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Elftes Kapitel.

Gegen Corneliens Ansicht hatte Plessen den Wunsch ausgesprochen, ihre Verlobung noch geheim zu halten, bis sie über die Art einig geworden wären, in der sie ihre Zukunft begründen könnten, und da er jetzt sicher war, sie werde ihm folgen, drang er darauf, den Ort zu verlassen, ohne die Zustimmung seiner Braut dafür gewinnen zu können.

Mit aller Sehnsucht eines Ruhebedürftigen, schilderte er ihr oftmals den Frieden der Herrenhuthergemeinden, malte er ihr ein Dasein aus, das in enger Beschränkung sein Genügen finden, und in der gegenseitigen Erhebung und Zufriedenheit sein Endziel haben sollte. Cornelie hörte ihm dann zu, aber niemals ohne sich davon bedrückt zu fühlen.

»Du bist krank!« sagte sie ihm, als er sich einst in Träumen von einem solchen Leben versenkte, »Du bist krank, Liebster! sonst könntest Du diese Gedanken nicht hegen. Laß uns nicht davon sprechen, bis Du wohler bist!«

Er verlangte, sie solle sich über diese Aeußerung erklären, sie weigerte sich Anfangs, dann sagte sie, da er bei seiner Forderung verharrte: »Es ist ein Punkt, in dem wir Beide uns seit unserer Verlobung nicht mehr verstehen. Wenn ich sonst an die Ehe dachte, hoffte ich in derselben ein Bündniß zu finden, das die Kräfte von zwei gleich strebsamen Menschen durch ihre gemeinschaftliche Richtung steigern und verdoppeln sollte. Ich hoffte thätiger, wirksamer zu werden in der Ehe, ich sah in ihr eine erhöhte, vollendetere Fortsetzung unseres bisherigen Lebens und Schaffens. – Du siehst in ihr einen Abschluß, ein stilles Ruhen. Für solchen Abschluß aber fühle ich mich noch nicht gemacht. Ich möchte mein Dasein erweitern, Du willst das Deine begrenzen. Ich möchte schaffen, Du willst rasten – und daß ich es Dir gestehe, die Vorstellung in der Brüdergemeinde zu leben, ist mir vollkommen fremd.«

»Dennoch warst Du es und die Gräfin,« wandte ihr Plessen ein, »die in nicht ferner Zeit die größte Vorliebe für Zinzendorf ausgesprochen haben.«

«Ja, für Zinzendorf! aber nicht für die frostige Trockenheit der jetzigen Brüdergemeinden.«

»Sie ist nur abgeklärter, nüchterner geworden,« entgegnete Messen, »als sie es zu des Grafen Zeiten war, und darum tüchtiger.«

»Traust Du ihr eine fortzeugende Kraft zu?« fragte Cornelie.

»Unbedenklich!« rief ihr Bräutigam, »denn sie erzieht innerhalb der Gemeinde rechtschaffene gottgefällige Menschen, arbeitsame Bürger. Sie verhindert Armuth und Unwissenheit in der Brüderschaft, und sie hat daneben Kraft genug, alljährlich Männer und Frauen aus ihrer Mitte fortzusenden, weit hinaus in alle Welt, den Heiden das Evangelium, den Wilden die Segnungen der Civilisation zu bringen. Sie leistet in bescheidener Stille, was die Socialisten erstreben. Sie würde es in immer höherem Grade leisten können, je mehr gebildete, mit dem Wissen unserer Zeit genährte Menschen sich ihr unterordnend anschlössen. – Und Du kannst zweifeln, ob sie eine fortzeugende Kraft besitze?«

Cornelie schwieg, dann sagte sie nach einer Pause: »Ich habe oft daran gedacht, wie wunderbar, wie ursprünglich segensreich der Beruf eines Missionairs ist.«

»Auch mich hat diese Vorstellung häufig beschäftigt, und – –«

»Wenn Dich in der Gemeinde das Loos träfe, zur Bekehrung hinauszuziehen,« fiel ihm Cornelie in's Wort, »würdest Du gehen?«

