Joseph von Lauff
O du mein Niederrhein
Joseph von Lauff

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Zwölftes Kapitel

Ein blaugoldener, fast überirdischer Sommertag, so schön wie aus dem schönsten Kapitel der Apostelgeschichte genommen, legte sich über die Niederung. Hätte sich diese blaugoldene Kuppel über Almenrausch und Edelweiß hingespreitet, man hätte sie eine enzianblaue Himmelskuppel geheißen... und unter dieser enzianblauen Himmelskuppel lag Borghees, das graue, von schattigen Lauben und düsteren Kastanien umgebene Haus Borghees, aber Borghees in Rosen.

Schon von weitem flackerte und flammte einem ein Farbiges und Bewegliches entgegen. Rosen, überall Rosen! Sie kletterten an den Wänden empor, paradierten auf zirkelrunden Rabatten, gliederten sich in langen Reihen nebeneinander, verloren sich ins Unermeßliche, wohin das Auge nicht mehr folgen konnte. Über das alles hauchte ein Duft von köstlichen Essenzen und Narden, als hätten sich die Rosengefilde von Saron auf Haus Borghees, das einst die gefeierte Gräfin Kolbe von Wartenberg bewohnt hatte, ein Stelldichein gegeben.

»Hoidoho!«

Zur angegebenen Zeit trafen die geladenen Gäste dort ein. Michel Virgilis konnte es nicht unterlassen, gleich beim Einreiten, wie er sagte, einen kräftigen niederrheinischen Jauchzer über Borghees und seine märchenhaften Rosenwunder zu jodeln.

»Hoidoho! Seid mir gegrüßt, ihr gesegneten Hallen, sei mir doppelt und dreifach gegrüßt, du gastlicher Knollen- und Rübenbaron, dem es vergönnt wird, so erlauchte Gäste in seinem sweet home, auf seinem erlauchten Edelsitz bewirten zu dürfen. Euer Hoch- und Wohlgeboren, wir melden uns zur Stelle, als da sind: Kaptän Hemskerk und Tochter, Reiner und ich, honette Leute, die beanspruchen können, als solche empfangen und behandelt zu werden. Hoidoho! Hoidoho!« und er schwenkte seinen Castorhut, als müsse er, gleich einem Taschenspieler und Schwarzkünstler, aus dieser stolzen Kopfbedeckung, wenn auch keine Kaninchen, endlose Seidenbänder und singende Kanarienvögel, so doch seine helle Freude über die duftigen Rabatten, Laubengänge, Wiesen und Schilfkaupen hinzaubern.

Unter diesem ›Hoidoho‹ gingen sie durch die breite Kastanienallee dem alten Herrenhaus zu, nachdem sie den kurzen Spaziergang von Emmerich bis dorthin frohen Herzens und in getragener Stimmung zurückgelegt hatten.

Michel Virgilis, der bereits mehrere Male seinen Fuß auf diesen historischen Grund und Boden setzen durfte, ohne bis ins Allerheiligste vorgedrungen zu sein, gab den Führer ab und erklärte mit merkwürdiger Sachkenntnis den Werdegang dieses eigenartigen Sitzes, die seltsamen Geschehnisse, die sich in seinen Räumen abgespielt hatten. Er hielt ihn und seine Umgebung für einen orbis pictus, durchflötet von Singdrosseln und Pfingstvögeln. Dann kam er auf den eigentlichen Zweck des Tages und die Ausnutzung der gegebenen Stunden zu sprechen und sagte: »Es geht jetzt auf sechse. Kühlung setzt ein. Zeit und Stunde sind da, frohen Gemütes genießen zu dürfen. Wie ich meinen Freund und Gönner eintaxiere, wurde von ihm folgender Schlachtenplan entworfen: Der junge Herr in grüner Watt,« und er klopfte Reiner vertraut auf die Schulter, »wird sich sofort unter Führung unseres geneigten Freundes auf den Ansitz begeben, um sich des zugesprochenen Kapitalen zu vergewissern. Währenddessen werden wir ablegen, das Engere und Weitere in Augenschein nehmen, hierauf unter sachlicher Anweisung des inzwischen zurückgekehrten Herrn die ehrwürdigen Räume besichtigen, der Gräfin von Kolbe, ein Meisterwerk von Hyacinthe Rigaud, einen Besuch abstatten, und dann ... Ja, dann fällt ein Schuß, weit drüben bei den einsamen Birken ... und last not least, meine Herrschaften, kommt der Clou des Abends: wird das Schüsseltreiben beginnen. Sonst ein schlichter und einfacher Kavalier, in dieser Beziehung hat Gisbert Kreuzwendedich Riswyk seine eigenen Ansichten.«

