Joseph von Lauff
O du mein Niederrhein
Joseph von Lauff

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Siebzehntes Kapitel

Jakobine stand auf Deck, rank und kräftig, das Antlitz gebräunt, im Ölmantel, den Südwester tief über den schwarzblauen Haarknoten gezogen.

›Gott mit uns‹ hatte keine günstige Talfahrt. Das Wetter war launig, der Wind stand konträr, und ab und zu kamen regenstramme Böen dazwischen.

Der Rhein brandete schaumig gegen die Ufer, trieb kurze, bösartige Kämme stromaufwärts.

Lambert führte das Beischiff. Es folgte im Kielwasser und klatschte unaufhörlich mit seinen halbeingerefften Segeln und Wanten.

»Hoidoho!«

Beide Schiffe befanden sich in Höhe von Bislich.

Sie kamen von Duisburg-Ruhrort, waren vollauf befrachtet, so daß das ungemütliche Wasser fast die obere Bordwand berührte. Endziel wie immer Rotterdam. In Emmerich jedoch waren wenigstens drei Tage Station vorgesehen, der Schiffspapiere und der großen Löschung wegen. Von Rotterdam aus ging's nach acht Tagen wieder stromaufwärts bis nach Rees hinzu, aber dieses Mal mit überseeischem Tabak für Oldenkott, in Firma Hendrik Oldenkott senior & Kompagnie, und zwar in Qualitäten und Quantitäten wie früher niemals gesehen.

Lambert spitzte jetzt schon den Mund und dachte bei Ausschiffung an ein Extrapräsident vom Herrn des Tabakhauses: zwölf Oldenkott-Bruyère-Pfeifen, dazu 'ne Schubkarrenladung ›Kiepenkerl‹ primissima Feinschnitt. Selbstverständlich auch Welm Driesen sollte davon profitieren. Zwei Pfeifen wollte er abgeben, auch einige Päckchen von besagtem primissima Feinschnitt. Im großen und ganzen jedoch: der verbleibende Rest der totalen Dotation war auf sein Konto zu buchen, denn er hatte dem Seniorchef Hendrik Oldenkott, domiziliert im altehrwürdigen Rees, schon manchen Privatgefallen erwiesen. Also die weltberühmten Bruyère-Pfeifen nebst 'ner Schubkarrenladung ›Kiepenkerl‹ waren ihm sicher. Punktum. Streu' Sand drauf.

Vergnüglich riffelte der rothaarige Malefizschlingel seine behaarten Hände gegeneinander, hielt gut Kielwasser und gefiel sich darin, gemächlich durch die Zähne zu pfeifen:

»Drinke mer noch e Dröppche,
Drinke mer noch e Dröppche
Aus dem kleinen Henkelsdöppche.
A ... a ... a ... ach, Susanne,
Wie ist das Leben doch so schön,
A ... a ... a ... ach, Susanne,
Wie ist das Leben schön.

Piekfein!« gestand er sich selber, aber seine Exkursionen in libidinöse Gefilde, direktemang nach Indien zu, in die Dattelpalmplantagen hinein, wo die Kakadus und Papageien man so herumfliegen wie bei uns die Ringeltauben und es so heiß ist, daß einem selbst die kommodesten Kleider ›scharnieren‹, hatte er aufgegeben. Desgleichen das Auspellen der delikaten Industriekartoffel von wegen der barbarischen Hitze. Das Herz hierzu war ihm in den Hosenboden gestolpert. Die Siegermiene fehlte ihm gänzlich. Mit den paradiesischen Umgangsformen wollte er nichts mehr zu tun haben. Er wagte es kaum noch, diesem hyperbolischen Gedanken nachzugehen.