»Ich würde gehen und glauben, daß Gott die Kraft, welche mir dazu fehlt, durch seine Gnade in mir schaffen wird. Es hat sogar Stunden gegeben, in denen ich mir vorstellte, mit Dir hinauszuziehen. Mit Dir vereint zu lehren und zu wirken, seinen Namen zu verkündigen im heiligen Dunkel der Urwälder, auf den Höhen und an den schnellrauschenden Flüssen eines Landes, dessen Lüfte den Namen des Alleinigen noch nicht von Menschenlippen segnen hörten –«

Cornelie ließ ihn nicht enden. Mit leuchtenden Augen schloß sie ihn in ihre Arme. »Ja! ja! das bist Du! das ist der Mann, den ich liebte, das ist der Mann, der mich zur Liebe, zur Entsagung erzogen!« rief sie aus, kniete dann vor dem Sitzenden nieder und bedeckte seine Hände mit ihren Küssen. Plessen hinderte sie nicht daran. Er streichelte sanft ihr Haar, während er liebevoll lächelnd zu ihr herabblickte. Da er fast immer von ihrer Ueberlegenheit zu leiden hatte, that es ihm wohl, als sie sich in Liebe vor ihm demüthigte.

»Sieh!« sprach sie, »wie unter der Macht eines großen Gedankens Dein ganzes Wesen sich belebt. Halte ihn fest diesen Gedanken und Du wirst genesen. Du wirst die Kraft finden, ihn auszuführen, und daß ich Dir nicht fehlen werde, weißt Du!«

Vollkommen hingerissen von dieser neuen Vorstellung, begann sie dieselbe nach allen Seiten zu durchdenken und mit so strahlenden Farben auszumalen, daß Plessen davor erschrack. Er mußte sie erinnern, daß er einer Niederlassung in der Colonie nur als eines Wunsches, einer Möglichkeit erwähnt habe, auf deren Erfüllung nur nach Vollziehung ihrer Ehe zu rechnen sei. Die Einwilligung ihres Vaters zu derselben zu erlangen, müßte also ihr nächstes Streben bleiben.

Die Gräfin und der Prediger waren die Einzigen, welche von der heimlichen Verlobung ihrer Freunde unterrichtet wurden. Sie begrüßten das Ereigniß mit Freuden und mit Segen. Es war die erste Heirath, welche innerhalb der Gemeinde geschlossen werden sollte, und in der improvisirten Andacht, zu der die vier Freunde sich vereinten, sprach der Prediger es aus, daß nur durch die Verbindung der Heiligen, nur aus der reinsten Gemeinschaft der Gatten, der reine Mensch, der neue Heiland geboren werden könne, dessen die Welt bedürfe.

»So lange in Euren Herzen dem Geliebten gegenüber noch ein anderer Gedanke als der an Gott erwacht, ein anderes Empfinden rege ist, als das des inbrünstigen Dankes gegen den Allweisen, der Mann und Weib geschaffen und sie zu Werkzeugen seiner Zwecke bestimmt hat, so lange ist der böse Geist der Lust mächtig in Euch, so lange lebt Ihr unter dem Fluche der Erbsünde, der sich fortpflanzt, auf Kind und Kindeskinder,« sagte er. »Darum trachtet darnach, Herr zu werden über den Menschen in Euch, damit Gott mächtig sein könne über Euch, und wenn die Liebe Euch zu einander zieht, so sei es, um Euch als willenlose Werkzeuge hinzugeben an die Rathschlüsse des allwissenden und allmächtigen Gottes.«

Er umarmte darauf Plessen und die beiden Frauen; denn die brüderlichen Umarmungen waren seit lange Sitte geworden in der Gemeinde, deren Zahl sich bedeutend vermehrt hatte. Aber heute zum ersten Male fühlten die beiden Verlobten sich gleichmäßig verletzt durch die leidenschaftliche Inbrunst, in der die Gräfin und der Prediger die Verlobten und danach einander an das Herz schlossen.

Cornelie beschwerte sich darüber gegen ihren Bräutigam, sobald sie sich allein mit ihm befand, und Plessen gestand ihr, daß er schon seit längerer Zeit die eigentliche Zuversicht zu jenen Freunden nicht mehr habe, ja daß er glaube, auch ihr Vertrauen nicht mehr wie früher zu besitzen.

