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[21.] Achtzehntes Kapitel.

Bleich von der Ermüdung der durchwachten Nacht, bewegt durch innen Erregung, trat Cornelie am nächsten Morgen vor den Vater hin.

»Ich komme, lieber Vater!« sagte sie, »von Dir die Billigung eines Schrittes zu erbitten, den ich gethan habe!«

Der Baron, der eben eine Unterredung mit dem Inspector beendet hatte, und mitten unter Rechnungsbüchern saß, schien zufrieden zu sein mit dem Erfolge seiner Conferenz, denn er sah heiter aus, und sich zu der Tochter wendend, meinte er scherzend: »Der Billigung nach vollbrachter That kannst Du entrathen; aber ich hoffe Dir zustimmen zu können, da es sich um keine Lebensfrage handeln wird. Was wünschest Du?«

Cornelie fühlte sich durch die seltene Heiterkeit des Vaters befangen. Sie hätte ihm die gute Stunde nicht trüben, ihm die Mittheilung in diesem Augenblick nicht machen mögen, und zögernd sagte sie: »Dennoch ist es eine Lebensfrage, Vater!« –

Er sah sie fragend an.

»Ich habe Herrn von Plessen sein Wort zurückgegeben!«

»Nein! Nein!« rief der Baron, indem er sich erhob und mit der ganzen stolzen Haltung seiner würdigen Gestalt ihr gegenüber trat. »Das hast Du nicht gethan!«

»Ich that es, lieber Vater!« wiederholte sie mit einer Weichheit, die ihr dem Baron gegenüber fremd geworden war; »ich mußte es thun!«

»Du mußtest? Wo gab es ein Muß für Dich, als den Willen Deines Vaters? Wo gab es ein Muß für Dich, als mir zu gehorchen, als die Heirath zu schließen, in die zu willigen ich mich mit Widerstreben entschlossen habe, um Deine Ehre zu retten, um – –«

»Ich weiß das, Vater!« bat sie, »ich weiß, daß es Dir schwer ward, mir damals Deine Zustimmung zu geben, und ich habe das Opfer Dir von Herzen gedankt – aber grade darum –«

»Bin ich Dein Spielball?« zürnte der Baron, »meinst Du, ich solle das Werkzeug Deiner Thorheit, Deiner Selbstverblendung sein? wortbrüchig dastehen am Ende meines Lebens?« –

»Vater!« bat Cornelie, »und hatte ich nicht auch ein Wort zu lösen? Sollte ich denn schwören, das Weib eines Mannes zu werden, mich einem Manne unterzuordnen, den ich schätzte – aber den ich nicht zu achten, nicht – –«

»Du hattest den Mann zu achten,« sagte der Baron, »der sich großmüthig dazu hergab, Deinen Ruf zu retten, denn diesen Ruf – hattest Du entehrt!«

»Vater!« rief Cornelie, »Vater! nimm das Wort zurück.«

»Du hattest Dich entehrt!« wiederholte er. »Oder meinst Du, ich hätte den Tag vergessen, an dem ich dastand neben Dir vor Deinen Richtern? an dem ich meine Tochter, an dem ich eine Freiin von Heidenbruck um die Art ihrer Gemeinschaft mit Männern befragen hörte, die man der Unsittlichkeit beschuldigte? Glaubst Du, das Nichtschuldig der Richter spräche Dich frei in den Augen der Welt? Glaubst Du, es nähme den Schimpf von meinem Haupte, den Du mir angethan? Denkst Du, ich könnte das vergessen? Denkst Du nicht, daß mir Dein Anblick in jeder Stunde es vor die Seele ruft, wie weit Du Dich vergangen, bis wohin Du es gebracht hast?«

Sein Gesicht flammte, seine Blicke brannten in Zorn.

Cornelie regte sich nicht. Keine Thräne kam in ihr Auge, kein Laut über ihre Lippen. Sie schien erstarrt zu sein. Der Baron ging mit großen Schritten im Zimmer auf und nieder, plötzlich blieb er vor ihr stehen.