Jakobine Hemskerk schien ihm gefeit, unantastbar, einer Königin ähnlich, denn ihr Leib war noch geweihter als früher geworden, ihr Gesicht abweisender, ihre Tatkraft zupackender und Ehrfurcht gebietender, und wenn sie sich in ihrer ganzen Jungfräulichkeit streckte, ließ die göttliche Vorsehung ein Sternenkränzlein vom Himmel herunter, um ihr damit das Haupt zu umkleiden. Und dann überhaupt: Respekt vor dieser kapiteinischen Tochter! Was utopisch erschien, wie ein launiges Märchen anmutete, war hier Wirklichkeit und nackte Wahrheit geworden. Sie ließ sich nicht unterkriegen, nicht in die Tränenecke verweisen. Über eine niedergeworfene Liebe schritt sie dahin mit den herrischen Schritten eines seßhaften Niederungsbauern über ein verwüstetes Kornfeld, mit rührigen Händen, die Pflugschar regierend, neuen Samen streuend, frisches Grünen und Blühen und damit eine glückliche Ernte und eine frohe Zukunft erhoffend. Sie war nicht vergebens vor einigen Wochen über die Planken gegangen, hatte nicht umsonst Wanten und Takelage gemustert, den Steuerkasten und sein Triebwerk studiert und sich für nichts und gar nichts die Frage vorgelegt: warum bist du denn als Frauenzimmer nicht imstande, zu navigieren und ein Schiff von Rotterdam nach Mannheim zu führen? Warum nicht?! Sie war Weibes genug, sich ihr eigenes Leben zu zimmern, auf ein eingestürztes ein neues zu bauen, ihr angestammtes Erbe sich erst zu verdienen, um es so als ihr rechtmäßiges und wohlerworbenes Gut zu erklären. »Also 'ran an die Pinne und den Ölmantel übergezogen!« – und keine drei Wochen vergingen, da rissen Lambert und Welm Driesen ihre Kulpsaugen auf, als wären sie mit Streichhölzern abgesprießt worden, legte sich Kapitän Hemskerk schwer in die Jacke hinein, als sei er gewillt, Jacke und Ankerknöpfe zu sprengen, tat's aber nicht, sondern begnügte sich damit, eigenhändig eine Punschbowle mit delikaten Zitronenscheiben zu brauen, seine Mannschaft in die Achterkajüte zu laden, dann in Gegenwart Jakobinens sein Glas zu ergreifen, durch die Zähne zu sirren und wie ein oller, braver Rheinbär zu sagen: »Herzensmamsellchen! ein regelrechtes Frauenzimmer ist nicht allein dazu da, mit blankgescheuerten Kasserollen herumzuhantieren, den Mund zu spitzen, um nach Liebe und Kindern zu pfeifen. Blexem! ich habe Frauenzimmer gekannt, die konnten in der vollen weiblichen Pracht und Schönheit ihres Leibes die Mannskerle durch ihre Kurasch und Griffigkeit an die Wand drücken, ihnen schlankweg das Stauwasser abgraben. Nicht, daß ich solche über alles belobe. Zu mancherlei passen sie nicht. Was haben sie mit dem Wahlrecht zu schaffen? Sie besitzen zwar lange Redensarten, aber man bloß 'nen kurzen Instinktus. Auch will ich nicht, daß sie ihren höchsten Schmuck, den sie aufweisen können, zu Polkahaaren verschneiden, nicht das, was ihnen der liebe Herrgott stramm, mollig und fest unter die Blusen gesetzt hat, einfach fortmanövrieren, denn es ist ein Greuel vor dem Herrn, sich mit den weibischen Kreaturen von Mannsstücken und sogenannten Eintänzern auf die nämliche Hobel- und Bierbank herumzuflegeln. Aber das will ich: 'ne ordentliche Frauensperson muß sich auf sich selber verlassen, 'ner Liebe nicht nachtrauern und, wenn's not tut, auch sagen können: Vater, meine Kräfte wollen ihre gesunde Betätigung haben, sonst gehen einem Herz und Seele an manchen dummen Gedanken einfach koppheister. Das, mein Döchting, mußte mir von der Leber herunter, denn heute ist der Tag der Tage gekommen ... und daher, ich spreche vor der versammelten Mannschaft: Allerhand Achtung! Mein Schiff wird sich freuen, mal unter deinem Kommando zu stehen, denn wahrhaftig in Gott: du bist eine Hemskerk. Allemann auf Deck, es lebe die kapiteinische Tochter!« und alle waren gleichen Sinnes, stimmten ihrem Kapitän aus vollem Herzen zu und ließen die kapiteinische Tochter leben im Klingen der dampfenden Punschgläser und mit Hurra und Vivat.

Mit diesem Tage, wie schon oben gesagt, gab Lambert den bei ihm festgekeilten Gedanken auf, in libidinöse Gefilde zu schweifen, direktemang nach Indien zu, in die Dattelpalmplantagen hinein, wo die Kakadus und Papageien man so herumfliegen wie bei uns die Ringeltauben und es so heiß ist, daß einem sogar die kommodesten Kleider ›scharnieren‹. Selbst die delikate Industriekartoffel gab er auf, auch das sündhafte Auspellen von wegen der barbarischen Hitze ... und so stand denn Jakobine Hemskerk unangefochten auf Deck, rank und kräftig, das Antlitz gebräunt, im Ölmantel und den Südwester tief über den schwarzblauen Haarknoten gezogen.

Papa Hemskerk ließ ihr total freie Hand. Er saß mit gefalteten Händen und übergeschlagenen Beinen in der Achterkajüte, sah durch das schmale Fenster auf das widerborstige Wasser hinaus und voltigierte von Zeit zu Zeit sein sauciertes Priemchen auf die andere Seite. Mochte Jakobine nur machen. Ihm war es da droben zu steiffadig und zu ungemütlich unter dem bleigrauen Himmel geworden. Auch ohne sein Zutun konnte sie heute freiweg hantieren, sich mit ihrem Gesellenstück befassen, endgültig ihre letzte Prüfung ablegen. Also los denn dafür.

Es wollte nicht aufklären. Nur ab und zu kam ein schmaler Fetzen blauen Himmelkattuns zum Vorschein, um bald darauf wieder von rußigen, regenschweren Wolken zugedeckt und überflogen zu werden.

Die weißen, bösartigen Schaumköpfe nahmen an Störrigkeit zu. Die Schiffe hatten langsame Fahrt. Die beiderseitigen Ufer zogen gemachlich vorüber. Die kanadischen Pappeln allda verstreuten ihre überständigen, altgoldenen Blätter mit äußerster Verdrießlichkeit bis weit ins Wasser hinein. Der ganze Tag war mit Seifenschaum und naßkaltem Wind überzogen, so daß jedes menschliche Lebewesen so recht seines Daseins nicht froh werden konnte.

Um die Mittagsstunde kam Emmerich in Sicht.

Jakobine kehrte dem linksseitigen Ufer den Rücken, um die fernen Konturen des Reichswaldes nicht sehen zu müssen. Dabei aber hämmerte ihr starkes Herz unter der Wolljacke, als müßte es diese und den Ölmantel zerreißen. Es blieb immer die traurige und alte Geschichte, und dennoch mußte und wollte sie stark sein.

Gegen zwei Uhr drehten die Schiffe bei, manövrierten im weiten Bogen herum und gingen regelrecht im Emmericher Hafen vor Anker.

