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Sechstes Kapitel.

Die furchtbare Scene, welche sie am Morgen erlebt, und das Glück ihrer Landsleute, dessen Zeuge sie gewesen war, hatten Helene tief erschüttert. Dort der Kampf ungezähmter Leidenschaften, hier der Friede der Liebe, aber Wahrheit dort und hier, und ihr eigenes Leben kalter Schein und innerliche Lüge.

»Es muß anders werden!« rief sie, und als wolle sie schnell den Kelch leeren, der nicht an ihr vorübergehen konnte, so eilig begab sie sich in das Zimmer ihres Manns.

Sie fand ihn arbeitend an seinem Schreibtische.

»Störe ich Dich?« fragte sie.

»Ich bin augenblicklich zu Deinen Diensten!« antwortete er mit der ihm eigenthümlichen Höflichkeit der Form.

Sie setzte sich nieder zu warten, aber die wenigen Minuten wurden ihr lang und schwer. Als er den Brief gefaltet und gesiegelt hatte, wendete er sich zu ihr, und um nicht seine Frage nach dem Grunde ihres Kommens zu hören, sagte sie schnell: »Ich habe mit Dir zu sprechen. – Hippolyt! es muß anders werden zwischen uns. Der gestrige Abend – –«

»Der gestrige Abend,« unterbrach sie der Graf, »ist mir wieder ein Beweis Deiner Unvorsichtigkeit gewesen. Welche Frau giebt einem Maler Sitzung in ihrem Boudoir und tête à tête

Der schwerste Tadel hätte sie nicht so tief getroffen, als diese Kälte ihres Mannes, und mit leidenschaftlicher Bewegung rief sie: »Müssen wir diese Lüge durch das Leben schleppen? Muß ich denn unglücklich sein?«

Es war das erste Mal, daß sie in solcher rückhaltlosen Weise zu dem Grafen sprach, den der plötzliche Ausbruch ihres lang verhaltenen Schmerzes erbleichen machte.

Ein heftiges Weh zuckte durch seine Züge. »Ich leide auch!« sagte er, »und ich beklage mich nicht!« Dann schwieg er, sich gewaltsam fassend, während die Gräfin, den Kopf auf den Arm gestützt, regungslos da saß. Die Stille wurde Beiden immer drückender, St. Brezan fing an im Zimmer auf und nieder zu schreiten. Endlich blieb er stehen und begann wie im Selbstgespräche, das sich erst später gegen die Gräfin richtete: »Menschenkenntnis und Erziehung sind Nichts! Ich glaubte sie zu kennen, mich zu kennen, die Grundsätze ihrer Familie bürgten für sie, und nun dieser überspannte Durst nach Glück! – Glück! – An Glück glauben ist so thöricht, als Wolken greifen wollen! So thöricht, als verlangtest Du, die Göttin Fortuna solle hier eintreten und Dir ihr Füllhorn vor die Füße schütten. Deine Sehnsucht nach Glück ist unser Unglück! – Es giebt kein Glück! Sich wohlbefinden, das ist Alles! und wohlbefinden hätten wir uns können!«

»Nein, Hippolyt! ich habe es nicht gekonnt, denn wir haben uns nie verstanden! Schon an unserm Hochzeitstage kannte ich mein Unglück.«

Beide verstummten; die Eine plötzlich ergriffen von der Schwere des eigenen Geständnisses, der Andere schmerzlich betäubt, weil er sich in seinem Stolze verwundet fühlte. »Das ist hart!« sagte er mit einer Tonlosigkeit, durch die Helene seinen bittern Schmerz erzittern hörte.

»Und doch mußte ich es Dir endlich sagen, damit ich Dir nicht schuldiger erscheine als ich bin. Ja! ich glaube noch an Glück, ich glaube an eine Liebe, die ausreicht, uns glücklich zu machen«

»Und sie ward Dir leider nicht zu Theil!«

»Ja! sie ist mir geworden! aber ich war ein Kind, und meine eigene Schwäche brachte mich darum!«

»Und?« fragte der Graf.

