Joseph von Lauff
O du mein Niederrhein
Joseph von Lauff

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Viertes Kapitel

Ungefähr um die nächtliche Stunde, während welcher Michel Virgilis Tappert seinem ersten Punschglase zusprach, trieb das vollbemastete Rheinschiff ›Gott mit uns‹ in Höhe von Griether-Ort gemächlich stromabwärts. Endstation: Rotterdam. Ladung: Zucker aus den Fabriken Duisburg-Ruhrort und den benachbarten Raffinerien.

Alle Segel standen hoch. Sie schlappten in dem diesigen, lauwarmen Wetter, in dem eine herzhafte Brise so recht nicht aufkommen wollte. Eine niederrheinische Feierstunde lief über Bord. Lediglich der Steuermann war in Tätigkeit. Er stand dicht beim Hintersteven und ließ die Pinne spielen. Die Navigation machte keine Schwierigkeiten mehr.

Die Landschaft zog an beiden Ufern in stumpfen Rissen vorüber: endlose Wiesen, vereinzelte Gehöfte, kanadische Pappeln, die auf dem dünnfadigen Nebel zu schwimmen schienen. Alles gab sich grau in grau, nur im tiefen Westen lag ein silberiges Glänzen und Aufbegehren, das sich mit jeder Minute verstärkte, als sei es gesonnen, noch einen lichterklaren Abend zu bringen.

»Drinke mer noch e Dröppche,
Drinke mer noch e Dröppche ...«

Vom Vorderdeck her ließ eine Ziehharmonika ihre wimmernden Töne vernehmen. Der sie spielte, lag flach auf dem Rücken, den Kopf gegen einen Taukranz gelehnt, das linke Bein in Kniestellung, das rechte darüber geflegelt. Ein saftgrüner Plüschpantoffel, der an graublauen Lammfellsocken klebte, pendelte hoch in der Luft, eifrigst bemüht, sich der klassischen Weise in Takt und Rhythmus anzupassen.

Lambert, der Obermatrose, ein richtiger Malefizkerl mit Kräften wie ein Sackträger, hatte seine musikalischen Wehen.

Sein Unterkollege, Welm Driesen, hörte andächtig zu. Er saß in Reichweite, kaute sein Priemchen und vergnügte sich damit, von Zeit zu Zeit in das schaumige Wasser zu spucken.

Immer dasselbe, immer dasselbe:

»Drinke mer noch e Dröppche,
Drinke mer noch e Dröppche
Aus dem kleinen Henkelsdöppche.
A ... a ... a ... ach, Susanna,
Wie ist das Leben doch so schön,
A ... a ... ach, Susanna,
Wie ist das Leben schön.

Aus!«

Die Harmonika verstummte.

»Piekfein!« sagte Welm. »Indessen jedoch ... Lambert, du spielst heute so sehr melankonisch.«

»Tu' ich auch, Welm, denn ich kann den Quetschbeutel auf das forscheste antreiben – immer wieder kommt die ausklamüsierteste Forschheit ins Lahmen.« »Aber warum denn?«

Der Künstler nahm Sitzstellung ein. Seine Hummeraugen stielten sich vor, schwammen ins Leere fort. Dann nahmen sie Ziel und Richtung an, revierten zur Achterkajüte.

»Junge, die Liebe, die unaussprechliche Liebe! Gegen so was kann unsereins nicht anlaufen. Das hält einen fest, geht mächtig ins Blut, ohne sich rekommandieren zu können, und dann kommen die dümmsten Gedanken, die einem das Leben verbiestern.«

Welm griemelte.

»Rotterdam ist nicht weit. Unter die Boompjes bei die leckeren Meisjes wird alles behoben.«

»Mensch, meine Liebe ist heilig, gewissermaßen übernatürlich.«

»Wie lange denn schon?«

»Ausgerechnet seit gestern, oder sagen wir besser: seit Mittwoch.«

»Kann's nicht rund kriegen.«

»Welm, aber ich, denn warum bringt uns der Kaptein so 'n rassiges Weibsbild an Deck, daß einem das Wasser im Mundwerk zusammenläuft, wenn man's bloß von ferne betrachtet? Wie 'ne Segelfregatte – schlankweg und mit allen Zutaten.«

»Dumm Zeug.«

»Ich sage dir, Welm ... und wenn ich sie sehe, dann will ich toujours nach Indien machen.«

»Gottverdomie, auch das noch?«

»Per sofort und direktemang auf Indien zu, in die Dattelplantagen hinein, wo die Kakadus und Popageien man so herum fliegen wie bei uns die Ringeltauben und es so heiß ist, daß einem selbst die kommodesten Kleider scharnieren.«

»Und das so ganz soloalleine?«

»Mensch, du bist wohl von heute und gestern! Natürlich – mit ihr, sonst will ich mich nicht Lambert Sponhövel, Obermatrose aufs Rheinschiff ›Gott mit uns‹, benennen.«

»Und sie?« fragte Welm.