Hemskerk stand neben seiner Tochter, als sie ihre Kommandos ausrief und ihre Orders erteilte.

Nichts mangelte. Es ging wie am Schnürchen, trotz des konträrigen Windes.

Als die letzten Anker gefallen und Grund gefaßt hatten, die Stahltrossen übergelegt waren, sagte der Alte schwer und mit dem Gang einer korrekten Maschine: »Mein Döchting, Lehrjunge warst du, dito Gesell. Dein Steuermann- und Navigationsexamen hast du proper bestanden. Heute bist du glattweg und schlankgeradeaus mit der Kaptänsprüfung fertig geworden.«

Er riffelte mit Mittel- und Zeigefinger zwischen Kragen und Bartfräse hindurch.

»Also, Mamsell Kaptän, ich gratuliere, und zum guten Beschluß und zur Feier des Tages wollen wir so in 'ner guten Stunde herum den Meisterbrief mit 'ner noblen Buddel bei meinem Freund Michel Virgilis begießen.«

»Vater,« sagte sie nach einigem Nachsinnen, »ich danke dir herzlichst, aber ich möchte nicht gerne.«

»Warum nicht?«

»Ich möchte vor der Hand diese Wände nicht sehen.«

»Na, das wäre denn doch! Ich sollte doch annehmen, über so was wärest du langst aus der Kladde heraus und ins reine Hauptbuch gekommen?«

»Bin ich auch, Vater, wenigstens so im großen und ganzen, wenn ich auch meine: es muß erst 'ne gehörige Portion Gras drüber wachsen.«

Der Alte schabte sein Kinn.

Seine klaren Lichter richteten sich fest auf die seiner Tochter.

»Also noch immer? Hab's bis jetzt noch nicht ausklamüsiert, daß so was sich so barbarisch eingraben könnte. Muß wohl was dran sein, denn deine selige Mutter hat mir auch mal 'ne ähnliche Geschichte verkündet.«

Er griff nach der Hand der Insichgekehrten, deren Blicke groß und verloren das Emmericher Ufer absuchten.

»Aber Herzensmamsellchen, warten wir ab. Es ist noch nicht aller Tage Abend geworden. Sterne versinken und Sterne erscheinen aufs neue am Himmelreich, als hätten sie ewiglich also gestanden. Du kannst aufstellen, was du willst, 'n regelrecht gehender Kompaß will immer nach Norden. Das irdische Leben ist voller Mysteriums. Das deinige auch. Aber wie schon gesagt: es ist noch nicht aller Tage Abend geworden. Warten wir ab. Im übrigen, ich kann dich verstehen. Verhalte dich man ruhig an Bord. Wir bleiben drei Tage liegen. Das Löschen, dito das Verladen der Güter kann in aller Gemächlichkeit vor sich gehen, ohne jüdische Alertheit. Mankos sind nicht zu befürchten. Also du willst nicht, ich meine von wegen meines Freundes Michel Virgilis? Gut, dem wird Rechnung getragen. Indessen, ich für meine Person, ich habe doch 'ne gewisse Verpflichtung, und da sollte ich annehmen ...«

Um Jakobinens Mundecken kringelten heitere Fältchen.

»Ja, ich verstehe schon, Vater.«

»Also – du bist einverstanden damit?«

»Warum sollte ich dir die Freude nicht lassen? Du und er, ihr häkelt ja doch wie hie Kletten zusammen.«

Sie lachte.

» All right!« rief der Alte, »denn bei so 'nem Wetterglasstand von Duisburg-Ruhrort bis nach Emmerich zu kann's 'nem alten Lakel schon mollig über den Rücken laufen, sich den Kielraum so 'n bißchen manierlich von Michel Virgilis kalfatern zu lassen. Das bin ich mir schuldig ... und außerdem: Blexem und Donnder! ich habe diesen Matador lange nicht mehr unter die Nase bekommen.«

»Schön, Herr Kapitän,« schmunzelte Jakobine in sich hinein, »dann laß dich kalfatern, aber nicht bis in den hellichten Morgen hinein.«

Sie schob ihren Arm unter den ihres Vaters und ging mit ihm etliche Male über die Planken.

*

Von Sankt Aldegondis rief die vierte Nachmittagsstunde herüber.

»Dum, ding, dong! Dum, ding, dong!« Dann setzte das Glockenspiel ein: »Alles meinem Gott zu Ehren, in der Arbeit, in der Ruh'.« Wie gewöhnlich liefen einzelne Kickser mit unter. Hierauf folgten verschiedene Schnalzer, die eigentlich nicht mehr zur Melodie und Weise gehörten. Dann wieder das sonore »Dum, ding, dong! Dum, ding, dong!« und das viermal hintereinander.

Bald darauf hüllte sich der altersgraue Turm aufs neue in ein eigenwilliges Schweigen, in regnerische Wolkenfetzen, die nur zeitweilig aufhellten, in die Stille der großen Einsamkeiten.

Dafür aber war Düweke Brinkmann rege und lebendig.

