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Vierter Gesang.
Audogar und Sigune.

Zurückgekehrt indeß und froh empfangen
War in Ausonius Haus zu jener Zeit
Sein Pflegekind in schönstem Jugend prangen,
Voll ernster Anmuth, strenger Lieblichkeit,
Und wieder wie vordem nun lasen, sangen
Und schrieben sie, und wieder war geweiht
Den Musen jeder Tag, sie sahn und hörten
Die Stürme nicht, die Alles rings zerstörten.

Am höchsten ehrten sie Virgils Gedichte:
»O welch ein Geist voll edler Reinheit weht
Aus jedem seiner Worte! Ganz im Lichte
Von Himmelshöhen ragt er, ein Prophet.
Hier ruhn,« sprach oft Ausonius, »Gesichte
Von einer Welt, die erst nach uns entsteht,
Von einer menschlich sanften, reinen Sitte,
Die Gottes Liebe trägt in ihrer Mitte.

Der Fabeln Traumreich ist dem Tag erlegen,
Und wir sind Grund und Boden für die Saat,
Und nur bestimmt der Zukunft Keim zu hegen.
Ein anderes Geschlecht entsprießt zur That,
Das Volk, von dem du stammst, erfährt den Segen;
Wenn seine Kraft bisher auch nur zertrat,
Gleich einer Taube mit dem Schneegefieder
Auf blutgetränkte Felder schwebt es nieder.

Bist du doch selbst ein Vorbild uns geworden
Von jener Menschheit bessrem Zukunftsbild.
Ich seh' durch jenes rauhe Wehn von Norden
Gereinigter die Luft und das Gefild.
Lehr' Einfachheit das Beispiel jener Horden,
Und ihre Wildheit sei der starke Schild
Der Tugenden, die zwischen Zelt und Rossen
Wie Heideblumen frisch und duftig sprossen.«

Begeistert sprach's der Greis, erlöschend baute
Sein Geist noch aus dem Schutt der alten Welt
Die Hoffnung einer neuen, sterbend schaute
Sein Blick ins Künft'ge noch, von Trost erhellt.
Und als er nicht mehr war, als seine Laute
Verstummt war an dem Strom, der sie geschwellt,
Wie öde stund jetzt vor Sigunes Trauer
Der Villa Glanz, wie düster jede Mauer!

Betrübten Herzens saß sie gramversunken
An seines Grabmals Stufen einst allein,
Sah glitzern auf dem Fluß des Sonnlichts Funken,
Und lehnte weinend an dem Marmorstein;
Auf einmal scholl es wild und siegestrunken
Rings um sie her, und plötzlich auf sie ein
Drang eine Schaar von Frau'n, gewalt'ge Weiber,
In Felle eingehüllt die ries'gen Leiber.

Ein Angstgefühl in ihrem Innern sagte
Ihr deutlich an, daß sie Gefangne sei,
Und als sie sich ergriffen sah, sie wagte
Kein Widerstehn und keinen Hülfeschrei –
Der Weiber eine, die vor allen ragte,
Riß ihr vom Hals das Kreuz und brach's entzwei,
Warf ihr ein Wolfsfell um, und zog die Bange
Mit fort und nach dem Strom in raschem Gange.

Am Ufer stund im Kahn zum Uebersetzen
Ein Ferge langgelockt mit rothem Bart.
Sigune sah zurück und Thränen netzen
Ihr Angesicht, als sie den Rauch gewahrt,
Der aus der Villa drang, und voll Entsetzen
Das Haus in Flammen schaut, die ihrer Fahrt
Zu leuchten scheinen, oder nachzurollen
Bald wie mit Grüßen, bald als wie mit Grollen.

Doch weiter flog der Kahn, vom Strom umbrandet,
Die Höhn entflohen fern in Rauch und Brand.
Von dannen ging's, sobald man angelandet,
Zu Roß und Wagen über Hügelland,
Bis wo der Rheinstrom an sein Ufer brandet.
Hierauf umfing sie Wald, der Tag entschwand
Und durch der Tannen dunkelgrüne Feuchte
Schien oben mitzuziehn des Mondes Leuchte.

Zuweilen war es ihr, als säh' sie neben
Und vor sich her und über ihr dahin
Gestalten wehn, und Luftgebilde schweben;
Wenn eine Lichtung in dem Wald erschien,
Bekam die dunkle Gegend ringsum Leben;
Sie sah ein Heer an sich vorüberziehn,
Gepanzerte, und Andre, aufgebunden
Das Haupthaar, und gefolgt von großen Hunden.

Zuletzt, und nahe jetzt dem Ziel der Reise
Erschien ein lichter Raum; der Wald umgab
Ein freies Feld und hier im Schattenkreise
Uralter Bäume lag ein offnes Grab,
Davor ein Steinaltar, und eine Greise
Saß auf den Stufen, einen Runenstab
In ihrer Hand, und schien nur zu gewahren
Die Zeichen, die darein geschnitten waren.