»Ja so! Das ist doch ganz einfach zu sagen. So klar wie 'n Klöntje. Von wegen die barbarische Hitze und die schuldlosen Popageien und Kakadus, da müßte sie natürlich ihre diesbezügliche Bequemlichkeit haben.«

»Und denn?«

»Mensch, mit deinem verfluchten ›Und denn‹!«

»Man möchte doch wissen...«

»Natürlich, man möchte gern wissen! Aber hat sich was, Welm. Ich kann dir bloß flüstern: Wenn du in Indien mang die heißen Dattelplantagen 'ne delikate, feinschalige Pellkartoffel hättest, 'ne Industrie oder 'ne ähnliche Sorte, was tätest du aufstellen?«

»Na – und ...?«

»Abpellen tätest du sie, um eines paradiesischen Anblicks teilhaftig zu werden. Dreimal heilig. Verstanden?!« und der vollblütige Brandfuchs sank wieder auf seinen Taukranz zurück, schlug die Beine übereinander und hub aufs neue an, mit seinem saftgrünen Plüschpantoffel auf und nieder zu pendeln. Dabei zog er die Harmonika lang und sang mit lüsternen Stielaugen:

»Es war einmal ein treuer Husar,
Der liebt' ein Mädchen ein ganzes Jahr,
Ein ganzes Jahr und noch viel mehr,
Die Liebe fand kein Ende mehr ...«

Welm stimmte mit ein ... das Wasser gurgelte stärker an den Planken vorüber ... die schlappen Segel steiften sich aus ... das ganze Takelwerk kam in eine helle Bewegung. Bald darauf klärte sich das Wetter, heiterte auf, verhieß ein seliges Hinsterben in den laulichen Abend hinein. Der Bug des Schiffes bohrte sich tiefer in die schaumigen Wellen, spritzte Gischt und Blasen empor, als prickelten Champagnerperlen aus einer unermeßlichen Glasbouteille. Rasche Möwen flogen ab und zu, glitten über die Ufer hin, um das helle Glänzen des hingehenden Tages auf ihren silbernen Schwingen weiter ins Land zu tragen.

Hoch von den Masten kam ein Knattern und Singen. Die Topps wehten im Wind, schlugen lustige Volten.

Der Brandfuchs gab sein Bestes her, was er aufbringen konnte:

»... ein ganzes Jahr und noch viel mehr,
Die Liebe fand kein Ende mehr.«

Mitdem hob sich ein pontakrotes Gesicht aus der Achterkajüte, dem ein Stiernacken folgte, wert und würdig, prämiiert zu werden. Gleich darauf stand der ganze Mann auf Deck, stellte sich breitbeinig hin, aber so, daß jedereins wußte: hier wird Order pariert und nicht lange gefackelt. Sein Arm ist der eines Starken, seine Sprache die eines Gewaltigen. Seine Visage, wie er sein scharfmarkiertes Antlitz selber betitelt, verschnürt eine Bratfräse, die sich graumeliert von einem Ohrläppchen zum anderen hinzieht. Seine Augen leuchten wie Schmaltebläue. Er kennt seine Kunden, und seine Kunden kennen ihn. Bei den Gebrüdern Schwengels, Zucker en gros, nebst den ihnen angegliederten Fabrikanten, steht er hoch in Bewertung. Ebenso bei den Kohlenbaronen und Zechen, als da sind: ›Alter Hase‹ und ›Grube Konstantin‹. Er weiß, was er fährt, und hält auf Ladung und Fracht, als wenn sie sein Eigentum wären. Schiff und Konnossemente sind unter seiner Führung allzeit in bester Verfassung. Gutmütig vom Halszäpfchen bis in die Herzgrube hinein, schluckt er manches hinter die Binde, wird's ihm aber zu viel, bricht bei ihm der pfeifende Boreas los, als wäre in den Stengen und Wanten seiner seelischen Takelage der leibhaftige Satan lebendig geworden.

»Fixfeuer auf die dreckigen Köppe!«

Dieser Mann nun stand breitbeinig auf Deck, sichtete ins Wetter, räusperte sich und sah, wie sein braves Rheinschiff fröhliche Fahrt und gute Navigation hatte.

Gleich darauf brachte er seine lederfarbige Pranke ans Mundwerk.

»Hoiho!« Eine rauhe, angekratzte, verrostete Stimme rollte über die Planken.

»Lambert, hoiho!«

»Kaptein!«

Der Brandfuchs paddelte hoch, noch den ›treuen Husaren‹ zwischen den Zähnen. Wie ein Bauklötzchen stand er alsbald vor seinem Herrn und Meister.