Wie ein fettes, gefülltes, aber noch immer flügges Turteltäubchen mit frischem Gesicht, blanken Augen und klingenden Ohrgehängen stand sie hinter der Theke, eifrigst bemüht, jedem Ankömmling das Honoratiorenzimmer zu verwehren, ihn in die hintere Gaststube zu komplimentieren und dabei höflichst zu sagen: »Hier das hier ist nämlich besetzt. Mynheer Tappelt hat 'ne wichtige Unterredung mit Kaptän Hemskerk. Die dauert mindestens so ihre drei bis fünf Stunden, ohne Garantie zu übernehmen. Da darf man nicht stören, denn wenn Mynheer Tappert und Kaptän Hemskerk so richtig dabei sind, dann wollen sie auch ihre Genüge haben, ohne sich anderweitig inkommodieren zu lassen. So ist das,« und dann schwenkte sie ihr kurzes Röckchen so animierend zu den derben Schenkeln empor, bald leewärts, bald luvwärts, daß die zukommenden Gäste sich zufrieden gaben und dem gefüllten Düweke Brinkmann pläsierlich auf die Backbordseite klatschten, ihr auch sonst noch anderweitige Reverenzen erwiesen, die sie mit Gunst und Gnade und frohem Lachen begrüßte. Dann aber wieder: »Pst! stille. Mynheer Tappert und Kaptän Hemskerk sind vollauf beschäftigt.«

Vor einer kleinen Viertelstunde hatte sie den beiden Mynheers im Honoratiorenzimmerchen eine Bouteille Chateau Mouton-Ausbruch nebst zwei weitbauchigen Spitzkelchen zugebracht und war dann wieder hinter ihre Anrichte geschwänzelt.

»Ja, mein lieber und oller Kaptän,« sagte Michel Virgilis, indem er seine Rechte auf die seines Freundes legte, den Castorhut etwas zurückschob und ein blaues Wölkchen aus seiner Tonpfeife zur verräucherten Decke kräuselte, »darin muß ich die Jakobine bewundern. So 'n auserwähltes Stück von Draufgängertum gibt's nicht mehr zwischen den Grafschaften. Das geht über jedes Können und Wissen, ist in 'nem anständigen christkatholischen Kalender dreimal mit rot zu vermerken. Daran kann jeder Mannskerl sich ein Muster dran nehmen, sich bis in die innersten Nieren erforschen, um was ähnliches auf die Beine zu stellen. Ihretwegen müßte man den Pariser Einzugsmarsch spielen lassen. So ohne weiteres ein richtiges Vollschiff von Duisburg-Ruhrort mit Glanz und Gloribus bis nach Emmerich zu führen, das allerdings...« und er lüftete feierlich seinen Castorhut, um ihn ebenso feierlich wieder über seine graumelierte Keilerschwarte zu stülpen, »das allerdings ist hoch in Bewertung zu stellen, und wenn ich mich in der schönen Haut von deiner Tochter befände, ich würde ruhig behaupten: Anch' io sono pittore! und darum und deshalb...« und Michel Virgilis geriet in ein Schnaufen und Kullern, als hätte er wie ein verärgerter Bronzeputer über einen verödeten Geflügelhof zu stelzen, »mir ist es nur rein unerfindlich ... ja, ich möchte sagen, was ich eben schon sagte...«

»Stopp!« rief Hemskerk dazwischen.

»Ach was! Hat sich was mit dem ›Stopp‹! Das mit Riswyk und Reiner kann ich nicht klein kriegen, selbst dann nicht, wenn ich 'ne Häckselmaschine ansetzen müßte. Auch das mit Jakobine und Reiner...«

»Michel, wenn dir meine Freundschaft was gilt, wenn ich nach wie vor mein Schuhwerk unter deinen Tisch stellen soll, dann bitte: kein Wort mehr darüber. Die Geschichte steht mir bis hier, ist mir bis über die Zipfelmütze gestrudelt.«

»Hemskerk, man kann doch sein Wort drüber reden, denn mehr oder weniger sind unsereins doch mit Haaren und Schwarte mit der ganzen Schose verwachsen.«

»Nee, sind wir nicht.«

»Aber ich bitte dich, Hemskerk! denn wenn ich mir so Jakobine besehe ...«

»Besieh sie dir man von oben bis unten, von auswendig und inwendig. Soll mir egal sein, denn ich hab' gar nichts dagegen. Sie ist im reinen mit sich. Hat sich abgefunden mit vielem und denkt auf stunds nur daran, ein braves Schiff regelrecht und ohne besondere Schwuppers zu machen an Ort und Stelle zu bringen. Was sonst noch in Bänken steht, darüber müssen die Akten entscheiden. Insonsten: der Abend auf Borghees steckt mir bis jetzt noch wie 'ne reguläre Haifischgräte mang die Kiemen, und so was kann einer nicht leicht über die linke Schulter werfen. Drum nimm's mir nicht übel, aber nochmals gesagt ...« und der Alte zog einen langen und scharfen Strich durch die Luft, wie mit 'nem Lineal abgemessen: »Stopp und Schluß mit der Sache.«

» Anch' io ...«

Michel Virgilis rückte seinen Castorhut etwas schief auf die Seite.

»Streng genommen, brauche ich mir das nicht gefallen zu lassen. Aber weil du's bist, da muß man schon drei und sieben als vierzehn taxieren. Hauptsache bleibt: hier wird nicht in die Klappe gegangen, wenn sich die Kesselfeuer noch unter Druck befinden. Was sonst noch in Bänken steht, und das mit Jakobine – darüber müssen die Akten entscheiden. Also warten wir ab. Meine Spezialitat, oller Rheinbär. Prosit!« und er hielt ihm sein Glas hin.

Beide klingelten an.

Dann betrachtete Michel Virgilis die Flasche.

»Dunnerkiel, die Bouteille ist alle geworden.«

Mit eingekniffenen Rehposten sah er auf Hemskerk.

