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Zweites Kapitel.

Während die Freunde sich auf solche Weise in ihre religiösen Hebungen versenkten, und ihre Thätigkeit immer weiter in die Allgemeinheit ausdehnten, verödete das Familienleben des Barons von Tag zu Tage mehr. Cornelie fing an den häuslichen Beruf der Frau als Nebensache geringzuschätzen, und uneingedenk der Wahrheit, daß der Gesammtheit am Besten geholfen werde, wenn Jeder an seinem Platze seine nächste Schuldigkeit thue, nur in dem Wirken für die Gemeindemitglieder ihre Genugthuung zu finden.

Die Aufsicht des Hauses fiel dadurch Augusten zu Theil, und Cornelie, welche es vergebens versucht hatte, die nun ganz erwachsene Cousine für die Richtung der Gemeinde zu gewinnen, legte ihr um so ruhiger jene Pflichten auf, als Auguste selbst die größte Befriedigung darin zu haben schien. Lange als Kind behandelt, wie es den jüngsten Mädchen in den Familien zu geschehen pflegte, in denen ältere und obenein begabtere Töchter vorhanden sind, fühlte sie es als eine Wohlthat, nicht mehr gehorchen zu müssen, sondern anordnen und befehlen zu können, und ohne Anlage oder Neigung für geistige und künstlerische Beschäftigung, dabei aber thätig von Natur, ward ihr das Arbeiten und Schaffen im Hause zu einer Nothwendigkeit, wollte sie nicht die Langeweile des Müssigganges empfinden.

Daß sie nicht Helenens Anmuth, nicht Corneliens Bedeutung besitze, daß ihre Ansprüche an das Leben denen ihrer Cousinen nicht gleich kämen, hatte sie von Jugend auf sowohl an dem Benehmen der Gäste, als an dem der Dienerschaft ermessen können, wenn die Liebe ihrer verstorbenen Tante und die Güte der ganzen Familie sie auch als Kind des Hauses behandelt hatten, und die Briefe ihres Vaters hatten nur dazu beigetragen, sie daran zu erinnern, daß sie eine Fremde sei, daß ihre Zukunft nicht die der Heidenbruck'schen Kinder sein werde.

Dieser Vater, der Bruder der Baronin, war durch seinen Leichtsinn früh in schlimme Händel verwickelt, und in Folge einer Heirath mit einem ungebildeten Mädchen niederen Standes zum Austritt aus dem Regimente genöthigt worden, in dem er als Lieutenant gedient hatte. Durch die Vermittelung seines Schwagers hatte er eine Stelle als Subaltern-Beamter bei dem Zollamte einer Grenzstadt erhalten, und dort sich, nachdem Augustens Mutter bei der Geburt dieses ihres einzigen Kindes gestorben war, zum zweiten Male vermählt, ohne eine bessere Wahl zu treffen. Seiner zweiten Ehe war eine zahlreiche Familie entsprossen, und da Noth und Sorge, die Folge beschränkter Verhältnisse und übler Wirthschaft, sich mehr und mehr jenes Hausstandes bemächtigten, hatte die Baronin das älteste Kind, Auguste, zu sich genommen, und sich zur Versorgung desselben erboten, während sie, so weit es in ihrer Macht gestanden, dem Mangel und den Wirrnissen ihres Bruders redlich abgeholfen hatte.

Nur vierteljährig waren Briefe zwischen ihrem Vater und Augusten gewechselt worden, sie hatten aber hingereicht, einen Schatten über ihr Leben zu werfen, und ihre Augen auf Zustände zu richten, von denen ihre glücklicheren Cousinen unberührt geblieben waren. Jedes Schreiben ihres Vaters hatte von seinem Mangel gesprochen, jedes der Kleinen vorgehalten, wie gut sie es habe im Vergleiche zu den Ihrigen. Immer waren offene oder versteckte Forderungen darin enthalten gewesen, deren Gewährung zu erwirken, sie direct oder indirect die Weisung empfangen, und niemals hatte die Ermahnung gefehlt, sich nicht an die Pracht und Herrlichkeit ihres jetzigen Lebens zu gewöhnen, sondern sich stets zu erinnern, daß ihr Vater von Rang und Reichthum zum Elend herabgesunken sei, und daß man auf Nichts weniger zu rechnen habe, als auf die Beständigkeit irdischen Besitzes und auf die Treue der Menschen.