Er stellte Daumen und Zeigefinger preziös gegeneinander: »Nicht nur prima, sondern alles primissima Klasse. Was weiter geschieht, wie wir schließlich nach Hause gelangen, wollen wir getrost dem lieben Herrgott, dem Gastherrn, den Rosen, der Reichsgräfin Kolbe von Wartenberg, dem Schüsseltreiben und den beigegebenen Weinen überlassen. Hoidoho! Hoidoho!« und wieder schlug der filzige Castorhut eine majestätische Volte.

» Avanti

An dem weiten Portal, aus bereits abgebröckeltem Sandstein und holländischen Klinkern gefügt, dessen Bekrönung sich als Wappen der einst gefeierten Reichsgräfin auswies, erhob sich die Gestalt eines korrekten und schwarzgekleideten Herrn, dessen tadellos sitzender Frack in stilvoll gearbeiteten Eskarpins und ebenso stilvoll gearbeiteten Schnallenschuhen seinen Abschluß fand. In dem glattrasierten Gesicht lagen die undurchdringlichen Augen wie Eislichter, wagte es nicht ein einziges Fältchen, sich auch nur in etwa zu rühren. Es erinnerte an das eines englischen Diplomaten, dem es oblag, sein Land zu vertreten und die Interessen der übrigen mit der bewunderungswürdigen Ruhe eines Stoikers gelassen und als völlig belanglos unter den Tisch des Hauses fallen zu lassen. Der Mann imponierte.

Michel Virgilis verständigte seine Begleitung. »Alphons!«flüsterte er mit heimlichem Augenzwinkern, »ein wertvolles Überbleibsel des seligen Erbonkels mit dem Monocle und den strengen Grundsätzen. Der Baron und Rübenkavalier macht es nobel. Er tut es nicht anders,besonders jetzt nicht, wo Mademoiselle Jakobine ... Pst!« und zu dem tadellosen und korrekten Mynheer am Eingang gewendet: »Na, Alphons, wo bleibt denn sein Herrchen?«

»Der Herr Baron,« erwiderte dieser mit einer kaum wahrnehmbaren Neigung des Kopfes, um die ihn der erste Kammerherr in der Hofhaltung von ›ons Wilhelmintje‹ beneidet hätte, auch hätte beneiden können, »der Herr Baron lassen sagen, er befände sich bereits beim Ansitz, um den zugesprochenen Bock zu bestätigen. Der Gärtner Spiridon wird den Herrn in der grünen Farbe an Ort und Stelle begleiten. Waffe, Munition und Glas sind vorhanden. Nichts mangelt. Ich selber,« und wieder die kaum wahrnehmbare und korrekte Neigung des Kopfes, »habe bis zur Rückkehr des Herrn Barons die Ehre, die übrigen Herrschaften mit der nächsten Umgebung, den verschwiegenen Partien, den Rosarien und den sonstigen Anlagen des Parkes bekannt zu machen. Die letzte Führung bis zum Souper möchte der Herr Baron unter allen Umständen selber übernehmen. Wenn ich also bitten dürfte ...« und sein schmaler Mund klappte zu wie die stählernen Bügel eines geizigen Portemonnaies, von nun an gesonnen, nur noch das Allernötigste zu verausgaben, beziehungsweise in Zahlung zu nehmen. Im allgemeinen schien für ihn Zurückhaltung, Interessenlosigkeit und absolutes Schweigen geboten.

