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Siebenter Gesang.
Alboin und Rosamunde.

Ein milder Abend war um Rom gebreitet,
Da wandte seinen Schritt die Höh'n empor,
Im Silberhaar, zum Sterben vorbereitet,
Im Mönchsgewand der greise Cassiodor,
Der einst den Rath Theodorichs geleitet,
Und mit ihm schuf ein Reich, wie kein's zuvor
Den Gothen noch geblüht, und der's gesehen
Verfallen, sinken, und zu Grunde gehen.

Er setzte sich, an einem Pinienstamme
Das Haupt gelehnt; an einem Buche hing
Sein Blick, indeß die letzte Sonnenflamme
Erglühend in der Meerfluth unterging.
Er las vom Sündenfall, vom Opferlamme,
Von Tod und Weltgericht, und ihn umfing
Im Geist ein Schau'n, um seine Seelen wehten
Gesichte, wie Gesichte der Propheten.

Er blickte starr vor sich, er schaute lange
Und unverwandt empor ins Abendlicht,
Da naht ein jüngrer Mönch vom Säulengange,
Und sagt bescheiden: »Stör' ich dich doch nicht?
Wie seh' ich dich entzückt, wie glüht die Wange
Von heil'ger Andacht dir!« – »Es ist mir Pflicht,«
Erwiedert Cassiodor, »daß ich dir's sage,
Ich sah im Geist das Ende aller Tage.

Ich sah: hoch oben auf dem Ararat
Schritt von dem menschlichen Geschlecht der Letzte,
Und grub ein Grab. Es lag die letzte Stadt
Verschüttet unten, und kein Strom benetzte
Die Länder mehr, die Lüfte todesmatt
Verhauchten nur noch. Müd von Schaufeln setzte
Der Blinde sich auf einen Stein am Grab;
Nur Blindheit war's, was noch die Erde gab.

Und weiter grub er, schaurig Echo schallte,
Wenn an das Felsgestein der Spaten schlug,
Auf einmal war's, als ob ihn jemand halte,
Und zu ihm sage: ›Sohn, es ist genug!‹
Er sah sich um – er sah jetzt – aus der Spalte
Des Felsens trat ein Mann vor ihn, und frug:
›Du, der das Grab des letzten Menschen grubest,
Weißt du's, daß du den ersten Stein erhubest?

O Kain, du siehst hier Adam vor dir stehen,
Den Vater Aller die gelebt, und du,
Durch dessen That der erste Mord geschehen,
Den letzten Menschen legtest du zur Ruh.
Du bist gesühnt. Bald wird der Ruf ergehen,
Des Weckers Ruf, er ruft den Bergen zu,
Dann stürzen sich in ihren Grund die Berge –
Den Gräbern, und dann öffnen sich die Särge.‹

Ein Schauer faßt jetzt Beide, schon erklangen
Posaunen, längst verstummter Glocken Ton,
Die Berge stürzten ein, die Gräber sprangen;
Aus Memphis, Ninive und Babylon,
Aus Felsenkrypten, Katakomben drangen
Zahllose Schaaren vor, vom goldnen Thron,
Auf dem sie todt noch saßen, Sassaniden,
Und Pharaonen aus den Pyramiden.

Aus Asiens Städten ziehn wie Sand am Meere
Millionen, und aus Wüstenei'n heran,
Aus Schlachtgefilden stehen auf die Heere,
Geschlechter reihn sich, Stämm' an Stämme an,
Mit Keulen die, die mit des Bogens Wehre,
Und seine Leichen gibt der Ocean.
Der Menschheit Baum in wunderbarem Steigen
Ist aufgesproßt in hunderttausend Zweigen.

Der aus dem Meer erstandnen Schaaren Menge
War zahllos, schwer war ihre Sündenlast,
Sie keuchten unter vielem Gut der Enge
Von Felsenhöhlen zu mit großer Hast,
Als bebten sie vor eines Richters Strenge,
Und säh'n sich schon vor seinen Stuhl gefaßt,
Und Andre, deren Thun war null und nichtig,
Verzogen jetzt noch ihre Stirne wichtig.

Gewaltige, die ihrer Macht und Größe
Gemißbraucht, sannen auf Vertheidigung,
Und deckten ängstlich ihre Lasterblöße,
Und sprachen viel in hohem Redeschwung.
Die schuldlos Hingewürgten, gleich als flöße
Ihr Blut noch, kosten voll Begeisterung
Mit Mund und Blicken sich in Liebe brennend,
An ihren Wundenmalen sich erkennend.

Sie sangen: ›Herr, willst du nicht bald den Deinen,
Den Seelen Ew'ger, die auf dich vertrau'n,
Im Glanze deiner Herrlichkeit erscheinen?‹
Doch Andere schrie'n: ›O besser wär's, ins Grau'n
Des Nichts zu sinken, statt hier ohne Weinen
Den Tod der aufgelösten Erde schau'n,
Und lechzend, und im Schmerz gerungner Hände
Hinein zu starren in die Trümmerbrände!‹

Die falschen Engel mahnten laut zum Beten,
Jedoch mit Worten, die man schnell vergaß;
Auch Götzen kamen, und die Trugpropheten
Versicherten das Volk im Uebermaß
Der Gnade vor den Richtern, doch betreten,
Und während selbst auf ihren Zügen saß
Das Grinsen der Verzweiflung, nur Verräther
Schrie'n Ja dazu, und feige Missethäter.

Ein Murmeln scholl, wie von der Brandung Schwalle,
Ein Kreuzbild ward erhöht, und Arm in Arm
Im Kreis sich schwingend, sang zum lauten Schalle
Von Horn und Becken ein Dämonenschwarm:
›Wo ist der Himmel, sprich, den du für Alle
Versprachest nach des Lebens Noth und Harm?
Gekreuzigter, gib Rechenschaft, wir fodern
Den Lohn für Leben, Sterben und Vermodern.‹

Sie schrien's, und stürzten dann das Kreuz in Schlünde,
Durch Waldnacht rasend wie des Sturmes Flug,
Dagegen hoch durch blumenreiche Gründe
Bewegte sich ein langer Pilgerzug:
›O nimm von uns den letzten Rest der Sünde!‹
Und – ›Habt ihr dennoch Licht und Hoffnung?‹ frug
Ein andrer Ruf, die Stimme von Millionen,
Am Eismeerstrand, und in des Mittags Zonen.

Auf einmal sang's: ›Es hat den Weg gefunden
Der Stern, der unser Wohnort werden soll,‹
Und gleich darauf: ›Nein, nein, er ist verschwunden!‹
Und welche Klage, welch ein Jammer scholl!
Und sieh, von einem Strahlenglanz umwunden,
Fuhr eines goldnen Wagens Sturmgeroll
Auf Wolken an, darin ein Herrscher mächtig
Im Kronschmuck saß, stolz, groß und mitternächtig.

