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Zwölftes Kapitel.

Schon nach wenig Stunden verbreitete sich die Nachricht im Publicum, daß Versiegelungen in den Häusern mehrerer angesehenen Personen stattgefunden hätten, welche, wie man es nannte, zu den Frommen gehörten, und gleichzeitig erzählte man, daß die Behörden zu dieser Maßregel durch eine Denunciation veranlaßt worden wären, die mit unwiderleglichen Documenten gegen den Verein aufgetreten war. Man sprach davon, daß die Mitglieder desselben von den Oberen, ohne das Vorwissen Jener, in verschiedene Classen getheilt, daß in dem engeren Kreise der Eingeweihten unter dem Deckmantel religiöser Bußen und Kasteiungen unerlaubte Mysterien gefeiert worden wären. Da nur eine große Anzahl Männer und Frauen aller Stände, namentlich aber des Adels, in mehr oder weniger naher Beziehung zu jener religiösen Gemeinschaft gestanden hatten, so sahen sich plötzlich viele Familien in ihren Mitgliedern von einem entehrenden Verdachte, von einer gerichtlichen Untersuchung ihrer »Verhältnisse in trauriger Weise bedroht.

Ein Druck, als ob eine ansteckende Krankheit in dem Orte ausgebrochen sei, legte sich lastend über die Geister, eine ängstliche Spannung machte sich in allen geselligen Verhältnissen geltend.

Die guten Christen sahen mit Schmerz auf ein Aergerniß, das unter der Aegide der Religion gegeben worden war, und litten von dem Spotte derjenigen, die stets ungläubig auf das kirchliche Christenthum und mißtrauisch auf das Sectenwesen innerhalb desselben geblickt hatten. Man vermied den Personen zu begegnen, die näher oder ferner mit den Sectirern bekannt gewesen waren, weil man, bei der schnell begonnenen Untersuchung, deren Verhöre sich weit ausdehnten, nicht als Zeuge vernommen werden mochte, und sorgenvoll und niedergeschlagen gingen die Verwandten aller derjenigen umher, die von der Untersuchung betroffen worden waren.

Cornelie befand sich unter den Ersten, welche der Richter, dem die Untersuchungssache anheim fiel, vor die Schranken fordern ließ. Als man die Vorladung dem Baron überbracht und der Gerichtsbote sich entfernt hatte, las er das Schriftstück mehrmals langsam durch. Es fiel ihm schwer, den Inhalt desselben zu denken. Dann blieb er lange regungslos in dem Lehnstuhle vor seinem Schreibtisch sitzen, den Blick auf das Bildniß seiner verstorbenen Frau gerichtet.

Er hätte viel darum gegeben, sie jetzt an seiner Seite zu haben, die Seele entladen zu können vor dem einzigen Wesen, das den Jammer, den Zorn, die Empörung seines Vaterherzens in gleichem Maße theilen mußte. Er hätte viel darum gegeben, hätte er die Tochter an die Brust der Mutter legen können. Er ward irre an sich selber, er war sich selbst nicht mehr genug zum Tragen der eigenen Last.

Endlich erhob er sich und begab sich zu Cornelie. »Hier ist eine Vorladung für Dich zum gerichtlichen Verhöre!« sagte er.

Cornelie, dem Vater von allen seinen Kindern am ähnlichsten in ihren Charakteranlagen, empfing das Schreiben mit derselben Ruhe, mit der er es ihr gab. Der Baron hatte es stets ausgesprochen, daß über erfüllte Thatsachen Nichts mehr zu sagen sei. Jetzt handelten die Tochter und der Vater beide nach diesem Grundsatze, und doch empfand der Letztere dies todte Schweigen fast noch lastender als sie.

»Cornelie!« fragte er endlich, »weißt Du von den Mysterien, um deretwillen man Euch anklagt?«

»Nein! mein Vater!«

»Davon war ich überzeugt!« sagte der Baron und gab ihr die Hand.