Der musterte ihn von dem roten Schopf bis zu den grünen Plüschpantoffeln herunter.

»Alles im Lot?«

»Alles, Kaptein.«

»Nur das niederträchtige Harmonikaziehen ...«

»Mein Gusto, Kaptein.«

»Wird auch verstattet, wenn's auch einem öfters die Haare versetzt. Bloß, wenn Emmerich in Sicht, ersuche um Meldung. Ich habe Orders zu geben.«

»Wird in Bestellung genommen.«

»Abtreten! Aber wird nochmals der Jammersack in die Länge gezogen – ich bitte mir aus: das Lied von der schönen Kapteinstochter und dem verflixten Hundsfott, der eigentlich gar nicht so ohne war, trotzdem als Galgenstrick an den zuständigen Galgen gehörte. Verdammich!«

Er spuckte scharf auf die Seite.

»Oller Halunke.«

Lambert zog Leine, froh, aus dem Wirkungsbereich seines Vorgesetzten zu kommen. Gemächlich wiewackte er wieder dem Vorderdeck und seinem Kollegen zu. »Junge, der Alte hat Speck und Schwarte gerochen. Die verfluchten Popageien mang die heißen Dattelplantagen ...! Aber man zu!«

Er fingerte aufs neue die Harmonika lang, und siehe: der Rhein und seine ganze Umgebung waren ein Herz und eine Seele, als es feierlich herübertönte:

»Es war 'ne kapteinische Tochter,
Ein wunderschönes Weib.
Die ging des Abends spazieren,
Um sich zu delektieren
An Lust und Zeitvertreib.

Es war mal ein munterer Knabe,
So recht ein rassiges Blut.
Dem war zu jeder Stunde
Und tief aus Herzensgrunde
Die kapteinische Tochter so gut ...«

»Man weiter.«

Der gewaltige Kapitän und Schiffsinhaber Pitt Hemskerk, beheimatet in Grieth, nunmehr auf Talfahrt Duisburg-Rotterdam, mit sechshundert Tonnen Ladung an Bord, teils binnenländische, teils überseeische Ware, hörte darauf, als hatte er über dieses niederrheinische Lied tiefgründig nachzudenken.

Das Priemchen, das er in der linken Backentasche verbarg, praktizierte er auf die andere Seite. Dann tat er etliche knarzende Schritte über die öligen Riemen und blieb abermals stehen. Hinter ihm versanken Strom und Ufer im abendlichen Zwielicht, vor ihm schleierte der tiefe Westen seine Goldfolie aus, von der sich die Pappelkronen des Binnenlandes wie Scherenschnitte abhoben. Im Kielwasser spielte es mit glitzernden Funken. Die herbstliche Welt war wieder fröhlich geworden, jung und fröhlich in Übermut und heißer Erwartung. Auf den breit hingelagerten Weiden ließ sich der Ruf irgendeines Vogels vernehmen. Er verlor sich bald darauf im Unermeßlichen, als wäre er niemals lebendig gewesen. Himmel und Erde feierten. Über sie hin zog es mit den Schwingen einer gebefreudigen und allversöhnenden Liebe.

Pitt Hemskerk, der alte Reeder und Rheinbär, stand wie angeschmiedet. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, schnupperte er der heraufkommenden Brise entgegen. Mit breitem Windfang sog er die Luft ein.

»Fein – was?!« sprach er sich selber zu, »sich so vollzusaufen an der göttlichen Weltatmosphäre, fast ebensogut, als sich 'nen steifen Grog bei Michel Virgilis Tappert hinter die opulenten Ankerknöppe zu gießen. Gottverdammich! alles recht schön und annehmbar, wenn nur die verkorkste Pointe nicht wäre ... und das übrige nicht: die verstümmelte Karte von Deutschland, die wertlos gemachten mündelsicheren Papiere, das Allewerden von Millionen und Milliarden an Werten, das Verludern der Wirtschaft, das aufgetakelte Elend bis in den letzten Kramladen hinein ... Aber Kreuzkuckuck und kein seliges Ende! abgesehen von den schmutzigen vainqueurs – auch noch sonstige Kanaillen haben das alles übergeschluckt, mit sich geführt, sich damit die lebersüchtigen Bäuche wie die Viehkommissionäre gemästet ... und so was benennt sich ...«

Der Alte spuckte spitz auf die Seite.

»Herrgott, benennt sich ... Man sollte ja 'n Schiffstau oder 'ne feste Stahlrute nehmen, um dem totalen Brimborium eins über den Bregen zu striegeln. Benennt sich ... benennt sich ... Fixfeuer auf die dreckigen Köppe!«

Er holte tief Atem.