Von mächtigem Getös – bald Waffenklirren,
Bald murmelnder Gesang – erscholl der Hain,
Sigune ließ die Blicke zagend irren,
Und als sie nun genaht dem Opferstein,
Da sah sie sich ihr dunkles Loos entwirren.
»Zum Tode,« sprach sie, »ja so wird es sein!«
Auf einer von den alten Linden ruhte
Ihr Blick – wie ward ihr wunderbar zu Muthe!

War's nicht der Baum, ach, unter dessen Zweigen
Ihr Jugenddasein einst so schön verfloß.
Lang starrt sie hin, und endlich löst das Schweigen
Ein Wort, das aus der Seele tiefstem Schooß
Hervorbrach, wo nur ihr allein es eigen
Und schlummernd lag und alles in sich schloß,
Was treue Stimmen dort sich anvertrauten;
Ein Wort, in ihrer Muttersprache Lauten.

»Ach Hertha!« rief voll sehnlichem Verlangen
Die Arme, hob ihr bleiches Haupt empor,
Und Thränen rannen über ihre Wangen,
Dann sank sie brechend wie ein zartes Rohr
Und wie entseelt zur Erde. Jetzt erklangen
Schlachthörner durch den Wald, und stolz hervor
Kam Arbogast gerüstet und inmitten
Erles'ner Krieger, zum Altar geritten.

»Nicht, daß ihr Blut den Göttern sei vergossen,
Gab ich zurück die Tochter eures Gau's
Dem Volk, aus dem ihr edler Stamm entsprossen.
Wenn auch verödet liegt ihr Heimathhaus,
Und todt ist, was sie liebend dort umschlossen.
Sie leb' und herrsche!« – »Fort! und sprich nicht aus.
Weh!« riefen die Druiden, »hört es Raben,
Die Götter sollen nicht ihr Opfer haben!

Nach ihr verlangt, erfüllend unsre Schwüre,
Der Götter und des Volkes alter Bund;
Nach ihr, die uns entfremdet ward. Es führe
Der Tod sie heim, und öffne tief im Grund
Zur Heimath ihr die langverschlossne Thüre!« –
Sie riefen es, und vor dem Feldherrn stund
Sein eignes Heer mit vorgehaltnen Speeren,
Um ihm Sigunens Rettung zu verwehren.

Doch als jetzt hob sein Steinbeil der Druide,
Erschien der Hertha Priesterin, umschlang
Sigunen, nahm sie auf und sprach: »Ich friede,
Ich wehre Blut von Herthas Segensgang.
Es klingt zu mir aus einem fernen Liede
Die Sage von der Götter Untergang.
Dieß aber wird geschehen, wenn auf Erden
Verrath und Mord und Meineid herrschen werden.

Verschwistert ist dieß Mädchen unsrem Blute,
Ein grauser Mord wär' ihre Opferung.
Den Göttern aber helft mit eurem Muthe
Ihr Kämpen hier, so stark und heldenjung!«
Sie sprach's und die in ihrem Arme ruhte,
Umfing sie rasch, und hob mit starkem Schwung
Sie neben sich und in den heil'gen Wagen,
Auf dem die Göttin Hertha ward getragen.

Als auf jetzt stunden ihre weißen Kühe,
Die goldgehörnten, und zum Waldesschooß
Die Sonne schien in heller Morgenfrühe,
Durchzitternd Laub und Gras und grünes Moos,
Da war es jedem Blick als ob erblühe
Ein Feiertag der Erde wolkenlos –
Wie jener erste war, der nieder streute
Den Strom des Lichts, in dem sich Alles freute.

»Heil Hertha dir und deinem Segenspfade!« –
Begrüßte sie das Volk – »du weihst den Pflug,
Du lehrst am Rocken, und du füllst die Lade
Mit Leinen; Feldern schenkst du Frucht genug.
Du fährst, es geht dein Schiff auf einem Rade,
Und Elfen sind um dich bei deinem Zug.
Du hast das Kind, das wieder heimgekommen,
Zu dir in deinen frommen Schutz genommen.«

Sein schäumend Roß ritt Arbogast zur Seite
Des Wagens und begann; »Behütet mir
Die Maid, denn kehr' ich heim dereinst vom Streite,
So wird sie mein. Auf dieser Stelle hier
Will ich sie frei'n, wo Hertha sie befreite;
Für dunkles Laub wird ihrer Locken Zier
Ein Schmuck von Rosen sein; ihr Dienerinnen
Der Göttin, mögt indeß ihr Brautkleid spinnen.«

Hersausend durch den Wald, rief ihn von dannen
Geschwungner Banner Wehn und Hörnerklang.
Vorüber schritt sein Heerzug, Alemannen,
Burgunden, Sueven; alle Höhn entlang.
Mit großen Schilden Reiter vor Gespannen,
Mit Eichenlaub geschmückt beim Schlachtgesang.
Doch fern indeß war über Feld und Wogen
In Berge Herthas Wagen fortgezogen.