Beschwingte Löwen zogen ihn, ihm boten
Zwei Riesen Schwert und Wagschal', an Gestalt
Den Engeln glich er, doch vom feuerrothen
Gewölk der Hölle war sein Haupt umwallt.
Er kam mit Roß und Reisigen, es drohten
In seiner Faust die Zeichen der Gewalt,
Er kam mit Saul, umringt von Pharisäern,
Und Judas schien sich knechtisch ihm zu nähern.

Im Staub vor ihm lag Ahasver: ›Gekommen
Ist meine Stunde,‹ rief er, ›gib mir du,
Denn deine Ankunft hat der Tod vernommen,
Gib du mir endlich die ersehnte Ruh!‹
Doch Jenes Blick schien nur von Zorn erglommen,
›Vergeblich hofft ihr,‹ rief er Allen zu,
›Ihr saht den Weg zu jenem Stern verschwinden,
Doch wer auf mich baut, soll ihn wiederfinden!

Ihn trägt mein Wort.‹ – Der auf das erste Paar
Gesprochne Fluch durchzuckte nun die Erde,
Und sieh, ein ungeheures Schlangenpaar
Erhob mit menschenähnlicher Geberde
Sein riesig Haupt, und jetzt begann das Jahr
Des Antichrist, am Huf der Höllenpferde
Hing seine Zeit, im todten Weltgebiete
Sein Reich, der Schein des Seins, die große Niete.

Er warf die Macht und Fülle aller Zeiten
Dem Chaos hin, daß in dem großen Sieb
Vom wahren Inhalt aller Wesenheiten
Nur noch ein Spiel mit leeren Larven blieb.
Habsucht gab den Ideen, den entweihten,
Und Willkür Tugenden den Todeshieb,
Und Thaten der Unsterblichkeit verhehlte
Der Neid, der Alles um sich her entseelte.

Die Selbstsucht, die Verworfenheit, das Gleißen
Hielt Sittenpredigt, von der Eigensucht
Ward Lauterkeit gegeißelt, falsch Verheißen
Ward angebetet, Wahrheit stand verflucht,
Und ließ sich von der Lüge Hand zerreißen,
Und Frömmigkeit und Demuth hieß verrucht.
Ein Thron ward am versiegten Oceane
Dem Trug errichtet, und dem finstern Wahne.

›Weh!‹ riefen die es fühlten, ›seht den Schlächter!
Ist der zum Richter über uns bestellt?‹
›Er ist es,‹ rief sein schallend Hohngelächter,
›Die Qual beginnt, ein Ende hat die Welt.‹
›Es sterbe,‹ riefen ringsum die Verächter,
›Es sterb' das Licht, das sie bisher erhellt,
Und dann die Liebe, bringet sie gefangen,
Und bindet sie in diesen Knäul der Schlangen!‹

Da schwangen jauchzend sich auf ihre Thiere
Die Völkergeißeln und Tyrannen, Wuth
Und Mordgier blickend, grinsende Vampyre,
Kains Zeichen auf der Stirn, den Mund voll Blut.
Der Helfershelfer Heer, beschwingte Stiere,
Satrapen, Henker, eine reiche Brut,
Kam nachgejagt, zermalmende Kolosse,
Bewaffnet mit verheerendem Geschosse.

Ein Aufschrei ward gehört, ein tödtlich Zagen
Befiel die lichte Schaar, sie duckten sich
Wie Tauben vor des Geiers Flügelschlagen,
Die Palmen sanken, alle Kraft entwich,
Nur um den Heiland noch ein stummes Klagen
War Alles, eh ihr letzter Muth erblich,
Sie sah'n es nicht, daß mitten unter ihnen
Die Liebe nun in Waffen war erschienen.

Die Liebe, noch in ihrer Schwestern Schutze,
Der Freude, Großmuth und Barmherzigkeit,
Nahm nun den Kampf auf, schlug dem Eigennutze
Die Arme ab mit einem Blick, bereit
Zu weitrem Sieg, und ging in stolzem Trutze
Gewaltiger hervor aus jedem Streit.
Ihr Anblick warf die von der Hölle Pforten
Im Sturm heran sich wälzenden Cohorten.

Da Jeder rang nach ihr, als seiner Beute,
So stritten sie sich bald einander ab,
Und würgten sich; ihr Grimm und Haß zerstreute
Sie selbst, und ihre Waffen; fluchend gab
Sich selbst den Untergang die Würgermeute,
Und sank hinunter in ein endlos Grab,
Nun aber führte Judas her die Schaaren
Von Todten, die dereinst Selbstmörder waren.

Zu Pferde sausten sie heran in Haufen,
Gesträubten Haars, es waren jammervoll
Von Blut noch ihre Augen unterlaufen,
Vom Blut, das überall an ihnen quoll.
Die nackten Schwerter schwangen sie und Schlaufen,
Doch hohler stets, und nichtiger erscholl
Der Waffen Lärm, womit sie sich im Leben
Verzweiflungsvoll dereinst den Tod gegeben.

Sie konnten vor der Liebe nun nicht länger
Damit verwunden, sondern mußten fliehn;
Auch Ahasver, der mit dem Heer der Dränger,
Und mit der Zweifler Schaar hernach erschien,
Vermochte nichts mehr, sondern schaute bänger
Und bänger nur auf seinen Sieger hin,
Und sank, erkennend, den er mit Verdammen
Von seiner Thür einst wies, vor ihm zusammen.

Er sank dahin, wie wenn in blauer Ferne
Ein Wolkenbild verweht, mit ihm zerfloß
Der stolze Feind, und was auf unsrem Sterne
Noch bös war, sank in neuen Werdens Schooß.
Die Erd' ward Sonn', und Liebe ward im Kerne
Der Wesen Strom des Lichts, der sich ergoß
Vom Blick des Mittlers, Alles zu verklären
Als höchst vollkommnes Sein durch alle Sphären.«

Es schwieg nun Cassiodor. Im Sternenlichte
Lag da des Circus halb zerstörte Pracht,
Gebrochen wie von einem Weltgerichte,
Und wie das Wahlfeld einer Geisterschlacht,
Ein Abbild der erschütternden Gesichte;
Er sah es, wie von einem Traum erwacht,
Und hörte das Gemurmel und Gedränge
Von einer unsichtbaren Menschenmenge.

Er richtete sich auf, er sah voll Trauer,
Und wie zum Lebewohl auf Rom hinab,
Er sah Verheerung rings, er sah die Mauer
Der Stadt zertrümmert, und sie selbst ein Grab.
»Dieß Rom, einst voll des Anspruchs ew'ger Dauer.«
Er sah's zum letztenmal, auf seinen Stab
Gestützt, es drang der Ruf durch's Volksgebrause
Vom Fall des Gothenreichs an seine Klause.