»Aber das nicht allein. Da ist noch die andere verkorkste Pointe. Indessen bloß Ruhe. Das Hemd ist einem immer näher als die nobelste Düffelmontierung. Solches muß man in Beobachtung halten,« und er zählte an den Knöpfen herunter:

»Edelmann,
Bedelmann,
Küster,
Pastor,
Förster ...«

Er schnappte plötzlich ab. Weiter ging's nicht. Nicht ums Verrecken. Die blankgeputzten Ankerknöpfe seines Jacketts waren alle geworden.

»Also Förster ... obgleich ich mir ausspekulierte, so 'n richtiggehender Edelmann wäre auch nicht so ohne gewesen. Kann's auch beanspruchen. Gottverdammich, das kann ich, ohne Besien, ohne um dessentwegen dem kleinen Finger Molesten zu machen, denn ich und das Weibsbild und alles, was drum und dran hängt – wir haben schon 'ne gehörige Portion Respekt zu verausgaben, ohne in Anschlag zu bringen, daß ich mich mit Pitt Hemskerk unterfertige und schlankweg erkläre: Mein Wort placiere ich immer an die oberste Stelle. Fertig! Aber was so 'n prächtiges Frauenzimmer bedeutet ... Den Deubel nochmal! gegen so was hat man allzeit konträren Wind, wird einem die munterste Brise aus Segel und Takelwerk genommen, sieht man sich schließlich genötigt, die Ruderpinne auf die andere Seite zu werfen. Daran läßt sich nichts abdividieren, nicht so viel, als ich Schwarzes unter meinem Nagel besitze, Hab' ich einfach als 'nen anpräsentierten Maifisch hinterzuschlucken – einfach hinterzuschlucten, als wäre so 'n grätiges Wasservieh 'ne aufgelegte Delikatesse aus der Estaminet von Doortje Kalwerdick in Rotterdam. Aber prosit die Mahlzeit! Wollen mal zusehen, und somit: 'ran an den Kompaß.«

Breitbeinig und langsamen Schrittes ging er der Achterkajüte zu.

Hier angekommen, nahm er noch eine gehörige Handvoll Luft in die Nase, um dann gemächlich unterzutauchen.

Auf acht bis zehn sauberen Stufen ging es in ein angenehmes Schummern hinein, in ein Schummern von Altgold. Und dieses Altgold ...

Es fällt durch die aufgerafften Musselingardinchen, die die niedrigen und schräggestellten Fenster umkleiden. Tief unter den Dielen ist ein ewigwährendes Gurgeln und Gluckern. Es mahnt an Musik, an das neckische Hin und Her von übenden Stimmen, und diese Stimmen werden voller und reiner. Es ist ein Spielen und Singen von anmutigen Lebewesen, ein heiteres Tänzeln ins Unendliche hinein. Das Kielwasser spielt. Es spielt ein Rondo Scherzoso von Konradin Kreutzer.

»Jakobine ...!«

Zwei graue Augen, die ins Grünliche übergingen und an den wechselnden Glanz von Florentiner Steinen erinnerten, standen in der Dämmerhelle der Achterkajüte.

Sie waren fest auf den Alten gerichtet.

»Jakobine, also 'ran an den Kompaß.«

Ein frohes Lachen schlug ihm entgegen.

»Ich sehe, du hast dich besonnen.«

»Besonnen, besonnen?! Was heißt das: ›Du hast dich besonnen‹? So ohne weiteres läßt sich das nicht feststellen, mein Döchting. Ich bin bloß man 'n bißchen auf Deck gewesen, um meine Gedanken so peu à peu auf den richtigen Drehpunkt abzustimmen. Da ist von 'ner Besinnung überhaupt keine Rede gewesen. Die besitze ich immer. Vielmehr ist mir die Frage gekommen: hat's denn überhaupt mit der Freierei so 'ne barbarische Eile?«

»Das weniger, Vater, aber ich glaubte, dir eine unerwartete Freude zu machen.«

Über das braunrote Pontakgesicht des Alten kräuselte sich ein munteres Grinsen.

»Da kiek einer mal an! So 'ne appetitliche Range. Also – du mir? Du hattest vor, mir ein so extraordinäres Pläsierchen unter die honorige Kaptänsmontierung zu fummeln, um hinterher sagen zu können: Ich habe den Alten 'rumgekriegt und über den Löffel balbiert, daß man die Fetzen so abtrudelten. Hurra die Enten!«

»So ähnlich,« lächelte sie still vor sich hin.

