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Im Heidenbruck'schen Hause angelangt, ließ er sich bei Auguste melden und ward in das Zimmer geführt, das Georg bisher bewohnt hatte.
Die Fenster desselben waren geöffnet, die Vorhänge bereits abgenommen. Auf den Tischen lagen Packe von Wäsche umher, die Diener trugen verschiedene Möbel hinaus, und mitten in der unbehaglichen Verwirrung stand Auguste, und überwachte zufriedenen Blickes die Ausführung ihrer Befehle.
»Sie finden mich in voller Arbeit,« rief sie dem Eintretenden entgegen, »aber solche Abreise auf lange Zeit macht doch eine gründliche Controle nöthig und Georg ist sehr unordentlich. Es war nicht möglich von ihm heraus zu bringen, was er mitnahm und was er zurückließ. Da muß ich eben nachsehen!«
Friedrich hatte erwartet nach des Freundes Aeußerungen, das Mädchen traurig, vielleicht in Thränen zu finden, statt dessen war sie in voller, ihr zusagender Thätigkeit, und er fühlte sich überflüssig, da er gekommen war, sie zu trösten. Dennoch glaubte er, es sei seine Pflicht, die Aufträge des Reisenden auszurichten.
»Ich bringe Ihnen die herzlichsten Grüße von Georg! Seine Abschiedsworte galten Ihnen und waren voll Liebe und Verehrung für Sie!« sagte er leise.
Bei der Zartheit seiner Natur sprach Friedrich das mit jener Zurückhaltung, die sich scheut, ein fremdes Geheimniß anzutasten und sich unaufgefordert einem Dritten als Vertrauten aufzudrängen. Auguste aber schien Nichts davon zu empfinden, sondern sagte plötzlich, zu einem Ausdruck von Trauer übergehend: »Gott weiß auch, ob ich das nicht endlich von ihm verdient habe! Was hat er mir für Kummer gemacht! Wie ungewiß ist unsere Zukunft! und das allein, allein durch seine Schuld!«
Daß sie einen Scheidenden anzuklagen vermochte, der ihrer so dankbar gedacht, mißfiel Friedrich, und sein Gesicht mochte sein Erstaunen verrathen. Wenigstens lenkte Auguste augenblicklich mit der Bemerkung ein: »Wer so, wie ich, von Jugend an auf sich selbst gewiesen worden, der muß es lernen, auch mit sich allein abzuschließen. Ich arbeite mich müde, dann wird der Schmerz still! – Mit sich fertig werden, das ist die Hauptsache im Leben!«
»Mit sich fertig werden, das ist die Hauptsache im Leben!« wiederholte Friedrich gedankenvoll, und sah dann Auguste betroffen an. Es giebt Zustände, in denen die einfachste, bekannteste Bemerkung, der größte Gemeinplatz uns wie eine tiefe Erkenntniß erscheinen, weil sie unserm augenblicklichen Seelenbedürfniß entsprechen; das war jetzt mit Augustens Aeußerung der Fall. Die Festigkeit, mit der sie ihren Schmerz besiegte, die Entschlossenheit, mit welcher sie sich selbstvergessen schnell wieder in die Arbeit versenkte, machten Friedrich den Eindruck großer Tüchtigkeit; sogar der ihm noch kurz vorher so mißfällige Tadel gegen den Freund gewann für ihn in diesem Mädchen eine andere Bedeutung.
»Ich beneide Sie um die sichere Klarheit Ihres Wesens!« sagte er, als Auguste die Schränke und Schubladen zugeschlossen hatte und mit ihm in das früher von Erich bewohnte Nebenzimmer gegangen war, in dem sie sich mit ihm niederließ.