»Andere unserem Empfinden fremde Personen,« sagte er, »sind ihnen nahe getreten. Die Phantasie hat in dem engeren neuen Kreise mehr und mehr die Stelle des Gemüthes, eine sinnliche Symbolik und Mystik haben den Platz des kindlich einfachen Glaubens eingenommen. Man hat Zusammenkünfte gehalten, von denen wir nicht unterrichtet waren, und es sind Dinge in denselben vorgegangen, es haben Kasteiungen, Bußübungen stattgefunden, die mit der schlichten Lehre des Christenthums nichts mehr zu schaffen hatten.«

»Woher kommt Dir diese Vermuthung?« fragte Cornelie zweifelnd und doch betroffen.

»Durch einzelne, unwillkürliche Aeußerungen der Eingeweihten.«

»Und Du forschtest nicht? Du fragtest nicht? Du konntest mit ihnen verkehren auf dem Fuße allen Vertrauens, obschon Du solch schweren Verdacht gegen sie hegtest?«

»Ich wollte meiner Sache sicher werden.«

»Aber Du schwiegest auch gegen mich,« fiel ihm Cornelie in's Wort, »das ist – –«

Sie vollendete den Ausspruch nicht, Beide verstummten, es entstand eine lange Pause. Endlich sagte Plessen: »Ich mochte Dich nicht beunruhigen, ich hoffte Dich unbeirrt an dem unheimlichen Gebahren vorüber zu führen!«

»Bin ich ein Kind?« fragte Cornelie mit dem beleidigten Selbstgefühl der Kraft, die es unerträglich findet sich bevormundet zu sehen. Indeß sie drängte diese Aufwallung eben so schnell zurück und sprach, indem sie sich zur Ruhe zwang: »Ihr habt in unserer Gemeinschaft nicht nur die Gleichberechtigung der Frauen, sondern sogar die Priesterschaft derselben anerkannt und zugegeben, daß sie als die Entwicklerin der kommenden Geschlechter in einem höhern Zusammenhange mit der Gottheit stehen als der Mann. Aber was Ihr theoretisch als Wahrheit einsehen gelernt, das straft Ihr in der Praxis Lüge. Ihr vertraut unsern Eingebungen, und wollt uns leiten. Ihr glaubt an unsern unmittelbaren Zusammenhang mit dem Höchsten, und wollt uns abhängig machen von Eurer Einsicht, als ob uns die Fähigkeit des Urtheilens versagt wäre von dem Schöpfer!«

»Cornelie!« wendete ihr Plessen ein, »es giebt Berührungen mit der Außenwelt, vor denen jeder Mann das Weib zu bewahren wünscht, das er liebt, das seinen Namen tragen und die Mutter seiner Kinder werden soll, und – –«

Ihre Heftigkeit ließ ihn nicht enden. »O! wolle mir nur mit diesen Phrasen Nichts beweisen!« rief sie aus. »Schlimm genug, daß in Deutschland das Weib sogar den eigenen Namen in der Ehe einbüßt, daß er ihr nicht bleibt, wie den Frauen freierer Nationen. So gern ich Deinen Namen führen werde, so weh' wird es mir thun, den Namen aufzugeben, der mir angeboren ist. Hat denn der Mann allein das Recht seinen Namen als einen Besitz zu ehren, dem sein Charakter Werth und Geltung giebt? Was ich bin, bin ich als Cornelie von Heidenbruck geworden. Das ich Dir bin, das liebtest Du unter diesem Namen. Wie kannst Du besondere Rücksichten nehmen wollen für ein Weib, bloß weil es Deinen Namen tragen soll? –«

»Du bist gereizt und thust mir Unrecht!« meinte Plessen begütigend.

»Du, nur Du thust Dir Unrecht!« rief sie, »Unrecht auch in meinen Augen, durch die Maßlosigkeit Deines männlichen Egoismus. Du willst mich vor Conflicten mit der Außenwelt bewahren, nur weil ich die Mutter Deiner Kinder werden soll. Als ob das Weib, das sie mit ihrem Herzblut nährt, mit ihren Sorgen, ihren Schmerzen groß zieht, nicht mindestens gleichen Antheil an ihnen hätte, als der Mann, als ob – –«

»Ich bitte Dich,« rief Plessen, jetzt seiner Seits in Zorn ausbrechend, »nur Nichts von Frauenemancipation! Ich verabscheue die Richtung, die immer Alles auf die Spitze stellt, die jeden Gedanken verwirklichen will, ohne zu überlegen, daß der Gedanke frei ist wie die Unendlichkeit, daß die That gebunden und beengt ist durch alle Schranken des Bestehenden. Jene Richtung führt nur zur Zerstörung.«

»Und die Deine zu einer Halbheit, die uns Beide elend machen wird!« fuhr Cornelie heraus, erschrak dann aber vor dem eigenen Worte und versank in Schweigen.

