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Fünftes Kapitel.

Der Abend war in gewohnter Weise vergangen. Bis tief in die Nacht hinein hatte die Gräfin die Besuche ihrer Freunde annehmen müssen, die von der nächtlichen Spazierfahrt auf dem Toledo und auf der Riviera zu rasten, in ihrem Hause vorgesprochen waren. Der Cavaliere hatte sich unter den Letzten befunden, welche sich entfernten, und ohne ein Wort der Erörterung hatte der Graf am Abende Helene verlassen.

Auch der Morgen verstrich, ohne daß sie ihn sah, und doch fühlte sie, daß es so nicht zwischen ihnen bleiben könne, daß eine feste und entscheidende Erklärung nothwendig geworden sei. Aber der Graf war ausgefahren, und sie selbst hatte einem deutschen Künstler ihren Besuch in den Morgenstunden zugesagt, den zu machen sie nicht füglich unterlassen konnte.

Wer sie so durch die Straßen fahren sah, jung, schön, von dem geschmackvollsten Luxus umgeben, konnte nicht ahnen, wie schmerzlich zerrissen sie sich fühlte. Die Scene des gestrigen Abendes, des Grafen kalte Verachtung, des Malers sie beleidigender Schutz, das Verhalten dieser Männer gegeneinander und ihre eigene Stellung zwischen ihnen beiden, flößten ihr ein Grauen ein. Diese unterdrückten Leidenschaften, die unter glatter Hülle sich nur um so vernichtender in das Innere graben mußten, je mehr ihnen der Ausdruck entzogen ward, beängstigten sie, als läge eine Riesenschlange tückisch lauernd in scheinbarem Schlafe zu ihren Füßen zusammengekauert. In diese Gedanken versenkt merkte sie plötzlich, daß ihr Wagen stille stand. Sie hatten Santa Lucia passirt und befanden sich auf dem Wege nach dem Molo, dessen beständige Lebhaftigkeit ihr den Lärm nicht auffallend gemacht hatte, welcher sie umgab.

Es war ein völliger Auflauf. Schreiende Lazaroni, die rothen Mützen auf dem schwarzen Haar, in höchster Leidenschaft gesticulirend, Frauen mit Zeichen des Entsetzens, des Mitleids in den Zügen, Polizeibeamten und die nie fehlenden Bettelmönche drängten sich durcheinander, daß man, ohne ein Unglück anzurichten, nicht vorwärts fahren konnte. Der Jäger war abgestiegen und an den Schlag getreten. Die Gräfin fragte, was es gäbe.

»Ein Lazarone hat den Liebhaber seiner Frau erstochen!« meldete der Diener, die geöffnete Wagenthür in der Hand; aber er hatte diese Worte noch nicht geendet, als der ganze Strom der Volksmasse sich nach dieser Seite richtete. »Rette Dich! Rette Dich!« kreischten die Weiberstimmen, eine Gasse schien in der Menge geöffnet zu werden und sich wieder zu schließen, Flüche, Ermuthigungen, Drohungen, Worte des Mitleids und Schimpfnamen schallten wild durcheinander, und wie aus dem unerfaßbaren Aufruhr der Elemente plötzlich, als ihr höchster Ausdruck, der Blitz herniederfährt, so stürzte ein junges Weib sich auf den Wagen los, gefolgt von einem Manne, der wuthschäumend, sein Messer in der Rechten, ihr mit den Sprüngen eines Tigers folgte. Ehe der Diener den Schlag zuwerfen konnte, hatte das Weib den Wagen erreicht, und sich unter seinen Arm gewaltsam durchdrängend, schrie sie, die Hände flehend in den Wagen hineinstreckend: »Retten Sie mich, Exellenza!« Da zuckte das Messer hernieder und der Oberkörper des Weibes fiel blutend in den Wagen hinein.

Man riß den Mörder zurück, der Diener hob das Weib empor, dessen sich die Nächstfolgenden bemächtigten. Der Stoß hatte gut getroffen, der Körper war leblos, das Blut floß in reichem Strome nieder. Der Wagen war so umringt, die Aufregung so furchtbar, Helenens Entsetzen so groß, daß sie weder aussteigen noch vorwärts kommen konnte. Als die Wachen Platz gemacht hatten, der Diener aufgesessen war und die Equipage weiter rollte, da brach die Gräfin zusammen, und vor dem Hause des Malers anlangend, lag sie in tiefer Ohnmacht.

