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Viertes Kapitel.

Fast um dieselbe Zeit, in welcher diese Ereignisse die Ruhe in ihrem Vaterhause störten, war auch in Helenens Leben einer jener Wendepunkte eingetreten, die innerlich lange vorbereitet, dennoch stets plötzlich zu kommen scheinen.

Mehr als sechs Jahre waren nach ihrer Entfernung aus dem Vaterhause, nach ihrer Ankunft in Neapel vergangen, das sie nur einmal verlassen hatte, um die Familie ihres Gatten in Frankreich kennen zu lernen. Weder ihren Vater noch eines ihrer Geschwister hatte sie wieder gesehen, seit Erich auf seiner großen Reise sie im ersten Jahre ihrer Ehe in Neapel besuchte, und nur ein häufiger Briefwechsel hatte sie mit den Ihrigen zusammengehalten, der mehr und mehr an Vertraulichkeit verloren, je schwerer die Sinnesart des Barons und Corneliens religiöse Richtung mit den Verhältnissen der Gräfin zu vereinen waren.

Jetzt, da die heiße Jahreszeit vorüber, hatte sie ihren Sommeraufenthalt in Castel a Mare beendet, und wieder das Gesandtschaftshotel in Neapel, den schönen Palast an der Riviera bezogen, der gegen den Paufilipp hin gelegen, die Vorzüge der Residenz und die vollen Reize der Natur zugleich zu genießen gestattete.

Der October, der im Norden schon den Winter ahnen läßt, bringt in jenem glücklichern Clima neues Leben und Werden, wenn die Regengüsse den vom Sonnenbrande durchglühten Boden getränkt und zu frischer Thätigkeit erkräftigt haben. Die Bäume grünen wieder in glänzender Blätterfülle, die Orangen bringen ihre Blüthen in wenig Tagen neu hervor, die Palme hebt stolzer ihre Fächerarme in die Luft, Alles treibt, wächst, blüht, duftet und funkelt in Farben, und selbst das Meer scheint voller und reicher zu wallen, kühner und höher hinaufzuschäumen an den Fuß des Felsenstrandes.

Es war die sechste Abendstunde und die Hitze des Tages vorüber, als man alle Fensterthüren des Palastes öffnete und die Gräfin, von einem Manne gefolgt, auf die Terrasse trat. Die Sonne des Südens hatte auch sie gereift, ihre Anmuth in wirkliche Schönheit verwandelt. Ihre Züge hatten an Festigkeit gewonnen, der Teint an Farbe und Kraft, die Lippen waren voller, die Augen glänzender geworden und die ganze Gestalt zeigte einen seltenen Adel und eine strahlende Lebensfülle.

Auch betrachtete ihr Begleiter sie mit Entzücken, wie sie dahinschritt in ihren luftigen, weißen Gewändern, hie und da an einem Blumenbeete verweilend, um jene dunkelrothen Nelken zu brechen, die Lieblingsblume der Neapolitaner, die sie, zum Strauß vereint, an ihren Busen steckte.

Als sie dann auf und niederwandelnd ihre Augen weithin schweifen ließ über das blaue Meer, hinüber zu dem ruhenden Vulkane, dessen Rauchsäule sich im Lichte glänzend und weißröthlich, wie eine japanische Lilie zu dem tiefblauen Himmel erhob, sagte sie: »Diese Stunde ist mir stets eine der liebsten des ganzen Tages, denn immer wieder überwältigt mich, wenn ich aus dem kühlen Schatten meiner Zimmer Abends hinaustrete, die wundervolle Schönheit dieser Natur. Dies Land jemals zu verlassen, diese Natur zu entbehren, wäre mir der größte Schmerz!«

»Das Geständniß ist verrätherisch Frau Gräfin!« sagte der Cavaliere mit jener einschmeichelnden und doch beherrschenden Baritonstimme, die den Italienern eigen und des Eindruckes auf Frauen so gewiß ist.

»Verrätherisch?« wiederholte Helene, »und weshalb?«

»Wer, so jung, so schön wie Sie theure Gräfin! seine ganze Befriedigung aus der Natur zu schöpfen sich gezwungen sieht, dem bietet das Leben kein Glück. Vor dem Zauber der Liebe erblassen die Reize der Natur.«

Die Gräfin wendete das Auge ab. »Und doch lieben Sie diese Natur so tief als ich!« entgegnete sie.