Und zu dem Felsenheiligthum geleitet
Sprach zu Sigunen ihre Retterin;
»Hier endlich ist ein Schutzort dir bereitet
Vor deinen Feinden, deren wilder Sinn
Nicht Milde kennt, wie der, der für sie streitet.«
Sie hielt, indem sie sprach, voll Mitleid inn' –
Den Arm um ihres Schützlings Nacken schlingend,
Und diese sprach, mit ihren Thränen ringend:

»Ich sollte freilich nicht den Tag beweinen,
Der mich nach Jahren wieder heimgebracht,
Um mich beinah den Todten zu vereinen.
Mein ist ja nur was ruht in Grabesnacht,
Doch solltest du als Engel mir erscheinen!
Denn meines Bruders hatt' ich noch gedacht,
Deß Lebenszeit wohl noch hienieden dauert,
Der mein gedenkt und mich vielleicht betrauert.«

»Gerettet hat dich Höh'rer Macht und Wille.
Entfremdet zwar, bist doch ihr Kind auch du!
Nun komm mit mir, es lade dich die Stille,
Die dieses Haus umwebt, zu sanfter Ruh.«
So sprach zu ihr die nordische Sibylle
Und führte sie dem weichen Lager zu,
In laubumwachs'ner Grotte. Dort um beide
Schlang bald sich süßer Schlaf nach all dem Leide.

Sigunen aber trug auf leisen Flügeln
Der Traum hinweg und ließ sie ferne schaun
In einem Thal, umgrenzt von Tannenhügeln,
Zwei Heere sich beim ersten Dämmergraun
Zum Kampf begegnen mit verhängten Zügeln.
Dabei von Kriegesmühn und Sonne braun
Erschien auch Audogar vor vielen Schaaren,
Die alle seinem Wink gehorsam waren.

Nach einer Schlacht, der letzten von den vielen,
Worin mit Völkern aus der halben Welt
Zwei Herrscher um den Thron der Erde spielen,
Bis in des Einen Hand die Kugel fällt,
Und Hand und Haupt des Gegenkaisers fielen.
Nach solcher grimmen Schlacht sah vor dem Zelt
Des Theodosius man Wache halten,
Den Stilico und Alarich, den Balten.

Es war die Nacht nach schwerer Niederlage,
Für Theodosius die längste Nacht;
Erlegen war sein Heer an diesem Tage
Eugens und Arbogasts vereinter Macht.
Doch, daß nicht all der Seinen Muth verzage,
So war sein ganzes Herz darauf bedacht
Womit er würdig lohn' der Gothen Treue,
Und wie er Tags darauf die Schlacht erneue.

Es glitt das Bild der jüngstvergangnen Zeiten
Vor seinem schlummerlosen Geist dahin,
Als unbemerkt von ihm, mit leisem Schreiten
Ein Mann in sklavischem Gewand erschien.
Er suchte scheu den Blick auf sich zu leiten,
Und Theodosius rief; »Bist du's, Rufin?«
»O Herr,« sprach der, »vom Feinde wider Hoffen
Sind Friedensanerbieten eingetroffen.«

Er sah sich um, behutsam näher rückend,
Und flüsternd fuhr er fort: »Es ist Eugen,
Du weißt – ein Römer, und er fühlt wie drückend
Die Hülfe der Barbaren ist; sie stehn –
Die Einen hier, und deine Reihen schmückend,
Die Andern dort, und leicht läßt sich ersehn,
Daß ihr sie müßt sich gegenseitig fassen
Und sich einander selbst vernichten lassen.

Auf welche Seite sich der Sieg dann neige,
Das Größte wird erreicht – wir werden los
Sie, die allein, glaub' meinem Fingerzeige,
Roms wahre Feinde sind.« Doch ernst und groß
Sprach Theodosius: »Sieh da, der Feige,
Obwohl der Tag mit seinem Siege schloß,
So will er dennoch gegen alle Pflichten
Das Volk, das ihm den Sieg errang – vernichten.

»Bedenk' es wohl« – erwiederte der Schlaue –
»Der Feind, der heute noch großmüthig ist,
Entbietet dir den Frieden.« – »Ich vertraue
Dem Kreuze,« sprach der Kaiser, »als ein Christ.
Indem ich Das auf meinen Fahnen schaue,
Erfüllt mich's mit der Zuversicht, daß List
Und Untreu fallen muß, dagegen Treue
Und Opfermuth den höchsten Sieg erneue.«

»Wann hielten uns doch Treue die Barbaren?«
Versetzte rasch Rufin; »ich glaube nie.«
»Es war« – sprach Theodosius – »vor Jahren,
Als ich der Gothen Flehn Erhörung lieh,
Als sie von meinem Schwert bezwungen waren,
Und ich die Fehden gegen uns verzieh';
Athanarich, der nun dahin gegangen,
Ihr König ward als Gast von mir empfangen.

Ich lud ihn nach Byzanz; als er es schaute,
Da rief er von Bewundrung nimmer satt:
›Was ich dem Ruf zu glauben nicht getraute,
Ich seh' es wirklich jetzt – welch eine Stadt!
O welche Macht, die solche Werke baute,
Die solche Schiffe, solchen Reichthum hat,
So viele Völker zählt verschiedner Stämme,
Und Allen Schranken setzt und Allen Dämme!