Sie antwortete nicht. »Und was verlangst Du jetzt?« fragte er wieder, »denn wir müssen fertig damit werden!«

»Gieb mich frei!«

»Das ist Wahnsinn, Helene!«

»Wahnsinn nennst Du es, wenn ich das Scheindasein dieser unglückseligen Ehe nicht weiter leben will? Unsere Herzen sind einander fremd, Du weißt es, daß ich Dich nicht liebe, Du liebst mich nicht, ich bin Dir Nichts, als die Dame, welche die Honneurs Deines Hauses macht. Du hast mich für untreu gehalten, die Welt hält mich dafür – ich war Dir niemals untreu, aber unglücklich, unglücklich bin ich gewesen immerdar. Die Männer, welche Du heimlich eifersüchtig beargwöhntest, waren mir gleichgültig, wie die Schauspieler auf der Bühne, von denen ich mir forthelfen lasse über die tödtliche Oede meiner Stunden –«

»Und Camillo?« fragte der Graf mit schmerzlicher Bitterkeit.

»Er war mir eine Stütze und ein Trost. Nichts mehr! Gestern erst hat er mir seine Liebe gestanden«

»Und heute forderst Du von mir getrennt zu werden!«

»Weil ich nicht das Weib eines Mannes bleiben will, der sich verrathen von mir glaubt und dazu schweigt!«

»Meinst Du, ich solle wie ein Wilder die Treue meines Weibes bewachen? Ich solle wie der Pöbel meine Kränkung in alle vier Winde hinausschreien und mich brandmarken mit Deiner Thorheit? Mein Name wird nicht angetastet, so lang ich ihn nicht angetastet nenne. Mein Schweigen schützt Dich und mich. Du wirst mich nicht zum Abfall von mir selbst, zum Sprechen bringen!«

Es entstand eine neue Pause. St. Brezan ging nachdenkend umher, endlich setzte er sich neben seiner Gattin nieder. »Laß uns wie vernünftige Menschen handeln,« sagte er, »nicht leere Phrasen wechseln.« Seine Stimme klang milder als zuvor, sein Ausdruck hatte das Eisige verloren. »Ein Irrthum ist nicht ungeschehen zu machen, unsere Verbindung war ein solcher; wir müssen trachten, so wenig als möglich von demselben zu leiden. Wäre ich ein unbeachteter Privatmann und ein Protestant, vielleicht schiene mir der Ausweg, den Du wünschest, annehmbar. Jetzt ist er's nicht.«

Seine Ruhe brachte die Gräfin zur Verzweiflung. »Ich sage Dir, daß ich unglücklich bin, daß ich mich sehne nach einem Athemzuge der Freiheit, daß ich es stets als Schmach empfunden, ohne Liebe Dein Weib zu sein, und – –«

»Ich handle wie ein Mann,« unterbrach sie der Graf, plötzlich wieder zu der früheren Kälte übergehend, »der seine Pflichten kennt – selbst gegen Dich in Deiner unseligen Verblendung. Ich begehre kein Weib, das sich gezwungen mein nennt!« – ein Beben flog durch alle seine Züge bei den Worten – »aber entehren sollst Du weder Dich noch mich. Du bleibst bei mir, im Schutze meines Hauses, meines Namens!« –

Er war aufgestanden und in die Thüre des Balcons getreten, um ihr den Anblick seines inneren Kampfes zu entziehen. Als er sich wendete, war er ruhiger geworden. »Mit Deinem Durst nach Glück, mit Deinem Herzen mußt Du fertig werden – wie ich mit dem meinen!« sagte er. – »Was wir mit einander auszumachen hatten, ist geschehen – wir Beide sind geschieden! möge es Dich nicht reuen!« und hoch aufgerichtet verließ er das Gemach.

