Joseph von Lauff
O du mein Niederrhein
Joseph von Lauff

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Erstes Kapitel

Wie schön ist die Erde! Alles grünt und blüht um mich, und drüben im Vorgehölz hinter der großen Weidenkoppel läßt der Vogel Bülow seine Wunderstimme vernehmen.

Ich bin schon längst in das ›biblische Alter‹ getreten. Das sechsundsiebenzigste Jahr winkt mir aus nicht allzu großer Ferne herüber, und ich freue mich, just um diese Zeit im Land, wo ich meine Jugend durchlebte, weilen zu können.

O du mein Niederrhein!

Ich stehe auf dem Leedeich, der sich von Kalkar über Till und Huisberden bis zum Emmericher Eiland hinzieht. Rings um mich her, in dem unermeßlichen Grasland, bestickte der Herr die Weiten mit Salbei, Vergißmeinnicht, Wiesenschaumkraut und Kuckucksblumen. Es ist wie ein Zauber, diesen bunten Teppich aus den tausend Nächten und der einen Nacht vor sich ausgespreitet zu sehen. Just auf der nämlichen Stelle habe ich oft als kleiner Junge mit meinen Kameraden gestanden, und wenn hoch über uns ein Storch langsamen Fluges vorübersegelte, riefen wir sehnsüchtig in den blauen Himmel hinein: »Euwer, Euwer, pillepoot, breng ons Moeder en Kindje!«

Alle Ortschaften, die um mich liegen, weiß ich mit Namen zu nennen. Ich kenne ihre Kirchtürme, ihre Garten und verträumten Katstellen, ihre stolzen Gehöfte und alle die Menschen, die diese stolzen Gehöfte und verträumten Katstellen bewohnen. Hier weint es, dort lacht es, hier wird eine sanfte Geige angestrichen, die anmutet, als zöge eine herzinnige Freude über die Gegend, und drüben ... eine Sterbeglocke schlägt an, um irgendeinem guten Bekannten das letzte Lied in die Grube zu singen.

O du mein Niederrhein!

Einer gesellt sich mir.

»Was – Kapitän Hemskerk?!«

»Tag, Jupp, bin ich noch immer.«

Wir schütteln uns die Hände und bleiben mehrere Tage zusammen.

Er hat vieles auf dem Herzen. Bei einer Tonpfeife und einem Glase Bordeaux beginnt er leise zu sprechen. Was er mir sagte, habe ich niedergeschrieben. Es war einmal... und dennoch ist es erst in den jüngst verflossenen Jahren geschehen.

So hört denn.

*

Ein Hahn krähte.

Es war ein prächtiger, opulenter, federflunkeriger, wenn auch etwas abgemergelter Cochinchinahahn, der mit heller und herausfordernder Stimme in einen sonnigen niederrheinischen Herbstmorgen hineinjubilierte. Das Prächtige und Federflunkerige verdankte er seiner äußeren Aufmachung, seinem inneren Gehalt, das Abgemergelte seinen zahlreichen Frauen und Nebenfrauen, die mit ihren Reizen nicht haushielten und allzeit in hellen Scharen um ihn herumkakelten. Von einem Torpfosten der Einfahrt aus, die in die Behausung des jungen Revierförsters Reiner Auwater führte, besang er seinen vielköpfigen Harem, die mit Herbstzeitlosen bestickten Wiesen und Triften, die stillen Altwasser, die weite Niederung ohne Anfang und Ende.

Die Welt stand in Gold. Der Klever Reichswald brannte aus weiter Ferne wie eine feuerfalbe Lohe herüber. Die Türme von Emmerich grüßten von jenseits des Rheines, und um die Ziegeldächer des benachbarten Huisberden schaukelten sich die überständigen Blätter der kanadischen Pappeln wie Feuerfliegen in laulichen Sommernächten.

Der opulente Hahn krähte zum andern.

Er war nicht allein. Außer seiner weiblichen Gefolgschaft bewunderte ihn ein rundliches, appetitliches Wesen, die noch immer anmutige Frau des Küsters und Kantors des nahegelegenen Kirchspiels, die just dabei war, der betagten Mutter Auwater im Försterhause eine Stippvisite zu machen.

Besagtes Forsthaus lag in einem Vortrupp von Gehölzen und Heiden, von immensen Salweidendistrikten umgeben, die sich bis an den Rhein und das Emmericher Eiland erstreckten.