Hatte die Baronin um Augustens Willen das Abbrechen dieses brieflichen Verkehres oft gewünscht, so hatte der Baron sich dieser Ansicht widersetzt, weil kein Mensch auf Erden das Recht habe, einem Vater, der nicht für bürgerlich ehrlos erklärt worden sei, die Anrechte an seine Kinder zu entziehen, ja er selbst hatte die Hand dazu geboten, als der Vater einst das Kind zu sehen und zu diesem Zwecke die Hauptstadt zu besuchen gewünscht. Indeß jene Begegnung war für die damals vierzehnjährige Auguste eine durchaus nachtheilige gewesen. Das schon von Natur nicht edle Wesen ihres Vaters hatte sich in dem langen Beisammensein mit einer rohen Frau und in dem Verkehre mit ungebildeten Menschen erniedrigt, und Kinder sind bei der Lebhaftigkeit, mit der ihre frischen Sinne die ersten Eindrücke empfangen, scharfe Beobachter und strenge Richter. Der Unterschied in der Erscheinung des Zollamtscontroleurs und des Barons, die Scheu, mit der die eigene Schwester ihn behandelte, der Zwang, welchen die Uebrigen sich auferlegten, ihm rücksichtsvoll als einem Verwandten zu begegnen, vor Allem aber die Geringschätzung der Dienerschaft, waren ihr nicht entgangen, und hatten ihr einen unauslöschlichen Eindruck gemacht. Sie fürchtete sich vor dem Vater, sie schämte sich seiner. Es dünkte sie, als ob alle Augen mitleidig auf sie blickten, als ob jeder gewohnte Beweis der Zärtlichkeit ihrer Tante sie entschädigen solle für das Unglück, die Tochter eines solchen Vaters zu sein, und als ob das Mädchen, das zu ihrer Bedienung angewiesen war, sie von Stunde an nicht mehr wie sonst, sondern mehr wie ihres Gleichen ansähe und behandelte, worin sie sich nicht täuschte.

Ein Gefühl unverdienter Demüthigung, eine mißtrauische Angst, man könne sie an ihren Vater erinnern wollen, blieben ihr davon zurück, und während sie selbst fast niemals von ihm sprach, hegte sie doch ein unaufhörliches Mitleid mit seiner und der Seinigen Bedrängniß, wenn sie des Ueberflusses gedachte, der sie umgab und den sie theilte. Weil ihre schmerzlichsten Erfahrungen sich an ihren Vater knüpften, wähnte sie, alles Leid könne den Menschen nur von dieser einen Seite kommen, und aus diesem Empfinden hatte sie einst an Friedrich, als sie ihn an jenem Weihnachtsabende so niedergeschlagen mitten in der allgemeinen Freude erblickt, die Frage gerichtet, »ob er noch einen Vater habe?«

Eine frühreife Einsicht in des Daseins Drangsale, eine gewisse trockene Altklugheit und ein trauriger Zwiespalt in ihrem Empfinden, waren die Folgen dieser Verhältnisse. Die Vorsorge der Baronin hatte sie nicht zu bekämpfen vermocht, und nach dem Tode der Tante, als das Mädchen sich mehr und mehr auf sich selbst gewiesen sah, hatten diese Fehler nur um so tiefer in ihr Wurzel gefaßt.

Sie hatte die heitere Geselligkeit nicht vergessen, welche früher das Leben ihrer Cousinen verschönt. Da aber weder der Onkel in seiner Zurückgezogenheit, noch Cornelie in ihrer wachsenden Weltentfremdung daran dachten, ihr einen gleichen Jugendgenuß zu bereiten, so bestärkte sie diese Vernachlässigung in dem Gedanken, daß es für sie ein Unglück gewesen, in Verhältnissen erzogen zu werden, für die sie nicht bestimmt sei. Halb aus Resignation und Vernunft, halb aus trotzender Verletztheit, beschloß sie also, sich nicht mehr als ein gleichberechtigtes, sondern als ein dienstbares Mitglied des Hauses anzusehen. Jene Besorgungen, die sie bisher aus freier Neigung übernommen, behandelte sie jetzt als ihr obliegende Pflichten, welche zu erfüllen sie sich als eine That der Dankbarkeit und Selbstverleugnung anrechnete, und während der Baron und die nächsten Freunde des Hauses, Auguste um ihrer magdlichen Dienstbarkeit willen liebgewannen und priesen, entwickelte sich in ihr ein beschränkter Hochmuth, der die eigenen häuslichen Leistungen als das Wesentliche, alles geistige Streben aber als unwesentlich für eine Frau betrachtete. Unfähig Helene oder Cornelie in ihren Vorzügen zu erreichen oder dieselben vergessen zu machen, bildete sie in sich mit dem nie fehlenden bewußtlosen Instinkte enger Frauenseelen jene Eigenschaften aus, welche bei den Cousinen niemals in Anschlag gekommen waren, und in denen sie ohne Nebenbuhlerin und ohne Vergleichung das Feld behaupten konnte. Sie ward Hausfrau aus Selbsterhaltungstrieb und eigensüchtig aus demselben Grunde; denn der Egoismus ist die Waffe, das Horn, der Stachel, den die Natur dem Menschen mitgegeben hat. Er ist in dem großen Charakter Bedingung und Hebel seiner Wirksamkeit, in dem kleinen Nothwehr, und diese Nothwehr des Schwachen wird zugleich der Widerstand für den Starken, damit er das Material, in und mit dem er arbeitet, nicht zu schnell verbrauche. Beschränkte Menschen sind darum meist von einer zähen Ausdauer, an der die Energie von Riesenkräften stumpf und müde wird.