Ja,‹ fuhr er fort – sich zu den Seinen wendend,
›Ein Gott auf Erden ist der Kaiser, glaubt;
In Fülle seiner Macht, nur Segen spendend;
Wer aber Trotz ihm bietet, der beraubt
Sich selbst des Lebens und des Lichts.‹ Vollendend
Sein Wort, erhob den Helm vom greisen Haupt
Der Gothenfürst, und seine himmelblauen
Und großen Augen strahlten vor Vertrauen.

Mich freuten mehr als tausend Schmeicheleien
Sein so gerades Wort, sein offner Sinn.
Und ich beschloß mich diesem Volk zu weihen.
Für alle Welt hofft' ich daraus Gewinn.
Doch sah ich's auch in Fehde sich entzweien.
Des einen Theiles Stolz bestund darin:
Zu halten die gelobten Treuversprechen,
Des andern: alle Bande zu zerbrechen.

Es war nicht lang nach dem Begräbnißtage
Athanarichs, den ich bestatten hieß,
Wie keinen König noch. Am Sarkophage,
Den ich mein siegreich Heer umreiten ließ,
Brannt' Tag und Nacht die Gluth der Fackeln, Klage
Scholl von der Hörner Klang; ich selbst bewies,
Indem ich folgte seinem Sarg, die Trauer,
Der ich ihn werth hielt in der Ehren Dauer.

Und beim Gelag, zu dem herangezogen
Die Gothenführer, hob den Goldpokal
Erst Eriulf und rief: ›Als Schwert und Speer und Bogen
Uns über Alles war, noch in dem Thal,
Das jenseits liegt der Donau raschen Wogen,
War König über uns durch Volkes Wahl
Der Vater dessen, den wir hier begraben,
Und dieser führte einst zum Strom den Knaben.

Er ließ ihn hier ins römische Gestade
Hinüberschaun und nahm ihm ab den Schwur;
Er wolle nie, ob Gunst, ob Glück ihn lade,
Ja nie das römische Gebiet, auch nur
Auf einen Tag betreten. Ihm nun gnade
Sein Gott, daß ihm als Kind ein Eid entfuhr,
Den er nicht konnt erfüllen; aber Schande
Auf jeden, der nach ihm sich fügt in Bande.

Ihr seid verkauft um Sold wie eine Waare.
Ein Weib – ein Feigling, wer es länger litt;
Ihr hörtet's jetzt; wer nicht mit mir ist, fahre
Dahin, dahin wie dieses Gold!‹ – Damit
Flog in den Staub der Becher. – ›Trunkner! wahre
Dein Herz,‹ rief ihm Fravitta zu, und schritt
Auf jenen los; ›hier gelten höh're Rechte,
Und wir sind nicht mehr eurer Willkür Knechte!

Von rauher Freiheit rede nicht, der Wilde
Hat keine. Klagt's nicht in den Sagen noch
Vom grausen Tod, den schuldlos litt Schwanhilde?
Du rühmst die Unthat, nennst die Sitte Joch!
Erhebst die Roheit und verschmähst die Milde! –
Natur und Alles widerspricht dir doch;
Vor allem aber glaub' ich, ziemt's Germanen
Getreu zu stehn bei den beschwornen Fahnen!‹

So sprach Fravitta. – Brausend für und wider
Flog ungestüm der Worte Streit im Saal,
Geflügelt schon erhob der Zwietracht Hyder
Ihr dräuend Haupt; schon blitzte blanker Stahl;
Da trat ich zwischen sie – ›die Waffen nieder‹ –
Ertönte mein Befehl. ›Verlaßt dieß Mahl,‹
Und lautlos nun gehorchte man dem Worte,
Den Kampf erneuernd vor der Hofburg Pforte.

Da fiel im Zweikampf Eriulf, der Letzte,
Der uns getrotzt; es gab für uns fortan
Kein Element mehr, das sich widersetzte.
Die Treue siegte! Treue, die zum Wahn,
Zum Spottlied ward, die schwer und oft verletzte,
Die unsre Zeit schon hält für abgethan;
Die Treue ist in diesem Volk aus Norden
Der Inhalt einer neuen Welt geworden.

Und Treu' mit Treue will ich ihm vergelten!
Wir kämpfen bis zum letzten Lanzenstück,
Vertrauend einzig auf den Herrn der Welten.
Er schenke unsern Fahnen Sieg und Glück,
Deß Arm einst war mit Israels Gezeiten.
Des Feindes Antrag weisen wir zurück.«
Er sprach's, und jener schwieg, sich tief verneigend,
Und auf die Höhen gegenüber zeigend.

Die Feuer in des Feindes Lager brannten;
Dort opferte dem Zeus das Heidenheer.
Der Kaiser rief die Führer der Trabanten,
Die hörten ihn, gelehnt auf ihren Speer,
Und traten ein; da sprach er; »Ihr Giganten,
Denn wahrlich solche seid ihr, wo nicht mehr;
Ihr seid bewährt, ihr würdet Berge thürmen
Und euch entgegenstellen selbst den Stürmen.