»Hab' ich auch alle Liebe dir gegeben,
Verlornes Eden, armes Paradies,
Entgöttertes Italien! All mein Leben
Ward dir, nur dir geweiht, und nie verließ
Mein Auge dich, es mochten Throne beben,
Und Reiche stürzen! Sieh den Torso, dieß
War Phöbus, dieß Minerva! Aller Orten
Winkt eine schön're Zeit mit stillen Worten.

Doch jener Schönheit Reich ist untergangen,
Gewaltthat geht mit stolzem Schritt einher;
Ich sah die letzten Männer Roms gefangen,
Getödtet, doch du büßtest dafür schwer,
Theodorich! es nagten dich die Schlangen
Der Reue bis zu todt. Der Raum ist leer,
Worin dein Bild stund, bis zum Grund zerspalten
Dein Stamm und Reich, wer wird es neu gestalten?

Die Guten weihten sich dem Untergange,
Die Heiligen beschlossen ihr Gebet,
Die Sänger wandten ab sich vom Gesange,
Und ihre letzten Lieder sind verweht.
Es wollte Alles sterben in die lange
Verhängte Nacht, und nichts mehr ward gesät,
Nur neugeschirrte Kriegsgefolge fuhren
Aufs neue wieder über unsre Fluren.

Aus unbekannten Bergen brausend, kommen
Eroberer, Geister, deren Waffen Last
Die Schwingen eines Cherubs hält, vernommen
Hat ihren Gang der schweigende Palast,
Sie werden nah'n, und kommen nicht mit Frommen,
Und Siege thun mit ungestümer Hast,
Bis sie auch ihrer Sendung That vollendet,
Und in die Zeit vernarbt sind und verschwendet.«

Er sprach's zu sich, den Zeitraum überdenkend,
Den langen, seit des Nordens Schooß hervor
Die neuen Völker warf – wie er sie lenkend
Einst stund voll Kraft. So nun schied Cassiodor. –
Allmählig seinen Geist hinüberlenkend,
Trug ihn der Todesengel sanft empor,
Mit ihm starb Roms Senat, es ward zur Kutte
Die Purpur-Toga vor dem Weltenschutte.

Und fern davon, wo durch die Dämmerungen
Ein graues Meer schlug am geklippten Strand,
Da war ein gleiches Klagelied erklungen,
Und durch ein gleich verwaist' verödet' Land. –
Trug Rom die Blutspur der Erschütterungen
Noch frisch an sich von seiner Feinde Hand,
So hatte auch, wovon sie ausgegangen,
Ein gleiches Bild die Erde dort empfangen.

Ein Volk war ausgewandert, mit den Söhnen
Die Väter, Mütter mit dem jüngsten Kind;
Es war zurückgeblieben nur das Stöhnen,
Das in den Tannen flüsterte der Wind.
Des Schalles lernte sich der Tag entwöhnen;
In Feld und Scheuer war nicht Ingesind,
Nicht Hahn noch Hund, wie ausgestorben schwiegen
Im moosbewachs'nen Haus die Heerd' und Wiegen.

Die Vögel sangen in den Fensterbogen,
Die Spinne hing ihr Netz am Balken fest;
Das Land war unbebaut, es brachten Wogen
Kein Segel nicht von Nord, noch Ost, noch West.
In ihren Hallen, wo sie Rath gepflogen,
Da bauten jetzt die Habichte das Nest,
Das Gras wuchs auf den Pfaden in der Oede,
Im Dunkel, bei den Steinen war die Rede.

Dort sang ein Sänger in der hohen Halle:
»Wo sind die Völker, welche hier gewohnt,
Die Helden wo? Hinabgesunken Alle,
Die vormals in des Südens Burg gethront –
Die Zeit hat ihre Reiche vom Verfalle,
Der Rost hat ihre Panzer nicht verschont. –
Die Erde ist von Speeren, Helm und Zügeln,
Und ist bedeckt von ihren Leichenhügeln.

Meertöchter, Nordlands stolze Königinnen!
Die Myrthe grünte euch jahrhundertlang
Auf Bahren nur; in frevelndem Beginnen
Ging Schwert auf Schwert den Weg zum Untergang.
Ihr konntet dauernd eine Welt gewinnen,
Hätt' Eintracht euch geführt.« So trauernd, sang
Am Meer der Sänger; nur der Wellen Rauschen
Schien in der Oede seinem Lied zu lauschen. –

Das war an Norwegs meerumflossnen Riffen,
Am Longobarden-Ursitz, wo zu Nacht,
Vom frühen Tod in Ahnungsweh ergriffen,
Der Lichtgott sich den Holzstoß selbst entfacht.
Von dorther kam das Volk auf langen Schiffen,
Und schritt dem Süden zu, und schritt zur Schlacht,
In stetem Kampf, bald durch die Flüsse schreitend,
Bald durch das Land den Durchzug sich erstreitend.

Und als dann todt die ersten Führer waren,
Und ihren Sarg ein Grab am Weg umschloß,
Da sah man Longobarden bei den Schaaren
Des Narses; aber Alboin, zu groß
Für einen Miethling, zog, sich frei zu wahren,
Ins Nordland heim, und fand dort in dem Schooß
Der Alpen noch sein Volk auf Trift und Weide,
In festem Wohnsitz über Wald und Heide.

Des Tags, an dem der Gothen Sarggeleite
Mit Teja's Leichnam herzog durch die Gaun,
Ritt Alboin dem Königssarg zur Seite,
Und kam in der Gepiden Land, und: »Traun,
Ihr könnt jetzt,« rief er höhnisch, »was im Streite
Ein Mann vermag, an diesem Helden schau'n!«
Doch Ihr, den König Totilas, ihr Kecken,
Ihn konntet ihr von fern darniederstrecken.

Jetzt könnt ihr dem euch nahn, doch nein! ein Zagen
Befällt euch vor dem Todten noch. Am Brod
Des Griechenkaisers habt ihr schwer zu tragen.«
»Hör' auf!« rief Torismod: »Was? wer verbot?«
Rief Alboin, »euch ins Gesicht zu sagen,
Daß euch der Muth fehlt.« »Ich,« rief Torismod,
»Ich bin der Sohn des Königs der Gepiden.«
»Und ich sein Feind,« rief Alboin entschieden.

Hierauf, im Ansprung um die Bahre, lenkt
Sein Pferd der Longobard' in keckem Tanze,
Und während er zum Wurf die Waffe schwenkt,
Trifft, daß er wankt, ihn seines Gegners Lanze.
Er rafft sich auf, er schwingt und trifft, und senkt
Den Speer in Jenes Schild, und durch das ganze
Geschuppte Panzerkleid bis tief ins Herz,
Und durch den Nerv des Lebens schnitt sein Erz.