Es war ihr eine Freisprechung von dem beleidigenden Verdachte, der auf ihr ruhte, und sie war dieses Trostes sehr benöthigt. Der Gedanke, vor einem Gerichtshofe zu erscheinen, angeklagt wegen Vergehungen, durch deren bloße Erwähnung sie sich wie entweiht vorkam, flößte ihr Entsetzen ein. Sie hätte ihrem Vater ihr Herz ausschütten und wie ein Kind und wie ein Weib schutzflehend zu seinen Füßen sinken mögen, hätte ihr die Scheu, ihm schwach zu scheinen, ihm, der so hohen Werth auf Seelenstärke legte, nicht den Mund verschlossen.

Aber als er das Zimmer verlassen hatte, als sie allein zurückblieb in dem stillen Raume, da brach das Gefühl ihrer geistigen Einsamkeit mit furchtbarem Schmerze über sie herein, und sie selbst, ihr geistiger Hochmuth, hatte sie zu dieser Vereinsamung verdammt. Sie hatte Alles von sich gewiesen, des Vaters Rath und Vorstellungen, Friedrich's verständige Warnungen, dessen richtiges Urtheil, dessen gesundes Empfinden ihn schon lange von der Gemeinde getrennt, des Doctors scharfe und sie oft durch ihre Schärfe überzeugende Kritik, sie hatte das Alles von sich gewiesen, im Vertrauen auf die eigene Unfehlbarkeit, in der Ueberzeugung, daß ihr Glaube der alleinig rechte, daß sie und ihre Freunde die Auserwählten Gottes wären. Sie selber hatte zuerst die Gemeinde mit dem Namen der Heiligen bezeichnet, sie hatte erwartet, von ihr und ihren Freunden solle die Wiedergeburt der Menschheit ausgehen. Nun stand sie da, getäuscht von denen, denen sie mit blinder Hingebung vertraut, angeklagt um Verirrungen, schlimmer als die so tief verdammten Sünden der Welt.

Der Glorienschein der Selbstvergötterung war von ihrem Haupte gefallen, der Tadel, der Spott der Menschen trafen sie bis in das Herz. Je höher sie seit Jahren ihre Kraft gespannt, sich auf dem schwindelnden Pfade zu erhalten, auf dem sie und ihre Freunde sich bewegten, um so plötzlicher brach sie zusammen. Sie glich dem Schlafwandelnden, der in seiner krankhaften Ueberreizung das Wunderbare leistet, und ohnmächtig dasteht, sobald man ihn erweckt. Ihre ganze Seele lechzte nach Beistand, aber wie konnte, wie durfte sie, die stets die Gleichberechtigung, die göttliche Priesterschaft, die höhere Begabung des Weibes proclamirt, jetzt die Schwäche der geängsteten Frauenseele verrathen? Wie Trost und Stütze verlangen, sie, die vom Manne Anbetung des Weibes begehrt?

Wohin sie sich auch wendete, sie fand die Ruhe nicht, die sie ersehnte, die Liebe nicht, deren sie bedurfte. Plessen war unzufrieden mit ihr, weil sie seinem Verlangen, sich von der Gräfin fern zu halten, nicht entsprach. Die Gräfin hatte nur einen Gedanken, nur ein Ziel, die Rettung des Predigers. Ihre Leidenschaft für ihn war seit der Stunde seiner Verhaftung Niemand mehr verborgen geblieben; an dieser entzündete und erhielt sich ihre Thatkraft. Mit rastlosem Eifer sammelte sie aus den Correspondenzen ihrer und seiner Freunde, aus seinen Schriften und aus seinen nachgeschriebenen Predigten alle die Stellen, die für ihn sprechen konnten. Sie hatte Unterredungen mit den Angeklagten, mit den Zeugen. Sie wußte den Muth der Zaghaften zu beleben, den Glauben der Treuen zu fanatisiren, und kein Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Bundes, kein Zweifel an dem Prediger, an sich selber, kam jemals in ihr auf. Liebe und Leidenschaft machten sie davor sicher. Ein Weib, bei dem der Glaube und die Liebe zusammentreffen in einem und demselben Punkte, ist unüberwindlich. Ausdauernd auch bei den längsten Verhören, wußte sie den täglich wachsenden Anklagen und Beweisen immer auf's Neue zu begegnen. Friedrich war ihr dabei von großem Nutzen.