Auf solche Art fanden der Baron sowohl, als Richard und Georg sich auf Auguste angewiesen. Auch die Hausfreunde gewöhnten sich daran, das junge siebenzehnjährige Mädchen als die Wirthin des Hauses anzusehen, die überall ausgleichend, vorsorgend und vermittelnd, sich Allen unentbehrlich zu machen wußte. Vor Allen wurde dem Lieutenant ein Bedürfniß, der die Einförmigkeit des Vaterhauses im hohen Grade drückend fand, während die alte Familienordnung ihn doch nöthigte, die Abende so viel als thunlich in demselben zuzubringen, und der Wunsch, dem Baron die beginnende Vereinsamung des Alters weniger empfinden zu lassen, ihn von selbst dazu vermochte. Rückhaltslos hatte er bei allen Gelegenheiten es Cornelien zum Vorwurf gemacht, daß sie über ihrer persönlichen Genugthuung, über ihre neuen Freunde ihre natürlichen Pflichten und ihre Familie vergesse. Er hatte sie getadelt, daß sie Augustens Jugend ohne alle Freude dahinschwinden lasse, und wie er sich dadurch die Schwester entfremdete, war in dem Herzen der Cousine eine dankbare Hinneigung zu ihm erwachsen, die alle jene Vorsorge, welche sie den Anderen aus Pflichtgefühl bezeugte, für ihren Beschützer mit freudiger Liebe übernahm. Sie lernte seine Ideengänge kennen, sie wußte, wann der Augenblick gekommen war, die Unterhaltungen zwischen Vater und Sohn mit irgend einem Scherze zu unterbrechen, ehe sie den Punkt erreichte, auf dem die Ansichten der Männer sich feindlich entgegen traten, und fast kein Tag verging, an dem sie Georg nicht auf irgend eine Weise zu verpflichten wußte. Ueberlegt, vorsichtig und sparsam, besaß sie gerade die Eigenschaften, welche dem Lieutenant fehlten, der sie bald zur Vertrauten der Verlegenheiten machte, in die sein heftiger Charakter ihn verwickelte.

Genöthigt, Zerstreuung außerhalb des Hauses zu suchen, wobei der Umgang mit Larssen ihm verderblich war, hatte zugleich die fortschreitende Freiheitsbewegung im Südwesten des deutschen Vaterlandes ihn in ihre Kreise gezogen, und die Ansichten des Doctors in ihm einen gelehrigen und enthusiastischen Schüler gefunden, der sich darin gefiel, die neu erworbene Einsicht der stets freundlich zuhörenden Auguste und dem heranwachsenden Richard zugänglich zu machen, um sich lehrend der erworbenen Erkenntniß deutlicher bewußt zu werden.

Bei Mädchen und Frauen gilt aber die Theilnahme für eine Idee häufig nur dem Manne, der sie vertritt, und so vermochte Auguste den Gesprächen ihres Vetters mit Freude zuzuhören, seine Hoffnungen und Befürchtungen zu den ihren zu machen, obschon sie die vollständigste Gleichgültigkeit hegte für die Fortschritte des Constitutionalismus, während der jüngere Richard das Gedeihen desselben als einen Triumph der englischen Gesetzgebung über die deutsche ansah, und sich dafür begeistern konnte. Kaum zwölf Jahre alt bei dem Tode seines Vaters, hatte der Stolz auf die Nation, der er angehörte, schon so tiefe Wurzel in dem Knabenherzen geschlagen, daß die spätere Erziehung in Deutschland in ihm das Selbstgefühl des freigebornen Engländers nicht mehr zu unterdrücken vermochte, und mehr, als der Lieutenant es gewahr wurde, stachelte des Knaben stets mit Entzücken gesprochenes: »ich bin ein englischer Bürger!« die Unzufriedenheit Georgs mit seinen eigenen Verhältnissen auf.