Er sank vom Pferd in seiner Schwertgenossen
Und seiner Treuen Arm, dagegen stieg
Aus diesem Tag, in blut'gem Strom ergossen,
Der Longobarden und Gepiden Krieg,
Als hätten beide Völker sich entschlossen,
Einander zu vernichten. Als der Sieg
Den Longobarden ward, blieb für den Frieden
Kaum noch ein Arm im Lande der Gepiden.

Die Longobarden nach der Heimkehr baten
Den Audoin, er möge seinen Sohn,
Der in dem Krieg so hohen Muth verrathen,
Nun auch zum Siegsmahl nehmen. »Dießmal schon?«
Sprach Audoin, als sich die Helden nahten,
»Nein, dann erst werd' auch ihm der Siegeslohn,
Wenn ihm ein fremder König gibt die Ehre,
Und ihn belohnt mit Rüstung, Roß und Wehre.«

Auf einmal sah man auf die Thore springen,
Und Alboin tritt ein: »Ha!« ruft er aus,
Gestützt auf seinen Speer, »ich find', die Schwingen
Der Freude sind noch todt in diesem Haus.
Nicht ohne mich sollt ihr dieß Fest vollbringen,
Nicht ohne mich sollt ihr beim Freudenschmauß
Der Siegesmahlzeit euch erfreuen, richtet!
Ich hab' der Feinde Knochen aufgeschichtet.

Ich höre schon die Siegeshymnen schmettern,
Es senkt sich Dämmrung in den Saal herein,
Durchrauscht von Eichenlaub und Lorbeerblättern,
Im Trinkhorn perlt, im Goldpokal der Wein.
Der Feind liegt auf den schwarzumhangnen Brettern,
Den Torismod schlug dieser Arm allein.
Ein Platz ist noch an eurer Tafelrunde,
Gönnt mir das Wort in eurem Heldenbunde!«

»Nein! nicht gewähren kann ich deine Bitte,«
Sprach Audoin, »nicht nur der Tapferkeit,
Das erste Recht gebührt der alten Sitte;
Wenn aus der klagereichen Einsamkeit
Sich Torisend erhebt, wenn ihm die Schritte
Des Sohns des Audoin nahn, so wird er weit
Die Augen aufthun, dich zu schau'n, und wähnen,
Gekommen sei ein Trockner seiner Thränen.«

»Dein Stolz soll mich auf jedem Schritt begleiten,«
Sprach Alboin darauf, »ich sehne mich
Nach Harfen nicht, nicht nach der Lyra Saiten,
Bis Haß Besiegter, über mich wie dich,
In sich verstummt, die Wege will ich reiten,
Die roth noch sind von meinem Lanzenstich,
Wo Blut das Roß vom Gras wischt mit den Mähnen,
Wegtretend über meiner Feinde Thränen.

Berauscht und taub noch vom Trompetenschallen,
Vom Klang der Schwerter und vom Schlachtgeschrei,
Füg' ich zur Trauer, der mein Feind verfallen,
Auch noch die schwerste Prüfung. Wohl, es sei!
Ich fordre, mir die Rüstung umzuschnallen
Von Dem, dem ich das Herz brach, sterb' sein Schrei,
Sein Unmuth in der Brust, er seh mich tragen
Die Waffen seines Sohns, den ich erschlagen.

Dieselben Waffen, die er selbst in Schlachten
Einst siegreich trug, den Schild, den Helm, das Schwert,
Um das die Brüder bei der Leiche wachten,
Die Rüstung allen so beweinenswerth!
Mich sollen sie, anstatt daß sie entfachten
Der Rache Gluth um den verwaisten Heerd,
Mich sollen sie, wie seine Hoffnung zieren,
Mich, der Ihn alle Hoffnung hieß verlieren.«

Sie ritten durch's Gebirg, und wehen ließen
Die Ritter ihre Banner aus dem Thal,
Und auf stund Torisend, ihn zu begrüßen,
Und bot ihm Platz an neben sich beim Mahl;
Da sagte Alboin: »Darfs dich verdrießen,
Daß ich zu dir komm? Tödte deine Qual!
Ich fordre nicht nur Waffen, Land und Leute,
Auch dich, dein Herz auch leg' ich zu der Beute.

Du sollst mich, nun ich vor dir niederkniee,
Als deinen Sohn empfangen, leg' mir an
Die Waffen des Erschlagnen, denn ich ziehe
Nicht eher heim, als bis du dieß gethan.«
»Ja wohl,« rief Torisend, »ja wohl, o siehe!
Du sollst mein Sohn sein. Auf! Entrollt die Fahn',
Das Schlachtschwert holt, und die von Moderdüften
Umflorte Rüstung reißet aus den Grüften!« –

Die Halle tönt von klagenden Gesängen,
Schwermüthig hört es Torisend und spricht:
»Ein Festlied soll den Trauerklang verdrängen,
Wenn auch des Vaters Herz darüber bricht.
Sieh da, sie kommen, Lämmer in den Fängen
Des Geiers, wie erfüllt ihr eure Pflicht!
Gebt her die Waffen! Mundschenk, hoch den Becher!
Da sitzt mein Sohn jetzt, da sitzt jetzt mein Rächer.

O, wie verwundend scheint die öde Stelle,
Wo der saß, der nun schläft im Todtengrund,
Vergib uns Gast, vergib der bittern Quelle,
Durch Seufzen nur werd' meine Trauer kund!«
In diesem Augenblick betrat die Schwelle
Der zweite seiner Söhne, Kunimund:
»Wen seh ich? meines Bruders Rüstung! Boten
Des Himmels, sendet ihr uns heim die Todten?

Doch nein, der Tod nur hat sich in die Zieren
Des Aeltern eingehüllt! O Uebermuth!
Will der da wie ein Römer triumphiren? –
Mit euren Bändern um die Beine, gut
Ihr Longobarden, gleicht ihr doch den Thieren,
Den Pferden auf der Weide, jeder Stut',
Die weiß am Fuß ist bis zum Schenkel. Gastlich,
Dünkt's euch, nicht wahr, ihr sitzt hier unantastlich?«

Ein Longobarde rief: »Kommt, laßt uns gehen
Hinaus aufs Asfeld, wie wir Pferde dort
Mit unsern Hufen schlugen, könnt ihr sehen,
Dort modern eure Todten noch.« »Fort, fort!«
Schrie Kunimund, »es wird noch auferstehen
Aus ihrem Tod ein Rächer, auf mein Wort!
Herauf die Schwerter, zeigt es diesen Pferden,
Wenn wir ziehn, müssen Scheiden blutig werden.«

»Auf!« schrie'n jetzt die Gepiden, »schon zerspaltet
Die Zornwuth unser Herz.« Die Faust am Knauf,
Erhoben sich die Longobarden: »Haltet!«
Rief Torisend und sprang vom Hochsitz auf:
»Das Gastrecht heilig! O ihr Söhne, faltet
Die Hände, lasset nicht der Rache Lauf!
Mein Frühling ist gestorben, haltet Frieden,
Zurück die Waffen, zähmet euch, Gepiden!«

»So sei's,« sprach Kunimund; »bleibt nur vor euern
Pokalen, Feinde, laßt's vergessen sein!
Kommt, eßt, und laßt uns das Gemüth befeuern
Mit frischer Traubengluth. Schenkt ein, schenkt ein!
Im Grab einst bei Verhaßten oder Theuern,
Vier Mauern schließen endlich Alles ein,
Und ganz umsonst, und ganz wie nie geboren,
Geht unser Dasein wie ein Traum verloren.