Er war durch seine einfachen Aussagen einer derjenigen gewesen, welcher den Ursprung der geistigen Irrthümer der Gemeinde am klarsten nachgewiesen und damit ein milderes Licht über den Charakter der Gräfin und des Predigers verbreitet hatte. Er gestand, selbst von dergleichen Schwärmereien befangen und nur durch ein Zusammenwirken mannigfacher Ursachen von denselben zurückgebracht worden zu sein. Dadurch hatte er Theilnahme für seine früheren Glaubensgenossen zu erregen gewußt, während er seine eigene Rechtfertigung erlangte und seine völlige Unbekanntschaft mit den der Gemeinde zur Last gelegten Fehltritten unwiderleglich darthat.

Auch Plessen, wenn schon gereizter gegen den Prediger und die Gräfin, weil er sich als Freund von ihnen schwer verrathen glaubte, war in gleicher Weise verfahren, und Corneliens Verhör stand nun bevor.

Der Baron hatte es erlangt, ihm beiwohnen zu dürfen. In voller Uniform, die Brust mit allen seinen Orden bedeckt, trat er zur festgesetzten Stunde in Corneliens Zimmer, nahm ihren Arm und führte sie die Treppe hinab zum Wagen. Wortlos legten sie den Weg bis zum Gerichtshofe zurück, und fest und ernst gefaßt traten die beiden edeln Gestalten in den Saal und vor den Richter hin.

Hatte Cornelie bisher in banger Verzagtheit mit sich selbst gerungen, so rief dieser Augenblick sie auf, sich mit ihrer ganzen Kraft zu waffnen. Es galt hier mehr als sie allein. So hoch ihr Vater sein stolzes Haupt erhob, sie sah den Druck, der auf ihm lastete, sie fühlte sich schuldig gegen ihn, ihm angehörend, ihm verantwortlich, wie sie es lange nicht mehr gethan. Das machte sie bemüht ihm zu genügen.

Ruhig, als ob nicht alle ihre Pulsen klopften, daß sie das Blut in ihren Adern schlagen fühlte, sprach sie sich über das Entstehen der Gemeinde, über ihre Theilnahme an demselben aus. Mit strenger Kürze beantwortete sie alle ihr vorgelegten Fragen. Nur der Wechsel ihrer Farbe, nur ein leises Zucken der Lippen verriethen, wie sehr sie unter der Verletzung ihres weiblichen Empfindens litt. Es hatte das Verhör bereits mehrere Stunden gewährt, als der Inquirent sich auf die persönlichen Beziehungen der einzelnen Gläubigen zu einander wendete.

»In welchem Verhältniß stand Herr von Plessen zu dem Kreise, den Sie für den engern Kreis der Auserwählten hielten?« fragte er.

»In einem Verhältniß der Freundschaft, der Verehrung, des gemeinsamen Glaubens und Wirkens zu uns Allen. Zu mir aber noch in einem näheren Verhältnisse, denn wir sind verlobt!« antwortete Cornelie fest.