»Sieht dir auch ähnlich, mein Döchting, denn von jeher bist du so 'n auserwähltes Stück von Frauenzimmer gewesen. Nee, dieses Weibsbild! Rückt einfach an ... weiß Duisburg-Ruhrort schlankweg zu finden ... belegt meine beste Achterkajüte ... hängt mir den Kopf voll dämlicher Liebesgeschichten, und das just im Momang, wo ich nicht Hände genug habe, meine Konnossemente ins reine zu bringen, mich mit den Gebrüdern Schwengels, Zucker en gros, ins Einvernehmen zu setzen, die mir überantwortete Fracht hinter die Bordwand zu verstauen – um dann zu erklären: Als Passagierin von ›Gott mit uns‹ hab' ich dir 'n Geständnis zu machen.«

Ihre Augen leuchteten.

»Vater, das ist auch bestens geschehen.«

»Ganz richtig. Bestens geschehen. Aber nu höre mal zu,« und der brave Pitt Hemskerk, der gesuchteste Kapitän von Mannheim bis zu den überseeischen Häfen hinunter, warf sich schwer in einen nahen Binsenstuhl, schlug die Beine übereinander und ließ den einen Daumen um den anderen spielen.

Sein gutmütiges, aber eindringliches Auge bohrte sich tief in das seiner Tochter.

Sie sitzt ihm hoch gegenüber. Ihre schlanke, feste und doch weiche Gestalt ist mit Glanz überschüttet, völlig mit einem Goldglanz umgeben, der sich durch die schmalen Musselingardinen spinnt und sich nicht genug darin tun kann, Abendsonnen- und Rheinperlen durch ihr straffgescheiteltes, im Nacken zu einem mächtigen Knoten verflochtenes nachtdunkles Haar zu sticken, dem ein Metallschimmer anhaftet, wie ihn nur Rabenfittiche haben.

Ihr schmales Medaillengesicht steht weiß in der Dämmerhelle, in einer Dämmerhelle, durch die sich die letzten Abendlichter wie goldene Fliegen bewegen.

Was für ein Antlitz ...?!

Ja, was für ein Antlitz hat diese Jakobine Hemskerk! Es ist so, als hätte ein großer Künstler es in seiner besten Geberlaune gebildet, ihm alles gegeben, was dem Niederrhein anhaftet, was ihn groß und heilig macht vor Gott und den Menschenkindern. In diesem Antlitz wohnt die Größe und Strenge der unermeßlichen Ebene, das Verführerische ihrer verschwiegenen Altwasser, die Reinheit und die Barmherzigkeiten der Mutter Gottes von Kevelaer ... und beim Ansehen dieses Gesichtes blühen die Zentifolien noch einmal so heiß und duftend in schwülen Sommernächten, pilgern die Wegemüden zur Gnadenkapelle, heben sich ihre Arme zur Mittlerin und Fürsprecherin, stammeln die Lippen: »Jungfrau der Gnaden und der Verheißungen, o du Unsere liebe Frau der Wunder und Zeichen, der Hoffnung und der Auferstehung, lege mir die Hände auf, auf daß ich genese, denn deine Hände sind weiß und kühl wie die weißen und kühlen Hände der schönen Jakobine Hemskerk, die durch die Tage geht wie ein menschgewordenes Mirakel des Herrn, ohne es selber zu wissen, die ihre Jungfräulichkeit trägt und in sich birgt, wie die Lilien am See von Genezareth ihre Jungfräulichkeit tragen, und sich nur dem erschließt, den sie begehrt mit der ganzen Sehnsucht und Inbrunst eines liebenden Weibes, auf daß geschehe, was der Mund des Engels verkündet: Du bist gebenedeit unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes ...« und wo sie erschien, füllte sich die Umwelt mit dem köstlichen Duft ihres Leibes, nahm sie die Sinne gefangen, wurde der Schrei nach dem Weibe lebendig ... und war nur ein schlichtes Weib unter den schlichten Weibern der Niederung, wenn auch eine Königin an Anmut und Schönheit, reich daran wie der junge Tag auf den Bergen, verschwenderisch damit wie die schwülen Nächte mit ihrem Sternenfeuer und ihren Geheimnissen.

»Ja, nu höre mal zu,« und der landeingesessene Mann mit dem Kindergemüt, der Mann mit dem hitzigen Aufbegehren unter den blanken Ankerknöpfen, noch immer damit beschäftigt, den einen Daumen um den anderen zu drehen, begann ruhig und gemessen zu sprechen: »Bevor ich mir den diesbezüglichen Kasus näher betrachte, muß ich des längeren ausholen, denn was ich zu beantworten habe, ist nicht so ohne weiteres mit 'nem einfachen und glatten ›Ja‹ zu erledigen. Wie schon gesagt: von 'ner totalen Einstellung meinerseits ist bei mir noch gar keine Rede. Die vertrackten und unhonorigen Zeitläufte, unter denen wir hindrusseln, die wie auf den Sand geschmissene Spiegelkarpfen nach Luft schnappen, machen mich wirbelsinnig, über die Maßen ungeeignet, den richtigen Turnus aufzustellen. Das ist so, und damit haben wir beide zu rechnen.«