Die arme Thräne soll nicht rächen können,
Die herbe Klage steh' nicht wieder auf,
Und niemals wieder sei das Wort zu gönnen
Des Glückes einmal unterbrochnem Lauf.
Es sind die Lichter, die so düster brennen!« –
Die Longobarden, noch die Faust am Knauf,
Besetzten die verlass'ne Tafel wieder,
Und saßen stumm, und starrten vor sich nieder.

Sie saßen da, so schwarz und stumm, das Essen
Ernährte nur die Schlangen in der Brust,
Eiskalt war jedes Wort und abgemessen,
Der Spott saß auf den Lippen schuldbewußt.
Sie suchten zwar den Unmuth zu vergessen,
Doch schlecht gelang's, und Alboin sprach mit Lust:
»Wenn's Frühling wird, dann will ich wiederkommen,
Und Manchem wird das Leben dann genommen.«

Der helle Tag brach an, der Saalhahn krähte,
Dem Frühroth standen auf die Fenster weit,
Die Ritter sprachen was, doch nicht Gebete,
Sie fanden ihre Pferde bald bereit,
Und ritten heim. Als sie vom Thurm erspähte
Des Wächters Blick, ward neue Festlichkeit,
Und bei dem Siegesmahl im alten Schlosse
Ward Alboin des Vaters Tischgenosse.

Um Mitternacht, es zechten noch die Wachen,
Da hörte Alboin ein trabend Roß
Vor seiner Burg, und ein entsetzlich Lachen,
Es gellte wie ein Hohn durch's ganze Schloß.
Er fuhr empor, und noch im Auferwachen
Durchdrang's ihn wie ein kaltes Stahlgeschoß.
»Weh mir,« so schrie er auf, »weh, welche Schmerzen,
Noch nie empfand ich solche Qual im Herzen!«

Zugleich bewegte sich's mit leisem Schweben
Gespenstisch durch's Gemach, und Hand gab Hand,
Und Todtenlipp' schien Gruß und Kuß zu geben,
Vorüber streifte schaurig eine Hand.
Ein Odem schien die Waffen zu beleben,
Ein Stöhnen hob die Rüstung an der Wand,
Steinschwere Schritte drangen ein, und flogen
Im Sturmtanz hin, daß sich die Dielen bogen.

Uralte Fichten im Gebirg und Föhren
Entwurzelte der Sturm, die Felsenschlucht
Schien heulend dem Gesause zuzuhören,
Und winselnd pfiff die Windsbraut in der Luft.
»Will ein Gespenst mein furchtlos Herz bethören?
Ich trotze jedem Zugwind aus der Gruft. –
Da wir Longbarden alle euch erschlagen,
Gepiden, wer sollt' euch zu Grabe tragen?«

»Nichts acht' ich euch und eure Todeswunde,
Der Rabe krächz' euch bis zum Auferstehn!
Wagt zehnmal euch herauf vom Höllengrunde;
Ich trotz' euch, und ich werde doch begehn
Die Hochzeit mit der schönen Rosamunde,
Die schwanweiß ist und lieblich anzusehn;
Nichts sind der Umgekommnen Zauberwerke
Vor meines Armes unverzagter Stärke.«

So sprechend sprang er auf, und ritt zum Jagen,
Die Gletscher leuchteten im Morgenglühn,
Das Schneehorn, unter dem die Nebel lagen,
Sah leuchtend ins Azur, die Gipfel kühn
Umflog der Adler, hoch emporgetragen,
Am Abgrund kreisend; Wolkenblühn
Warf Sonnenlicht hinunter in die Tiefen,
Die einsam, ewig, unermeßlich schliefen.

Vom Grat, aus losgerissnen Felsenstücken
Rollt Steingeriesel in den Strom hinab,
Die Krüppeltanne mit gekrümmtem Rücken
Steht marklos, steinern an des Wachsthums Grab;
Sie schlägt die Wurzeln aus, dem Gießbach Brücken
Im Frühjahr, das ihr keinen Trieb mehr gab.
Der Pflanze Leben, die hier nichts mehr findet,
Stirbt in dem Stein, umschlingt ihn, und verschwindet.

Dort steigt empor die Gemse, die geschwinde,
Und trinkt den Thau vom Alpenrosenschooß,
Dort thront der Steinbock, schlürft die Morgenwinde
Auf höchstem Felsengipfel regungslos,
Und wetzt sein Horn, benagt die Erlenrinde,
Und nagt genügsam an dem zarten Moos.
Er scheint den Felsen um ihn her zu gleichen.
Erstorbner Urwelt abgewesten Leichen.

Den grauen Fittig schlagen an den Jochen
Mit freudigem Gekreisch die Geier laut,
Und nagen an dem Rest zerschellter Knochen.
Welch ein Geschlecht hat da hinaufgebaut,
Und solche Höhlen in den Stein gebrochen?
Es ist als ob ihr Geist herniederschaut;
Den Trotz von einer Vorwelt Riesensippe
Bezeugen noch die steinernen Gerippe.

Und hier nun jagend in des Todes Reichen
Spornt Alboin sein Pferd zum Abgrund vor;
Er freute sich des Adlers Flug zu gleichen,
Es flog mit ihm sein stolzer Muth empor.
Dann mit der Beute bei des Tags Erbleichen
Ins Schloß dann ritt er durch das hohe Thor,
Und jubelnd Volk, und Diener und Vasallen
Empfingen ihn mit Lied und Hörnerschallen.