»Ich bin ein Mann, Signora! und dies ist mein Vaterland!«

»Glauben Sie das Weib weniger empfänglich für seine Schönheit, weniger gemacht, sich zu erheben an den Wundern der Natur, der Kunst und der Geschichte, die uns in Italien umfangen?«

Der Cavaliere war ihr näher getreten und hatte sich wie sie auf die Ballustrade gestützt, so daß seine Hand fast die ihre berührte. »Wozu die Phrase, theure Gräfin!« sprach er, »die an jene neue französische Schule erinnert, welche das Weib zum Manne machen möchte. Für Emancipationsgedanken sind Sie zu jung und viel zu schön!«

»Wozu die Phrase, Don Camillo? Für Complimente, wie jede Goldonische Komödie sie uns bietet, sind Sie nicht gemacht, und ich wenigstens hoffte, von solchen emancipirt zu werden!« ahmte sie ihm nach.

»Nun denn, Gräfin! da Sie den Scherz nicht gelten lassen, eine ernste Frage. Wie konnten Sie einst Ihre Hand vergeben ohne Ihre Neigung?«

»Das geht zu weit!« rief die Gräfin bestürzt. »Wer gab Ihnen ein Recht zu dieser Frage?«

»Ihre leidenschaftliche Begeisterung für Natur und Kunst, und meine Theilnahme!« erwiderte er und ergriff ihren Arm, den er in den seinen legte, während er sie langsam mit sich fortführte, um ihre beabsichtigte Entfernung zu verhindern.

Trotz ihrer Weltgewandtheit fühlte die Gräfin sich verwirrt, denn die unberechtigte Gewalt, die man gegen einen Menschen ausübt, hat etwas Bannendes. Noch ehe sie ihm zu antworten vermochte, sagte er: »Wären Sie ein Weib wie alle anderen, es sollte mich nicht kümmern, daß Ihr Leben sich von bleichen Träumen, von Gebilden der Phantasie ernährt; aber Sie sind Künstlerin, Signora! und der Künstler kann nicht schaffen ohne die Sonne des Glückes!«

»Eine Frau soll Nichts sein, als das Weib ihres Mannes!« spottete Helene.

»Der Graf hat Recht,« sagte der Cavaliere, der diese Behauptung selbst aus dem Munde ihres Gatten vernommen hatte. »Eine Frau braucht Nichts weiter zu sein, wenn sie das glückliche Weib ihres Mannes ist. Sind Sie glücklich, Signora?«

Ihre Farbe wechselte schnell, sie schwieg einen Augenblick, sah ihn dann fest an und sprach mit gepreßter Stimme ein entschiedenes »Nein!«

»Und waren Sie es je an seiner Seite?«

»Nein!« wiederholte die Gräfin, »und ich werde es nie sein. Ich habe versucht, es zu vergessen, ich habe mich zu überzeugen gestrebt, daß wir nicht zum Glücke geboren, daß Entsagen, Dulden, sich mit Unvollkommenem begnügen unser Loos ist. Aber hier, hier« – und sie legte die Hand auf das Herz – »lebt die unwiderlegliche Gewißheit: der Mensch ist zum Glücke geschaffen, und wer es nicht kennen lernt, wer, ohne es voll und tief genossen zu haben, durch das Leben gehen muß, der hat sein Leben verfehlt, wie ich das meine!«

Ihre Wangen glühten, ihre Augen leuchteten. Es war nicht die Wehmuth, sondern der Zorn gegen ihr Geschick, der aus ihr sprechend sie überwältigte. Sie selbst erschrak darüber, als sie geendet hatte. Der Cavaliere schwieg, es entstand eine lange Pause. Sie lastete auf der Gräfin.

»Warum schweigen Sie,« sagte sie zornig, »da Sie mich zum Sprechen hingerissen haben!«

»Weil ich Ihnen die Ruhe gönnen möchte, selbst den Schluß zu ziehen. Das ausgesprochene Wort klärt uns innerlich auf, und macht uns zum Betrachter unserer selbst!«

»Ich hasse die Gewalt, die Sie über mich auszuüben streben!« rief die Gräfin ungeduldig, »auch wenn Sie sie in die beschönigenden Formen eines stützenden Rathes kleiden!«

»Cosi àl' egro fanciul porgiamo aspersi

Di soave licor gli orli del vas

Succhi amari ingannato intanto ei beve

E dal' inganno sua vita riceve!«

antwortete der Cavaliere, seinen Lieblingsdichter citirend.

» E dal' inganno sua vita riceve!« wiederholte die Gräfin nachdenkend, schüttelte dann das Haupt und sagte: »Aus der Täuschung erwächst kein Leben. Täuschen Sie mich nicht! wohin wollen Sie mich leiten?«

»Durch die Liebe zur Kunst; durch mein Glück zu dem Ihren!« rief er, und blickte zu ihr hinab, nicht wie ein Liebe begehrender Mann, sondern wie ein Herrscher, der eine Gnade verkündet, welche man anzunehmen durch seine Macht gezwungen wird.