Die Gräfin blieb allein zurück. Sie sah stumm und starr zum Boden nieder. So hatte sie das Ende dieser Unterredung nicht erwartet. Es war ihr Wunsch gewesen, frei zu werden; diese errungene Freiheit aber drückte sie als eine tiefe Schmach.

»Auf Lebenszeit!« seufzte sie, während ein Schauer durch ihre Glieder rieselte und kalte, große Thränen ihr in die Augen traten.

Bald demüthigte es sie, einem Manne gehört zu haben, der sie auf ihre erste Forderung frei gab, bald fühlte sie sich gedrungen, des Grafen mit größerer Achtung zu gedenken, als je zuvor. Er hatte wie ein Cavalier gegen sie gehandelt, aber wie fern war seine Auffassung der Verhältnisse von dem wahren Sinn der Ehe! Welch eine Stellung für sie, den Schuh eines Mannes anzunehmen, der sie innerlich mißachten mußte! Eine Freiheit zu besitzen, die zu gebrauchen eine Schande war. – Geneigt, sich ihren Empfindungen zu überlassen, hatte sie nie zuvor mit solcher Klarheit sich die Einzelheiten und Folgen ihrer Lage deutlich gemacht, nie schärfer als jetzt die Scheidewand erkannt, welche Jahrhunderte alte, überlieferte Begriffe und Vorurtheile zwischen den Ansichten der sogenannten großen Welt und zwischen der natürlichen Empfindung wahrer, gesitteter Menschen aufgerichtet hatten.

Sie kannte den Grafen und wußte, er werde halten, was er ausgesprochen habe, und doch faßte sie es nicht, wie es ihm wünschenswerther sein könne, eine Frau unter diesen Verhältnissen an sich zu fesseln, als sie durch eine wirkliche Scheidung frei zu geben, eine Verantwortung zu tragen, statt sie auf die Schultern derjenigen zu legen, die ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen forderte, und mit seinem Namen eine Frau zu schützen, die diesen Namen stets mit Widerstreben geführt hatte, die ihn jetzt nur noch zum Scheine führen sollte.

Ihr Stolz empörte sich gegen eine Großmuth, die an Verachtung gränzte, gegen einen Schutz, der so nahe mit der Knechtschaft verwandt war, gegen das Beisammensein mit einem Manne, der in jedem Augenblicke seine oberherrlichen Rechte gegen sie geltend machen konnte, nachdem er freiwillig auf alle jene Ansprüche verzichtet, welche Liebe und Achtung heischen und gewähren. Unter der Last eines fortdauernden Mißtrauens zu leben schien ihr unerträglich, und der Gedanke, sich durch Entfernung aus dem Hause ihres Mannes gewaltsam ihre Freiheit zu erringen, tauchte in ihr auf. Aber sich vom Grafen auf solche Weise trennen, hieß sich von ihrem Vater, von ihrer ganzen Familie, von ihrem ganzen früheren Leben trennen, und wenn dieser äußerste Schritt gethan war, wohin dann und was beginnen?

In ihr Vaterhaus zurückzukehren, daran durfte sie nicht denken, und jene Zeit lag ihr so fern, als trennten sie Dezennien davon. Sie hatte neue Anschauungen, neue Bedürfnisse kennen lernen. Ein Leben voll geistiger Erregung, voll wechselnder Ereignisse, voll heftiger Empfindungen, war ihr zur Gewohnheit geworden, und wenn ihre Blicke sich in dieser Stunde auf ihre Jugend, auf ihre erste schuldlose Liebe zurückwendeten, geschah es mit jener Wehmuth, mit der man ein unwiederdringlich verlorenes Gut betrauert – um so unwiederbringlicher, als sein Besitz aufgehört haben würde uns noch ein Glück zu sein. Sie empfand den Verlust desselben nicht so schmerzlich, als die Ueberzeugung, daß sie die Fähigkeit verloren, es zu genießen und sich daran genügen zu lassen. Ihr Herz blutete, wenn sie Friedrich's gedachte. Was war aus ihr geworden, die ihm ein Ideal zu bleiben verheißen? Und doch sah sie mit einem Mitleid, das sie selbst überraschte, auf sein stilles, friedlich begränztes Leben hinab.