Doch wer zum Siege mir von euch am meisten
Des nächsten Tags verhilft, ein Diadem,
Zu dem sich keine Wünsche noch erdreisten,
Serena, meine Tochter, geb' ich dem!
Ihr wißt, was ich versprach, das werd' ich leisten!«
Auf dieses Wort, den beiden angenehm,
Rief Alarich: »Die Schlacht gewinnst du wieder,«
Und Stelico bog auf ein Knie sich nieder.

Sie trennten sich, und siegestrunken eilten
Die Helden aus dem Zelt, vom Uebermaß
Des Glücks, die stolze Brust geschwellt und theilten
Befehl und Posten aus, und da geschah's,
Daß Stelico, deß Blicke rings verweilten,
Gewahr ward, daß vor seinen Zelten saß
Ein Krieger trauernd stumm. Da sprach der Recke:
»Ist's Noth, daß ich auch deinen Muth erwecke?«

»Nicht Furcht – was blieb zu fürchten mir noch über?«
Gab Audogar zur Antwort und sah groß
Und kühn um sich, »doch eines stimmt mich trüber,
Und alles Herbe, was mich je verdroß,
Vom Feindeslager hört' ich heut herüber
Die Sprache meiner Heimath, und mein Loos
Heißt mich, mit Tigerwuth die anzufallen,
Die mir die Liebsten dürften sein vor Allen.«

»Verstehst du aber, die dir angestammte,
Die Heimathsprache noch zu reden?« frug
Mit Lächeln Stelicon, und Freude flammte
Aus seinem Blick, als jener sprach: »Genug!
Ob auch die Zeit zu schweigen mich verdammte,
Es sprach sie doch das Herz in mir. Der Zug
Der Sehnsucht spricht noch stets in jenen trauten,
In meines Landes mir gewohnten Lauten.«

»Die Nacht ist noch zur Hälfte nicht verflossen!«
Rief Stelico, »so laß uns zwei allein
Hinübergehn zu deinen Stammgenossen.
Es sind die Völker vom Gebirg und Rhein,
Und bleibt ihr Herz nicht deinem Wort verschlossen,
So werden sie zu überreden sein,
Und morgen frühe bei des Kampfs Beginnen,
Mit uns stehn, und mit uns die Schlacht gewinnen!«

»Bei Gott,« rief Audogar, »ich werde mahnen,
Versprechen, drohn und bitten. Laß uns gehn« –
So schritten sie durch's Lager der Alanen
Mit schnellem Schritt und kamen ungesehn
Zur Höhe, wo bei Feuern um die Fahnen,
Ein Zug Burgunden hielt – sie blieben stehn;
Und Audogar trat vor, bot Gruß den Mannen,
Und bat sie, jeden Argwohn zu verbannen.

Wie diese hier so trauten Klang vernahmen,
Erwiedern sie den Gruß, und drängen sich
Um ihn, und fragen ihn nach Land und Namen,
Und Stelico rief jetzt; »Ja nenne mich!
Und sage kühn, woher, warum wir kamen.«
Dann trat er vor und stand gewaltiglich
Im Dunkel da; sie rückten aber Steine
Zum Sitzen her, beim hellen Feuerscheine.

»Wenn wir Germanen nicht als Höchstes pflögen:
Dem Dienst der Waffen unsern Arm zu weihn,
So frag ich: Konnt' euch was zum Kampf vermögen
Für den, der unsre Stämme wird entzwein?
Glaubt, daß auch wir für ihn die Schwerter zögen,
Wär's seine Losung, Völker zu befrei'n!
Doch wer den Thron nur durch Verrath erstiegen,
Wird nur für sich mit euren Waffen siegen!«

Sie hörten ihn und sahn nicht auf und schwiegen,
Und endlich sprach ihr Herzog: »Gehet fort!
Wohl ist es thöricht, daß wir uns bekriegen,
Allein Verrath ist ein noch schlechtes Wort.«
»O!« rief da Stelico, »hofft ihr zu siegen
Durch wackern Muth und Treue? Brüder, dort
Wo die sind, die euch dafür ehren sollten,
Dort wird euch eure Treue schlecht vergolten!

Hört denn, Eugen, für den ihr kämpfet, sandte
Ins Lager meines Herrn, und trug ihm an
Euch hinzuopfern; – euch und uns, ich brannte,
Als ich's vernahm, vor Zorn. Der das gethan,
Verdient der eure Treue? Stammverwandte
Und eines Landes Söhne, denkt daran;
Ein listiger Tyrann, den wir verachten,
Beschließt uns gegenseitig hinzuschlachten!