Dem strebte die Küstersfrau zu. Der Hahn hielt sie auf. Mit runden Augen, die weißen Hände um ihr molliges Fürtuch gelegt, betrachtete sie den herzhaften Kräher, diesen Ritter mit den goldenen Sporen. Auch die herumschweifenden Hennen nahmen ihr ganzes Interesse in Anspruch. Nein, waren die glücklich zu preisen! und ihre Gedanken wanderten ab, bewegten sich in selige Gefilde und suchten die Zeit aus, während welcher sie als Zweitmädchen bei dem Knollen- und Rübenlakalier Baron Gisbert Kreuzwendedich von Riswyk auf Haus Borghees bei Emmerich in Stellung gewesen. Gott, diese Zeiten, dieses gefühlvolle Hindämmern zwischen süßem Nichtstun und den niedlichen Aufmerksamkeiten eines alleinstehenden Junggesellen! – Aufmerksamkeiten, die beinahe vor Traualtar und Standesamt geführt hatten, wäre da nicht so ein verflixter weitläuftiger Onkel mit braunrotem Pontakgesicht und Einglas dazwischengetreten, um in kraft seiner Amtsgewalt und herrischen Einwendungen die preziös eingefädelte Angelegenheit wieder auseinanderzuzwirnen. Leider, leider! Denn was hatte sie jetzt? Sie, die unter dem Namen die ›Semmelfüchsin‹ die Umwelt in Aufruhr versetzt und den Mannsleuten der gesamten Flurkarte die Köpfe verdreht hatte, womit konnte sie in der heutigen Stunde noch aufwarten? Lediglich mit dem Küster und Kantor von Huisberden, 'nem Sack voll lärmender Kinder und 'nem Anwesen, in dem die Dickwurze auch nicht mastiger gediehen als die in andermanns Gärten. Alles, nichts weiter! Gewißlich, ihr Gatte, Herr Severin Stappers, war als solcher, als gewissenhafter und kirchentreuer Beamter höchlichst zu preisen, sein Lebenswandel konnte vor Gott und den Menschen bestehen, sein Gehabe war das eines gerechten und aufrechten Mannes, aber bei Licht besehen: gegen den Knollen- und Rübenkavalier Gisbert Kreuzwendedich von Riswyk auf Haus Borghees bei Emmerich, gegen diesen jovialen und splendiden Schwerenöter mit Eichenlaub und Schwertern am Ringe konnte Severin Stappers nicht aufkommen, selbst dann nicht, wären ihm die Schätze von Golkonda und die des Maharadscha von Lahore zu eigen gewesen. Früher und jetzt! Immer wieder mußte sie an Gisbert Kreuzwendedich denken, immer wieder traten ihr die traulichen Begebenheiten der längst dahingegangenen Tage vor die erregte Seele, vornehmlich jetzt, wo der stolzliche Hahn so herausfordernd krähte und die Hennen ihn anblinzelten, als hätten sie in ihm das Ideal aller Ideale gefunden.

»Ach Gisbert ...!«

Frau Engelke Stappers wandte sich ab.

Sie wollte nichts mehr sehen und hören. Traurigkeit wandelte sie an. Sie beneidete Hahn und Hennen und alles, was berufen war, dem niedlichen Gott Amor ein Kränzlein zu flechten. Also fort damit! und energischen Fußes durchschritt sie die Torfahrt, um auf kiesbestreuten Wegen das kleine Haus zu gewinnen, woselbst der junge Revierförster Reiner Auwater mit seiner betagten Mutter ein einsames Dasein führte, in diesen unfrohen Zeitläuften der Heimsuchung der Schmach und der Schande gedachten, die darauf ausgingen, alles Hohe und Überkommene unter die Füße zu treten.

Frau Engelke Stappers ging durch leuchtende Herbstblumen. Alle Rabatten des Anwesens strotzten davon: Astern, Kapuzinerkressen und Zinnien ... und als gedächten die mastigen und buntscheckigen Dahlien der üppigen Frau eine solenne Ovation zu bereiten, hatten sie sich zu beiden Seiten des Pfades in Paradestellung aufgepflanzt, wie Gardefüsiliere im Gliede, straff und farbenprächtig, die schwefelköpfigen auf den äußersten Flügeln. Nein, dieses Paradieren und Blühen! – und dabei krähte der Cochinchinapascha seine prächtigste Note, ließen die herumschweifenden Hennen ihr zärtlichstes Gackern vernehmen, schaukelten die überständigen Blätter so glitzernd und reichhaltig von den Bäumen herunter, als gälte es, die pummelige, adrette und sehnsuchtshungrige Frau Engelke Stappers mit lauterem Gold zu umkleiden.