Wißbegierig, wie Richard es war, fand er in Plessens Vorliebe für England auf ihren täglichen Spaziergängen Gelegenheit, sich über die Gesetze und Zustände des Landes zu unterrichten, dem er angehörte, und in das er zurückzukehren gedachte, sobald seine Schulbildung beendet und er in das achtzehnte Lebensjahr getreten sein würde. Sein Vater hatte es angeordnet, daß das Handlungshaus in Lissabon bis zu des Sohnes erlangter Großjährigkeit fortgeführt werden und ihm dann die Bestimmung freistehen sollte, ob er es auflösen oder als Chef in dasselbe eintreten wolle, wie denn auch die Wahl seines Berufes ihm vollkommen freigestellt und überhaupt nur die unerläßlichste Bevormundung für ihn festgesetzt worden war. Nach einer ausdrücklichen Bestimmung des Testamentes hatte Richard an seinem vierzehnten Geburtstage erfahren, daß er der Erbe eines großen Vermögens und der freie Herr seines Willens sei, während ihm zu gleicher Zeit ein Schreiben seines Vaters übergeben worden war, das ihn in den einfachsten und männlichsten Ausdrücken ermahnte, die ihm gewordenen Vorzüge würdig zu brauchen. »Du trittst ohne die Notwendigkeit der Dienstbarkeit in das Leben,« schloß es, »es ist Niemand da, der Dir zu gebieten hat, Du stehst allein unter den Gesetzen Deines edlen Vaterlandes, sobald Du aus der Vormundschaft Deines Onkels entlassen sein wirst. Benutze deine Jugend, Dich reif zu machen für das Leben, und bedenke, daß gerade Deine Unabhängigkeit Dir die Pflicht auferlegt, sie als Mann, als Engländer und als Gentleman würdig zu gebrauchen!«

Diese Erziehungsweise, so sehr sie sich im Gegensatze zu den Ansichten des Barons befand, äußerte auf Richard die günstigste Wirkung. In einem Alter, in welchem die Knaben in Deutschland fast noch ausschließlich mit den Spielen der Kindheit beschäftigt sind, blickte der junge Engländer, wenn er sich mit Lust der Gesellschaft seiner Kameraden überlassen hatte, hinüber zu dem mächtigen Inselvolke, von dessen weltbeherrschender Macht, von dessen freien Bürgern zu hören, ihn tiefer erschütterte, ihn gewaltiger erhob, als die Geschichtserzählungen aus der Vorzeit es vermochten. Die Begeisterung, welche uns aus der Vergangenheit quillt, ist unfruchtbar gegen den fortzeugenden Enthusiasmus, den eine würdige Gegenwart in uns erregt. Von Jugend auf zu wissen, daß auf jedem Punkte der Erde seine Person unverletzlich sei, so lange er durch kein Verbrechen sich des Schutzes der Gesetze unwerth mache, zu wissen, daß die mächtigste Nation der Erde, in ihrer Gesammtheit, jede ihm zugefügte Unbill räche, das waren Gedanken, welche der Knabe mit freudestrahlenden Augen aussprach; und auf dem Boote, das er sich nach einem englischen Muster hatte bauen lassen, umher zu rudern, die englische Flagge über seinem lockigen das Haupte, das flößte ihm eine Wonne ein, unter der sein junges Herz sich in stolzen Schlägen schwellte.

So standen die Verhältnisse im Hause, als ein Maskenball, der im Anfange des Winters stattfinden sollte, die allgemeine Theilnahme erregte, weil man mit demselben die Anwesenheit eines der Prinzen zu feiern gedachte. Der Baron, der sich in diesem Falle dem Feste nicht entziehen konnte, hatte der Tochter erklärt, dem Balle beiwohnen und sie und Auguste hinführen zu wollen, war aber bei Cornelie auf Widerstand gestoßen. Sie wendete ihm ein, daß sie seit dem Tode ihrer Mutter von dergleichen Zerstreuungen entwöhnt sei, sie entschuldigte sich mit ihrer Unlust an denselben, als jedoch der Baron auf seinem Wunsche beharrte, und ihr vorhielt, daß es ihre Pflicht sei, sich seinem Willen und dem Vergnügen der stets dienstfertigen und selbstlosen Cousine zu unterordnen, da brach Cornelie verstummend in Thränen aus.