Er war vollendet schön in seiner stolzen Männlichkeit. Sein Auge ruhte ernst und brennend auf der Gräfin, seine Hand hielt die ihre fest umschlungen, sie wagte nicht zu ihm empor zu sehen, denn sie fürchtete ihn, und doch strömten elektrische Wellen eines ihr fremden Entzückens durch ihr ganzes Wesen. Mit dem Bewußtsein, einem Zauber hingegeben zu sein, fehlte ihr die Möglichkeit, sich demselben zu entreißen. Gebannt durch seinen übermächtigen Willen, hob sie endlich um Erbarmen flehend die dunklen Augen zu ihm empor, in denen leuchtende Perlen schwammen, und mit leidenschaftlicher Kraft zog Camillo das bebende Weib in seine Arme. Mit glühenden Lippen trank er die Thränen, welche Schmerz und Liebe ihr erpreßten, bis sich ein dumpfer Schrei ihrer Brust entrang und sie sich losriß, in eiligem Schritte ihm zu entfliehen.

Erst in der Stille ihres Gemaches schöpfte sie Athem. Sie hatte sich in einen Sessel niedergeworfen und verhüllte das Gesicht mit den Händen. Ein fliegendes Schaudern rieselte durch ihre Glieder, ihr Busen hob sich krampfhaft, bis endlich ein Strom von Thränen ihrer Erschütterung zu Hülfe kam, und alle ihre Gedanken sich auflösten in dem Gefühl des Mitleides mit sich selbst, die schmerzlichste Empfindung, deren die Seele fähig ist.

Camillo war der erste Maler Italiens und Helenens Lehrer. Bald nach ihrer Ankunft hatte er im Auftrage des Grafen ihr Bild gemalt, der, stolz auf den Besitz des jungen, schönen Weibes, es durch Pinsel und Meißel der ersten Künstler verherrlicht sehen wollte. Und wie Helene als die junge Frau eines älteren Gatten schnell der Gegenstand der Galanterie ihrer männlichen Altersgenossen geworden war, so machte ihre Schönheit und ihr Interesse für die Kunst sie bald zum Mittelpunkte der Künstlerwelt, die der Graf in seinem Hause beschützend zu versammeln liebte.

Geschmeichelt durch die Bewunderung, welche man Helenen zollte, hatte er ihr eine große Freiheit verstattet, und seit Jahren war in keinem Gesandtschaftshotel ein Salon gleich dem der Gräfin St. Brezan zu finden gewesen. Sie selbst hatte sich in dieses ihr neue Leben mit allem Glückesdurst der Jugend, mit der Vergessenslust eines unbefriedigten Herzens hineingestürzt, und fortgezogen durch die freien Sitten der neapolitanischen Aristokratie, Zerstreuung gesucht, da sie kein Glück gefunden hatte.

Denn mit jedem Tage, den sie an der Seite St. Brezan's verlebt, war in ihr das Bewußtsein mehr und mehr gewachsen, daß sie niemals eine geistige Gemeinschaft mit ihm haben könne, daß die Unterschiede des Alters, der Erziehung, der verschiedenen Nationalität, auszugleichen wo sie einzeln auftreten, hier, wo sie sich vereint beisammen fanden, eine unübersteigliche Schranke zwischen ihnen bildeten. Der Graf nannte Helene sentimental und überspannt, sie hielt ihn für herzlos und jeder wahren Liebe abgestorben, er bereute es, eine Frau ohne Lebenserfahrung geheirathet zu haben, sie empfand seine Welterfahrung, welche in der Ehe ohne Liebe ein bürgerliches Uebereinkommen zu gegenseitiger Förderung zu ehren vermochte, als eine Unsittlichkeit. Während der Graf, eifersüchtig auf Helene, diese Eifersucht verschwieg, verargte sie ihm die Freiheit, die er ihr gewährte, obschon sie dieselbe nicht entbehren mochte, und mitten in den leichtfertigen Lebensgenüssen des Kreises, dessen gefeierte Schönheit sie war, dem sie Mode und Gesetze vorschrieb, widerte ihr eigenes Dasein sie als ein leeres und zerstörtes an. Trost bedürftig hatte sie Zuflucht gesucht in der Kunst, sie hatte gehofft, schaffend sich über sich selbst zu erheben und ein ideales Dasein in derselben zu gewinnen. Ihre Studien waren vom glücklichsten Erfolge gekrönt, ein Bild, das sie ausgestellt, mit hoher Anerkennung aufgenommen worden. Die Bewunderung, welche man ihrem Talente gezollt, hatte ihr wohl gethan, sie war reiner, selbstloser gewesen als die Huldigungen, die man ihrer Schönheit dargebracht. Sich plötzlich von den Künstlern als eine Genossin angesehen zu wissen, ihnen mehr als nur ein begehrenswerthes Weib zu sein, hatte sie in eine neue Sphäre erhoben und ihr eine Energie des Strebens gegeben, die ihr ganzes Wesen schnell veränderte. Sie glaubte auf Liebe verzichten zu können, da sie die Möglichkeit einer künstlerischen Bedeutung vor sich sah. Ihre Lebensgewohnheiten wurden ernster, der Kreis ihres vertrauten Umganges gewählter. Studien in den Gallerien, Arbeiten in ihrem Atelier nahmen den ganzen Morgen hin, und mehr und mehr verlor sich ihr rastloses Haschen nach Zerstreuung, seit ihr der Tag zu kurz erschien für ihre Thätigkeit. Ein edler Ehrgeiz war an die Stelle ihrer Glücks- und Liebessehnsucht in ihr wach geworden. Aber diesem Ehrgeize trat der Wille ihres Gatten hemmend gegenüber.