»Na du – wie war's denn, wenn wir uns mit 'ner neuen befaßten?«

»Michel, wie ich immer so hörte, aus 'ner leeren kann man nicht einschenken. Außerdem: Chateau Mouton soll einem nicht schaden.«

»Supsack!« schmunzelte Michel Virgilis und rührte die Klingel, aber keinem Düweke Brinkmann gefiel es, dem einladenden Rufe Folge zu geben.

»Dunnerknispel und kein seliges Ende!« und nochmals ertönte die Lärmglocke.

Düweke Brinkmann verhielt sich wie das auserwählte Volk, als es sein Ohr für die Gebote des Herrn mit Wolle verstopfte.

»Da soll doch...!«

Mynheer riß sich herum.

Sein Antlitz glühte wie das eines Molochs nach einem dargebrachten Dank- und Opferfeste.

»Goldkorn – infames!«

Da tat sich die Tür auf, aber bloß so weit, um der Angeforderten Gelegenheit zu geben, ihren Kopf verstört durch die Spalte zu schieben.

Sie winkte ihm zu.

»Mynheer, darf ich bitten.«

»Was soll's denn?«

Michel Virgilis war fuchtig geworden.

»Kann unsereins denn nicht mal mit 'nem Viertelstündchen Pausierung seinen abstrapazierten Hintern mit 'nem bißchen Ruhe erfreuen?«

»Mynheer, jemand ist draußen.«

»Dann 'rein mit dem Kerl.«

»Mynheer, er möchte zuerst... er weiß nicht so recht... hat aber vorher mit Mynheer ein Wörtchen zu sprechen.«

»Wer ist es denn, Goldkorn?«

»Mynheer werden ja sehen, und ich glaube, es kann so 'ne kleine Überraschung draus werden.«

Hierauf kicherte Düweke Brinkmann, um wieder mit ihrem Kopf aus dem Türspalt zu schwinden.

Michel Virgilis erhob sich.

»Denn geht das nicht anders: exküsiert mich, Hemskerk. Ich komme gleich wieder.«

»Man zu. Geschäft ist Geschäft. Hab' Zeit, denn wo meine Herzensmamsell auf Posten steht,kann unsereins sich sein genügliches Stündchen vergönnen.«

Er leerte den Rest seines Glases und vertrieb sich sein Alleinsein damit, daß er den ›Hohenfriedberger‹ auf die Platte des Tisches trommelte.

Der Hausherr blieb lange.

Also man weiter.

Schon dreimal hatte er den ›Hohenfriedberger‹ erledigt, aber weder sein forsches Trommeln, noch sein Pfeifen hatten geholfen.

»Dann immer man weiter.«

Mit einem festen Auftakt nahm er den ›Düppeler Sturmmarsch‹ beim Kragen, um schließlich dem herzhaften ›Torgauer‹ Schwung und Rhythmus zu geben.

Als er den letzteren zum zweiten Male ansetzen wollte, trat Michel Virgilis wieder ins Zimmer.

Er sah stumm auf die Seite.

»Na, Michel, was gibt's denn?«

»Hemskerk, der Besuch hat für mich 'nen komischen Einschlag. Ich habe bloß den Vermittler zu spielen.«

»Also mir gilt die Ehre?«

»Hemskerk, ganz richtig.«

»Wer will mich denn sprechen?«

»Du – halte dich fest,« und Michel Virgilis stülpte seinen Castorhut mit tiefernstem Gesicht über den Holznagel.

»Hemskerk, nimm's nicht verübel, denn es geht mir gegen den Strich, will mir extraschwer über die Zunge: Der von Borghees möchte dich sprechen. Er kommt so eben von Holland retour und hörte: dein Schiff läge im Hafen.«

»Was – Riswyk?!« und die Faust des Kapitäns legte sich breit auf den Tisch.

Ebenso breit wuchtete er sich mit todernstem Gesicht in die Höhe.

Seine Lichter krochen langsam der Tür zu und blieben dort haften.

»Michel, das mußt du mir noch einmal sagen, ganz deutlich, mit Unterstreichung jedes einzelnen Wortes, sonst kriege ich keinen Begriff von der Sache.«

Tappert zuckte die Achseln.

»Es ist nun mal so und nichts dran zu ändern. Der Knollen- und Rübenbaron läßt sich nicht abweisen und besteht darauf, dich unbedingt sprechen zu müssen.«

»Von ›müssen‹ ist hier gar keine Rede.«

»Habe ich auch schon gesagt, aber was soll einer da aufstellen?«

»Nichts weiter als das. Du brauchst ihm nur unter den Windfang zu halten: für Borghees und seinen Besitzer ist der Kaptän Hemskerk nicht mehr zu haben.«

»Das geht nicht. Der Baron ist doch nicht von heute und gestern ... und dann außerdem...«

»Was ›außerdem‹?«

»Hemskerk, man kann immer nicht wissen. Vielleicht hat er 'ne große Erklärung abzugeben, vielleicht auch ist er gesonnen, sich an die Brust zu schlagen und die Worte zu sprechen: Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa, wie einem das bei gewissen Nöten so heruntergeht, denn es steht schon geschrieben: 'nen reuigen Sünder soll man nicht von der Schwelle verweisen ... und dann noch: der Baron ist nun einmal hier, das Personal hat mit ihm gesprochen, dito das Goldkorn, und was sollen die Leute wohl denken, wenn's heißt: der Mann ist ausgeklinkt worden. Nee, Hemskerk, suum cuique! Meine Spezialität und mein Grundsatz. Außerdem: weiß man denn richtig, auf wessen Seite die Schuldigkeit liegt, ob bei ihm oder bei Reiner? Und schließlich: der Reeder und Kaptän Hemskerk wird sich doch nicht vor 'nem simplen Kavalier in ein Mausloch verkriechen. Niemals! Jamais! Das wäre noch schöner. Unter so was täte ich meinen Namen nicht setzen. Also ...?!«

»Wenn du denn meinst?«

»Und ob ich es meine.«

Hemskerk riß sich zusammen und knöpfte sein Jackett bis auf den letzten vergoldeten Ankerknopf zu.