»Wie ich sagte,« bestätigte Michel Virgilis, »bis auf den letzten Schnirkelschnörkel ganz mein dargelegtes Programm. Also los denn dafür. Legen wir ab. Reiner, avanti! und wir zu den Gärten und verschwiegenen Laubengängen. Aber die Rosen werden sich wundern, denn eine Rose wie Jakobine Hemskerk, die Rose der Rosen ...«

»Michel, verdreh' mir meiner Herzensmamsell nicht den Kopp,« lachte Hemskerk und legte seinen Arm in den seines Freundes.

Hierauf traten sie ein in das verwunschene Haus, das einst die berückende Gräfin Kolbe von Wartenberg bewohnt und durchliebt hatte.

Unter dem Wappen stand das vielsagende Wort ›Salve‹ gemeißelt.

*

Ein leichtes Glühen stahl sich bereits durch die schweren Sommerkronen der Bäume, als Gisbert Kreuzwendedich Riswyk Alphons ablöste und nunmehr seine Gaste bat, vor Beginn des Soupers noch ein Gläschen Madeira auf der Veranda einzunehmen.

»Na endlich,« freute sich Michel Virgilis, »denn jetzt wird sich zeigen, wo Barthel seinen Most holt, bei mir oder bei meinem Grog- und Punschkollegen, dem gebietenden Herrn auf Borghees.«

Er dachte dabei an die Bilder, an seins und an das, was Gisbert über den grünen Klee gepriesen und als ein Meisterwerk aus dem Sündenbabel von Hyacinthe Rigaud hingestellt hatte.

Er zupfte Riswyk heimlich am Ärmel.

»Wollen Euer Hoch- und Wohlgeboren nicht gütigst geruhen, uns nunmehr mit der Reichsgräfin bekannt zu machen, so lange uns der Herr über Helle und Finsternis noch so viel Tageslicht verstattet, ihre Schönheiten geziemend in Augenschein zu nehmen?«

»Aber keine Neidhammelei,« kam es schmunzelnd zurück, »wenn sich Balthasar Denner eingestehen muß: Gegen diesen Hyacinthe Rigaud bin ich als Waisenknabe anzusprechen. Mein Pinsel ist gut, aber der von meinem Kollegen ist tausendmal höher zu bewerten.«

»Wird sich ergeben.«

»Jawohl, wird sich ergeben, denn ich sagte Euch schon: Nicht lange mehr, und Euch wird in dieser Hinsicht der Tag von Damaskus erstehen. Ihr werdet an die Brust schlagen und Reue und Leid erwecken.«

»Immer man sachte. Erst sehen, dann ist es noch immer Zeit genug, sich in ein Mauseloch zu verkriechen.«

Der Gutsherr machte eine einladende Handbewegung, den Blick auf Jakobine gerichtet: »Demoiselle, darf ich bitten ...« und dann zu Hemskerk gewendet: »Herr Kapitän, ich glaube, Sie haben auch ein gewisses Interesse?«

»Aber natürlich! Warum nicht? Soll mir angenehm sein, denn unsereins war niemals Kostverächter, ist niemals in 'ner schmalzigen Frömmelei über Bord gegangen. Dafür bin ich zu oft in die Korte Hoogstraat en onder de Boompjes van Rotterdam gewesen.«

Und wieder die sanfte Bewegung von Seiten Riswyks. Zur Linken Jakobinens machte er den Führer, trat von der Veranda in die teils heiteren, teils düsteren Gemächer, die von Urvaterhausrat erzählten, angefüllt mit Raritäten und Absonderlichkeiten, die der Erbonkel Gideon Riswyk, der zugeknöpfte und sittenstrenge Herr mit dem Einglas, dem Angestammten aus verklungenen Tagen hinzugebracht hatte.

Der Odem der Reichsgräfin wehte durch die Räume, berührte die Anwesenden mit dem feinen Duft nach Puder und Lavendelwasser.

Sie fühlten ihre Nähe, das Knistern des Reifrockes, das kaum wahrnehmbare Schreiten ihrer Stöckelschühchen.

»Jetzt!« sagte Michel Virgilis. Er fuhr sich durch seinen angegrauten Knebel mit der heiteren und dennoch würdigen Gelassenheit eines vorderindischen Gottes.

Unbeweglich wie ein spanischer Grande in Schwarz aus dem herzoglichen Geschlecht der Medina-Celi, dem allein das Recht zustand, die heilige Fahne des Großinquisitors zu tragen, stand einer seitlich der Türe, deren Schwelle mit einem dunklen Teppich belegt war.