Der Baron fuhr zusammen, obschon tief verwundet durch das ganze Verhör, hatte er sich bis zu diesem Momente eines Gefühls befriedigter Vaterliebe nicht erwehren können. So ruhig selbstbewußt wie seine Tochter jetzt vor dem Richter dastand, hatte er sie zu sehen erwartet. Dazu hatte er sie erzogen, so hatte er sie gestählt für die Prüfungen des Lebens. Wie sie sich ihm angehörend fühlte mit ihrem ganzen Wesen, so empfand er sie als sein Eigenthum, sich als ihren Bildner, ihren Meister. Da traf ihn plötzlich ihre eigenmächtige Erklärung des Verlöbnisses mit Plessen wie bewußter Trotz. Wie ein Hohn erklang ihm die Frage des Richters: »Welche Ansichten hegte Ihr Bräutigam über Ihr Verhältniß zur Gemeinde? Hat er es gebilligt?«

»Nein!« antwortete Cornelie, »er billigte es seit einiger Zeit nicht mehr. Er wünschte mich und sich von unseren Freunden zu entfernen, und wir beabsichtigten, uns nach unserer Verbindung in einer Brüdergemeinde niederzulassen, wenn Herr von Plessen sich nicht auf eine Missionsreise zu gehen entschloß, bei der ich ihn begleitet haben würde.«

In dem Zorne über den Trotz gegen seine väterliche Gewalt, überraschten den Baron diese letzten Worte Corneliens plötzlich wie ein Lichtstrahl. Wie man in der Stunde der Noth als Rettung ergreift, als Gewinn erkennt, was man früher geringschätzend verworfen, so erfaßte er jetzt mit einem Male den Gedanken, seine Tochter mit Plessen zu verbinden, um sie von einem Orte zu entfernen, an dem Alles sie an ihren Irrthum erinnern mußte, und an dem er die Erklärung ihrer Verlobung nicht widerrufen konnte, ohne seiner Autorität und ihrer Wahrhaftigkeit gleichzeitig zu nahe zu treten.

Das Verhör währte lange. Als es spät am Nachmittage beendigt ward, und Cornelie ihre Schuldlosigkeit für den Richter vollständig klar erwiesen hatte, als sie wieder im Wagen an ihres Vaters Seite saß, da flog ein heftiges Zittern durch alle ihre Glieder. Sie seufzte tief auf, und barg ihr Gesicht in ihre Hände, als scheue sie das Licht des Tages zu sehen, an dem man Eide von ihr gefordert, die Reinheit ihres Wesens zu bethätigen.

Erschöpft, gedemüthigt, irre geworden an sich selber, langte sie in ihrer Wohnung an. Das ihr so vertraute Zimmer, die Gegenstände, mit denen sie sich täglich beschäftigt hatte, traten ihr fremd entgegen. Die Bilder der Gräfin und des Predigers sahen kalt lächelnd zu ihr herab und schienen sie zu fragen: »wie konntest Du von uns, von Menschen mit menschlichen Leidenschaften welterlösende Gedanken und Thaten fordern? Wie konntest Du Dir selbst vertrauen, Dir, die unser Werkzeug war?«

Die Hände matt gefaltet, die Augen müde geschlossen, saß sie regungslos da. Sie fühlte sich heimathslos und haltlos in der sie umgebenden Welt, und wie sie sich früher dem Glauben überlassen hatte, so leidenschaftlich ergab sie sich jetzt dem Zweifel. Mit grausamer Wollust wendete sie sich gegen Alles, was sie geliebt, gewollt, verehrt, gegen Alles, worin sie Trost gefunden. Ihr ganzes bisheriges Leben dünkte sie eine Lüge, jede Eigenschaft ihres Herzens und ihres Geistes leerer Schein, hochmüthige Täuschung, und mit schwindelndem Grausen sah sie sich am Rande eines Abgrundes, aus dessen Tiefe ihr unheimlich die Selbstvernichtung winkte.

Eine solche Stimmung konnte nicht ohne Wirkung auf ihr körperliches Befinden bleiben. Ihre Kräfte brachen unter dieser Aufregung. Das Leben war ihr werthlos geworden, sie glaubte Nichts mehr zu wünschen, zu erstreben, und doch ward mitten in dieser Erschlaffung oft eine Sehnsucht nach Erlösung, ein Angstruf nach einem Erretter in ihr wach, ohne daß sie selbst es sich zu sagen wußte, was sie ersehne und verlange.

