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[24.]Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Erich war für einige Tage zu einer befreundeten Familie auf das Land gegangen, als Regine an einem hellen Octobermorgen in das Zimmer eines Hotels trat, in dem eine noch junge Dame sie empfing. Sie hatte sich sehr verändert, ihre Wangen waren bleich geworden, der Gram hatte seine Spuren in ihren edlen Zügen ausgeprägt.

Scheu und demüthig blieb sie nahe bei der Thüre stehen, als zaudere sie vorwärts zu treten, als falle es ihr schwer zu sprechen. Die Dame auf dem Sopha bemerkte es, erkundigte sich nach ihrem Begehr und nöthigte sie zum Sitzen. Regine lehnte den angebotenen Platz auf dem Sopha ab und blieb stehen.

»Sie haben eine Begleiterin für eine Reise gesucht, gnädige Frau!« sagte sie, »die des Französischen mächtig und in den Hülfsleistungen einer Kammerjungfer geübt ist«

Sie stockte und die Dame fragte: »Wissen Sie vielleicht ein solches Mädchen?«

»Ich selbst, gnädige Frau! möchte Ihnen meine Dienste anbieten!«

»Sie?« rief die Dame verwundert, »Sie können doch unmöglich den dienenden Ständen angehören?«

»Ich habe nie gedient, aber ich bin nur die Tochter armer Eltern,« antwortete Regine. »Meine Mutter war eine Französin, die sich von ihrer Händearbeit nährte. Das habe ich auch gethan, seit meine Eltern todt sind.«

Es lag ein solcher Ausdruck von Schmerz und Trauer in ihrem Wesen, daß die Dame sie eine Weile schweigend betrachtete, dann fragte sie sanft: »Sie haben wohl schwere Schicksale erlitten, daß Sie sich jetzt zur Dienstbarkeit entschließen, die bei Ungewohnten ihre Härten hat?«

Da hielt sich Regine nicht länger. Die Thränen stürzten ihr aus den Augen, und die gefalteten Hände gegen ihre Brust drückend, sagte sie leise: »Ja! ich bin sehr unglücklich!«

Der innige Ton der Wahrheit erschütterte die Dame. »Was kann ich für Sie thun?« rief sie voll Theilnahme und ergriff Regine's Hände. »Sagen Sie mir, Liebe! was kann ich für Sie thun?«

»Nehmen Sie mich mit sich!« bat Regine und fügte dann lebhaft hinzu: »Ich habe Niemand, auf den ich mich berufen dürfte, keine Empfehlungen, die für mich sprächen, die wenigen Menschen, die mich hier kennen in der großen Stadt, die würden gegen mich zeugen, ich habe Niemand als mich selbst und die Zuversicht auf Ihre Menschlichkeit, die mir Ihr Anblick gilbt!«

Die Dame trocknete sich die Augen. »Was ist Ihnen denn geschehen? Was bedrängt Sie?« forschte sie teilnehmend.

Regine kämpfte mit sich selbst, endlich sagte sie mit Ueberwindung: »Ich muß Ihnen die Wahrheit sagen, auf die Gefahr, daß Sie Sich von mir wenden. Ich hatte einen ruhigen Erwerb, aber ich habe ihn aufgegeben einem Manne zu Liebe, der seit Jahren für mich sorgte.«

»Und warum nimmt er Sie nicht zur Frau?«

»Er kann es nicht, er wird sich bald vermählen mit einer Dame seines Ranges.« Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie: »Meine Kundschaft für die Nähterin hab' ich eingebüßt, ich müßte mir erst eine neue suchen, das würde lange währen, und ehe ich es ertrüge, Hülfe, Geld von einem Manne anzunehmen, dem ich Nichts mehr bin, der mich verlassen kann, eher ging ich an das Ende der Welt!« Ihre Stimme hatte dabei den vollen Klang, ihre Gestalt die ihr eigenthümliche stolze Haltung wiedergewonnen, so daß die Fremde von der Schönheit überrascht, von dem Adel des Mädchens fast beherrscht ward.

»Armes, armes Mädchen!« rief die Dame. »Ja! Sie sollen mit mir gehen; ich glaube, ich vertraue Ihnen!«

»Das können Sie, so wahr ein Gott im Himmel lebt,« rief Regine, »Sie sollen dies Vertrauen nie bereuen! Sie sollen es nie bereuen, mich gerettet zu haben!«

Sie reichte der Dame die Hand, die jene nahm, es entstand eine Pause. Beide Frauen schienen betroffen von dem plötzlichen Vertrauen das sie zu einander gefaßt; dann sagte die Dame: »Ich hatte vor nach Italien zu reisen, Familienverhältnisse hindern mich daran, und ich gehe nach Frankreich. Wann können Sie fertig sein?«

»Zu jeder Stunde, gnädige Frau!«

»So lassen Sie es übermorgen früh sein. Es drängt mich von hier fortzukommen.«

Regine erklärte sich bereit und wollte die Dame verlassen, als diese lächelnd sagte: »Aber Ihre Wohnung und Ihren Namen möchte ich doch wissen!«

»Ich heiße Regine Baldig – –«

»Regine Baldig?« wiederholte die Fremde, »Regine Baldig? Sind Sie eine Königsbergerin?«

»Ja! gnädige Frau!« antwortete Regine, verwundert über diese Frage.

»Welch ein merkwürdiger Zufall!« rief die Dame, gab dann Reginen nochmals die Hand und sagte: »Ja, Sie sollen mit mir gehen und wir wollen einander nicht verlassen, denn auch ich bin auf mich selbst gestellt und recht allein! Auf übermorgen also! – Für Ihren Paß sorgen Sie nicht, ich habe bereits einen für mich und meine Bedienung ausfertigen lassen. Auf übermorgen also!«

Regine langte erleichterten Herzens in ihrer Wohnung an. Sie packte eine bescheidene Garderobe zusammen, ließ alle werthvollen Gegenstände, die Erich ihr geschenkt, zurück, ordnete seine Zimmer für die Heimkehr, und schrieb ihm dann, daß sie als Kammerjungfer einer vornehmen Dame nach Frankreich gehe, daß sie den Ort ihrer Bestimmung selbst nicht kenne, und daß sie ihn um ihrer und seiner Ruhe willen beschwöre, nicht nach ihr zu forschen. Kein Wort der Klage, des Bedauerns oder des Vorwurfs sprach sich in dem Briefe aus. Er war voll sanfter Trauer, voll Liebe für Erich, der Ausdruck einer großmüthigen Seele, die sich beschieden hatte zu entsagen.

Den Brief legte sie auf Erich's Schreibtisch. Als sie am Morgen ihrer Abreise dem Portier die Schlüssel ihrer Wohnung übergab, sah dieser sie ruhig mit ihrem Gepäcke davonfahren. Er glaubte, sie gehe zu Erich auf das Land.

Wenig Wochen später meldeten die Zeitungen die Verlobung des Barons Erich von Heidenbruck mit der Freiin Sidonie von Werdeck, und der Bräutigam hatte die Freude, seine Schwester, die Gräfin St. Brezan, bei der Verlobung gegenwärtig zu haben, die ihren Gemahl auf seiner außerordentlichen Mission nach Petersburg begleitete.


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