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Fünfzehntes Kapitel.

Georg's letzte Tage im Vaterhause waren die schönsten gewesen, welche er und der Baron mit einander verlebten. Der Gedanke, sich nun für lange von dem Vater zu trennen, hatte Georg mit den Stunden und Minuten geizen lassen, die er noch in seiner Nähe zu verweilen hatte; das Bewußtsein, jetzt frei und selbstständig zu werden, hatte ihm die Unterordnung leicht, ja süß gemacht. Wie ein Knabe war der Mann dem Vater überall gefolgt, jeder Dienst, den er ihm erzeigen konnte, war ihm mehr noch als je zu einer Lust geworden, und mochte der Baron innerlich den Lebensweg noch immer einen unangemessenen schelten, den der Lieutenant zu gehen beschlossen hatte, er konnte es sich länger nicht verbergen, daß Georg für die Disciplin des Soldatendienstes nicht geschaffen gewesen sei.

Die Vorsorge, mit welcher er selbst dem Sohne Empfehlungen an die ersten Handelshäuser der Städte zu verschaffen beflissen war, in denen er auf seiner Reise längere Zeit verweilen sollte, die Schonung, mit der er jetzt, da der Entschluß gefaßt, sich jedes Tadels, jedes Bedauerns über denselben enthielt, erregten Georg's Dankbarkeit. In einer Stunde vertraulicher Unterhaltung hatte er mit Rührung dem Vater bekannt, welch ein Kummer es ihm von seiner Kindheit an gewesen sei, seine Zufriedenheit nicht erlangen zu können, seine Liebe nicht verstanden, seine Naturanlagen nicht von dem Vater beachtet zu sehen. Beide Männer hatten ein Gefühl der Verschuldung gegen einander gehabt, Beide den Wunsch gehegt zu vergüten, und wie die Sonne im Herbste ihr Licht oft am erquickendsten über die Erde breitet, so hell und warm verschönte dies späte Verstehen mit seiner Liebe das letzte Beisammensein der Beiden.

Am Abende vor der Abreise befanden sich Auguste und Georg noch allein in dem Zimmer. Mit beobachtendem Auge sah der Letztere sich lange in den Räumen um, seine Blicke hafteten an den einzelnen Gegenständen, und schienen bei jedem derselben lange zu verweilen.

Auguste bemerkte es. »Was denkst Du? oder was suchst Du?« fragte sie ihn.

»Was ich suche? was ich denke? Ich denke mir den morgenden Tag und suche mich in diesen Räumen!«

»Morgen? morgen wirst Du ja fort sein!« antwortete sie seufzend.

»Eben darum! Ich kann mir nicht vorstellen, wie es morgen hier sein wird ohne mich. Unser ganzes Wesen ist so auf unser Dasein in der Gegenwart gestellt, daß wir uns kaum eine Zukunft ohne dasselbe zu denken vermögen – und ich war doch Jahre lang von hier entfernt.« – Er schwieg eine Weile, dann sagte er: »Damals lebte aber die Mutter noch, Helene, Erich, Richard waren im Hause. Und nach ihrer Hochzeit gehen Cornelie und Plessen nun auch davon!«

»Es wird sehr einsam werden, wenn Du fort bist!« klagte Auguste.

»Sehr einsam!« wiederholte er. »Ich darf es mir nicht denken, wenn ich auf den Vater blicke. Hätte ich bleiben können, wie gern wäre ich geblieben!« sagte er im Bewußtsein dessen, was er jetzt dem Vater sein könnte.

Aber Auguste, stets eben so bereit sich selbst zu trösten, als Georg zu rechtfertigen, wenn ihr Verstand sich über seine Kälte nicht zu täuschen vermochte, bezog die Worte nur auf sich und auf den Schmerz des Vetters, sich von ihr zu trennen. Sie war gewaltthätig wie alle Frauen, die ihre Liebe als ein Recht empfinden, welches dem geliebten Gegenstande Pflichten auferlegt, und die sich niemals fragen, ob er ihr Recht und seine Pflichten anerkenne? Sie hatte es Georg als männliche Festigkeit, als Schonung gegen sie gedeutet, daß er seiner Reise, ihrer Trennung niemals gegen sie gedachte, und geschwiegen so wie er. Jetzt aber, da er klagte, schwoll ihr Herz hoch auf vor Freude und vor Leid, und mit plötzlicher Bewegung rief sie: »Ob ich das weiß, Georg? ob ich die Schmerzen dieses Tages mit Dir theile? Aber sei unbesorgt, so wie wir heute scheiden, finden wir uns wieder!«

Sie hielt ihm die Hand hin, er schlug ein. »Ja!« sagte er, »Du wirst hier bleiben! ich zähle fest auf Dich!«

»Bei Gott! das kannst Du auch! Sei Du nur treu!« rief Auguste und trocknete die Augen.

Die Worte beschwerten sein Gewissen. Er hatte sich seit Monaten in ernster Ferne von ihr gehalten, und jene Liebeständeleien streng vermieden, die sich erlaubt zu haben, er bereute. Er hatte gehofft, Auguste solle vergessen, sich zurechtgefunden haben. Jetzt ward er seines Irrthums, seines Unrechts inne. Er sah, daß Auguste, die nahe an ihn herantrat und ihre Hand ihm auf die Schulter legte, seine Umarmung erwartete, aber er wollte keine Liebe heucheln, die er nicht empfand.

»Liebe Auguste,« sagte er bewegt, »Du hast mir Vieles zu verzeihen, ich fühle mich schuldig gegen Dich. Vergieb mir und vergiß – –«

Sie ließ ihn aber nicht zu Ende sprechen.

»O!« rief sie, »wie kannst Du mir so reden? Was hätte ich Dir zu vergeben, wie sollte ich Dich, Dich, Georg! vergessen? Und wenn lange Jahre und ferne Welten sich zwischen uns legen, ich bleibe Dein. Ich bin sehr treu.«

Er stand ihr verlegen gegenüber, denn er hatte nicht den Muth, sie grade in dieser Stunde zu enttäuschen, und wußte doch nicht, was beginnen? Da trat der Diener ein, die Geräthe fortzunehmen, die Lampen auszulöschen. Als er die Beiden noch im Zimmer sah, wollte er sich entfernen, aber Georg zog die Uhr heraus.

»Es ist wohl Zeit!« sagte er. Auguste überlief es kalt dabei. Er sah es, es that ihm weh, und er schämte sich vor sich selber.

»Es ist zwölf Uhr, Herr Lieutenant!« sagte der Diener, »und die Post fährt früh um sechs!«

»So will ich gehen!« rief Georg, »Du wirst auch müde sein, Auguste!«

»Ja!« antwortete sie, verschloß den Thee, den Zucker in dem Schränkchen, und räumte verschiedene Bücher und Kleinigkeiten zusammen, die noch zerstreut im Zimmer lagen. Es war eine peinliche Scene, sie schnürte ihm die Kehle zu, und einem unwiderstehlichen Zuge folgend, trat er zu Augusten hin, faßte sie um, küßte sie und sagte ihr: »Schlaf wohl, schlaf wohl! Du bist tausendmal besser als ich!«

Und von allen ihrem Bangen schnell geheilt, zu neuen Hoffnungen ermuthigt, schlief sie unter süßen Thränen ein, während Georg von Vorwürfen gemartert, vergebens den Schlummer und mit ihm Vergessenheit erwartete.


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