»Was soll das?« fragte der Baron, »Du weißt, daß ich an meinen Kindern die Schwäche des Weinens nicht ertragen mag!«

»Es ist nicht Schwäche, theurer Vater!« entgegnete Cornelie, »es ist der Schmerz, der sie mir erpreßt. Ich habe den Augenblick lange gefürchtet, in dem ich mich zwischen Dir, mein theurer Vater, und meinem himmlischen Vater gestellt fühlen würde, und er ist gekommen!«

Sie hielt inne, der Baron schwieg auch, als erwarte er, daß sie fortfahren würde, da sie es nicht that, sagte er nach einer Pause: »Und nun Cornelie?«

»Nun, mein theurer Vater! muß ich Dir endlich bekennen, daß ich den Weg der Halbheit, den ich bisher gegangen bin, nicht weiter gehen kann. Ich kann nicht, selbst nicht für Dich, dem ich mein Leben danke, meine Seele fortsiechen lassen zwischen den hohlen, uns vernichtenden Freuden eitler Weltlust und der Erhebung zum Lichte und zur Wahrheit. Gönne mir, daß ich fortan meiner Ueberzeugung leben, daß ich mich heiligen darf in mir nach meinem Sinne, um der Gemeinschaft meines Heilandes und derer, die sich um ihn schaaren, werth zu werden. Muthe mir nicht mehr zu, an dem hohlen Treiben der Weltmenschen Theil zu nehmen, vor dem mein Bewußtsein schaudert, und laß mich Dir, wie mein leiblich Dasein, so auch das ungestörte Heil meiner Seele verdanken!«

Mit dieser Bitte wähnte die Tochter das höchste Zugeständniß gemacht zu haben, das ihr zu thun verstattet sei, denn ihr Bewußtsein hob sie seit langer Zeit über all diejenigen hinaus, die ohne Erleuchtung die Pfade der Welt wandelten, und sie bat es im Herzen ihrem Heilande ab, daß sie sich gedemüthigt habe, wo es ihre Pflicht gewesen wäre, mit der Kraft der Ueberzeugung seine Wahrheit als unumstößliches Gesetz zu verkünden. Der Baron aber faßte es anders auf.

Er hatte sie ohne ein Zeichen von Bewegung ruhig sprechen lassen. Als sie geendet hatte, sagte er: »Ich habe Dich angehört, nun höre mich an. Als ich Dir gestattete, die von Deiner seligen Mutter gegründeten Vereine fortzuführen, geschah es in der Voraussetzung, daß sie in ihrem und in meinem Sinne verwaltet werden sollten, daß sie eine Kette bilden würden zwischen dem Adel und dem Volke, daß sie dem Bürger ein Beispiel werden würden, was dem Reichen gegen den Armen, dem Glücklichen gegen den Leidenden zu thun obliege. Der Verein sollte in diesen Zeiten der Verwirrung und des Hasses der Stände, ein aussöhnendes Bindemittel zwischen ihnen herstellen, und der Adel als die Stütze des Thrones sollte, das war mein gegen Deine Mutter ausgesprochener Grundsatz, ohne Anspruch auf Anerkennung im Stillen daran arbeiten, den sittlichen Boden zu befestigen, auf dem allein der Thron in sichrer Ruhe sich erhebt.«

»Dieser sittliche Boden grade, mein Vater!« fiel ihm Cornelie in's Wort, aber der Baron ließ sie nicht enden.