Dann ward ein Mahl gefeiert, stolz und prächtig,
Der Götter Zeiten wurde froh gedacht,
Aus eichner Kanne, aus dem Methhorn mächtig
Ward Thor und Odin Weihtrank dargebracht,
Wie Hertha's Schleier blitzten mitternächtig
Der Schneewand Kuppen, mondhell aus dem Gacht;
Es mahnte noch an Nordlands Jul' und Jänner
Der Alpenschnee die Longobardenmänner. –

Es war ein Jahr vorüber, da verschieden
Die Greise Turisend und Audoin,
Und Kunimund ward König der Gepiden,
Der Langobarden König Alboin.
Die brachen nun den kaum geschlossnen Frieden,
Denn beide Herzen hatten nicht verziehn,
Und Kunimund schwur bei der Todtenwache
An seines Vaters Grab den Schwur der Rache.

Es schlug in ihm eins jener finstern Herzen,
Die treu der Liebe sind, dem Haß noch mehr,
Die nicht vergessen können, nicht verschmerzen.
Er sammelte sich bald ein mächtig Heer,
Und zog ins Feld, die Scharte auszumerzen:
»Geist des erschlagnen Bruders, hör's, ich schwör':
Den Alboin, den noch mit hellem Glanze
Dein Rüstzeug schmückt, ihn tödte diese Lanze!«

Auf dieß ließ sich auch Alboin umgürten
Das Schwert des Torismod, und zog zum Kampf.
Sie trafen sich. Auf schwarzem, weißgeschirrten
Streithengst ritt Kunimund. Jetzt scholl Gestampf,
Anprall und Handgemeng, Pfeilwolken schwirrten,
Die Eschen zitterten im Todeskrampf,
Posaunen heulten, Pauken, und gebogen
Heerhörner, hoch vom Bannerwehn umflogen. –

Die Nacht hielt des Gepiden letzte Stunde,
Und sein enthelmtes Haupt in ihrem Schooß,
Und mit ihm ging sein ganzes Volk zu Grunde;
Was nicht erschlagen, wurde waffenlos
Dem Sieger vorgeführt, auch Rosamunde,
Die Tochter Kunimunds; sie trug ihr Loos
Mit hohem Stolz, sie stund vor ihm gefangen,
Gesenkten Blicks, mit leichenblassen Wangen.

Es war im Spätherbst, rauh schon wehten Winde,
Saumthiere langten von Italien an,
Da sprach er sanft: »Glaub mir, daß ich's empfinde,
Welch Leid ich dir, o Huldin, angethan.
Ich biete dir, wie einem kranken Kinde
Hesperiens Gold dafür zum Ballspiel. Bahn
Schafft uns dorthin ein Heer, dort hoff' ich, fächeln
Die Lüfte dir ins wunde Herz ein Lächeln.«

»O,« seufzte Rosamunde: »Herr verschone
Mit Freuden, tödte lieber deine Magd!
Ich glaube nicht, daß unter einer Zone
Für mich noch je ein froher Morgen tagt.
Doch dort sind Schlangen, dort sind Scorpione,
Die fürchte!« »Um so mehr nun sei's gewagt!«
Rief Alboin, »Mein bist du, mein, ich führe
Dich mit mir nach Italien, du Wallkyre!« –

Das alte Land ward nun sofort verlassen,
Und Alboin mit allem Volke zog
Nach Süden; als er mit den Heeresmassen
Auf einem Berge hielt, da überflog
Sein Blick das Meer, und schien es zu umfassen,
Das reizend sich in blaue Buchten bog,
Rings war noch rauh Gebirg, und Riesenthiere,
Die Büffel grasten da, die Bisonstiere.

»Hier, Sonne! bin ich, gib im Sommer Ernten,
Und gib im Herbst uns in die Keltern Wein!
Die Gärten winken uns mit süßgekernten,
Mit goldnen Früchten winkt der dunkle Hain.
Laß uns vergessen, was im Krieg wir lernten,
Und lehr' uns auch bei Tanz und Spiel zu sein!«
Sprach's Alboin, und zog in das ersehnte
Italien, siegt' und herrschte, und belehnte.

Ticinum, das ihm mondenlang und weiter
Nachdrücklich widerstund, verschwor er ganz
Dem Untergang, und da nun seine Streiter
Einzogen durch das Thor im Waffenglanz,
Da stund sein Roß und trotzte seinem Reiter,
Es bäumte sich, und schüttelte den Kranz;
»Das Thier hat Mitleid,« sprach ein Longobarde,
Und wies durch's Thor mit seiner Hellebarde.

»Entsage deinem sündigen Versprechen,
Denk', daß ein christlich Volk um Gnade fleht,«
Und Alboin sprach: »Ja! ich will nicht rächen,«
Da folgte ihm sein Roß, als wär's befreit,
Als freu' es sich, nicht in ergossnen Bächen
Erschlagener gehn zu müssen; dicht gereiht
Umgab das Volk ihn, und er führte weiter,
Und nach Verona fürbaß seine Streiter.

Kalt war die Nacht, und gellend pfiff das Sausen
Des Nordwinds von den Gipfeln um den See,
Den Baum, der einsam stund, befiel ein Grausen,
Er bebte wie vor innerlichem Weh,
Die Wölfe bellten laut in ihren Klausen,
Im Schloßhof zu Verona lag der Schnee,
Bei Tischgeräth, und Leuchtern aus Gebeinen,
Hielt Alboin ein Mahl mit all den Seinen.

Auch Rosamunde, doch wie eine Todte,
Saß bei dem Mahl, ins Kleid wie eingeschraubt,
Denn all das Silber und das Gold, das rothe,
War's nicht aus ihrem eignen Haus geraubt?
Es war, als lägen ihr im Mark die Lothe,
Als drückte sie's wie Dornen auf das Haupt,
Und ihre Augen, krank von vielem Weinen,
Sah'n starr gleich eingesetzten Edelsteinen.

Sie hatte nicht ein Lächeln, wenn er lachte,
Sie gab ihm weder Gruß zurück noch Dank,
Da sprang er ungeduldig auf; man brachte
Ein beinern Trinkgefäß aus seinem Schrank;
Es war der Schädel ihres Vaters. »Schmachte
Nicht länger,« rief er aus, »hier ist ein Trank,
Der jedes Leid verscheucht, es klebt vom Staube
An diesem Becher nichts mehr, trink nur, Taube!«

Und Antwort gab sie ihm mit bleichem Munde:
»Ja, Longobarde, ja, ich leer' mit dir
Des Todes Sinnbild, eingedenk der Stunde,
Der dunklen, die noch nahet dir wie mir.
Ich trink' aus meines Vaters Todeswunde,
Mit seines Blutes Wellen, die noch hier,
Wie einst in diesen ausgehöhlten Knochen,
Doch mir nur sichtbar, um die Schläfe pochen.