Plessen war eben so schmerzlich betroffen. Keiner vermochte das erste Wort zu finden. Es war still im Gemache und die hereinbrechende Dunkelheit machte die Verstimmung nur noch lastender.

Wäre Plessen aufgestanden und heftig umhergegangen, wie Georg es in solchen Fällen that, hätte er sich wie Erich, eine Cigarre angezündet, den Mißmuth zu überwinden, oder würde er sich entfernt haben, sich zu sammeln und Cornelien Zeit zur Fassung zu geben, es wäre dies Alles eine Erleichterung für sie gewesen. Aber wie sie ihn jetzt vor sich sitzen sah, gedrückt von ihrem harten Worte, schnitt es ihr tief in das Herz, und doch konnte sie es nicht zurücknehmen, denn sie hatte ihre Ueberzeugung damit ausgesprochen.

Sie sagte sich, daß Plessen krank sei, daß Gemüthsbewegungen ihm immer schadeten, und als er plötzlich leise zu husten begann, bemüht die krampfhafte Beschwerde zu unterdrücken, die ihm die Brust zusammenschnürte, da hielt sich Cornelie nicht länger. Sie legte ihren Arm um seinen Nacken und fragte, ob er ihr vergeben könne?

»Wie soll ich Dir vergeben, daß ich Deinen Erwartungen nicht genüge?« entgegnete er. »Es schmerzt mich, das ist wahr! Zu verzeihen habe ich Dir Nichts!«

»Vergieb mir meinen Hochmuth, meine Selbstsucht!« bat sie ihn.

»Das ist nicht des Menschen Amt, Cornelie!« entgegnete er sanft. »Bete zum Herrn, daß er ein mildes Herz in Dir erwecke, wie ich ihm jetzt gedankt habe für diese Prüfung meiner Demuth. Er weiß, wozu er uns zusammenführte, er weiß, weshalb er uns in Liebe für einander kommen ließ. Wir sollen uns gegenseitig erziehen zur Demuth und Geduld. – Danach laß uns denn streben.« Er hatte dabei mehrmals gehustet und saß nun ruhig mit gefalteten Händen neben ihr, während seine Auffassung von ihrer künftigen Ehe, und von dem Willen Gottes über sie, ihr Herz empörte.

»Ein Strafgericht, eine Zuchtruthe des Herrn, das glaubte ich Dir nicht zu sein!« sagte sie leise und wollte sich entfernen, weil sie fühlte, daß sie ihrer Thränen nicht mehr Herr sei.

Plessen erschrak vor dem Klageton ihrer Stimme. Sein Mißmuth, sein Zorn waren vergessen, seine Neigung in voller Wärme erwacht. Hingerissen von ihrem Schmerze eilte er ihr nach, sie zurückzuhalten und an sein Herz zu ziehen, aber sie wehrte ihn mit sanfter Gewalt von sich ab.

»Laß mich,« sprach sie, »es giebt Worte, die man nicht zurücknehmen, die man nicht vergessen kann! und wir haben sie gesprochen.«

Da faßte es ihn mit schwerer Angst, daß er sie verlieren könne, und mit einer Leidenschaft, wie Cornelie sie nie an ihm erfahren, rief er, sie umschlingend und an sich drückend: »O! verlaß mich nicht! verlaß mich nicht! Cornelie! Fühlst Du es nicht, daß es nur die Scheu war, Dich, mein Alles! angetastet zu sehen von einer Welt, die nicht im Stande ist, auch nur den Schatten Deines Werthes zu erfassen? Sei mein! gieb mir das Recht Dich zu beschützen. Laß uns noch in dieser Stunde zu Deinem Vater gehen, ihm unsere Liebe zu bekennen, und die Aussicht nahen, sicheren Besitzes wird mich erlösen, wird mir die Zuversicht, den Frieden geben, den ich nicht mehr finden kann, als nur mit Dir.«

Er zog sie neben sich zum Sitzen nieder, sie umfing ihn mit ihren Armen und ließ sein Haupt an ihrer Schulter ruhen, aber sie küßte ihn nicht und kein Strahl von Freude war in ihren Zügen, als sie in Nachdenken versunken, mit leiser Hand über sein Haar strich. So blieben sie bei einander, bis Plessen sie aufforderte, mit ihm zu ihrem Vater zu gehen. Indeß die Stunde, welche sie dazu wählten, war keine günstige.