»Unterbrich mich nicht!« sagte er streng und fuhr dann fort: »Ich billigte es, daß Du die Gräfin an die Spitze des Unternehmens stelltest, denn Du kanntest meine Ansicht, daß es einem Mädchen nicht gezieme, mit ihrem Namen in die Oeffentlichkeit zu treten. Ich gestattete Dir, in Deiner Lebensweise einfachere Gewohnheiten, in Deiner Kleidung größere Schlichtheit anzunehmen, weil es in unseren Zeiten nützlich ist, sich bedürfnißlos zu machen. – Aber ich verbiete Dir von dieser Stunde ab die Theilnahme an dem Hülfsvereine, denn ich sehe, was ich bereits vermuthet, daß ihr auf Abwege gerathen seid, daß ihr euch in religiöse Spielereien versenkt habt, die ich mißbillige und denen ich ein Ende gemacht haben will, weil sie Deinen gesunden Sinn, weil sie Dein Urtheil, das wir klar erzogen haben, bereits so weit verwirrten, daß Du Deine nächste und bis jetzt einzige Pflicht vergessen konntest, die Pflicht des Gehorsams gegen mich. Du hast keine andere. Erfülle sie, Cornelie!«

Er gab ihr bei diesen Worten die Hand, seines Erfolges gewiß und also zum Verzeihen des Vorhergegangenen bereit, aber er hatte sich getäuscht, denn er hatte nicht auf die Kraft in Cornelien gerechnet, die der Fanatismus verleiht.

»Meine einzige Pflicht ist der Gehorsam gegen Gott!« sagte sie fest, »und wenn ich gestellt werde zwischen Menschenwillen und den Willen meines Schöpfers, darf mein Herz nicht schwanken. Du selbst, mein Vater! hast mich durch das Sacrament der heiligen Taufe zur Nachfolge des Heilandes geweiht, wie darfst Du mich hindern ihm nachzustreben?«

»Laß die Phrasen, Cornelie!« rief der Baron, »sie mögen Bewunderung erregen vor den Ohren Deiner Freunde, mir sind sie leeres Wortgepränge. Du kennst jetzt meinen Willen. Du entsagst von heute ab der Theilnahme an dem Vereine und Du begleitest Auguste zu dem Balle! Es wird Dir leicht werden, Deine Verblendung zu erkennen, sobald Du Dich wieder in dem Dir zukommenden Lebensgleise bewegen wirst.«

»Das werde ich nicht, mein Vater!«

»Cornelie!«

»Ich werde und ich darf es nicht, mein Vater!« wiederholte sie.

»So werde ich Dich zwingen es zu thun!«

»Zwingen?« fragte Cornelie, »wie ist das möglich, Vater?«

»Du verlässest von heute ab nicht ohne mein Wissen das Haus, und empfängst keine Besuche ohne meinen Willen.«

»Die Einsamkeit ist eine Gnade für den, mit dem der Geist des Heilandes ist. Er wird bei mir sein und mein Trost allezeit; ich danke Dir, mein Vater!« sagte sie, küßte dem Baron die Hand und verließ das Zimmer, beseligt durch das Bewußtsein eines Märtyrthums.

Der Baron blieb zurück mit dem Gefühle eines Mannes, der die Grundpfeiler seines Hauses hat wanken sehen. Ein Herrscher, an dessen Krone sein Volk die Hand gelegt, mag sich immerhin noch ferner von Gottes Gnade nennen, der eigne Glaube an seine Göttlichkeit ist doch verloren. Noch hoffte der Baron zu siegen, aber daß er es zu der Nothwendigkeit eines Sieges kommen lassen, zerstörte in ihm das Bewußtsein der Unfehlbarkeit, in der das Geheimniß seiner Kraft geruht. Er hatte sein Kind auf falschem Wege wandeln lassen, er war nicht die Vorsehung seines Kindes gewesen, das gab Cornelien das Recht, einen höhern Willen als den seinen zu verehren.

Er bereute die Uebereilung, mit der er sich zu einer Drohung hinreißen lassen, welche er auszuführen weder gesonnen, noch im Stande war. Wie lange konnte er diese Clausur über seine Tochter verhängen? Sie von dem Orte zu entfernen, würde er sich um so weniger entschlossen haben, je mehr er sie seiner Leitung bedürftig glaubte, und sie zwingen, sich den geselligen Freuden und den früheren Lebensgewohnheiten wieder zu überlassen, war unmöglich, denn der Zwang kann Vieles hindern, aber Nichts befördern, wenn er nicht zu physischen Gewaltmitteln seine Zuflucht nehmen will. Dem Auge seiner Freunde, dem Auge der Dienerschaft den Zwiespalt kundzugeben, der sich zwischen ihm und seiner Tochter aufgethan, hieß für ihn eine Niederlage eingestehen und sich der gewohnten Waffen freiwillig berauben. Wenn er anderseits Cornelien die Genugthuung des Leidens für ihren Glauben gewährte, erhob er ihr Selbstbewußtsein und ihre Bedeutung in der Werthschätzung ihrer Sinnesgenossen. Zum ersten Male entschloß er sich zu einem Widerrufe, aber sein Schritt dünkte ihn wankend, als er das Zimmer seiner Tochter betrat, und tiefe Blässe lag auf seiner verdüsterten Stirne.