Er senkte die Stimme: »Deine Mutter ist tot. Mit ihrem Hinscheiden wurde mir und dir das beste Stück aus unserem Leben genommen, ein Schlag, der mir bis zur heutigen Stunde so erbärmlich die Luft abdrehte, als müßte ich tagtäglich im Wind stehen, um mir die gehörige Portion Atem einzuholen. Das tu' ich auch redlich, aber die Verhältnisse sind doch in dieser Beziehung äußerst miserabel geblieben. Mutter fehlt uns an allen Ecken und Enden, und so bist du eigenwillig deines Weges gegangen, selbst in der ›Benehme‹, wo sie dich zurechtmachten, um dir 'ne seine Tournüre mit nach Hause zu geben. Na, das geschah auch, aber das mit der Eigenwilligkeit ... Ich kann mir nicht helfen – diese Eigenwilligkeit ist bei dir haken geblieben, sonst wärest du nicht ...«

Sie warf hart den Kopf in den Nacken.

»Ich bitte dich, Vater ...!«

»Bleibt so. Kein Wort mehr, Herzensmamsell, denn ich habe weiter zu sprechen,« und aufs neue zwirnte er ein Wort neben das andere.

»Jakobine, ich habe was prestiert in der Welt, sowohl als Kaptän wie als solcher. Meine Finanzen stehn gut, obgleich mir die Zöllner und Drahtzieher zwei Drittel des totalen Besitzes abgeknöppt haben, ganze zwei Drittel, mir aber bis dato noch so vieles beließen, um damit 'nem verkrachten Edelmann wieder auf die maroden Strümpfe helfen zu können. Für meintswegen darf ich mich tagtäglich auf den Altenteil setzen, ins Rheinwasser spucken, mich der Ruhe erfreuen und an warmen Sommerabenden von meinem Fenster aus meine Levkojenrabatten besehen. Aber ich tu's nicht,« und seine Faust rumpelte auf den Tisch, »ich tu's nicht, unter keiner Bedingung, nicht ums Kinderkriegen, denn wenn ich mir unsere gefallenen Helden, unsere noch lebendigen Kriegsteilnehmer betrachte, dabei zusehen muß, wie ihnen heutigestages mit falschen Wagen und falschen Gewichten zugewogen wird, wie die Opferbringer zum Deubel gehen und die Opfernehmer wie die Säue von Gerasa dahinschmarotzieren, dann frag' ich mich immer, ist denn kein Gotteszorn da, kein Gottesgericht, diesem Geziefer und dieser Saubeutelei Fixfeuer auf die grindigen Köppe zu pfeffern?! Herr, in des Satans Namen noch mal, wo bist du denn eigentlich?!«

Und wiederum krachte die Faust auf.

»Es heißt wohl,« fuhr er gemäßigter fort, »vor des Herrn Angesicht sind tausend Jahre wie ein Tag. Er steht immer auf Nachtwache. Sie kommt allen Völkerschaften zugut. Seine Gerechtigkeit ist ohne Beginn und ohne Ende. Alles schon richtig. Aber ich sehe und höre keinen Herrgott und gar nichts... bloß die französische Faust, die uns immerzu am Kittel sitzt, bloß das französische Maulwerk, das immerzu schreit: Weh' den Besiegten! und sehe 'ne Masse von Kostgängern, die jede Arbeit als 'ne schwere Sünde verschleißen... und da sollte ich mich auf den Altenteil setzen, mich ins Sofa hineinfläzen und zusehen, wie Deutschland immer mehr als Armenhäusler sich herausmustert? Niemals! Lieber mit dem Kopp durch die Bordwände, denn hier diese Fäuste...« und er streckte sie aus und besah sich die braunroten, zerrissenen Pratzen. »Ja, hier diese zwei Fäuste, die bleiben am Ruder, schon aus dem alleinigen Grunde heraus, der Faulenzerei und der Luderwirtschaft dafür ein leuchtendes Exempel hinzustellen, und sie werden ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit tun, bis der große Kaptän erscheint, den Sturmriemen unter- und den Ölmantel übergezogen, um mir auf die Schulter zu tippen und heimlich zu sagen: Pitt Hemskerk, nu lasse man gut sein. Deine Navigation ist zwar alle, aber dein Logbuch wurde als richtig befunden. Da droben ist dir 'ne extraordinäre Paradekajüte bereitet... und in dieser Paradekajüte ist auch Mutter einquartiert und erwartet dich lange.«

Er fuhr sich über die Schläfen.

»Ja,« sagte er ruhig und mit leisem Kopfnicken, »erwartet dich lange... erwartet dich lange...«

Jakobine erhob sich.