»Ich kann nicht mehr zurück!« rief sie aus: Diese Gewißheit lenkte ihre Blicke plötzlich nach einer anderen Seite, von der ein phantastisch strahlendes Licht ihr entgegenglänzte.

Freiheit, Selbständigkeit, Ehre und Anerkennung, ja Liebe und Freude winkten ihr entgegen aus der Hand der Kunst. Ein einziger, muthiger Schritt konnte sie an die Schwelle ihres Tempels führen, und Camillo, der Künstler, den sie hoch verehrte, der Mann, welcher sie liebte, stand als Priester da, die Ersehnte einzuführen in das Heiligthum.

Fliehen, unter fremdem Namen arbeiten und lernen, bis der ihr eigene angeborne Name ruhmbestrahlt durch ihr Talent aus dem Dunkel hervorgehen konnte, und dann leben, schaffen, arbeiten, vereint mit einem Manne, der dies heilige Feuer in ihr begriff und pflegte; Niemand Etwas verdanken als sich selbst, keines Schutzes bedürfen, sondern geschützt sein durch die eigene Bedeutung, und frei bleiben durch das selbständige Talent sogar neben dem geliebten Manne, das waren Bilder, begeisternde Vorstellungen, die in schneller Reihenfolge an ihr vorüberzogen.

Camillo hatte es ausgesprochen: Sie war Künstlerin! Sie durfte sich nicht von bleichen Träumen, von Gebilden der Phantasie ernähren, denn der Künstler kann nicht schaffen ohne die Sonne des Glückes! Darum hatte sie das Verlangen danach niemals zu besiegen vermocht, die schaffende Kraft hatte gebieterisch ihr Recht verlangt – jetzt sollte es ihr werden.

Ein Trotz gegen den Grafen erwachte mit diesem Vorsatze in ihr. »Er meinte mich zu binden mit jener Gewährung einer Freiheit, die mich an ihn fesselte,« sagte sie sich. »Eine Freigelassene sollte ich sein und bleiben, mit meinem Thun und Lassen ihm verantwortlich für jenen Schein ehrloser Freiheit, die ich tief verachte. Es soll anders werden, anders Hippolyt, als Du's erwartet hast!«

Ihre Gestalt gewann plötzlich ihre Spannkraft wieder, sie stand auf und ging in ihr Zimmer, sich für die Mittagstafel anzukleiden, zu der eine größere Gesellschaft schon seit vielen Tagen eingeladen war.

Als sie in den weißen Gewändern vor ihrem Spiegel stand, einen Kranz von grünem Weingerank mit goldenem Geäder in den schwarzen Locken, trat ihr selbst die eigene Schönheit wohlthuend und überraschend aus dem Glase entgegen. Mit stolzer Freude wies sie die Armbänder und Spangen zurück, die ihre Kammerfrau ihr brachte. Sie wollte die Geschmeide, die Kostbarkeiten nicht mehr tragen, welche sie dem Grafen verdankte, das Nadelgeld, das er ihr festgesetzt, nicht mehr benutzen. Die Zinsen eines Kapitales, welches sie von ihrer Mutter ererbt, sollten fortan ihren Bedürfnissen genügen, und ihr Auge leuchtete heller in der Gewißheit, daß diese Schultern, diese Arme jedes Schmuckes entrathen konnten, und als betrachtete sie eine vollendete Statue, so genoß sie in Selbstgenügen die eigene Formenschöne.