» All right! Dann lasse ich hiermit ersuchen. Aber auf deine Verantwortung, Michel. Angtree, Herr Baron,« und Hemskerk straffte sich hoch, starr und frostig wie ein vereister Basalt auf Island.

Gleich darauf trat Gisbert Kreuzwendedich Riswyk ins Zimmer, den linken Arm in der Binde, die einst so herrischen stahlgrauen Augen zurückgedrängt und tief in den Höhlen.

Hinter ihm lief die Türe ganz heimlich in ihren Angeln zurück.

Die beiden Männer standen sich allein gegenüber, allein in dem fahlen Grau des vergrämelten Tages.

Die Lippen schwiegen. Nur die Augen sprachen. Sie begegneten sich wie verschlagene Vögel, die nicht wußten, wohin sie sich wenden sollten. Nur in denen des Kapitäns hub es an, bedrohlich zu funken, entstanden Bilder und Spiegelungen, die sich mit dem herben Leid seiner Tochter und dem Heißdurchkämpften der letzten Wochen beschäftigten.

»Herr, was führte Sie her?« fragte er endlich. »Aber machen Sie's kurz. So nur können wir uns böse Augenblicke ersparen.«

Der Baron machte mit dem gesunden Arm eine kurze Bewegung, senkte den Kopf, um anzudeuten: »Ich will das schroffe ›Was führte Sie her‹ überhören.« Dann sagte er mit verhaltener Stimme: »Ich habe Ihnen zu danken, Kapitän.«

Hemskerk runzelte die straffen Brauen gegeneinander. In seinem Hirn stieg es auf: ein dumpfes Brausen und Sausen, wie das Brausen in einem Schleusentobel.

»Mir danken? Wofür denn?«

Er stieß ein kurzes Lachen über die Lippen, das abbrach, wie mit einem Messer durchschnitten.

»Herr, was fällt Ihnen ein? Wofür denn danken? Da bin ich begierig. Etwa dafür, daß ich zu Michel Virgilis gesagt hab': für Borghees und seinen Besitzer ist der Kapitän Hemskerk nicht mehr zu haben?!«

Riswyk erbleichte.

»Das sagen Sie so ganz offen heraus?«

»Ganz offen, Baron.«

Ein tiefes Aufatmen.

»Verdammich!«

Riswyk trat näher.

»Und trotzdem: ich habe Ihnen zu danken.«

»Mann – Sie, hören Sie auf. Ich verstehe immer dasselbe. Himmel und Seligkeit! Mensch – danken? Wofür denn?«

»Daß Sie mich anhören wollen.«

Der Alte prallte zurück, um gleich darauf die verkörperte Ruhe zu werden.

»Gut, ich höre Sie an. Aber nur meinem Freunde Tappert zuliebe, nicht Ihretwillen, denn bei Nennung Ihres Namens habe ich 'nen faden Geschmack auf der Zunge, so wie ihn die Sterbenden haben, wenn ihnen die Zeit zu lang wird, von dieser miserablen Erde zu kommen.«

Er trat näher heran.

Seine Hand schob sich schwer auf Riswyks Schulter.

»Baron, wissen Sie was?! Seit jenem Abend auf Borghees, wo die Rosen überall voll von Duft waren und ich mir sagen konnte: Alter Junge, trotz deiner grauen Jahre – auch für dich blühen noch immer die Rosen, hat das Leben noch immer ein gewisses Pläsier auf der Pfanne. Das muß man sich merken, denn Goldschiffe kommen nicht mehr nach Deutschland, ebensowenig gute Freunde und rechtschaffene Haushalter. Man muß sich begnügen. Sie versuchten's wenigstens, Herr Baron, 'nen guten Freund und 'nen annehmbaren Haushalter hinzustellen. Rosen und Weine! Hurra, Barönchen! Denn was wir bei Ihnen erlebten ... So was vergißt man nicht, selbst dann nicht, wenn man nicht mehr imstande ist, sich den letzten Priem hinter die Backe zu schieben. Blexem!« und seine Hand sackte von der Schulter herunter, um sich dumpf auf die eigene Herzgrube zu legen. »Hier sitzt das und will sich nicht geben. Auch die Rosen auf Borghees nicht und alles nicht, was unter diesen Rosen erstickte. Herr Baron, wissen Sie was? Herr,« und sein Gesicht wurde brandig, »gehen Sie direkt nach Hause. Es ist besser für beide Parteien. Richten wir 'ne dicke Bretterwand zwischen uns auf, so eine von geteerten Eichenbohlen. Noch probater, 'ne weiße Totenhand auf 'ner eisernen Stange, denn so 'ne Totenhand hat's in sich, fordert Respekt und kann die vermerkten Grenzen besser aufrecht erhalten.«

Er winkte ab.