Und wollt ihr ihm zum Weg die Siege bahnen,
Durch unser – eurer Stammverwandten Blut?
Vandalen sind es, Gothen und Alanen,
Die drüben stehn. Weckt eure Schlachtenwuth
Zu dessen Untergang, der eure Fahnen
Mißbraucht, und schwört mit bessrem Muth
Mit uns zu sein! Gebt Handschlag! Einig werden
Wir siegreich sein, trotz jedem Feind, auf Erden!«

Begeistert rief er's – keine Lippe murrte.
Ihr Herzog sah um sich, was jeder sann;
Dann riß er rasch den Dolch aus seiner Gurte,
Und sprach; »Wenn morgen unser Heeresbann
Zum Angriff vorrückt durch der Wippach Furte,
Steht ihr am Strom uns gegenüber dann,
Und nicht vereint mit Griechen oder Scythen,
So wollen wir euch Gruß und Hand entbieten!«

So schwur es der Burgundenfürst. Zur Erde,
Beim Umtrunk, der nun ward, floß sprudelnd hell,
Damit der Einigkeit ein Zeichen werde,
Von Audogars und seinem Arm ein Quell
Von rothem Blut; laut wieherten die Pferde. –
»Jetzt Audogar!« rief Stelico, jetzt schnell
Zum Heer zurück.« Er ruft's. Sie gehn – und kommen
Im Lager an, noch eh' die Nacht verglommen.

Schon blickte funkelnder dem Tag entgegen,
Der Morgenstern aus dunkler Wolkennacht.
In beiden Lagern fing's sich an zu regen,
Von lauter Zurüstung zur nahen Schlacht,
Als Alarich, die Waffen anzulegen,
Von seinem Lager sprang, darauf bedacht,
Den Gegenkaiser selbst, trotz aller Wachen,
Als Siegspreis zum Gefangenen zu machen.

Er wählt den Eschenspeer, versucht die Klinge
Von demanthartem Stahl, und setzt sich auf
Den Helm, dem eines Greifen Doppelschwinge
Weit ausgespreitet schmückt den erznen Knauf.
Er faßt den Schild mit breitem Eisenringe,
Und setzt sein schnaubend Roß in vollen Lauf.
Schon sein Erscheinen ist zur Schlacht das Zeichen;
Ein Sporn für Jeden, ihm an Muth zu gleichen.

Und Theodosius vor dem Heerzug flehte
Zum Kreuz, auf seinen Fahnen eingestickt,
Und alles drang mit ihm vor im Gebete,
Er hatte nicht vergeblich aufgeblickt,
Denn von den Höhen des Gebirges wehte
Ein Sturmwind, wie zu Hilf ihm zugeschickt,
Und hüllte, dichter als mit Wurfgeschoßen,
Den Feind in eine Wolke Staub und Schloßen.

»Sieh! Jupiter beweist noch, daß er throne,«
Sprach zum Eugenius, der bitter fror,
Hohnlachend Arbogast, »wahr deine Krone!
Der Nord weht scharf, ich dring' indessen vor.«
»Beim Herakles« – rief Jener – »eure Zone
Kämpft gegen uns,« und blickte bang empor;
Dann fuhr er, der ein Rhetor sonst gewesen,
Gelassen weiter, im Plutarch zu lesen.

Wie nun die Schaar berittner Satelliten
Sich enger um ihn her im Kreise schloß,
Kam Arbogast, sein Feldherr, hingeritten
Zu jenem Theil des Heers, wo sich das Loos
Der Schlacht entschied. – »Wofür hab' ich gestritten,
Wenn so vereitelt wird, was kühn und groß
Entworfen war; so thöricht soll es enden,
Was ich gehofft, gewaltig zu vollenden!«

Erst schien es, da sie durch das Wetter drangen,
Vom Berg her jene, die vom Thal herauf,
Und wie sie tödtlich schon die Waffen schwangen,
Als ging's zum Kampf, doch bald in vollem Lauf;
Ward eines von dem andern Heer empfangen,
Und jubelnd drang ihr Ruf zum Himmel auf.
Es stunden dort die Gothen mit Burgunden,
Mit Sueven die Vandalen hier verbunden.

»Es rächt sich jede Schuld!« rief schmerzlich bitter,
Bei diesem Anblick, Arbogast. Er schrie
Voll Wuth und trat den Schaft des Speers in Splitter.
An ihm vorüber stürzt sein Volk. – »O sieh!
Der Himmel selbst kämpft durch sein Ungewitter,
Die Götter selbst sind gegen uns, entflieh!«
»Ich fliehn? ja dorthin« – rief er – »wo die Treue
Der Tod bewahrt, und wo ein End' hat Reue!« –

Als nicke selbst dem neuen Völkerbunde
Der Gott des Nordens und der Stürme zu,
So blühend lag im weiten Tannengrunde,
Das Thal in sonnbeglänzter Abendruh'.
Der Schnee lag auf den Felsen in der Runde
Herschimmernd von der hohen Alpenfluh,
Und jene stunden da in seiner Helle,
Gehüllt in ihre Wolfs- und Bärenfelle.

Da trat – denn jetzt war ja der Sieg erfochten –
Serena vor, von Schönheitsglanz umhüllt,
Den goldnen Reif um ihre Stirn geflochten
Und Stelico empfing, von Stolz erfüllt,
Der Kaisertochter Hand. Doch grimmig pochten,
Da nun des Einen Ehrgeiz war gestillt,
Um Alarich in allen Gothenherzen
Des Ingrimms und des Rachedurstes Schmerzen.