Riswyk hob kaum merklich die Hand.

»Alphons!« sagte er leise.

Da öffnete dieser lautlos die Flügel, trat seitwärts, um ebenso lautlos, gleich einem düsteren Schemen, in das Nichts zu zerfließen.

Eine große Stille breitete sich aus.

Ein intimer Raum, wenn auch vergilbt und mit dem Zeichen eines leichten Verfalles umsponnen, wies dennoch den ganzen Reiz auf, der dem galanten Zeitalter anhaftete, gehoben durch die zartgewobene Helle des Abends, die mit geheimnisvollen silberigen Lichtern durch die hohen Fenster spielte.

Draußen stand der Tag im letzten Scheinen und Glänzen und zeichnete seine Schlagschatten in die Baumpartien hinein, die Borghees in weitem Kreise umzingelten.

»Mein Gott, wie schön...!«

Jakobine stand wie angewurzelt.

Ein Kälteschauer rieselte über sie hin.

Riswyk war dicht an ihre Seite getreten.

Dann umriß er das Bildnis mit seiner schlanken und doch stählernen Rechten. Er erklärte mit eindringlichen Worten, was er bereits Michel Virgilis in der Torschenke dargelegt hatte. Nur seiner und mit dem plaudernden Ton eines kundigen Interpreten: »Die Reichsgräfin und doch nicht die Gräfin... Vielmehr ... aber das später... Ich bitte darum, den Einzelheiten begegnen zu wollen: ganz Weib, ganz Hingebung. Keine Krinoline, kein Kopfputz à la Marie Angélique de Scoraille de Rousille, Herzogin von Fontanges... ohne Brabanter Spitzen und Bänder... mit einem Wort: frei von allen störenden Zutaten. Hingegen dafür: dem schaumigen Wasser entstiegen... am Strande von Scheveningen ... inmitten von Muscheln und Tritonen... in Schleiern und Nebelschwaden... in ambrosischer Schönheit, selbst das Kleinste betonend... mit Rosenknospen, wie sie nunmehr auf Borghees jung werden. Und dann noch: kein höfischer Zwang ... nichts Angequältes ... kaum noch die gefeierte Dame à la Crébillon, die zu denen gehörte, die das Messerchen Meister Samsons heraufbeschworen und scharf machten. Vielmehr die schlichte Wirtstochter aus Emmerich... das niederrheinische Weib, eigenwillig und voller Gnaden... schön in seiner Größe und Herbe, seiner schmerzhaften Keuschheit: Katharina Rickers... und der sie malte, nannte sich Hyacinthe Rigaud.«

Er ließ die Rechte herunter.

Ein tiefes Aufatmen war neben ihm.

Jakobine fühlte sich abermals von Schauern durchrüttelt.

Riswyk wandte sich.

»Na, Michel Virgilis...?«

»Allerdings, allerdings! Erst heute geht mir 'ne heilige Wachskerze auf. Capisco! Der Eindruck überwältigt mich. Ich kann es nicht leugnen. Allerhand Achtung. Mynheer, ich geruhe, meinen Hut zu ziehen.«

»Also doch. Und Sie, Kapitän...?«

Hemskerk kam nicht mehr zu Wort.

Ein praller Schuß kläffte von den Schilfkaupen herüber.

Alle lauschten.

Kein zweiter fiel.

»Das war Reiners Geschoß,« konstatierte Michel Virgilis. »Weidmannsheil! Alles in bester Butter, der ungerade Achter liegt auf der Decke, denn ohne denselbigen... Na, wollen mal sehen.«

Er trat ans Fenster.

Riswyk und Hemskerk folgten.

Der Abend sah ernst durch die Scheiben. Die Alleen da draußen standen im letzten Scheinen des Tages, dunkelten ein. Ein mattes Dämmern faserte sich matt durch das Zimmer. Alles Gegenständliche ging sacht ineinander über, ohne die Form zu verlieren. Etwas Hohes und Insichgekehrtes tat sich zwischen den Wänden aus.

