Saal traten, war der Graf noch nicht da, aber unmittelbar darauf kam er lustig und vergnügt an und lief an die Kasse. Er warf einen Haufen von Fünffranken-, Zweifranken- und Fünfzigcentimesstücken und selbst eine Handvoll Kupfermünzen auf die Tischplatte.

»Es sind hundert Franken,« sagte er, »geben Sie mir eine Spielmarke von fünf Louis.«

Und dann rannte er rasch zum Spieltische, wo der Croupier gerade ein neues Spiel ausrief. » Messieurs, faites votre jeu.« Ohne Zögern, wie einer, der sich etwas in den Kopf gesetzt hat, warf der Graf seine Spielmarke auf das linke Feld; er war wohlgemut, des Gewinnes sicher. Und in der That, er gewann. Er ließ seinen Einsatz stehen und gewann nochmals. Und dann noch ein drittes Mal.

Aber das bot kein Interesse für den Vater Eck, der keine Lust dazu hatte, die ganze Nacht damit zuzubringen, dem Spiel zuzusehen. Er hatte genug, er hatte mehr als genug. Adeline begleitete ihn in seinen Gasthof, Rue de la Michodière zurück und versprach, ihn am nächsten Morgen zu einem Gange, den sie gemeinschaftlich machen wollten, abzuholen.

Adeline war pünktlich und fand den Vater Eck schon unter der Thüre wartend.

Da sie sich nach dem Palais Royal begaben, gingen sie die Avenue de l'Opéra hinunter und Adeline wollte im Vorbeigehen in seinem Klub einen Auftrag hinterlassen. Schon am Hofthore vernahmen sie ein Stimmengewirr, das von der Treppe des Klubs herzukommen schien. Durch die Scheiben der Thür bemerkten sie einen Mann in weißer Jacke und Kappe, einen Koch wie es schien, der ein großes Geschrei machte und heftig mit den Armen fuchtelte. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Thüre und suchte dem Grafen von Sermizelles, der mitgenommen und erschöpft aussah und hinaus wollte, den Ausgang zu versperren.

Was bedeutete das?

Das fragte sich Adeline; aber es war ebensowenig möglich hinein- als herauszukommen, der Koch versperrte den Weg und im übrigen sah er seinen Präsidenten, dem er den Rücken zudrehte, nicht. Um ihn und den Grafen herum befand sich eine Menge Leute, die schrieen oder lachten, Klubmitglieder, Croupiers, Bedienstete.

In diesem Augenblicke erschien August, der die Diensttreppe herabgelaufen war, im Hofe.

»Was geht denn hier vor?« fragte Adeline, indem er lebhaft auf ihn zuging.

»Der Graf von Sermizelles hatte gestern vom Koch hundert Franken geliehen; er hat damit hundertfünfundzwanzigtausend Franken gewonnen, aber er hat wieder alles verloren, es bleibt ihm kein Sou übrig, um Félicien, der ihn nicht fortlassen will, zu bezahlen.«

»Sie haben mir Ihr Ehrenwort gegeben, mir heute morgen mein Geld zurückzuzahlen,« heulte Félicien, »und Sie wollen auskneifen. Hier kommen Sie nicht hinaus!«

Adeline klopfte an das Fenster, um Einlaß zu begehren. Er drückte dem Koch fünf Louis in die Hand und sagte: »Lassen Sie den Herrn Grafen hinaus und Sie selbst verlassen augenblicklich den Klub.«

Als er mit dem Vater Eck seinen Weg fortsetzte, gingen sie lange stillschweigend nebeneinander her; endlich faßte der Vater Eck Adeline am Arm.

»Mein lieber Herr Adeline, ich weiß, daß man Ratschläge, um die man nicht bittet, nicht liebt; trotzdem will ich Ihnen einen geben. Glauben Sie mir, überlassen Sie diese Leute da ihren Vergnügungen, ein braver Mann, wie Sie, gehört nicht hierher. In Ihrer Familie werden Sie mehr an Ihrem Platze sein. Wenn wir im Leben ein wenig vorwärts gekommen sind, so verdankten wir es den Familienbanden, indem wir uns zusammenschlossen, und nicht bloß mit Rücksicht auf das Vermögen hat die Familie ihr Gutes!«


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