Zu eitel und zu stolz, seine Kränkung zu verrathen, so lange die Gräfin Herz und Phantasie mit geselligen Liebeständeleien ausgefüllt hatte, machte seine Eifersucht sich unverhohlen gegen alle Erfolge geltend, welche sie als Künstlerin errang. Ein Weib neben sich zu wissen, das einer persönlichen Bedeutung genoß, drückte ihn als eine Verkleinerung seines Werthes. Die Schönheit seiner Frau bewundert zu sehen, hatte ihm geschmeichelt, denn diese Schönheit war sein Eigenthum geworden, das Talent, der Ruhm der Gräfin aber gehörten ihr allein, und man muß stark sein, um ohne Mißgefühl eine Macht neben sich dulden zu können. und großherzig, um sich daran zu freuen, daß ein von uns abhängiges Wesen eine freie Selbstthätigkeit gewinnt. Männer von dem Charakter und den Ansichten des Grafen ertragen leichter die Untreue, als die Berühmtheit einer Frau, und kaum hatten die Kunsturtheile in der Presse den Namen der Gräfin St. Brezan mit Auszeichnung hervorzuheben begonnen, als er ihr unter dem Vorwande, daß es einer Frau ihres Standes nicht gezieme, sich dem Lobe oder Tadel der Kritik zu unterwerfen, die Studien in den Museen und das öffentliche Ausstellen ihrer Arbeiten verboten.

Ein solcher Schritt, doppelt ungerechtfertigt in einem Lande, das seine Künstlerinnen auf dem Capitole krönt, hatte Helene empört und ihre ganze Hoffnung auf Don Camillo gerichtet, dessen lehrender Rath, dessen Anerkennung ihr jetzt Ersatz gewähren mußten für die versagten Studien, für die freudige Theilnahme des Publicums, die kein schaffender Künstler ohne Schmerz und Nachtheil zu entbehren vermag.

Ein Wesen, in dessen Hand die Erfüllung unserer Wünsche gelegt ist, müssen wir aber lieben oder hassen, je nachdem wir demselben vertrauen, oder es fürchten. Darin ruht das Geheimniß der Grundvorstellungen aller positiven Religionen, darauf beruht in vielen Fällen auch die Entstehung der Liebe. Von der ersten Stunde ihres Begegnens mit dem Cavaliere, hatte die Gräfin mit Erstaunen eine Willenskraft in ihm bemerkt, welche sie in solchem Grade an keinem anderen Manne wahrgenommen. In den Sitzungen zu ihrem Bilde war es ihr gewesen, als gehe sie sich selbst verloren, wenn sie von ihm dargestellt werde, und Camillo's Empfinden hatte dem entsprochen.