Die Herren am Fenster unterhielten sich über die Geschichte und die Vergangenheit des Hauses, beobachteten dieses und jenes und verfolgten den Weg, der nach den Schilfkaupen führte, woselbst die einsamen Birken aufragten. Bald mußte er kommen.

Jakobine konnte sich noch immer nicht von der Reichsgräfin losreißen, obgleich die Konturen verschwammen und unsicher wurden.

Da – wie auf ein stummes Geheiß...

Wahrscheinlich hatte Alphons Order empfangen, denn dicht über dem Rahmen des Bildes blitzte eine elektrische Birne hinter einer dunklen Kapsel auf.

Ein magisches Licht perlte nieder, zerstreute sich nicht, verklärte ausschließlich das Meisterwerk von Hyacinthe Rigaud.

Jakobine zuckte zusammen.

»Mein Gott, wie schön!« sagte sie nochmals.

Wie in Anbetung stand sie versunken.

Die Farben gewannen an Leben. Die Grafin inkarnierte sich. Eine feine Linie lief von den Schultern bis zu den Hüften herunter. Das Fleisch badete sich in dem Gold der untergehenden Sonne, die fern auf dem Meer ruhte. Nebel und zartgesponnene Schleier milderten die Nacktheit dieses schaumgeborenen Weibes, dieser Flutentstiegenen, umrieselt von dem schwarzblauen Vlies ihrer Haare.

»Mein Gott, mein Gott!«

Jakobine verfärbte sich. Ihr war es, als ob sie Bekanntes erschaute. Wie mit dem Saitenspiel des Hohen Liedes klang es ihr zu: »Ich bin eine Blume zu Saron und eine Rose im Tal. Ich bin schön wie Thirza, lieblich wie Jerusalem, schrecklich wie Lanzenspitzen. Meine Brüste sind wie silberne Türme, die der junge Morgen erblühen läßt. Ich will zum Myrrhenberge gehen und zum Weihrauchhügel, auf daß du mich schauest. Ich bin wie eine, die das heiße Leben einsaugt, um tausendfältiges Leben wiederzugeben. Meine Lippen sind wie blutende Wunden, die sich deinen Küssen erschließen. Umarme mich, auf daß ich dich habe für ewiglich.«

Ihr Blut rauschte ihr zu, sang in den Ohren. Sie konnte nicht irren: in dieser Katharina Rickers, in dieser Reichsgräfin Kolbe von Wartenberg, in diesem Weib aus der Niederung...

Sie spann den Gedanken nicht weiter, wollte ihn nicht weiter spinnen. Aber ihre Augen begannen zu leuchten.

Die Herren am Fenster sprachen leise zusammen, beobachteten sie in ihrer stillen Verzückung.

Was sie nur hatte?!

Die Baumgruppen nahmen eine violblaue Färbung an, die Dämmerung senkte sich tiefer.

Riswyk glaubte Schritte zu hören.

Dann trat er vor.

»Weidmannsheil!« klang es durch die Stille des Raumes.

»Weidmannsdank!« kam es als Antwort zurück, während Jakobine sich an die Seite Reiners flüchtete, um ihre Erregung niederzukämpfen.

»Bravo!« rief Hemskerk. »Navigieren ist das Höchste auf Erden, aber 'ne flotte Jägerei hat auch ihre Bonitäten.«

»Und ob!« warf der Zapfer ein, willens, so 'ne kleine Feld-, Wald-, Wiesen- und Weidmannsrede an den Mann zu bringen, gespickt mit makkaronischem Latein und sonstigen saftigen Zutaten, kam aber damit nicht zustande, denn die Tür des Salons bewegte sich wie unter der Beschwörung von Geisterhänden.

Alphons erhob sich auf der Schwelle, gleichsam aus dem Nichts gezaubert, und verständigte seinen Herrn auf eine diskrete Weise, daß alles bereit sei.

»Darf ich bitten, meine Herrschaften...«

Als Hausherr nahm er sich das Recht, Demoiselle Jakobine zu führen.

»Bitte über den Flur hin... die erste Tür zur Linken...«

Hier angekommen, legten sich schwere Portieren streng zur Seite.

Eine sanfte Helle empfing sie.