Cornelie war mit weiblicher Arbeit beschäftigt. Sie erhob sich bei seinem Eintritt mit einer Förmlichkeit, die ihn kalt berührte, weil sie ihm zeigte, daß es Worte und Handlungen giebt, die dem innigsten Verhältniß einen nie mehr auszugleichenden Schaden zufügen. Mit dieser erzwungenen Ehrerbietung hatte noch keines seiner Kinder je vor ihm gestanden. Sie erschütterte ihn auf das Tiefste, und mit bewegter Stimme sprach er: »Ich komme, Dir zu sagen, daß ich meinen Vorsatz ändere. Ich will Deiner Einsicht nicht Gewalt anthun, aber ich fordere von Dir strenge Prüfung dessen, was Du Deinen Glauben nennst, und ich werde Dir Gelegenheit bieten, sie zu üben. Du bist Herr Deines Kommens und Gehens wie zuvor, ich dispensire Dich für diesmal von dem Balle, denn Du bedarfst allerdings der Sammlung, um Dir klar zu machen, wohin Du Dich verirrt hast. Komm zum Thee herunter.«

Damit wendete er sich ab und schritt langsam der Thüre zu, auf einen Dank, wie auf ein zusagendes Wort der Tochter rechnend. Es ward nicht gesprochen. Cornelie selbst erschrak vor ihrem Schweigen. Es war öde und kalt in ihrem Innern, und mit herzzerreißender Klarheit empfand sie, daß man den nicht lieben kann, der unumschränkte Macht hat über uns. Vor der Gewalt, auch vor der edelsten, vermag der selbstbewußte Mensch allenfalls Ehrfurcht zu fühlen, aber Liebe erwächst und besteht nur in der Freiheit. Menschen und Völker, die ihren unbeschränkten Herrn zu lieben fähig sind, geben dadurch ein Zeugniß ihrer Unreife und Unbeständigkeit. Der Vater und die Tochter empfanden es, daß sie in dieser Stunde sich an der Grenzscheide ihres bisherigen Verhältnisses befanden, und daß sie überschritten sei. Indeß Nichts verrieth äußerlich den Bruch mit der Vergangenheit, ja es trat jene Schonung zwischen ihnen ein, welche die fehlende Sicherheit bezeichnet, und als ob gar Nichts vorgefallen wäre, wies der Baron seine Nichte an, die Vorbereitungen zu dem Maskenfeste für sich allein zu treffen.

Auguste hatte stets einen selbstquälerischen Genuß darin gefunden, von den Lustbarkeiten sprechen zu hören, an denen sie nicht Theil nahm. Jetzt, da der Onkel ihr freigebig eine namhafte Summe zur Verfügung stellte, ihre Garderobe zu beschaffen, lehnte sie das reiche Anerbieten mit der Erklärung ab, sie wünsche kein Costüm anzulegen, in dessen Herrlichkeit sie sich selbst wie eine Maske dünken würde, und da man eine Reihenfolge von deutschen, italienischen und französischen Opern darzustellen beabsichtigte, bat sie den Lieutenant, die nöthigen Schritte zu thun, damit ihr die Rolle des Aschenbrödel überlassen werde.

Die spielende Weise, in der sie den Wunsch aussprach, stand ihr so vortrefflich, als später die erwählte Tracht. Das schlichte grauseidene Gewand, das Käppchen von schwarzem Sammet paßten vollkommen zu ihrem weichen blonden Haare, zu der mehr frischen und kräftigen als edlen Gestalt, und als sie am Abende des Festes zu demselben geschmückt, in das Zimmer trat, rief Richard gegen Georg gewendet mit Verwunderung aus: »Sieh doch, Georg! Auguste ist ja wirklich hübsch!«

Auch der Lieutenant bemerkte es zum ersten Male, so daß in Augustens Freude über die Bewunderung ihrer Vettern sich ein kränkendes Gefühl über die Nichtbeachtung mischte, der sie seit dem Tode ihrer Tante anheimgefallen war. Ihr Stolz empörte sich dagegen, und während das bunte Getreibe eines Maskenballes sie umwirbelte, während der Glanz, die Lust, die sich bewegenden phantastischen Gestalten ihre Sinne aufregten und verwirrten, kam ihr urplötzlich der Gedanke, dem Schicksal abzutrotzen, was der jugendliche Leichtsinn ihres Vaters ihr entzogen hatte – Unabhängigkeit und den Genuß des Lebens.