Plessen, der nach jener Unterredung mit dem Barone, das Haus desselben nicht mehr betreten, hatte Cornelien, seit sie Beide die Gräfin nicht mehr besuchten, nur in einzelnen Momenten gesehen, weil sie in ihrer krankhaften Abspannung ihre Wohnung und dann nur selten, nur im Wagen verließ. Aber so oft er sie erblickt, war er erschrocken über die Veränderung in ihrer Stimmung und in ihrem Aeußern. Vergebens bot er in seinen Briefen alle Zärtlichkeit auf, sie zur Sorge für ihre Gesundheit zu bewegen, vergebens alle Trostgründe der Religion, ihren Muth zu beleben, sie blieben fruchtlos.

»Der Trost von außen frommt mir nicht,« hatte sie ihm auf seine Vorstellungen geantwortet. »Der Hinweis auf die Güte Gottes nützt mir nicht. Was hilft es mir, daß die Menschen gut sind, daß sie mich beklagen und daß Gott allbarmherzig ist? Es ist so elend, nur von Mitleid, nur von Barmherzigkeit zu leben, nur durch Vergebung und Gnade zu bestehen. Gieb mir den Glauben an mich, an meine eigene Güte, an meine Nützlichkeit zurück, und ich werde des Trostes dann nicht mehr bedürfen.«

Des Vaters Sorgen, Georg's Bemühungen, sie zu zerstreuen, Augustens ängstliche Pflege, Nichts machte Eindruck auf sie. Sie war entschieden krank, aber keine Bitten, keine Vorstellungen konnten sie bewegen, den Doctor kommen zu lassen und ihn zu Rath zu ziehen. Fast bis zur Stumpfheit gleichgültig gegen Alles was sie umgab und was mit ihr geschah, brachte nur der Gedanke, den Doctor zu sehen, vor ihm die Irrthümer bekennen zu müssen, in die sie verfallen war, vor ihm gedemüthigt, vernichtet dazustehen, sie zur Verzweiflung, und das einzige Verlangen, das sie seit jener Stunde des Verhöres ausgesprochen hatte, war die Forderung gewesen, ihr die Begegnung des Doctors zu ersparen.

So standen die Sachen, als der Tag herankam, an dem Georg das Vaterhaus verlassen sollte, um Richard zu folgen, der schon vor einigen Monaten nach England abgegangen war. Cornelie hatte sich an dem Morgen besonders matt gefühlt und auf ihrem Zimmer allein zu Mittag gespeist, als Georg sich zu ihr begab. Bei seinem Eintritt erwachte sie aus leisem Halbschlaf, richtete sich aber schnell auf dem Sopha empor, und hieß ihn sich an ihrer Seite niederlassen. »Wie fühlst Du Dich?« fragte er liebevoll besorgt.

»Ganz schmerzfrei!« antwortete sie wie immer. »Ich bin wirklich ganz gesund!«

Ungläubig sah Georg in ihre erloschenen Augen. Er nahm ihre Hand, sie brannte in trockner Fieberhitze. Da hielt er sich nicht länger. Er schlang seinen Arm um ihren Nacken, und sagte mit einem Tone von Verlegenheit und Liebe, der etwas Rührendes hatte in dem Munde dieses Mannes: »Ihr habt mir immer den Vorwurf gemacht, ich wisse mit mir Nichts anzufangen, jetzt sagen sie's von Dir!«

»Was sagen sie von mir?«

»Du wüßtest nicht, was Du wolltest.«

Cornelie lächelte schmerzlich. »Behaupte von einem Menschen, der mit unheilbar gebrochnen Gliedern darnieder liegt, er wolle nicht gehen!«

»Wenn man uns zwingt gegen unsern Willen zu handeln, dann heißt es freilich immer, wir hätten keinen Willen, oder wir wüßten nicht, was wir verlangen!« meinte Georg.