»Also was wollen Sie noch? Ich lege keinen besonderen Wert mehr darauf, die Unterhaltung weiterzuführen. Nach all den erbärmlichen Geschichten, den Tränen und Bitternissen – ich ersehne nichts weiter als den wohlverdienten Altenteil. C'est tout. Ruhe, bloß Ruhe! Auch von Ihrer Seite, Herr Baron. Adjüs denn. Das ist doch deutlich gesprochen, sollte ich denken?«

»Nichts fehlt dran, Kapitän. Aber ich bleibe.«

Hemskerk prallte zurück. Er streckte die Hand zur Türe. Er drohte ...

Riswyk schüttelte leise den Kopf.

»Nichts zu machen, Kapitän. Ich gehe nicht fort und rühre kein Glied von der Stelle, es sei denn: ich werde entsündigt. Was geschehen ist, laßt sich nicht ändern. Aber den Satan in mir, den Lump in mir, ich kann sie demütigen und in die Knie zwingen, auf daß sie vor Ihrem Angesicht und dem Ihrer Tochter bekennen ... und sie sollen bekennen. Herr, du mein Gott – Kapitän ...!«

Mit der gesunden Hand fuhr er sich schwer über die Augen.

»Ich war nicht bei Sinnen – damals, hatte die nichtswürdige Roheit, das reine Weib im reinen Weibe zu kränken. Bald darauf saß mir die Kugel zwischen den Knochen, und ich kann nur sagen, es war eine wohlverdiente und ehrliche Kugel. Das wäre beglichen. Aber eine Rechnung ist nicht beglichen, Mynheer. Sie steht noch aus. Hören Sie zu. Ich will mich nicht einschleichen, nicht das Feuer Ihres Hauses entweihen. Aber bei diesem Herdfeuer will ich Verzeihung erbitten. Das will ich.«

»Bei wem denn?«

»Bei Demoiselle Hemskerk.«

Der Alte umgriff eine Stuhllehne. Er mußte sich halten.

»Auch das noch?!« sagte er scheinbar gefaßt.

Sein Kopf hob sich langsam.

Er suchte in den Augen seines Gegners zu lesen.

Eine Pause entstand.

Die Atemzüge der beiden Männer standen sich hart gegenüber. Jedes Herz hörte das des anderen klopfen. Sie waren in Siedehitze geraten.

Endlich unterbrach Riswyk das marternde Schweigen.

»Herr Kapitän, ich warte auf Antwort.«

»Mensch –Sie!« Hemskerk stellte sich breitbeinig hin, so wie er es allzeit tat, wenn er bei lelkem und bedrohlichem Wasser sein Schiff gegen den Wind zu halten hatte.

»Ich verstehe immer: büßen und Verzeihung erbitten. Ist es so richtig? Wenn ja...« Er pfiff durch die Zähne: »Nein, mein lieber Baron, so was wäre nicht auf 'ne Kuhhaut zu schreiben. Meine Tochter und ich stehen bis zur letzten Parole zusammen, und Mahnung ergeht: Lassen Sie mein Kind in Ruhe, treten Sie nicht in den Kreis, den die Ärmste um sich gezogen. Er ist von Gott gesetzt, also von Gott auch geheiligt. Ihr Schatten könnte ihn nur entweihen, und somit – ich verfüge klipp und klar und sonder Hintergedanken: die geteerten Eichenbohlen sind hiermit errichtet, und wenn nötig, wird auch 'ne Totenhand auf die eiserne Stange gehoben.«

»So werde ich anderweitig Gelegenheit finden; denn ich bin meinem Gewissen und meiner Schuld gegenüber verpflichtet, mir ihre Achtung wiederzuholen, ihre Schuhe zu küssen.«

»Und das wollen Sie aufstellen, erzwingen? Ausgerechnet Sie?!«

Riswyk erblaßte bis tief über die Schläfen hinaus.

»Warum so verächtlich, Kapitän?! Dafür ist die Stunde zu ernsthaft. Ja – ich, und dabei soll es auch bleiben.«

Hemskerk hielt's nicht mehr aus. Er fühlte seine Kraft schwinden. Etwas bedrängte ihn, stürmte wider ihn an. Er glaubte Tränen zu sehen: Tränen in den Augen des Mannes... des Mannes...

»Mein Gott!« schrie er auf. Es löste sich ihm was zwischen Bast und Borke. »Ein Letztes, Baron! Ich bitte darum: lassen Sie meine Tochter in Ruhe. Jetzt endlich hat sie ihren Frieden gefunden.«

»Ich aber nicht. Ich suche noch immer. Wollen Sie mich doch endlich verstehen. Ich will nur das eine. Hier – meine Ehre...! Aus Borghees – ich bin ein Narr bei brennenden Kerzen gewesen. Aber in diesem Narrentum steckte doch ein sakraler Funke: ich liebte und liebe noch heute... und wäre sie frei gewesen: Haus Borghees hätte sie als Herrin gesehen, wie keine stolzere Herrin zu finden. Und jetzt, wo ich in Sünde stehe, wo ich's wagte, ihr ein Splitterchen aus ihrer jungfräulichen Krone zu brechen – geben Sie mir wenigstens Gelegenheit, mein Herz zu erleichtern.«

Hemskerk stierte ihn an.

»Baron, wollen Sie denn mit aller Gewalt... Was berechtigt Sie dazu, mir abermals mein Haus zu verstören, ihm mit vollem Bewußtsein den Atem zu versetzen, wo es gerade dabei ist, wieder sich so 'n bißchen auszukurieren und Gottes Luft zu empfangen, oder wissen Sie nicht, was inzwischen alles passierte?«

»Ich weiß, Kapitän.«

Über Riswyks Gesicht zog es mit dem verhaltenen Schmerz eines Gezeichneten.