»Ach!« antwortete sie, »es ist ein altes Sprichwort, aber die alten Sprichwörter haben ihren tiefen Sinn: Gott läßt es nach den Kleidern frieren!«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich meine, wie ich wohl hätte durchkommen sollen ohne die Ruhe und Festigkeit, die Sie Klarheit in mir nennen? Denken Sie doch, daß ich, noch ein halbes Kind, in eine Familie eingetreten bin, in der eigentlich Jeder, obschon sie Alle im Grunde vortrefflich sind, sein eigenes phantastisches Wesen und dadurch Alle solch' phantastische Lebenswege hatten, daß man schwindelnd werden könnte, wenn man sich nicht immerfort auf sich selbst und auf seine eigene Lage besonnen hätte. Dabei war die Schule, die ich in meines armen Vaters Hause durchzumachen hatte, auch eben nicht die leichteste!«
Sie schwieg zurückhaltend und Friedrich betrachtete sie mit wachsender Theilnahme. Ihr gesundes kräftiges Aussehen, ihr starkes, glänzendes Haar, die Festigkeit und Sauberkeit ihrer Kleidung, ja selbst ihr etwas harter Dialekt, waren so aus einem Gusse, so sehr das Gepräge eines bestimmten Charakters, daß Friedrich seine Freude daran hatte und es sich zum Vorwurf machte, Auguste bisher nicht nach Gebühr geschätzt zu haben. Er glaubte jetzt zu verstehen, was grade einen Mann, wie Georg, an dieses Mädchen fesseln konnte, was es ihm in allen Lebensverhältnissen sein mußte, und wenn er daran dachte, daß der Freund ihm von der Achtung und von dem Vertrauen gesprochen, die Auguste für ihn hegte, so schämte er sich, daß der richtige Blick des Mädchens ihn herausgefunden, während er sie nicht gewürdigt hatte.
In dem Bestreben, das Versäumte gut zu machen, sagte er: »Ein so glücklich organisirtes Wesen, wie Sie, ein Mädchen, das sich schon in früher Jugend zur Selbstständigkeit erzogen, kann sicher, ich weiß das wohl, auch ferner in sich selbst beruhen. Aber Georg's Wünsche werden Ihnen ja heilig sein. Er hat mich zu Ihnen gewiesen, weil er fühlte, wie einsam seine Entfernung Sie lassen würde, weil er wußte, was ich durch dieselbe verliere, und er meinte, daß ich Ihnen nicht ein Trost, wohl aber ein Freund zu werden vermöchte!«
Sie sah ihn mit ihren hellen Augen langsam prüfend an, ohne eine Silbe zu entgegnen, so daß Friedrich, dem diese Beobachtung peinlich war, ihr die Hand entgegenhielt und sie bat: »Lassen Sie mich um seinetwillen dafür gelten, bis Sie selbst mich als einen Freund erkennen.«
»Ich habe Sie immer für meinen Freund gehalten!« rief sie nun plötzlich, seine Hand ergreifend und herzlich drückend, »ich sah Sie nur um deshalb so verwundert an, weil Sie solche Einleitung für nöthig hielten. Sie müssen ja wissen, wie Georg und ich standen! Und die Anderen hätten es eben so gut wissen können, sähen sie noch etwas Anders als sich selbst in dieser Welt!«
Es entstand eine Pause, Friedrich erhob sich, um aufzubrechen. Sie hinderte es nicht. »Ich kann Sie nicht bitten zu bleiben,« sagte sie, »denn ich habe wirklich zu thun. Aber Sie kommen bald wieder, und wenn Sie von Georg Briefe haben, so werden Sie sie mir zeigen.«
»Sicherlich! ich rechne auch auf Ihre Güte im gleichen Falle!«
»Zeigen? Nein! zeigen werde ich Ihnen keinen Brief von ihm. Wie könnte ich das? Aber erzählen will ich Ihnen Alles, was Sie wissen wollen – es ist so angenehm, von einem Entfernten zu Menschen zu sprechen, die ihn lieben und verstehen, und wer hat ihn hier wohl verstanden außer mir und Ihnen, außer uns Beiden?«
»Der Doctor unbedenklich!« meinte Friedrich.
»O ja! aber dem sind die Menschen nur wie die Medikamente in der Apotheke, Mittel zu seinen Kuren. Ein Offizier, der Kaufmann wird, ein Edelmann, der seinen Adel ablegt, so unrecht und schädlich es für denselben sein mag, sind ihm willkommen; das sind Blasenpflaster, die er brauchen kann. Georg weiß es auch, daß mir der Doctor schrecklich zuwider ist.«
Zuwider? aber was sagte Georg dazu?
»Er tadelte mich und wollte mir beweisen, daß ich Unrecht hätte. Aber ich lasse mir Nichts beweisen, wo ich mit meinen zwei gesunden Augen sehe und mit meinen beiden Ohren höre. Ich weiß so gut als Einer, was recht ist und wer gut ist. Ich habe meinen eigenen Kopf und lasse mich nicht so leicht abbringen.« Dabei packte sie verschiedene Kleinigkeiten, die sie aus Georg's Zimmer mitgebracht hatte, in ihr Schlüsselkörbchen und ging mit Friedrich in das untere Stockwerk hinab, wo sie von einander schieden.