»Du wirst Plessen's Frau!« sagte er streng.

»Das kann ich nicht, das kann ich nicht mehr, Vater!« rief sie, »selbst Plessen würde es nicht mehr wollen!«

»Er muß es wollen!« herrschte der Baron. »Nicht Du, nicht er sollt spielen mit dem mir gegebenen Wort! Er muß es wollen!«

»Vater!« flehte Cornelie, »ist es nicht genug, daß Du Helene unglücklich gemacht hast? nicht genug, daß Deine Strenge sie in namenloses Elend stürzte? daß ein schuldbeflecktes Leben sie erdrückt?«

Der Baron trat nahe an sie heran, faßte ihren Arm mit festem Drucke, und sagte mit furchtbarer Kälte: »Vorwürfe? Du wagst es, mir Vorwürfe zu machen? Du? die Schande meines Alters?« –

Mit heftiger Bewegung stieß er sie zurück, fuhr dann aber schaudernd zusammen, als komme ihm das Bewußtsein dessen, was er gethan, – und beide Hände gegen seine Stirne schlagend, verließ er das Gemach.

Cornelie hörte seine Schritte auf dem Marmorboden des Vorsaals; als sie verhallten, war es todtenstill. Sie war wie niedergeworfen von des Vaters schwerem Worte, in einen Sessel gesunken, ihr Haupt auf ihre Brust herabgefallen. Jetzt richtete sie sich langsam empor, sah im Gemach umher, als wolle sie an der Wirklichkeit der Dinge prüfen, ob sie nicht geträumt habe, und blieb dann lange, in Gedanken versunken, auf derselben Stelle sitzen, bis sie sich in ihr Zimmer zurückzog, das sie hinter sich verschloß.

Mittags erschien sie nicht zur Mahlzeit, ließ auch Auguste, die nach ihr sehen wollte, nicht bei sich ein. Am Abende ging sie durch die entlegensten Wege des Parkes in das Dorf, dann weilte sie am Grabe ihrer Mutter auf dem Kirchhofe, und kehrte erst spät wieder in das Schloß zurück.

Der Baron und Auguste speisten allein zu Nacht in dem großen Saale, und ohne daß die Letztere wußte, was zwischen dem Vater und der Tochter vorgegangen war, theilte sich die düstere Stimmung des Barons ihr mit. Der Saal kam ihr in seiner Größe unheimlich vor, die Familienbilder in dem Halblicht spukhaft, der Klang der Stimmen schallte fremd. Die gleichgültige Unterhaltung, zu welcher der Baron sich zwang, ängstigte sie, und war so ohne allen Zusammenhang mit dem Ausdruck seiner Züge, daß Auguste den Augenblick ersehnte, in dem er sich zurückzuziehen pflegte. Es war, als ob der Friede und die Zwietracht sich verkörpert hätten in den Räumen, in denen sie herrschten, als ob man sie sehen, sie empfinden könnte, als ob man sie einathmete auch gegen seinen Willen. –

Vor Nacht, ehe sie sich niederlegte, trat Auguste noch an einen Blumentisch heran, die Pflanzen zu begießen. Die Rosen dufteten ihr voll entgegen, aber ihre Pracht erschien dem Mädchen wie ein Hohn. »Wie das hier nur so gedeihen kann!« sprach sie zu sich selbst. »Daß hier nicht Alles welkt vor Trauer und vor Zwietracht!«

Sie konnte den Schlaf nicht finden in der Nacht. Mehrmals glaubte sie die Tritte des Barons zu vernehmen, der über ihrem Zimmer wohnte, dann hörte sie eine Thüre öffnen. Gegen Morgen schlug plötzlich der kleine Hund des Onkels an, und lief die Treppe hinunter, als folge er Jemand. Sie stand von ihrem Lager auf, ging an das Fenster, aber es war Niemand zu sehen, und müde schlief sie endlich mit dem Gedanken ein, daß irgend ein Unerwartetes geschehen sein müsse.


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