Als sie erwachte, war es kühl und still um sie her. Des Malers Frau saß an ihrer Seite. Die grünen Jalousien des bescheidenen Zimmers waren geschlossen. Leise flimmernde, schmale Lichtstrahlen spielten auf den blonden Locken eines vierjährigen Mädchens, das mit seinem Bilderbuche an einem kleinen Tische saß und ab und zu nach der bleichen Gestalt der Gräfin hinübersah, deren Günstling die Kleine war. Bei Helenens erster Bewegung stand sie auf und eilte zu ihr. Die Gräfin streichelte mit matter Hand ihre goldenen Löckchen.

»Du bist doch nicht todt?« fragte die Kleine, und wollte sich nicht abweisen lassen von der Mutter, die ihr bedeutete sich zu entfernen. »Wer ist denn todt, Mama?«

»Eine arme Frau, mein Liebstes! und darüber hatte die Tante sich erschreckt, sei stille und laß sie ruhen!«

»Nein, Mama!« fiel die Kleine ein. »Todt ist die arme Frau nicht, ihr Mann hat sie nur todtgestochen! Warum hat ihr Mann sie todtgestochen?«

»Weil sie etwas Unrechtes gethan hat!«

Die Kleine schwieg nachdenkend. Die Gräfin stand auf, da fielen ihre und die Augen des Kindes gleichzeitig auf die Blutflecken am Saume ihres Gewandes, sie schauderte zusammen.

»Hat Dich auch wer todtgestochen?« fragte das Mädchen mit der Beharrlichkeit, mit welcher Kinder sich an Worte heften, deren Sinn sie ahnen, ohne ihre volle Bedeutung zu erfassen.

Die beiden Frauen achteten nicht darauf; aber das Kind ließ sich nicht abschrecken. »Hat Dich auch wer todtgestochen?« wiederholte es und fügte hinzu: »Thu' nichts Unrechtes, Tante! sonst stechen sie Dich auch todt und dann bist Du todt!«

»Ach! daß ich's wäre!« rief die Gräfin und warf sich in Thränen ausbrechend der jungen Mutter an die Brust. Das Kind betrachtete sie verwundert, trat erst leise an sie heran, da es aber nicht bemerkt ward, zog es sich zurück und verließ das Zimmer, als fürchte es sich. Großer Schmerz hat etwas Unheimliches für Kinder, das sie mit richtigem Instinkte fliehen.

»Beruhigen Sie Sich, liebe Gräfin!« bat die junge Frau, »Sie sind so sehr erschüttert. Was kann ich für Sie thun?«

»Mich weinen lassen! recht herzlich weinen lassen, und ausruhen hier bei Ihnen, wo Alles Frieden ist!«

Sie hielt die Hand der jungen Mutter gefaßt, und setzte sich auf den Sopha mit ihr nieder. Frau Feldheim betrachtete sie mit wehmüthiger Liebe, sie hatte die Gräfin nie für glücklich gehalten, dennoch überraschte sie die Tiefe des Leides, das sie vor sich sah.

»Könnte ich Ihnen helfen!« seufzte sie.

»O!« rief die Gräfin, »Sie helfen mir immer! Sie geben mir immer Muth und Glauben wieder, wenn ich Sie und Feldheim sehe. Euer friedliches Leben, Eure fruchtreiche Arbeit, Euer Glück thut mir so wohl! Und Euer Anblick mahnt mich an die Heimath, an meine glückliche Jugend!«

»Ja!« sagte Jene, »es mag nicht recht sein, sich seines Glückes zu rühmen, wenn ein Anderer leidet, aber wir sind glücklich, und ich danke Gott auch alltäglich dafür. Feldheim fühlt sich so erhoben in dem Gelingen seiner Arbeit, unsere Kinder gedeihen uns. Ich bin gesund, kann Alles leicht für sie beschaffen, und es bleibt mir doch Zeit genug, für meinen Mann zu leben, mich an seinen Werken zu erfreuen, was sollte uns da in diesem schönen Lande fehlen? Wir haben es ja hier wie die Fürsten, und Gott weiß, wie wenig wir das zu erwarten hatten, als wir heiratheten!«

Da Feldheim sprechen hörte, trat er aus seinem Studio in das Zimmer, die Gräfin zu begrüßen und sich nach ihrem Ergehen zu erkundigen. Er war ein Bruder der Pastorin aus Wogau, das hatte die nähere Bekanntschaft zwischen ihnen schnell vermittelt, als der Ruf seiner Arbeiten sie in sein Atelier geführt, und der Maler sowohl als seine Frau waren durch ihr einfach gesundes Wesen der Gräfin auch als Freunde werth geworden.