Wie Michel Virgilis keine Birnen im Honoratiorenstübchen duldete, ebensowenig ließ Riswyk diese aufdringlichen Beleuchtungskörper in seinem Speisezimmer gelten, streng nach der Weisung des seligen Erblassers mit dem Einglas, der sie für Totschläger trimalchischer Feinheiten, für Sarkophage entblößter Schultern erklärte... und so züngelten nur Wachslichter durch die vornehme Aufmachung des mittelgroßen Raumes.

Ein schwerer silberner Leuchter erhob sich inmitten der mit rarem Porzellan und glitzernden Kristallen gedeckten runden Tafel. Sieben Flämmchen standen auf den gelblichen Schäften, ruhig am Docht zehrend, verstärkt durch zwei Gueridons, die sich seitwärts erhoben und eine satte und silbrige Helle verstreuten.

Hemskerk geriet außer sich.

»Blexem!« mahlte er zwischen den Zähnen, »mit 'nem braven Gottvertrauen und 'ner richtigen Kaltblütigkeit kann man sich schon in so 'ne Noblesse hineinversetzen, ohne koppscheu und taperig zu werden. Jakobine, was meinst du dazu?«

Sie lächelte.

»Ja, es ist schön hier,« sagte sie in ihrer ruhigen Sicherheit.

»Meine ich auch,« versetzte der Alte, und seine blauen Lichter erfreuten sich der wohltuenden Dämmerhelle. Als er aber die kleinen rotgepunkteten Salmoniden gewahrte, die auf silbernen Assietten angereicht wurden, legte er feierlich seine Kapitänspranken ineinander, um sie gleich darauf wieder griffig und segeltüchtig herzurichten.

»Forellen blau mit geschlagener Butter auf holländische Art,« wisperte es ihm zu.

In den Gläsern perlte ein delikates Weinchen, den Alphons so hingehaucht anpräsentierte, als wäre der Name ›Bernkasteler Doktor‹ aus den Kellereien der Witwe Thanisch mit Jordanwasser aus der heiligen Taufe gehoben worden. Dabei umkreiste dieser bleiche und zugeknöpfte Mynheer die Tafel mit der Würde und Gemessenheit eines Buddhistenpriesters des Dalai-Lamas, dem es oblag, die Gebetmühlen seines Bezirkes behutsam in Bewegung zu setzen.

Riswyk erhob sein Kelchglas.

»Herzlichst willkommen!« sagte er mit umflorter Stimme, wobei sein Blick kaum merklich das Antlitz Jakobinens streifte. »Möge dieser Abend ein froher und ersprießlicher werden, der den hochverehrten Gästen nahelegt, bald wieder Einkehr auf Borghees zu halten.«

»Bravo! Wollen wir hoffen!«

Die Gläser taten ihm Bescheid, die Herzen schlugen höher, während Reiner dankbar den Fichtenbruch, den ihm der Hausherr neben sein Gedeck hatte hinlegen lassen, betrachtete, alsdann in seiner bedachtsamen Art von dem interessanten Ansitz erzählte, dem langsamen Hingehen des Abends, dem feinen Verbluten des niederrheinischen Abends... wie er dann den Hochkapitalen herangeblattet... dieser von der Haferparzelle in das stille Kleestück und in die Schilfkaupen eingewechselt... gleich darauf herübergeäugt, mit einigen Rupfern Schafgarbe im Äser... Achtung! Langsam hob sich das Korn... faßte das Blatt... der Schuß bellte los, und horrido! der Bock stieg hoch, um nach einem halben Dutzend Fluchten niederzubrechen.

»Famos!« freute sich Michel Virgilis. »Dusel muß der junge Mann haben, denn es gehört mal dazu, sonst kann er sein Leben lang Pellkartoffeln verzehren. Während unsereins... Immerzu Pech. Meine Spezialität, wohingegen mein Herr Nachbar von der grünen Farbe bloß in die Welt hineinkiekt und siehe... Ja so! Es heißt ja wohl: Glück in der Liebe, Malör bei den Böcken und Löffelmännern. Alte Geschichte. In diesem Falle jedoch...« und er wollte gerade Jakobine und Reiner ein verständnisinniges Äugelchen zuwerfen, als er durch ein überzartes Düfteln abgelenkt wurde.