Er ritt heran, um seinen Speer gewunden
Das Diadem, das seine Faust vom Haupt
Des Gegenkaisers nahm; aus breiten Wunden
Rann heftig Blut von seiner Stirn, noch schnaubt
Sein schäumend Roß, sein Haar fliegt losgebunden.
»Wer!« rief er, »hat die Ehre mir geraubt?
War's der, Der heut gekämpft hat nur mit Worten,
Da Heldenblut so viel floß aller Orten!

Warum durchstoß' ich nicht ihn mit dem Speere?
Und streck' ihn leblos nieder in den Sand?
Doch nein! ein guter Geist vom Himmel wehre
So finstre That von meiner tapfern Hand.
Er führe mich vielmehr zum hohen Meere,
Und zeige leuchtend mir am fernen Strand
Ein Eiland oder Land mit Felsenzinnen,
Das ich mit meinem Schwerte will gewinnen.«

Geklirr der Ketten rief ihn wach, es schleiften
Die Gothen mit Gefangnen neben sich
Den Gegenkaiser vor das Zelt und häuften
Beschimpfung über ihn. Er bat: »O sprich
Das Gnadenwort!« und seine Hände streiften
Des Theodosius Kleid. »Ja, beug' du dich« –
Rief Alarich – »ihr Alle bleibet Knechte,
Auf andrem Weg' such ich mir meine Rechte.«

Er springt aufs Pferd und jagt in wilden Bahnen
Durchs Heer dahin und in die Wildniß fort;
Ein Theil der Gothen, einst des Safrax Fahnen,
Stund in der Thracier nahen Landen – dort
Erkennt man ihn als den, von dessen Ahnen
Des Barden Harfe klang. Sein muthig Wort,
Sein Herrscherblick, sein starker Arm gewinnen
Ihm aller Herzen bald, und aller Sinnen.

Doch Arbogast, der Alles sieht verloren,
Stößt nach der Schlacht sich in die Brust das Schwert.
»O hättest du den bessern Theil erkoren,
Und deine Seele nicht mit Schuld beschwert!«
Rief Audogar, der vor ihm stund. »Ihr Thoren,«
Sprach Jener – »ist die Welt was Bess'res werth?
Ich hatte mehr, als ihr nur ahnt, vollendet;
Hör' mich, denn meine Zeit hat bald geendet.

Denn Valentinian, aus dessen Liebe
Ich dich verdrängt, das Kind, mir galt es gleich,
Ob er gekrönt, ob er am Leben bliebe,
Doch ich wollt' Herrscher sein im Römerreich.
Der Ehrgeiz war der erste meiner Triebe,
Und wenn ihn traf durch mich der Todesstreich;
So war's, weil mir zu drohn der Knabe wagte,
Den ich so hoch an Willen überragte.

»Ein Stärk'rer wird an seine Stelle treten,
Und eine Zeit auch wird er mächtig sein,
Doch lang läßt sich der Sturm nicht niederbeten;
Du ziehe hin, zu deinem Volk am Rhein.
Dringt vor! sie lügen diese Siegstrompeten!
Rom fällt – ich sterbe – lasse mich allein!« –
Er starb und jedes Wort von seinem Munde
Barg Audogar im tiefsten Seelengrunde.

Er eilt, sobald der Friede war geschlossen,
Zur Heimath hin; ihm glänzt noch sonnigmild
Das ferne Land, vom blauen Strom durchflossen,
Und jener weinumrankten Villa Bild.
Doch dort ist längst von Kriegern und von Rossen,
Zerstampft das einst so blühende Gefild;
Wo Hall' und Säule hochgeprangt, da spannen
Den Bogen jetzt die wilden Alemannen.

»Ach,« rief er aus, »die Fluth, die über Alles
In Wogen schlägt, von Blitzen nur durchzückt,
Hat unter ihre Bilder des Verfalles
Sigune, dein Loos auch in Nacht entrückt.
Nur wie man die Gestalt des Erdenballes,
Wenn auf dem Mond ihr Schatten ruht, erblickt;
So wird einst diese Zeit und ihr Geschehen
Nur durch das Licht, das sie verhüllt, gesehen!

Wenn du noch lebtest, wenn du für dein Leben
Den Jüngling dir erkorst, o fänd' ich dich
Beglückt in reichem Haushalt und umgeben
Von Kindern, fröhlich wie mit dir einst ich.
Ich sähe dich im Frau'ngemache weben,
Die Kleinen, deine Knaben sind um mich,
Ich lehre sie den Schild, die Lanze wiegen,
Den Bogenschaft mit jungen Armen biegen.«

Vertieft in solche Träume ritt er weiter,
Und merkt es kaum, daß um ihn her die Spur
Des Kriegs und der Zerstörung weicht, und heiter
Und friedlich Wald ihn grüßt und Wiesenflur.
Auf Höh'n gebrochne Warten sieht der Reiter,
Er sieht ein Volk, das eingelöst den Schwur,
Vom Fremdjoch sich befreit, und einzurichten
Bestrebt ist alter Rechte theure Pflichten.