»Es hat mir leid gethan, Frau Gräfin!« sagte er, »daß Sie Sich die Sache auf dem Molo so zu Herzen genommen haben. Sie haben viel dabei verloren!«

»Verloren?« fragte die Gräfin.

»Sicherlich! die ganze Betrachtung der Situation, und hier liegt auch der Unterschied zwischen den Geschlechtern, der die Frauen ewig hindern wird, groß als Künstler zu werden. Sie haben zu viel Weichheit, um ruhige Beobachter zu sein!«

Helene, gewohnt sich zu beherrschen, war äußerlich ihrer selbst wieder Meister geworden, dennoch schauderte sie innerlich zusammen bei dem Gedanken an jene Mordthat. »Wohl Ihnen,« sagte sie, »daß Sie den gräßlichen Vorgang nicht erlebten. Er wird mir nur zu unvergeßlich sein!«

»Mich würde er höchlich interessirt, aber nicht weiter angefochten haben,« meinte der Maler. »Was ist denn daran gelegen, ob ein Menschendasein endet oder nicht?«

»Wie kannst Du das sagen?« tadelte die Frau, »Du, der nicht einen Wurm leiden, nicht eine Pflanze welken sehen kann, ohne Hülfe zu versuchen?«

»Grade darum, weil ich Wurm und Pflanze ebenso berechtigt halte, als unser Einen. Man soll helfen, so lange Hülfe möglich, und untergehen lassen, was unrettbar ist. Klagt man doch nicht so lamentabel um einen Hirsch, der stirbt, um einen Baum, der umgehauen wird, um alle Blumen und Blüthen, die der Sturm verweht. Es ist impertinent vom Menschen, der so viel voraus hat, auch noch ganz besondere Ansprüche an seine Lebensdauer zu machen. Das Weib auf dem Molo war schön – so sagt mir Ihr Stefano – es war sicher glücklich mit seinem Liebhaber, es mag auch einmal glücklich mit seinem Manne gewesen sein, – es hat also Freude genossen und Freude gewährt – und hat den einen ehrlichen Ehebruch mit einem ehrlichen Dolchstich gebüßt, das ist Alles in der Ordnung, und nur zu bedauern, daß ich den Vorfall nicht statt Ihrer angesehen habe. Es ist eben eine schöne Blüthe vom Baume abgefallen. Denken Sie nicht mehr daran und kommen Sie in mein Studio, ich muß Ihnen heute doch mein Mysterium enthüllen!«

Damit öffnete er die Thüre des Ateliers und nöthigte die Gräfin einzutreten. Eine gewaltige Leinwand war auf der Staffelei mit einem Vorhänge bedeckt.

»Das ist meine heilige Familie!« sagte er, und zog die Hülle fort.

Zur Linken im Bilde saß an einem mit Wein, Blumen und Früchten besetzten Tische, seine Frau in einem weißen, losen Kleide, ihr jüngstes Kind auf dem Schooße, während das ältere Töchterchen an ihrer Seite demselben neckend einen Lorbeerzweig entgegenhielt. In der Mitte stand der Maler selbst in seiner Arbeitsblouse an der Staffelei, die Gruppe malend: »und« – sagte er – »damit meiner Madonna die alte Heilige nicht fehle, habe ich mir hier im Hintergrunde meine alte Mutter gemalt, die grade so zufrieden aussehen würde, könnte sie eintreten und uns betrachten!«

Die Gräfin war überrascht. Seit vielen Monaten hatte Feldheim ihr erzählt, daß er eine heilige Familie male. Sie, wie alle Anderen, hatten es geglaubt, da die Historie sein Fach war, und sich nur über die Wahl des Gegenstandes gewundert, der ganz außer dem Bereiche seiner früheren Schöpfungen lag; aber grade deshalb hatte man es natürlich gefunden, daß er dies Bild vor der Vollendung Niemand sehen lassen wollte.