Seine Nüstern verbreiterten sich. Der Windfang schnupperte. Seine Lauscher fingen die salbungsvoll hingeschmalzten Worte auf: »Perlhuhn à la Maréchal mit Scheibchen von Stopflebern!«

Alphons gab sich dabei wie ein Majordomus, dem es heute nicht darauf ankam, die eigenartigsten lukullischen Finessen eines sonst zurückhaltenden Gastronomen zu verausgaben, ohne auch nur mit dem zartesten Härchen einer Wimper zu zucken, um bald darauf Chambertin und Léoville abwechselnd in hohen Kristallen zu reichen.

Der Wein animierte. Viertelstunde reihte sich an Viertelstunde.

Jakobine gedachte noch immer der Rosenwunder da draußen, des bestrickenden Zaubers, der von dem Bilde Meister Rigauds ausströmte und sie nicht freigeben wollte. Sie stellte Vergleiche an. Unsichtbare Fäden berührten sich wechselseitig. Der Unterhaltung, die mit jeder verrinnenden Minute anregender und lauter wurde, folgte sie nur mit halben Ohren, hörte nur wenig, hatte aber doch das unbestimmte Bewußtsein: einer spricht in Gedanken mit dir, möchte dich bei der Hand nehmen, um mit dir die Stätte aufzusuchen, wo die Welt den Atem anhält, jegliches um dich versinkt und eine Geige anhebt, fern im Nebel hinter einem verlorenen Walde zu singen.

Mit halbgeschlossenen Lidern träumte sie in das weiche Licht der Kerzen hinein.

Ein heißes Klopfen war bei ihr: das ihres eigenen Herzens und das eines anderen.

»Nein, aber so was! Euer Liebden verstehen es schon, Feste zu geben. Prosit, Barönchen!« und Michel Virgilis sah mit seinen verzückten Rehpostenäugelchen dem Erscheinen einer Trüffelpastete entgegen, deren Geschick es nun einmal war, verspeist und mit köstlichem Pritzelwasser begossen zu werden.

Der Herr in den schwarzseidenen Eskarpins blieb die verkörperte Ruhe, der man jedoch ein gewisses herausforderndes und abweisendes Lächeln nicht absprechen konnte.

Er dachte sich manches,schwieg aber wie die eingesalbten Könige schweigen,die schon seit Jahrtausenden in den Pyramiden von Giseh die Auferstehung herbeisehnen.

Den biederen Herrn aus der Torschenke in Emmerich genierte das nicht weiter.

Als die Reihe an ihn kam, langte er mit Heiterkeit zu, um sich dann an Riswyk zu wenden: »Sonder Rosinne en Pöntjes – wir haben dieselben Geschmäcker. Außerdem: dieses Speiselokal und mein Honoratiorenzimmer decken sich völlig, und drum nochmals gesagt: ein angenehmes Pröstchen, Mynheer.«

»Gott segne Euch, alter Genevermagister,« hielt ihm Riswyk fröhlich entgegen. »Ich bin anderer Ansicht. Borghees kann sich gegen Euren Tempel einmachen lassen, 'ne saure Gurke gegen eine saftige Netzmelone.«

»Wie's beliebt,« freute sich Michel Virgilis. »Kompliment ist Kompliment. Man kann so was immer gebrauchen. Hurra, Barönchen! Wir zwei beide ... So was gibt's nicht mehr in den Grafschaften. Wollen wir uns den Bruderkuß geben, oder stoßen wir bloß an?!«

»Stoßen wir an!«

»Auch gut, genügt mir,« und die Gläser tinkten hell gegeneinander, unter dem frohen Lachen der anderen Gäste.

Selbst Alphons geruhte, aus seiner Reserve zu treten, ganz diskret und unauffällig zu schmunzeln.

Dem Nachtisch folgten diverse Liköre, dazu Mokka in chinesischen Täßchen, die so fein und durchsichtig wie Schmetterlingsflügel aussahen. Auserwählte Havannas reihten sich an.

Hemskerk und Michel Virgilis langten zu, auch Reiner, der Kapitän aber nur, um eine Henry Clay neben seine Schale zu legen und sich ein neues Priemchen hinter die linke Backe zu schieben.