Er fühlt's mit Stolz, er ist im Vaterlande.
Wie mahnt ihn Alles, wie so still vertraut!
Er fühlt sich selbst in jedem Gegenstande,
In jedem Blick, der in den seinen schaut.
Und eines Tags, an einem Hügelrande,
Um den das Land gepflügt ward und bebaut,
Da sieht er Volk versammelt, das zur Stunde
Vom Ackern ruht in hoher Eichen Runde.

Und eine Greisin saß zu höchst in Mitten,
Sie glich der Norne der vergangnen Zeit,
Und redete zum Volk von seinen Sitten,
Und von den Bräuchen in der alten Zeit.
»Hier stund, bevor mit Römern ward gestritten,
Die Mark des Gau's, dort ward getagt, gefeit.
Gerüstet ward zum ersten Waffengange
Dort, wo ihr ausgrubt Helm und goldne Spange.«

Sein Pferd hält Audogar, denn rasch zur Wehre
Springt Alles auf, als man ihn kommen sieht
Den Mann mit Römerhelm – man holt die Speere,
Man ruft: »Wer naht dem heiligen Gebiet?
Bist du gesandt von einem Feindesheere?«
Und Audogar, der ihre Furcht errieth,
Steigt ab, nimmt seinen Helm vom Haupt, und Jeden
Entwaffnet schon sein Wort beim ersten Reden.

Kein Fremdling ist er mehr, erkannt, umrungen.
Er fühlt, daß er vom langen Weh genas,
Und sieh, mit einem Schrei ist aufgesprungen,
Die stumm erst an der Greisin Seite saß,
»Sigune du!« – sie halten sich umschlungen –
Die Stunde, deren keines je vergaß,
Des Wiedersehens Stunde, oft vernommen
Vom Traum der stillen Sehnsucht, ist gekommen.

Bald schloß sich alles um sie her im Kreise,
Und als zum Gruß die Jünglinge ihm nahn,
Da beugt er zu Sigunen sich und leise
Befragt er sie: »O Schwester, sag' mir an,
Damit ich mich auch freundlich ihm beweise;
Von diesen – welchem bist du zugethan?
Ich komme heim, dich würdig auszustatten,
Als Bruder dir zu freien einen Gatten.«

Sie schwieg beängstigt, und zu ihm sich neigend,
Und flüsternd sprach sie: »Frag' nur du mich nicht!«
Da rief die Greisin, auf den Rocken zeigend,
An dem sie spann: »Vollbracht ist unsre Pflicht;
Ich bracht' ihn heute fertig.« Dann ersteigend
Den Felsen, gab sie, wie das Abendlicht
Sich durch den Wald um sie ergoß in Flammen,
Sigunens Hand und Audogars zusammen.

Und ein Geheimniß sollten sie erfahren,
Das kaum geahnt nur schlief in ihrer Brust,
Die sich seit ihren dunklen Kinderjahren
Als liebende Geschwister nur gewußt,
Erfuhren jetzt, daß sie Verlobte waren.
Zum reichlichsten Ersatz, zu voller Lust,
Mit einemmal zu schönster Erdenwonne,
Erwuchs im Feuerflug die Lebenssonne.

»Es gibt kein abgesondert Loos, kein Gutes,
Kein Schlimmes, wenn ein Volk empor sich ringt;
In jedem lebt ein Theil des hohen Muthes,
Dem alles Glück und alles Heil gelingt.
Es ist ein tief im Innersten Beruhtes,
Das mächtig Menschheit und Natur durchdringt,
Und mit zur Rettung hilft im Ungemache,
Bedeutungsvoll und eine stumme Sprache.

So sehen wir, belebt von höherm Walten,
Der Haine Nacht, es ist dem stillen Grund
Die Lösung manchen Irrsals aufbehalten,
Und was verweht war von der Menschen Mund.«
In diesem Sinne klang das Wort der Alten,
Der Herthapriesterin, als sie dem Bund
Der Treuen gab an jenem Baum den Segen,
Wo sie Sigunen rettend kam entgegen.

Gefeiert ward ihr schönes Loos, doch Allen
Ging Audogar an Macht und Ansehn vor,
Der Jüngern Vorbild, Aeltrer Wohlgefallen,
Inmitten eines freien Volks, das ihn erkor
Als Führer, nicht als Herrscher. – Beider Wallen
Blieb frei von Schmerz forthin; und ob empor
Die neue Lehre kam durch sie, es blieben
Darum die alten Götter unvertrieben.

Sie lebten ungestört in Wald und Welle
Und in der Jahreszeiten Wandel fort,
Belebten die Natur und blieben Quelle
Dem ganzen Volk noch lang in jedem Wort.
Doch über ihnen stund in Geisteshelle
Des Welterlösers Bild, der Menschen Hort,
Sie bindend durch der Liebe reine Lehre
Herniedersegnend aus dem Sternenheere.


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