Eine halbe Stunde später waren die Gäste bei der Tafel versammelt, und Nichts in dem Wesen der Wirthe verrieth, welche Erschütterungen sie erlitten, welche Entschlüsse sie gefaßt hatten. Noch am Morgen war die Gräfin entschieden gewesen, den Cavaliere zu vermeiden, jetzt empfing sie ihn mit einer Aufgeschlossenheit, die er sich nach ihrem Verhalten am vorigen Abende nicht zu deuten vermochte, und als verstände die Sache sich von selbst, so unbefangen sprach der Graf von dem zu malenden Bilde der Desdemona. Helene sollte nicht glauben, es koste ihn ein Opfer sie zu verlieren, die ihn nie geliebt. Ein Mißgeschick ohne Zeichen der Klage zu erleiden, sich so weit thunlich abzuschließen gegen alle Berührungen und Beobachtungen und sich durch diese Abgeschlossenheit vor fremdem Antheil und Unheil möglichst zu bewahren, darin hatte der Graf stets seine Ehre gesetzt, darin erblickte er die Weisheit, welche die Erfahrung dem Weltmanne zum Bedürfniß und zur Richtschnur seines Handelns machen, und auch in diesem Falle blieb er sich getreu.

Da aber der Mensch nach einer Lösung alles Räthselhaften trachtet, so erklärte der Maler sich endlich das ihm auffallende Betragen des gräflichen Ehepaares auf die ihm günstigste und förderlichste Weise. Er sagte sich, die vielfachen Huldigungen, deren Gegenstand Helene seit ihrem Erscheinen in Neapel gewesen, die jugendliche Unbesonnenheit, mit welcher sie dieselben Anfangs angenommen hatte, und das leichtsinnige Spiel der Koketterie, das ihr allmählich zur Natur geworden war, könnten dem Grafen nicht gleichgültig geblieben sein. Freilich hatte man sie bisher nicht hart beurtheilt, aber die Menge und der Wechsel ihrer Verehrer waren doch schon bisweilen ein Gegenstand der Unterhaltung und jenes leise fortwachsenden Tadels geworden, der an der eigenen Wiederholung seine Waffen zum tödtlichen Stoße schärft und probt. Es mußte dem Grafen daran liegen, seine Gattin gegen den Vorwurf der Galanterie bewahrt zu sehen, und Camillo, grundsatzlos den Frauen gegenüber, ohne alle Achtung vor der Ehe, verderbt durch die leichtfertigen Sitten des Kreises, in dem er lebte, fand es ganz natürlich, daß St. Brezan lieber einen erklärten Cicisbeo, als ein ganzes Gefolge junger Männer neben seiner Frau ertragen wolle.

Eine Freundschaft für ihren Lehrer war ohnehin natürlich, eine Liebe auf Freundschaft und Bewunderung gegründet, sehr verzeihlich, und die Welt, in der sie lebten, eine Welt, in der die Discretion oft die Stellvertreterin der Tugend und der Ehrenhaftigkeit machen muß.

Hatte Camillo gestern, seiner Leidenschaft folgend, nur an den Besitz des von ihm begehrten Weibes gedacht, so empfand er sich jetzt plötzlich als Helenens Beschützer, als Theilnehmer des Grafen in der Sorge für ihren Ruf. Er glaubte durch St. Brezan's Verhalten eine Verpflichtung gegen ihn, ein Anrecht an seine Frau zu haben, und es war ihm Ehrensache dem Cavaliere gegenüber auch als Cavalier zu handeln.