Der Baron, im Gefühle seiner noch ungebrochenen, männlichen Kraft, hegte eine Art von Geringschätzung gegen jede Schwäche, eine gewisse Abneigung gegen kränkelnde Personen, besonders aber war ihm der Ausdruck nervösen Leidens, wie er sich in Plessen in diesem Augenblicke mehr als jemals aussprach, an Männern gradezu verhaßt. Eines seiner Kinder, deren starker Gesundheit er sich stets als einer Stammeseigenthümlichkeit berühmte, mit einem Kranken zu vermählen, galt ihm für eben so unzulässig, als eine Mißheirath, weil es dem Blute seines Geschlechtes zu nahe trat wie eine solche. Hätte Plessen's Richtung und seine Mittellosigkeit ihm nicht ohnehin im Wege gestanden, seine bleichen Wangen, sein mattes Auge hätten in dieser Stunde hingereicht, die Kälte zu erklären, mit welcher der Baron seine Werbung um Cornelie aufnahm, den eisigen Ton hervorzurufen, mit dem er Plessen sagte: »Sie glauben sich also wirklich in der Lage, meiner Tochter, kränklich wie Sie sind, eine standesmäßige Zukunft zu bereiten, Herr von Plessen!«

»Ich hoffe, mit Gottes Beistand es in kürzester Zeit zu können, Herr Baron!«

»Sie hoffen es!« sagte der Baron, indem er die Worte scharf betonte. »Hoffnungen und Gottvertrauen mögen freilich genügen, das eigene Leben leicht zu machen, ein fremdes Dasein zu tragen, reichen sie jedoch nicht aus!«

»Herr Baron!« fuhr Plessen auf, in dem trotz aller christlichen Demuth die gekränkte Manneswürde sich empörte: »was berechtigt Sie zu diesem Spotte?«

»Die Erfahrung, Herr von Plessen, wie schwer sich aus den reichsten Hoffnungen auch nur eine kümmerliche Wirklichkeit gewinnen läßt. Die Erfahrung, wie anspruchslos die sogenannte Liebe, wie reich an Bedürfnissen die Ehe ist. Als Mann von Ehre müssen Sie Bedenken tragen, einem Mädchen statt des gesicherten Glückes im Vaterhause, Ihre noch ganz ungewisse Zukunft anzubieten. Denken Sie also nicht mehr daran!«

»Vater!« rief Cornelie, noch ehe der Baron die letzten Worte geredet, und ehe Plessen eine Entgegnung machen konnte, »Vater! stoße ihn nicht zurück, beleidige ihn nicht, er hat mein Wort!«

Der Baron sah sie mit düsterm Blicke an. »Dein Wort!« wiederholte er. »So überlasse es dem Manne, dem Du ohne meine Zustimmung Dein Wort gegeben hast, dem Edelmanns, der es hinter dem Rücken Deines Vaters von Dir forderte, und der seine Anrechte auf diese Unredlichkeit zu bauen scheint, sich selber zu vertreten!«

Es hatte während dessen schon einmal an die Thüre gepocht, jetzt geschah es zum zweiten Male. Der Baron rief: »herein«. Der Diener brachte ein Billet. Es war von der Hand der Gräfin an Cornelie gerichtet. Die Worte »sehr eilig« waren nach Frauenweise auf der Adresse mehrfach unterstrichen. Cornelie sah es, ohne es jedoch zu beachten, und steckte das Schreiben in die Tasche.

»Frau Gräfin forderten Bescheid!« bemerkte der Diener, als er das gewahrte.