»Gottlob! daß Du Dein Ziel gefunden hast!« antwortete sie, ohne auf die eigene Lage einzugehen.

»Es ist damit ein eigen Ding!« rief Georg. »Was ich nicht wollte, das wußte ich klarer als was ich wollte; wohin ich nicht wollte, das erkannte ich deutlicher als mein Ziel. Ich meine, wenn's dem Menschen irgend wo recht unbehaglich ist, so muß er da nicht bleiben, sondern vor allen Dingen sich losreißen und sich mitten in ein anderes Leben hineinstellen, wie man untertaucht in einem Strome, wenn die Schwüle gar zu drückend ist. Wird man dann von dem fremden Elemente fortgezogen, so wehrt man sich von selber gegen den Untergang, und kämpfend und schwimmend findet man die erschlafften Kräfte wieder, oder man geht eben unter! und das ist immer noch besser, als sich todt zu schmachten!« Er hielt inne, wie von den eigenen Worten überrascht, und sagte dann kurz abgebrochen: »Mach' daß Du fort kommst! hier ist Deines Bleibens nicht länger!«

Es war das erste Mal, daß Georg sich rathgebend in eine Angelegenheit seiner Geschwister mischte. Cornelie sah, welche Ueberwindung es ihn kostete. Seine scheue Zärtlichkeit rührte sie tief, seine Worte trafen sie. Sie wiegte langsam nachdenkend das Haupt, dann sprach sie nach einer Pause: »Wäre ich ein Mann! – aber jetzt? – was soll ich thun?«

»Du mußt heirathen, Cornelie!« fuhr Georg heraus.

»Heirathen?« wiederholte sie, als habe der Gedanke ihr ganz fern gelegen.

»Sprich ein Wort! Sage dem Vater, daß Du es willst. Er ist voll Sorge, voll Zärtlichkeit für Dich, und Plessen soll im Augenblicke bei Dir sein, wenn Du's verlangst! Der Vater willigt in Deine Heirath – ich sollte Dir das sagen!«

Cornelie hatte mehrmals schnell die Farbe gewechselt, aber sie antwortete ihm nicht. Endlich sprach sie mit einem Lächeln auf den Lippen, indem sie des Bruders Hand ergriff und drückte: »Also das war alle Deine Weisheit, treues Herz! heirathen soll ich?«

»Ja!« rief er, »der Doctor sagt das auch!«

Cornelie fuhr zusammen. Sie ließ des Bruders Hände erschrocken los. Er wußte nicht, was er davon denken sollte. Seine Bestürzung zu verbergen, sprach er, da er vergebens auf eine Antwort der Schwester gewartet hatte: »Du hast zu lange in Abstractionen, zu lange nur für Andere gelebt. Du mußt jetzt für Dich selber leben. Man will ja mehr sein, als nur das Kind seines Vaters, nur der Freund seiner Freunde, der Wohlthäter der Hülfsbedürftigen. – Vor Allem mußt Du's wollen, da Du liebst!«

Er hatte damit seine ganze Unterredungskunst erschöpft, und sah ihr freundlich in's Gesicht. Aber auch jetzt erhielt er keine Antwort. Cornelie blickte schweigend und ernsthaft vor sich nieder. Es war Georg unheimlich neben ihr. Plötzlich erhob sie sich.

»Er räth mir dazu! Er?« sagte sie im Selbstgespräch, athmete tief auf, drückte Georg die Hand und verließ mit den Worten: »So sei es denn!« den Bruder und das Zimmer, hoch aufgerichtet und festen Schrittes, als habe sie gewaltsam alle Erschlaffung und Krankheit von sich abgeworfen.


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