Dem Maler entging ihre Befremdung nicht. »Nun,« fragte er, »was sagen Sie von dem Bilde?«

»Es ist vollendet schön!« rief die Gräfin, »und was mich am wunderbarsten darin trifft, ist seine entschieden historische Bedeutung. Wie haben sie es angefangen, diese in den Gegenstand zu legen, der sich nach Gehalt und Composition nicht über das Familienportrait und das Genre erheben zu können scheint?« –

Feldheim antwortete ihr nicht gleich. Er ließ ihr Zeit, das Gemälde zu studiren, und weidete sich an ihrem immer steigenden Interesse. Der Ausdruck seliger Mutterliebe, mit dem Elisabeth in dem Bilde auf die unbefangen spielenden Kinder herabsah, machte ihr Gesicht schön erscheinen, obschon es nur gewöhnlich war, und auch Feldheim mußte jedes Auge fesseln, jedes Herz für sich gewinnen, wenn man das ruhig ernste Antlitz des Malenden betrachtete, das so freudestrahlend auf die Seinen schaute.

»Seit den Familienbildern der alten Niederländer ist solch ein Bild nicht mehr gemacht!« rief die Gräfin. »Und es hat noch einen Zauber der Innerlichkeit, der Glückesheiligkeit, die ihm ganz eigenthümlich sind, vor jenen Werken voraus. Das ist wirklich eine heilige Familie!«

»Darin liegt auch der Zauber, Signora Contessa!« sagte der Maler und blickte mit Wohlgefallen auf sein Werk. »Wenn die Nazarener sich daran machen, eine heilige Familie zu malen, so meinen sie es mit einer Familie von Heiligen zu zwingen, mit denen Nichts gethan ist, denn diese unbefleckten Jungfrauen, und der verwunderte St. Joseph, und der Johannes mit dem Tigerfelle und der kleine glorienbeschienene Christus sind uns und unserm protestantischen Bewußtsein jetzt Nichts mehr. Sie sind abstract und transcendent, und damit lockt man in der Zeit des Realismus keine Katze hinter dem Ofen hervor und kein rechtes Gefühl aus einem ehrlichen Herzen!«

»Das ist wahr!« bekräftigte die Gräfin. »Weder die ganz abstracten Nazarener, wie Overbeck und Schadow, noch die Stein, und wie sie sonst noch heißen, ja nicht einmal die katholischen modernen Italiener haben eine Madonna schaffen können! und an die Heiligen der französischen Schule muß man gar nicht denken!«

»Sie können auch keine Heiligen mehr malen und Niemand wird es wieder können, es hat eben Alles seine Zeit,« fiel ihr der Maler in das Wort. »Die heiligen Familien sind für uns so unnatürlich geworden, wie die Allegorien eines Veronese, denn sie sind auch Allegorien und wir haben es mit der Wirklichkeit zu schaffen. Nicht eine Familie von Heiligen sollen wir jetzt malen, sondern eine Familie von Menschen, die geheiligt ist durch Liebe und umstrahlt von der Glorie ihres Glückes. Und weil sich in dem Glücke des Familienlebens der höchste Ausdruck erfüllter Liebe, der vollendete Beruf des Menschen offenbart, so muß ein solches Bild eine tief menschliche, eine für alle Zeit gültige, also auch eine historische Bedeutung haben können, wenn es aus dem rechten Sinne hervorgegangen ist, der die volle Göttlichkeit erkannt hat im Familienleben, in der Sorge der Eltern für die Geschöpfe ihrer Liebe, in dem gemeinsamen Entzücken an den gemeinsamen Pflichten und Freuden und Schmerzen, die alle aus der reinen, unmittelbaren Quelle der Natur entspringen! Was ist denn so ein lumpiger König im blanken Ornate mit ein Paar geharnischten Rittern gegen Mann und Weib und Kind? All die historischen Zufälligkeiten, die wir malen, sind ja reine Vergänglichkeiten gegen die urewige Wahrheit solcher Liebe!«

Er hatte dabei seine Frau um den schlanken Leib gefaßt und sie an sich gezogen. Jetzt küßte er sie herzhaft und strich ihr dann die Thränen aus den Augen, die sie zu verbergen strebte. »Das Bild rührt mich so!« sagte sie zur Gräfin.