»Durch mich ist das alles geschehen, und Sie haben das Recht, mir die Faust gegen die Stirne zu setzen.«

Er winkte ab.

»Warum das alles noch einmal erzählen! Ich blase nicht in leere Eierschalen hinein. Das Geschick hat böse Arbeit getan, und ich bin ihm Helfer gewesen. Ich zerstörte ein Glück. Ein edles Frauenleben wurde durch mich aus seiner Bestimmung gedrängt, ihm das Freudenreiche und das Hoffnungsfrohe genommen. Bitte, lassen Sie mich ausreden, Kapitän. Ich will aus dem Sumpfland wieder in die Reinheit hinein ... und wer mir das geben kann ...«

Unvermittelt brach es aus ihm heraus: »Kapitän, wo ist Demoiselle Hemskerk zu finden?«

»Wo sie hingehört: auf dem Schiff und bei mir. Ja, bei mir, Herr Baron, und ich nur allein ...«

»Dann ersuche ich höflichst ...«

»Was haben Sie vor?«

»Das zu tun, was das Herz mir gebietet, und zwar in sofortiger Stunde. Ich will ihre Verzeihung erbetteln, um später ...«

Er verstummte jählings und griff mit der gesunden Hand an die seidene Binde.

»Kapitän,« sagte er endlich, »und was ich mit dem ›später‹ bezwecke ...? Das ›später‹ geht auf heiligen Sohlen ... Also – ich bitte ...«

Hemskerk vertrat ihm den Weg: »Unter keiner Bedingung. Ich lasse mir das mit den geteerten Eichenbohlen nicht nehmen. Aber eins soll geschehen,« und durch seine Worte hindurch sickerte ein gewisses Erbarmen. »Von unserm tête à tête soll sie wissen. Ich sperre mich nicht. Das wäre unhonorig gehandelt, und so was ist bei uns Rheinkaptäns noch niemals flott gewesen und ausgeschwenkt worden. Schon um meiner eigenen Ruhe willen, ich gehe an Bord. Sie mag selber entscheiden, was sie von einer Unterredung mit Ihnen erhofft. In 'ner kleinen Viertelstunde kann ich wieder zurück sein, und wenn Sie warten wollen, Baron ...?«

»Ich warte.«

»Dann ersuche ich darum, sich gedulden zu wollen. Trotz allem: 'nem Schiffbrüchigen hat man die Stange zu halten.«

Barhaupt verließ Hemskerk das Zimmer, um draußen mit einer seltsamen Erregung und Hast zu sagen: »Michel, ich komme gleich wieder.«

Fast alle Helle war aus den Fenstern genommen. Von Sankt Aldegondis holte das Glockenspiel aus: »Alles meinem Gott zu Ehren, in der Arbeit, in der Ruh'.«

Als der Alte zurückkehrte, erhob sich Riswyk bleich aus seinem Sessel.

Mit seinem gesunden Arme machte er eine unbestimmte Bewegung.

»Ich weiß, was Sie bringen,« sagte er mit erloschener Stimme.

»Ihnen Gruß zuvor,« entgegnete Hemskerk. »Sie hat's gut aufgenommen, denn ich habe in ihrem Namen Absolution zu erteilen. Sie will vergessen und nicht mehr dran denken. Auch dankt sie herzlichst für die ihr zugedachte Bewertung. Aber auf Borghees sind ihr die Treppen zu steil und die Rosen zu schwül. Auch wäre sie nicht imstande, in irgendeinen Spiegel zu sehen. Ihr Spiegelbild würde sie bloß nur erschrecken. Das wäre wohl alles. Haben Sie sonst was zu sagen – ich will's gern übermitteln?«

Er sah stur und steif in eine dunkle Ecke hinein, als er so fragte.

»Nein, Kapitän, ich habe nichts mehr zu sagen. Nur dies noch. Leben Sie wohl, Sie und Demoiselle Jakobine. Ich bitte darum, mich nicht gänzlich vergessen zu wollen. Meine Tagwacht neigt sich dem Ende zu. Möge die Ihre sich heben und immer schöner und köstlicher werden.«

Als sich der Alte wieder zurechtfand, hatte Riswyk bereits das Honoratiorenzimmer verlassen.

Dafür stand Michel Virgilis hinter ihm, eine Flasche zwischen den Knien, eifrigst dabei, einen Pfropfenzieher in den langhalsigen Korken zu drehen.

Als er mit einem fröhlichen Schnalzer den Stöpsel entfernt hatte, sah er seinem Freund und Bundesbruder tief in die Augen: »Kaptän, das wäre nun so. So tolle Baßviolen wurden lange nicht mehr in der geliebten Vaterstadt gestrichen. Man nimmt's hin, wie es kommt. Frohes und Unfrohes, Saures und Süßes – alles in dem nämlichen Pott ... aber in Anbetracht des bösen Wassers und des außer Wettbewerb stehenden Schlackerwetters wollen wir zwei beide die andere Bouteille Mouton-Rothschild verzehren.«

»Die beste Parol,« sagte Hemskerk.

Er setzte sich wieder, um mit verschleierter Stimme zu sagen: »Da soll einer klug daraus werden. Wie man's auch anfängt, immer schlägt die Medaille auf die unrechte Seite. Setzt du auf Kopp, purzelt sie auf Wappen, hoffst du auf Wappen, ist Kopp immer in Bänken. Abgesehen davon, geht's noch so leidlich. Drum prost, alter Junge. So 'nem französischen Hammel auf Alkohol gesetzt kann man schon die Ehre erweisen.«


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