Sie trat dicht vor den Alten.

Ihre junge Brust stürmte und senkte sich in tiefer Erregung. Sie legte ihm die weißen Hände auf, die weißen Hände, die vieles hinwegnehmen konnten, und meinte: »Ich verstehe dich, Vater. Wir finden uns beide in dem nämlichen Gedanken. Das Leid, das du um Deutschland trägst, trage auch ich. Und das mit Mutter...«

Ihre Stimme schluchzte auf: »Ach, meine Mutter! Mutter, Mutter...! und du... Eigenwilligkeit wirfst du mir vor und hast mir doch immer gesagt: 'ne Kapitänstochter soll ihren eigenen Willen besitzen, soll nicht mit der Masse dahinlaufen, sich vielmehr als das freie Kind eines freien Mannes betrachten.«

»Hab' ich gesagt, ist auch jetzt meine Ansicht, und wenn du das anders hinnimmst, so ist das nicht auf dem richtigen Boden gewachsen, denn du bist mir immer 'ne zutunliche und brave Tochter gewesen.«

In ihrem Medaillengesicht zuckte es auf.

»Vater, dann begreife ich nicht...«

»Kind, Herzensmamsell...!« und der alte Rheinbär stöberte hoch. »Du meinst von wegen...«

Es hing ihm etwas an den Wimpern, das er fortwischen mußte.

»Kind, versteh' mich doch richtig. Ich will ja nur dein Bestes, dein Allerhöchstes. Aber jegliches muß mit Verstand angefaßt werden. Ich meine: du bist gar nicht so ohne. Die Mannsleute machen breite Naslöcher um dich. Du kannst dich sehen lassen.«

»Aber Vater!«

»Natürlich. Ich bin stolz auf dich, und das kann mir keiner verübeln.«

Er schlug sich auf die Brust.

»Ich, Kaptän Hemskerk, ich hätte gewünscht... Ja so! Warum kann nicht 'n honoriger Kavalier oder einer aus der sogenannten Gesellschaft mich beehren und sagen: Herr Kaptän, ich bitte um die Hand Ihrer Mamsell Tochter? Warum nicht?! Das wäre so mein Gusto gewesen, denn ich kann solche Art von Leute bedienen... und nu kommt einer von der grünen Farbe daher, mit 'nem Birkhahnspiel am Filz, um so Hals über Kopp... und da soll ich so ohne weiteres mein Ja und Amen dransetzen...«

»Das kannst du,« hielt sie ihm flammend entgegen.

»Bloß Ruhe, Mamsell. Das sagst du so aus dem Ärmel heraus. Aber das hab' ich schon 'rausspekuliert: es soll kein Edelmann oder so was ähnliches für dich munter werden. Du hältst's mit der grünen Farbe und dem Birkhahnspiel. Auch gut. Du stellst deine Bedingung. Ich dito die meinige, denn ich kann nur einen gebrauchen, der das Überkommene hochhält, die Treue bewahrt, in der Pestilenz der Zeit sich nicht seine Überzeugung abledern läßt, um Karriere zu machen. Kommt vor, mein Döchting, kann immerzu vorkommen, denn in dieser Welt der Unrast werden viele Mannskerle verschlickt und versandet, und solche kann ich nicht in meinem Hausstand gebrauchen.«

Er zog einen Strich durch die Luft.

»Niemals, meine Herzensmamsell.«

»Vater...!« und ihre Stimme flackerte auf: »Reiner ist nicht verschlickt und versandet.«

»So, so! Also nicht verschlickt und versandet? Auch nicht in seiner Förstermontierung?«

»Nein!«

»Und das weißt du gewiß?«

»Ja, das weiß ich gewiß.«

»Und daß er nicht umfällt, sei's, wo es sei?«

»Ja, so wahr ich hier stehe.«

»Und daß er seine Überzeugung, sein eigenes Ich nicht verleugnet, selbst dann nicht, wenn er sich in schwerer Seenot befindet? Menschen, die so was betreiben, gehören für mich mit 'nem Strick an die oberste Stenge.«

»Vater, sein Herz ist wie 'ne leuchtende Flamme.«

»Himmel Herrgott noch mal! das geht an die Nieren. Also deine Liebe kann ich als echt ansprechen? 'ne fadengerade und prächtige Antwort,« und der Alte sah stur und steif auf die Dielen. Ihm ging vieles durch den Sinn. Er nickte: »Gut so, brav so! Nu bin ich ein gut Teil weitergekommen. Also der Reiner – er steht, wie du sagst, auf Tagwacht und Nachtwacht. Soll mir angenehm sein, und wenn er über diese Tagwacht und Nachtwacht stolpern sollte – mir völlig egal, denn in meiner Reederei ist Raum und Arbeit genug, 'nen properen Menschen von der grünen Kulör, der eher verblutet als unhonorig zu werden, Auskommen und Stellung zu geben. Jakobine...! Mein Döchting, mein Döchting...!« Zwei gewaltige Teerjackenarme breiteten sich aus wie die Arme des Ewigen, Allmächtigen und Allgütigen: »Herzensmamsellchen, wenn du denn willst, mit dem Kopp durch die Wand und unter jeder Bedingung – ich für meine Person ...« und er schnappte ab, als hätte sich ihm eine harte Faust um den Hals geschlichen.