Was der schöpferische Mensch so tief in sich aufgenommen hat, daß er es lebendig wiederzugeben vermag, das ist ihm einverleibt, und die aneignende Kraft des Künstlers ist gewaltig und rückwirkend wie der Magnetismus. Camillo betrachtete die Schönheit der Gräfin als einen kostbaren Erwerb für seine künftigen Werke, und ganz besitzen wollen, was er in sich als sein geistig Eigenthum besaß, mußte für einen Mann natürlich scheinen, welcher sich seiner Gewalt über Frauenherzen nur zu wohl bewußt war. Eine glühende Leidenschaft für die Gräfin, der er nicht Worte gegeben, hatte seit lange in ihm gelodert, während Scheu vor dem Manne, Liebe für den Meister, der ihr die Geheimnisse der Kunst erschloß, sich in ihr zu einem Gefühle der Abhängigkeit verschmolzen, über das sich klar zu werden seine Herrschaft sie verhinderte. Er kannte die Frauen und er kannte die Gräfin. Er wußte, daß die Phantasie eines Weibes wirksamer spricht zu Gunsten eines schweigenden Verlangens, als das beredeteste Wort des Liebenden, und auch jetzt hatte seine Erfahrung ihn nicht getäuscht. Was er der Gräfin nie gestanden, hatte sie vernommen, was er ihr heute bekannt, hatte sie in ihren Träumen schon von seinem Munde gehört. Sie hatte bei dem Beginne ihrer Unterredung mit zitternder Gewißheit den Ausgang derselben vorhergesehen, fürchtend und hoffend hatte ihre Angst selbst ihn beschleunigt, und doch stand sie ohnmächtig da und voll Entsetzen vor der Wirklichkeit.

Ihre Ehe war ein Treubruch gegen ihre Jugendliebe, diese Liebe für Camillo war ein Ehebruch. Wohin sie blickte in ihre Vergangenheit, in die Gegenwart oder in die Zukunft, sie sah sich schuldig, schuldig ohne die Fähigkeit, sich bereuend zu verdammen. Ihre Aufregung, ihre Angst gingen in eine tiefe Traurigkeit über. Die fürstliche Ausstattung ihres Gemaches, ihre gewählte Kleidung, selbst ihre Schönheit und der Glanz der sie umgebenden Natur vermehrten nur ihre Niedergeschlagenheit. Plastisch selbst in ihrem Schmerze, zog sie die Smaragdnadeln aus ihren Flechten, warf sie die Spangen und Bänder von sich, daß ihr schwarzes, aufgelöstes Haar schmucklos herniederfloß auf ihr silberweiß Gewand, und mit emporgehobenen Händen, wie zum Gebete niedersinkend in die Kniee, weinte sie mit erstickter Stimme: »Muß ich denn elend sein durch Liebe!«

»Glückselig sollst Du sein und machen!« rief es neben ihr, und mit zärtlicher Gewalt hob Camillo sie empor.

»Sie hier?« fragte sie bebend, sprang empor und wollte sich entfernen, aber der Maler hielt sie zurück, und ihr selbst schien ein anderer Gedanke zu kommen.

»Bleiben Sie und erwarten Sie mich!« sagte sie, »ich kehre wieder, es muß Tag und Friede werden zwischen uns!« Damit war sie der Thüre zugeschritten, welche in das Innere des Hauses führte, als der Graf, den sie erst am folgenden Tage von Caserta zurückerwarten durfte, wo der König Hof hielt, ihr entgegentrat.

Ihr aufgelöstes Haar, ihre Verwirrung, ihre thränenschweren Augen konnten ihm nicht entgehen, ein scharfer, kalter Blick flog nach Camillo hinüber. Der Cavaliere aber verlor die Fassung nicht. Ruhig und stolz wie immer schritt er dem Grafen entgegen, und auf Helene zeigend, rief er: »Nicht wahr, Graf! die Gräfin ist anbetungswerth als Desdemona! Nur noch einen Augenblick dieselbe Pose!« – Damit führte er sie zu einem Divan und bat sie, Haupt und Arme in einer Stellung zu erheben, die er angab.

St. Brezan blieb stehen, betrachtete seine Gemahlin und sagte dann: »Unübertrefflich ausgedacht, Don Camillo! wer aber soll den Jago, wer den Othello machen im Tableau?«

»Ich werde nur die Desdemona malen,« antwortete der Künstler, »gerade darum durfte ich die Gräfin bitten, mir für wenige Secunden die Gunst dieser Stellung zu gewähren!«

»Das trefflichste Modell für das reine, schuldlos sterbende Weib!« bekräftigte der Graf, und gegen Helene gewendet fügte er hinzu: »Ich muß Dich aber bitten, Deine Toilette arrangiren zu lassen, der Herzog von St. Angelo, der mich von Caserta herbegleitet, erwartet Dich mit einem Auftrage der Königin im Salon!«

Mit diesen Worten öffnete er die Thüre, nöthigte den Maler ihm voranzugehen und verließ, seine Gemahlin weiter keines Blickes würdigend, das Gemach.


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