Weit entfernt, die Gräfin abermals durch seine Heftigkeit zu ängstigen, oder seine Leidenschaft dem Auge eines Beobachters zu verrathen, nahte er sich ihr seit diesem Tage mit jener anbetenden Bewunderung, mit welcher der Kunstliebhaber ein langersehntes und endlich erworbenes Kunstwerk genießt, dessen Herr zu sein, ihn selbst fast noch unglaublich dünkt. Unermüdlich für sie besorgt, empfand er mit Entzücken ihr steigendes Vertrauen, ihre wachsende Hingebung an seinen Rath und seine Ansichten, während Helene nicht bemerkte, daß sie in dem Bestreben, sich einer sie drückenden Knechtschaft zu entziehen, nur den Herrn gewechselt habe. Entschiedener als der Graf es je gethan, drängte Camillo ihr seinen Willen zum Gesetze auf. Eifersüchtiger als Jener, bewachte er jede Regung ihrer Seele, und was sie dort gedrückt, verzieh sie hier der Liebe, die sie mehr und mehr zu theilen begann. Von der energisch feurigen Natur des Cavaliere wie ein Kind geleitet, wie ein Weib gefesselt, blieb ihr nicht einmal die Freiheit, sich zu fragen, was sie für ihn empfinde, was er ihr geworden, was er über sie beschlossen? Tauchte auch hie und da ein Widerstreben gegen die Gewalt in ihr auf, welche er über sie gewonnen hatte, so wendete ihr Zorn sich nicht gegen den Geliebten, sondern nur gegen ihren Gatten, der sie dem fremden Willen kampflos hingegeben hatte.

Von jenen Planen für ihre Unabhängigkeit, von ihren Ruhmesträumen war bald nicht mehr die Rede. Der Wille des Grafen und die Wünsche des Cavaliere trafen zu wohl zusammen, als daß der Letztere nicht seinen ganzen Einfluß hätte dazu benutzen sollen, die Entfernung Helenens aus dem Hause ihres Gatten zu verhindern. Täglich weiter fortgerissen von Camillo's, wie von der eigenen Liebe, hatte sie selbst alles Andere vergessen, einem Gefühle, einem Gedanken ausschließlich hingegeben – dem sinnverwirrenden Entzücken getheilter Leidenschaft, vor deren Allgewalt selbst ihr Schuldbewußtsein ganz verstummte. Sie sagte sich, daß sie jung und unerfahren, überredet worden sei, einen ungeliebten Mann zu heirathen, und daß ein Versprechen sie nicht binden könne, welches sie ohne die nöthige Einsicht in die Verhältnisse, ohne Welt- und Menschenkenntniß, ja ohne die richtige Erkenntniß ihres eigenen Wesens gegeben. Sie machte sich ein Bewußtsein daraus, die Scheidung verlangt zu haben, und da der Graf ihr diese fest verweigert, sah sie sich als berechtigt an, das Glück zu suchen und zu genießen, das sich ihr geboten hatte.

In der Theilnahme an den Arbeiten, in den Erfolgen des Cavaliere fanden die Liebe und der Kunstsinn Helenens gleichmäßiges Genügen, und niemals waren seine Schöpfungen bedeutender gewesen, als seit der Gräfin Schönheit, als seit ihre täglich neue Anmuth ihn zu immer neuen Entwürfen antrieben. Jetzt erst schien er die volle Höhe seiner Meisterschaft zu entfalten, die Gräfin den vollen Glanz ihrer Schönheit zu entwickeln, und jetzt erst glaubte sie Italien zu verstehen, da die warme Liebesfülle ihres Herzens sich wiederspiegelte in der heißen, jubelnden Herrlichkeit der südlichen Natur. Hatte sie früher rastlos nach immer neuen Zerstreuungen gehascht, die Oede ihres Innern zu vergessen, so verlangte sie jetzt nur Ruhe und Zurückgezogenheit, um in ungetrübter Stille ihres Glückes sich bewußt zu werden. Auch der Cavaliere ward seltener gesehen in den Sälen der großen Welt, deren gefeierter Günstling er war, und schon nach wenig Wochen hatte die Gesellschaft sich in den Gedanken eingelebt, in der Gräfin St. Brezan die begeisternde Muse des großen Meisters zu sehen und zu verehren. Camillo erhob den Cultus ihrer Schönheit zur Mode unter den Italienern, und die Unnahbarkeit, in welche seine Eifersucht die Gräfin bannte, kam jener Huldigung zu Gute, die er, den Grafen in seinen Ansichten zu unterstützen, wie einen reichen Vorhang über sein Verhältniß zu Helene auszubreiten wußte.


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