»Ja!«rief Feldheim, »und doch mochte sie Nichts davon wissen, als ich noch für ein Paar Kinder Platz lassen wollte auf dem Bilde!«

Die Frau wies ihn lachend zurück, die Gräfin aber blickte sinnend bald auf das Bild, bald auf die glücklichen Gatten.

»Was mich im hohen Grade wundert, ist, daß unsere Tracht nicht störend einwirkt!« sagte sie nach einiger Zeit.

»Darüber habe ich auch meine eigenen Gedanken!« meinte Feldheim. »Ich glaube, im Grunde ist keine Tracht gut oder böse, nur die, welche sie tragen, machen sie dazu. Sehen Sie doch mitunter die wahrhaft scheuslichen Verunstaltungen durch die Kleidung, denen wir auf alten Bildern begegnen und die uns gar nicht stören. Die Zopfmützen im dreizehnten Jahrhundert, die Puffärmel, welche fast bis zur halben Höhe des Kopfes sich erheben bei den alten Rittern und Edelfrauen, dann wieder die schwarze, mumienhafte Kleidung zu Holbein's Zeiten, oder den buntflitternden Putz beider Geschlechter in den Tagen des Vandyk. Und in all den Costümen sind vortreffliche Bilder entstanden – Portraits und Familiengruppen, denen kein Mensch in der Welt ihre historische Bedeutung aberkennen wird!«

»Aber woran liegt es denn,« fragte die Gräfin, »daß wir in unserer Tracht uns so schlecht im Bilde darstellen?«

»An unserer eigenen Lumpigkeit, nicht an der Kleidung!« lachte der Maler, »denn sehen Sie, Frau Gräfin, es sind meist nur die Männer, die sich lumpig ausnehmen – und auch nicht Alle. Damit ein honnettes Portrait zu Stande komme, gehören zwei honnette Bewußtsein dazu. Das Bewußtsein des Originals und das des Malers!«

»Was meinen Sie damit?«

»Achten Sie einmal auf die Portraits der Fürsten, der berühmten Gelehrten, der Künstler,« sagte er, »und Sie werden finden, daß ihnen dieses Gepräge der Erbärmlichkeit, welches über so vielen Fracks und Cravatten uns bald verlegen, bald arrogant, stumpfsinnig entgegenlächelt, selten eigen ist. So dumm oft solch ein König oder Fürst, so verhuzelt ein Gelehrter, so wunderlich ein Künstler aussehen mag, sie haben die Empfindung ihrer inneren Berechtigung, eine gewisse Selbstherrlichkeit. Ich möchte sagen, sie fühlen das Recht, so wie sie eben sind, auf dieser Welt zu sein und also auch nach ihrem Tode noch im Bilde auf derselben fortzudauern. Fühlt das der Maler aus ihnen heraus, malt er sie im Bewußtsein ihrer persönlichen Berechtigung, so wird es immer ein gutes Bild werden, mögen nun die Formen edel oder gemein sein, denn nur der Geist, der in ihnen waltet, ist die bleibende Kraft in einem Bilde. Die Idee, durch die absolute Formenschönheit charakteristisch zu wirken, ist ein vollständiger Irrthum, von dem die alten Italiener, Niederländer und Spanier auch Nichts wußten!«

»Aber woher denn die Menge fader, nichtssagender Bilder, von denen unsere Ausstellungen angefüllt sind?«