Jede neue Erscheinung in der Gesellschaft, wenn ihr der Reiz der Jugend zu Hülfe kommt, hat den Vorzug, die Aufmerksamkeit der Männer zu erregen, und das junge Mädchen sah sich in einer Weise gesucht, an der die Theilnahme des Lieutenants sich entzündete. Was man geschätzt sieht, wird erstrebenswerth, und fremdes Urtheil bestimmt für die Masse den Preis der Dinge wie den eigenen Werth. Georg huldigte der Cousine mit dem vertraulichen Anrecht ihres geschwisterlichen Lebens, aber Auguste hielt sich zurück. Das machte ihn ungeduldig, er ward dringender, sie sah es und lachte über ihn, denn sie erkannte die Macht, die jedem Weibe innewohnt und beschloß sie zu benutzen. Sie schien hingerissen von der ungewohnten Freude, aber ihr Sinn war so mächtig auf einen Punkt gerichtet, daß Nichts sie davon abziehen, Nichts sie zerstreuen konnte von dem einen Plane. Sie wollte nicht mehr die dienende Vertraute ihres Vetters sein, sie wollte sein Weib werden, er sollte ihr die Stellung und den Genuß des Lebens geben, die sie begehrte. Und war es nicht stets unbewußte Liebe gewesen, die sie für ihn empfunden hatte? Bedurfte er ihrer nicht? so fragte sie sich, während ihre Blicke heiter leuchteten, als läge jeder ernste Gedanke ihr in weiter Ferne, als fühle sie nicht, welchen Erfolg sie gehabt, als hätte dieser erste Sieg sie nicht zu neuem Siegenwollen aufgestachelt.

Aber in ihren Träumen, ihren Wünschen und Planen ward sie durch eine ungewöhnliche Bewegung unterbrochen. Man trat in Gruppen zusammen, man lachte, es wurden Worte der Mißbilligung laut, dann plötzlich hatten eine große Anzahl von Personen, Alle fast zu gleicher Zeit, geschriebene Blätter ausgetheilt erhalten, die in witzigen Epigrammen bald die Empfänger selbst, bald andere Personen geißelten. Jedem waren sie durch einen Zettelträger übergeben, und zwar an den verschiedensten Stellen des Saales und in allen Nebenzimmern auf einmal, so daß viele Personen in der gleichen Maske sich dem Geschäfte unterzogen haben mußten, überall fand man noch Blätter auf dem Boden liegen, und Eines überbot das Andere in witziger Spötterei, in bitteren Sarkasmen. Eine Menge bekannter und doch nur ungern preisgegebener Verhältnisse war in den Epigrammen bloßgelegt, Privat- und öffentliche Zustände fanden ihren Richter, und während sie die allgemeinen Institutionen vom Standpunkte einer sehr radicalen Anschauungsweise, der spottenden Kritik anheimgaben, geißelten sie unbarmherzig die höchsten Beamten der Verwaltung und des Militairs.

Die allgemeine Bestürzung mußte den zu diesem Unternehmen Verbündeten die Zeit gelassen haben, zu entkommen. Niemand hatte vorher die Maske eines Zettelträgers wahrgenommen, dann war sie an allen Enden aufgetaucht und eben so spurlos verschwunden. Selbst dem Prinzen hatte man ein Epigramm zuzustellen gewußt, das ihm die empfangenen Huldigungen als eine Folge erlassener Befehle verdächtigte, und die allgemeine Mißstimmung ward noch dadurch um ein Vieles gesteigert, daß dieses Ereigniß grade in Gegenwart des jungen Fürstensohnes Statt gefunden hatte. Man versuchte über die Störung fortzukommen, aber es war nicht möglich. Der Prinz verließ den Ball, der kommandirende General, der besonders heftig angegriffen war, begleitete ihn, andere Personen, welche ähnliche Unbill erfahren hatten, folgten Jenen, nach kurzer Zeit war der Ballsaal verlassen, das Fest beendigt.

Als Auguste sich endlich in ihrem Schlafcabinette, das Herz voll Wünsche, den Geist voll Pläne, zur Ruhe niederlegte, trug sie Vermuthung in sich, die sie nur sich selbst gestand.


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