Ach!« seufzte sie, »ach, Qualerinnerungen!« –
Doch Alboin versetzte: »Kind, der schweigt!
Zur Freude nur, zur Hochzeit angeklungen!
Küß diesen Todtenkopf! Sei mir geneigt!
Und sag', hat mich dir nichts vorausgesungen?
Hat mich kein Ahnen dir vorausgezeigt?
Trink', Königin! schenk' einst mir Heldensöhne!« –
»Mir ist's,« sprach sie, »als ob dieß Haupt noch stöhne.

Es fordert,« fuhr sie fort, »daß wir betrachten,
Und zwar mit Ernst, wie alles untergeht,
Der Liebe Glück, der hohe Ruhm der Schlachten,
Wie nichts der Zeiten Andrang widersteht,
Als etwas, das wir nur zu wenig achten,
Das wahrhaft gute Werk und das Gebet;
Ist dieß ein Mahl, so mit dem Tod zu spotten,
Als wär' kein Gott, euch Alle auszurotten?«

»Ach!« lachte Alboin, »welch Herz erzittert,
So lang noch Trauben bluten? Wiedersehn?
Hier ist's! Wär' dieser Schädel längst verwittert,
So würd' er nichts mehr haben, nirgendwen,
Der mit ihm trinkt. Mir hat noch nie verbittert
Sein hohler Blick die Freude. Laß uns gehn!«
Er sprach es, und verließ mit ihr am Arme
Das Mahl, begleitet von der Diener Schwarme.

Zum Garten durch den Kreuzgang, wo geblähte
Molchköpfe grinsten, vor den Altarthron
Schritt Rosamund: »Nun, Demuth, knie und bete!
O unermeßlich ist der Knechtschaft Hohn!
Was soll ich thun? Nur Schmach wohin ich trete!
Ich denk, ich dien' wie eine Magd um Lohn.«
Am Weg lag eine Blindschleich': »Blinde Kleine,«
Sprach Rosamund, »verrath' nicht, daß ich weine!«

Sie hatte welke Blumen, Kreuzessplitter,
Und goldne Kettchen irgendwo im Schrein,
Der König kam dazu: »Warum den Flitter?
Es ist nicht gut, es läßt zu sehr allein.
Und was für Kräuter sind dieß, sind sie bitter?
Sind sie geeignet für die Arzenei'n?« –
»Nur welke Rosen,« sprach sie, »willst du's haben?
Sie welkten, da mein Vater ward begraben.«

»Ich möchte nicht, daß du vor jemand stündest,
Den du nicht anschau'n könntest. Lügst du nicht?«
Frug Alboin, »gesteh', wenn du was findest,
Was gegen mich in deinem Busen spricht,
Wenn du dich heimlich gegen mich verbündest?« –
»O nein, bei Gottes ewigem Gericht!«
Gab sie zurück, »doch sag', wohin soll's führen,
Mir bis in diese Winkel nachzuspüren?«

»O Weib,« versetzte Alboin, »nur Klagen
Sind alles, was du deinem Gatten schenkst!
Viel besser wär's, du möchtest mit mir jagen,
Anstatt zu beten. Nun, ich weiß, du denkst
An deine Todten, und ich muß dir sagen,
Daß du dein Haupt umsonst in Gram versenkst.
Ich muß bald in den Kampf, mein süßes Leben,
Du könntest wohl für mich ein Nothhemd weben.«

»Ein Nothhemd? Gut! denn du sollst immer siegen,
Statt dich zu treffen, müss' der Pfeil sich drehn,
Und abseits, und hinab zur Hölle fliegen!
Die Hölle ruf ich an, mir beizustehn –
Hört uns Helmichis?« – »O der ist verschwiegen,
Eh dürften Erd' und Himmel untergehn,
Als dessen Treu' und deine. – Darf ich's sagen?
Du liebst mich? Ja! die Falken! Laß uns jagen!«

Helmichis, dachte sie, sein Waffenträger,
Der Einzige, mit dem er gerne trinkt;
Doch welcher Mann hat nicht auch einen Kläger,
In Dessen Herz, der ihm der treuste dünkt?
Drei Jahre! Wurde mein Entschluß nun träger?
Schmach einer Hoffnung, die zu Boden sinkt.
Wer da noch wankt, wo Alles zu gewinnen,
Wo Alles auf dem Spiel steht, ist von Sinnen.

»Liebst du dieß hölzern Bild vor deiner Stube?«
Sprach sie zu ihm, als sie ihn einstens traf,
Da seine Morgenandacht sang der Bube.
»Dieß Bild?« Er stammelte: »Du bist doch brav?
Dein Herz ist rein, und keine Mördergrube?
Du wirst vielleicht ein Herzog oder Graf –
Willst du den Alboin zu tödten wagen?« –
»Was sagst du mir?« – »Ich geb dir auf drei Fragen.

Was brennt wohl heißer als ein brennend Feuer?
Und was ist tiefer als die Meeresfluth?
Und was ist größer als ein Ungeheuer?« –
»O heißer brennt in euch die böse Gluth,
Und tiefer ist als Meer ein Sinn, ein treuer,
Und größer als ein Ungeheuer – Muth.
Ich dien' dem Herrgott, nicht den falschen Frauen,
Dem Peredeo kannst du dich vertrauen.«

»Der Feenkönig!« sprach sie zu den Mägden,
»Zu große Stärke, scheint's, wird noch sein Fall.
Habt ihr gesehen, die Knochen, die zersägten?
Sie trinken draus. Wie heißt dort der Vasall?
Helmichis. Ah! so sagt ihm, wir erwägten,
Daß muntre Pferde stehn in unsrem Stall.
Er muß es thun, es ist nicht mehr zu frühe,
Ein Gott verdirbt die Menschen ohne Mühe.«

»Du liebtest eine meiner Dienerinnen?
Komm nicht zu spät, die Thür bleibt auf heut Nacht!«
Und als es Dämmrung ward, als auf den Zinnen
Die Sterne glänzten, schlüpfte still und sacht
Helmichis in die Kammer. Beim Beginnen
Des Tages sprach's zu ihm: »Steh auf, gib Acht,
Heut ist ein Danielstag, weißt du, Verräther,
Bei wem du schliefst? Bei mir, du Missethäter!«

»Wen seh' ich?« rief er aus, »ich bin verloren!« –
»Noch nicht, du tödtest nur den Alboin,
Und wirst mein Herr, als wie dazu geboren.« –
»O du Gepidenweib, wo denkst du hin?
Den Alboin, der dein Gemahl, erkoren
Vom Volk, mein König ist.« – »Ich soll wohl knien?
Die Leiden des Verlustes unsrer Ehre
Verlangen diese That, ich will es, schwöre!«

»So sag' – muß, was geschehn soll, bald geschehen?« –
»Sobald du Muth hast.« – »Gut, ich bin dein Knecht.
Die Furcht vor dir entschuldigt mein Vergehen,
Was noch an mir, gehört nur dein mit Recht.«
Er ging, sie rief: »Auf baldig Wiedersehen!« –
»Die That muß bald geschehn. Es schmeckt dir schlecht?« –
»O nein, ich folg' dir ohne Widersträuben,
Ich war ein Thor, so lang getreu zu bleiben.«

Es war zur Mittagszeit, es war zur Stunde,
Von der es heißt, da schlaf' im Haine Pan.
Cypressen um die steinerne Rotunde,
Der Lorbeerhain, des Sees azurner Plan,
Wie still war Alles! Nur im Schattengrunde
Rauscht' noch ein Quell, es krähte fern ein Hahn,
Und wagt's ein Lufthauch nur sich zu erheben,
Gleich sahen sich die Blumen um mit Beben.