»Ach – du...!« schrie sie auf.

Schluchzend bettete sie ihr Haupt an die Brust des Erschütterten, ausgelöst in der Fülle des Glückes und des hohen Erlebens.

Schwer und heiß tropfte es auf ihren Scheitel hernieder. Das waren Tränen ... und Tränen, die ein Vater um seines Kindes willen dahingibt, sind kostbarer als alle Perlen des Meeres. Das fühlte sie in dieser einzigen Stunde.

Die Achterkajüte auf dem braven Rheinschiff 'Gott mit uns' hatte bei ihrer zwanzigjährigen Tal- und Bergfahrt schon vieles erlebt, Frohes und Leidvolles, Heiteres und Schmerzliches, Arbeitsames und Zugreifendes, aber eine solche Vater- und Kindesliebe, ein solches Verstehen und Ineinanderfließen des Blutes war ihr bis zu dieser hochheiligen Stunde niemals begegnet.

Und Stimmen ringsum, ein verhaltenes Gurgeln und Gluckern, das sich allmählich zu einem innigen Klingen herausschälte. Es war wie ein Geigen und Musizieren von anmutigen Lebewesen. Das Kielwasser spielte. Es spielte ein Rondo Scherzoso von Konradin Kreutzer.

Mitdem heulte es laut über Deck hin: »Emmerich in Sicht!«

»Hoiho!« gab der Alte zurück und löste sich sacht aus dem Arm seiner Tochter. »Mein Herzensmamsellchen, bis gleich denn.«

Er begab sich nach oben.

»Lambert, hoiho!«

»Zur Stelle, Kaptein.«

»Wenn Anker gefallen, sofort hier dieses mit 'ner schönen Rekommandation an Mynheer Tappert am Krantor.«

»Wird in Auftrag genommen.«

Der Brandfuchs grinste und senkelte den übergebenen Brief in die Seitentasche.

»Was sonst noch, Kaptein? Ich meine von wegen die morgige Löschung.«

»Ja so! Achtzig Sack an Jakob Terheiden am Oberen Burgwall, hundertfünfzig dito desgleichen an Herzlieb, in Firma Sally Herzlieb und Söhne, siebenzig für Jettchen Pottlot in der Kalvarinerstraße.«

»Nichts weiter?«

»Nichts weiter!«

»Und wann wird morgen gefahren? Ich denke bloß so, denn Mynheer Tappert hat 'n verteufeltes Sitzfleisch mang die Hosen.«

»Meine Affäre, du roter Halunke.«

» Merci, Kaptein.«

»Abtreten und Orders befolgt.«

»Wird gemacht.«

Der Alte wandte sich auf die andere Seite.

Da sah er: die scharf umrissene Gestalt seiner Tochter ragte hoch und einsam beim Vorsteven auf, wuchs gleichsam in die Goldfolie des Firmamentes hinein.

Emmerich rückte näher und näher. Der westliche Himmel lag in einem tiefen Verbluten. Strom und Land hüllten sich in eine düstere Lohe. Strahlenbündel züngelten hoch, und Strahlenbündel zerfielen in dem raschen Wechsel des ewigen Geschehens.

Weiter zur Linken, dem eingedunkelten Binnenland zu, dehnten sich die violblauen und weiten Konturen des Reichswaldes.

Nicht weit seines Bannes wohnte Reiner ... und der war im Geiste bei ihr und gab ihr seine heiße Liebe zu kosten.

Sie erschauerte unter seinen verzehrenden Küssen, breitete ihm ihre stolzen und weißen Arme entgegen, die fast fraulichen Arme, in deren Fesseln man die Umwelt vergaß und das Leben sich glücklicher lebte.

Der Abend senkte sich schneller. Florig kam es von den Höhen herunter. Die ersten Lichter gespensterten in Emmerich auf. Von Hafen und Werft riefen vereinzelte Sirenen durch das Schimmern und Verdämmern des Tages.

Der Vater trat hinter sie. Seine Hand legte sich ihr fest auf die Schulter.

»Bei meinem Freund Tappert,« sagte er ruhig, »wirst du deine Prüfung bestehen und dein erstes Wunder erleben.«


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