So war er glücklich und konnte den weiteren Abend getrosten Mutes abwarten.

»Und Sie, Barönchen, keine Havanna?! Ach, nee! Sie rauchen ja Ihre Extraspezialität,« und der Emmericher sah zu, wie Riswyk sich mit allem Raffinement die landfremde Virginia anbrannte und dem gekrümmten, bräunlichen Rattenschwanz aromatische Wölkchen entlockte.

Das trauliche Speisezimmer hüllte sich in Myrrhen- und Weihrauch, schleierte ein, umgab sich mit mystischen Nebelspiralen, als gälte es, seltsame Bilder um die erregten Sinne zu spinnen.

Jakobine fühlte wiederum heiße Blicke auf sich gerichtet. Ein eigenartiges Hämmern und Klopfen schreckte sie auf: das ihres eigenen Herzens und das eines anderen. Eine nicht abzuweisende Kraft berührte sie mit magnetischen Nadeln, führte sie aufs neue in den Bann der Wellenschaumgeborenen am Strande von Scheveningen, dieser Flutentstiegenen, umrieselt von dem schwarzblauen Vlies ihrer Haare ... und doch nur sie selber: das hohe Weib aus der niederrheinischen Tiefebene.

Sie atmete hastig und schwer.

Das Gespräch der Männer, das sich abermals mit dem ungeraden Achter beschäftigte, hatte ihr nichts mehr zu sagen.

Aber das Bildnis da drüben ... Nur ein einziges Mal noch, aber allein und völlig ungestört, wollte sie es mit heiliger Inbrunst genießen, mit völliger Hingabe in sich aufnehmen.

Während der Hochkapitale zum andern aus der Haferparzelle in die Schilfkaupen überwechselte, gleich darauf scharf herüberäugte, mit ewigen Rupfern Schafgarbe im Äser, und Alphons wie ein unnahbarer Ölgötze auf Geheiß des Gastherrn die Gläser nochmals mit dem süffigen Chambertin begnadete, entglitt sie unauffällig dem Zimmer, als wäre sie in den schaukelnden Rauch- und Nebelspiralen zergangen, wenn sie auch noch hörte, wie Riswyk mit vor Erregung zitternder Stimme erklärte: »Der Chambertin will gar nichts besagen. Aber was ich noch im Keller besitze ... etwas Rares ... nie Dagewesenes ...« um dann dem Maestro etwas ins Ohr zu flüstern.

Der erstarrte wie auf einem Gletscherfeld, taute aber wieder auf und sagte in tiefster Bewegung: »Das Herz Euerer Liebden ist einzigartig in den Kreisen Kleve und Geldern.«

» Merci,« lächelte Riswyk, gab Alphons ein Zeichen, den Keller aufzusuchen, mit dem Hinweis, er würde bald folgen, denn was er anzupräsentieren habe ...

Er legte Daumen und Mittelfinger spitz gegeneinander.

Sein scharfgeschnittenes Gesicht war wie das eines Gezeichneten. Seine Augen standen darin mit einem verhaltenen Feuer, in dessen Tiefen eigenartige Goldpünktchen glitzerten.

Bald darauf ...

Michel Virgilis schnalzte dreimal hintereinander.

»Kinder, ich sage euch nur ...« und geheimnisvoll kringelte er ein Wölkchen aus seiner delikaten Zigarre zur Decke.

Hemskerk winkte ihm zu.

»Ganz richtig. Ich bin bloß noch 'n abgetakelter Schlot von 'nem braven Rheinkaptän, der eigentlich, den heutigen Zeitläuften entsprechend, als Wirklicher Obergeheimkaptän mit drei Teerquasten am Nabel betituliert werden müßte, aber wenn ich dran denke ... an sie ... an das Weibsbild in Scheveningen, das so stramm seine Paradiesäpfel gegen den Wind setzt, da muß einer schon sagen: Borghees hat 'ne Geschichte, die ich als 'ne ganz aparte taxiere. Man kann drüber wirbelsinnig werden.«

»Ach was!« lachte sein Partner und hielt ihm sein Glas hin.


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