»Ich sagte es Ihnen ja, Frau Gräfin, von dem Sonntagsbewußtsein der Originale!« lachte Feldheim. »Die Menschen essen, trinken, arbeiten jetzt gedankenlos und wie Maschinen. Sie vegetiren ohne innere Erhebung und ohne jenes Selbstgefühl, wie es im Mittelalter schon die scharfe Gränze der Standesunterschiede und das von Kämpfen und Gefahren mancher Art bewegte Leben, charakteristisch in ihnen ausprägen mußte. Sie sahen sich in besonderen Lagen, sie hatten Gelegenheit ihre Leidenschaften zu entfalten, und sich als Individuen auszubilden. Nehmen Sie alle Shakespear'schen Dramen und überall finden Sie unter den leidenschaftlich Kämpfenden, Helden und Motive für Bilder aller Art. Jetzt, wo die entfesselte Leidenschaft für Rohheit gilt, wo die Staatspolizei sie fast unmöglich macht, sind die Kunstwerke und die Menschen stumpf geworden. Sie leiden innerlich an allen möglichen Miseren, aber äußerlich verziehen sie keine Miene und hüllen sich in das todte Grau der Wohlerzogenheit. Kommt diesen modern nivellirten, polizirten Menschen dann der thörichte Einfall, sich einmal malen zu lassen, so besinnen sie sich auf sich selbst, erschrecken vor ihrer Leerheit, setzen sich zurecht und putzen sich mit irgend einer Eigenschaft heraus, mit Gutmüthigkeit, Erhabenheit, oder was ihnen sonst an sich wahrscheinlich dünkt – und das kleidet sie denn eben so, wie der abgelegte Ballputz der Frau Gräfin eine Magd am blauen Montag. Die Mehrzahl unserer Portraits hat Sonntagscharaktere zum Originale.«

Er war in bester Laune, und auch die Gräfin hatte sich etwas erheitert.

»Dies Bild wird fortleben und die Menschen erfreuen, wie die schöne Familie Karl's des Ersten und Rembrand von Rye's mit seinem Weibe!« wiederholte sie, auf ihre erste Bemerkung zurückkommend.

»Und habe ich nicht eben so gut ein Recht, meine stolze Freude an meinen Kindern zu verewigen, als König Karl die seine? Habe ich nicht oft eben so glücklich als Rembrand die Schultern meiner Elisabeth geküßt und die Fröhliche auf meinen Knieen aus meinem Glase trinken lassen? Mein Stolz, meine Freude sind von Gottesgnaden wie die ihren!« rief er, »aber was mich heute schon ganz früh so fröhlich machte, ist Camillo's Freude an dem Bilde. Er war am Morgen bei mir und konnte sich nicht satt daran sehen. Auch glaube ich, so hoch ich ihn verehre, hätte er von mir zu lernen, daß man vergessen muß!«

»Vergessen?« fragte die Gräfin, »was denn vergessen?«

»Er muß die Convenienz und Tradition vergessen lernen. Das Herkömmliche bindet ihm die Flügel, wie fast allen unseren Zeitgenossen. Er muß zur Quelle, zur Natur zurück. Nicht zu jener Natur, die in Löwenfellen und mit Feigenblättern umherläuft, denn grade diese ist eine reine Sache der Convention, sondern zu jener Wahrheit der Beobachtung, die in der Gegenwart das Zufällige von dem Eingeborenen unterscheidet. Daß er diese Wahrheit der Beobachtung in sich nicht ausgebildet hat, darin liegt auch der Mangel Ihres von ihm gemalten Bildes. Er malte die wunderschöne Gräfin St. Brezan; aber das gute, liebevolle Weib, das hat er in Ihnen nicht gesehen, nicht verstanden!«

Helene war zusammengefahren und zerstreut geworden, als er den Namen des Cavaliere ausgesprochen hatte, so daß sie ihm Nichts auf seine Behauptung zu entgegnen vermochte.

»Camillo wird Sie wieder malen?« bemerke Feldheim nach einer kurzen Pause.

»Mich?« fragte die Gräfin.

»Ja! er sagte mir, Sie hätten ihm gestern zur Skizze für eine Desdemona gesessen!«

Die Gräfin erbleichte, alle ihre Schmerzen erwachten wieder. Sie erhob sich plötzlich, um sich zu entfernen, und aufathmend, wie Einer, der nach kurzer süßer Rast sich wieder zu neuem schwerem Gange anschickt, sagte sie: »das war eine schöne Stunde! haben Sie Dank dafür!«

Die Eheleute blickten sich betroffen an. Feldheim geleitete sie an ihren Wagen. Als er zurückkam, schüttelte er leise das Haupt, und gegen seine Frau gewendet, sprach er: »der wäre es besser gewesen im Vaterlande zu bleiben, ihr Herz paßt nicht hieher!«


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