Auf seinem Lager ruhte wie gewöhnlich
Der Longobarde. Rosamunde kam
Mit Klytämnestra-Schritten, unversöhnlich.
Sie band, indem sie alle Waffen nahm,
Sein Schwert an Pfosten seines Bettes. »Sehnlich
Erharrt' ich euch, jetzt ist der Löwe zahm.«
Sie führt die Mörder an das Lager: »Schlachtet!
Er ist berauscht, sein Sinn ist tief umnachtet.«

Nach seinem Halse zückt schon – soll er leiden? –
Helmichis mit dem Dolch, er schwankt; da weckt
Den König das Geräusch. »Seid ihr's, ihr Beiden?«
Er sucht sein Schwert: »Wer hat es mir versteckt?
O also, also!« seufzt er im Verscheiden –
Ein Schemel, den er vor sich ausgestreckt,
War seine letzte Waffe. »Simson! Muthig
Hast du's vollbracht, da sieh, mein Kleid ist blutig!«

»Ein Tropfe blut'gen Thau's, ein Scherflein Rache
Vor allen Longobarden, aber laut
Will ich's verkünden, daß ich jauchz' und lache,
Da todt ist, der mich nicht wie eine Braut,
Der mich Gefangene, wie eine Sache,
Sich trotz der Meinen Leichen angetraut.
So siegte Judith!« – »Schweig, du Valändine,«
Rief jetzt Helmichis, »denk' an eine Sühne!«

Der Leichnam Alboins ward unter Klagen
Zur Gruft gebracht. Das Volk nahm seinen Tod
Mit Zorn und Schmerz auf, und nach wenig Tagen
Sah'n überall die Mörder sich bedroht.
Sein Angedenken lebte fort in Sagen,
Es klang jahrhundertlang in Glück und Noth,
Sein Thatenruhm erscholl vom Sängermunde
Auf jedem Schloß, an jeder Tafelrunde.

Ein Monat seit dem Morde war verstrichen,
Der Glühwurm funkelte durch's Gras im Thau,
Und Rosamunda und Helmichis schlichen
Nachts aus Verona's altem Römerbau.
Die Pferde flogen. – Längs den Küstenstrichen
Ravenna's kam ein Schiff im Morgengrau,
Die Flüchtigen sammt ihren Kostbarkeiten
Nach Griechenland in Sicherheit zu leiten.

Sie kamen nach Ravenna. Hier befahl
Der griechische Exarch, ein schwarzer Tiger,
So schön als tückisch, ein Sardanapal
In seinem Haus, im Feld ein tapfrer Krieger.
Er würzte stets mit einem Liebesmahl
Den Henkertod, er schien ein güt'ger Sieger,
Und war ein harter Knecht. Die letzte Stunde
Schlug, als er sie gesehn, für Rosamunde.

Voll trunknen Stolzes in den ersten Wochen
Empfing sie ihn, voll Lust und Herrschbegier,
Sie angelte, kaum daß er sie gesprochen,
Mit jedem Blick nach ihm. »Leb' ich denn mir,
So lang Helmichis lebt? O wär' gebrochen
Der falsche Bund, das Dort ist nicht mehr Hier,
Das Einst ist nicht mehr Jetzt, das mit dem Bösen
Geschlung'ne Bündniß wär' es aufzulösen!

Ja, gestern war der Tag – ich sollte zählen
Nach Nächten, nicht nach Tagen, so wie die,
Die hoch im Nord, wo Licht und Wärme fehlen,
Ihr Leben trüb verträumen. Ich verzieh,
Ich zaudre, nützt es was, sich abzuquälen?
Der Grieche liebt, ihn lieben werd' ich nie!
Doch mit ihm fliehn? Helmichis nur, der Drache,
Bewacht mich wie ein Argus. O ich Schwache!

Ja dann erst nach Byzanz die Anker lichten! –
Wer seine Sklaven lieben heißt, kommt um.
Der reinen Bitterkeit gehören Pflichten,
Und wer gehorchen muß, gehorche stumm!«
Helmichis kam: »Hast du was auszurichten?
Du kommst vom Bade? Dürstet dich?« – »Warum?
Was hast du? Cyprer? Geht's mit uns zu Ende?
Der Grieche bringt dir immer reichre Spende.

Was siehst du? Siehst du's nicht, ein Schatten
Bewegt sich an der Mauer, kennst du ihn?
Den Schatten deß, den wir ermordet hatten?« –
»Ich trink', Heil Longobardenkönigin! –
Ich weiß nicht wie, ein tödtliches Ermatten
Bewältigt mich, wie? was? War Gift darin?
So trink' und stirb mit mir, trink' aus, du feige
Gistmisch'rin, sonst den Dolch! Trink' auf die Neige!«

Der Sturm schlug lang noch dumpf die Meereswelle
Ans brausende Gestad; im öden Haus
War Alles still, der Lichter letzte Helle
Verloderte allmählig, Nacht und Graus
War auf den Stühlen, auf der Fensterschwelle,
Der Schuld Gespenster schlüpften ein und aus,
Und auf dem kalten Marmor-Estrich lagen
Die beiden Todten, ohne Kreuz und Schragen.

Doch unten kam zur anberaumten Stunde
Mit Fackeln und Musik, im Festgewand
Der griechische Exarch: »Hier, Rosamunde,
Dein Retter!« rief er: »Komm! nach Griechenland!«
Er trat herein, das Wort auf seinem Munde
Erstarb, die Fackel sank aus seiner Hand.
Das Haus erklang vom Hochzeitfestgesange,
Und zischend auf ihn los fuhr eine Schlange.

Er nahm den Kranz vom Haupt, die Diener trugen
In Goldgefäßen auf ein reiches Mahl.
Der Tisch bog sich, und Aller Blicke frugen:
Hielt hier der Tod sein großes Bacchanal?
Doch draußen lauter und gewalt'ger schlugen
Die Wellen ans Gestad im Wetterstrahl,
Als tosten noch im Nachhall um die Thürme
Der Völkerwandrung Fluth und ihre Stürme.

 

* * *


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