»Ich werde Antwort senden! Später, in einer Stunde!« entgegnete Cornelie abweisend, mit jener fast zornigen Ungeduld, die wir empfinden, wenn in solchen Augenblicken irgend ein Anspruch an uns erhoben wird. Der Diener wollte sich mit diesem Bescheide entfernen, aber der Baron bedeutete ihm, er möge den Boten warten heißen. Dann wendete er sich, als jener das Zimmer verlassen hatte, zu Cornelie und Plessen:

»Sie schienen mir eine Entgegnung machen zu wollen,« sagte er, »mich dünkt jedoch wir sind zu Ende. Ich wenigstens habe mein letztes Wort gesagt. Herr von Plessen aber kann mir nur durch Handlungen und Erfolge beweisen, daß ich Unrecht that, es auszusprechen!«

Und ehe Plessen noch eine Antwort geben konnte, hatte der Vater sich abgewendet und das Zimmer verlassen.

»Nun?« fragte Cornelie, da ihr Bräutigam nicht sprach: »Nun?« wiederholte sie lebhafter als er die Schultern zuckte. »Und was nun?«

»Wir müssen schweigen und warten, während wir versuchen unserm Ziele näher zu kommen. Wir müssen dulden, was der Rathschluß des Höchsten uns an Schmerz zu tragen auferlegt.«

»Ich will nicht dulden!« rief sie heftig.

»Cornelie, das ist Frevel!« warnte Plessen.

»Ich will nicht dulden!« rief sie noch einmal. »Ich mag und will mich nicht dem Ungerechten fügen, ich will meine Liebe nicht verbergen. Ich will warten mit Dir bis zur Erfüllung unserer Wünsche, aber warten als Deine erklärte Braut, berechtigt die Neigung auszusprechen, die ich für Dich fühle, indeß ich will nicht heucheln, will mich nicht verstellen. Du bist ein Mann, wie konntest Du zu solchem Vorschlag schweigen, meinem Vater gegenüber, der Nachgiebigkeit verachtet?«

»Er ist Dein Vater, ich hatte ihn zu ehren,« antwortete Plessen ihr sehr ernst. »Und,« fügte er hinzu, »ich traute auf den Beistand dessen, der uns zur rechten Zeit nie fehlt. Du aber hattest doppelt Unrecht, denn es ist unweiblich zu trotzen, wie Du's thust!«

»Und unmännlich, widerstandslos zu dulden!« rief sie.

»Das Christenthum verlangt's von uns!« belehrte Plessen.

»So mag ich kein Christ sein, wenn ich die Menschenwürde in mir tödten soll!« fuhr sie leidenschaftlich empor. Aber kaum hatte sie die Worte gesprochen, als eine Todtenblässe ihre Wangen überzog und sie sich mit dem Ausruf: »Mein Gott im Himmel, was habe ich gethan!« an die Brust ihres Bräutigams warf.

Auch Plessen war bleich geworden. Er zog sie nicht an sich, da sie sich an ihn lehnte, er sprach nicht zu ihr, als sie sich von seiner Brust aufrichtete. Jene Worte waren wie ein Blitzstrahl zwischen ihnen niedergefahren, und wie betäubt vermochten Beide den Boden nicht wieder zu kennen, auf dem sie standen, Vergangenheit und Zukunft nicht zu fassen.

Je länger sie schwiegen, je tiefer mußte die Vernichtung in ihren Seelen um sich greifen, das fühlte Plessen, und doch war er unfähig, des eben Geschehenen mit Worten zu gedenken. Ihm graute davor, aber seine Gedanken waren auf den einen Punkt gebannt, er konnte nichts Anderes finden.

Endlich fiel ihm in seiner Herzensangst der Brief der Gräfin ein.

»Was will die Gräfin?« fragte er matt. Cornelie verstand, was diese abweichende Frage ihr bedeute.

Mit instinctiver Folgsamkeit zog sie den Brief aus der Tasche und las ihn leise. Indeß kaum war dies geschehen, als sie zusammenbebte.

»Auch das noch!« rief sie, und Plessen den Brief hinreichend, fügte sie hinzu: »Lies! wir sind verloren.«

Die Zeilen waren in fliegender Eile geschrieben. Sie lauteten:

»Ist Plessen bei Dir, so bitte ihn augenblicklich, alle seine Papiere in Sicherheit zu bringen. Ist er nicht da, so eile zu ihm und laß nöthigen Falles seine Schränke öffnen, um Alles zu entfernen, was sich auf die Gemeinde bezieht. Meine und des Predigers sämmtliche Papiere sind uns genommen. Die Zeiten der Verfolgung beginnen wieder für die Gerechten. Die Freiheit des theuersten Mannes ist bedroht! Komm augenblicklich zu mir!«


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