Alles und jedes atmete Liebe und Hingebung. Die sterbende Natur suchte noch einmal ihren köstlichsten Glanz zu entfalten, noch einmal unter heißen Küssen sich und die Welt zu umarmen. In Schönheit wollte sie hingehen, in reicher Anmut ihren letzten Seufzer dahingeben.

Just um diese Stunde war Mutter Auwater, eine weiße, zutunliche Frau mit einem frischen Paradiesapfelgesichtchen, eifrigst dabei, den Tisch zu spreiten und für das zweite Frühstück herzurichten. Sie erwartete Reiner, der auf einem Reviergang begriffen, bald zurückkehren mußte.

In das sonore Tacken der alten Standuhr, deren Perpendikel behaglich in dem weitbauchigen Kasten rumorte, mischte sich das subtile Klimpern von Tassen und Unterschälchen. Sie ordnete jegliches mit Umsicht. Leicht ging ihr alles vonstatten. Achtsam und freundlich verstand sie es, den schlichten Gedecken eine ansprechende Aufmachung zu geben, mit dem Reiz des Anheimelnden die blauweiß gewürfelte Spreite zu schmücken. Ein lustiger Strauß von Herbstblumen zierte die Mitte. Außer der Bunzlauer Kaffeekanne, die noch auf dem Küchenherd des Aufgusses harrte, mutete die sorgliche Herrichtung so feierlich an, als wäre sie aus einer preziösen Glasservante mit Spiegelscheiben genommen.

So, nun konnte ihr Reiner erscheinen, nun durfte sie mit ihrem Ältesten, der ihr überaus lieb und teuer war und ihren Lebensabend mit einer Goldfolie abgrenzte, ein kleines Plauderstündchen verleben ... und so saß sie denn, die Hände ineinandergeschlagen, still und verträumt, und harrte des Sohnes, als heimelig und zaghaft angeklopft wurde.

Mutter Auwater erhob sich.

»Kommt benne!«

Leise seufzte die Tür in den Angeln.

Mutter Auwater machte kreisrunde Augen.

»Herr Jeses! Meine liebe Frau Stappers, was verschafft mir die Ehre?«

»Je ja!« sagte diese, während ihr spitzes Züngelchen wie das einer seidenfadigen Miezekatze die roten Lippen umschleckerte, »man muß gute Nachbarschaft halten, denn ohne diese ist das heutige Leben kaum noch als Leben anzusprechen. Alles geht seinen konträrigen Weg, die Liebe zur Menschheit powert so allmählich aus, und wenn man in diesen hundsföttischen Zeiten, in welchen die besten Eingebungen wie Treibholz abstrudeln, die freundschaftlichen Beziehungen nicht hochhalten täte, man verkäme ja bei lebendigem Leibe, ohne noch einmal nach Atem schnappen zu dürfen.«

»Das ist weise gesprochen. Darunter kann ich mein allerheiligstes Amen nur setzen.«

»Meine ich auch, denn ohne dieses erfröre einem direkt das Vaterunser im Munde zusammen. Werktätige Liebe, die tut es. Ich mache gleich auf Emmerich zu, und da möchte ich fragen, ob ich nicht der Barmherzigkeit wegen eine Bestellung mitnehmen könnte. So wäre für Sie doch eine Reise erspart, und was mich anbetrifft: es ist gerne gegeben.«

»Zu gütig, meine liebe Frau Stappers. Ja, ich habe 'ne Bestellung zu machen. Mit Freuden nehme ich an. Aber alles mit 'ner gewissen Andacht. Vielleicht erst ein Schälchen mit Kaffee gefällig?«

»Warum nicht? So was ist immer bekömmlich, und wenn ich so hier die mollige Stube betrachte ...«

»Na, schön denn,« und während Mutter Auwater sich in der Küche beschäftigte, um die Bunzlauer Kaffeekanne zu richten, das brodelnde Wasser auf den Ansatz zu gießen, machte sich's die hübsche Semmelfüchsin bequem, nahm den kommodesten Sessel am Tisch ein und ließ ihre viven Augen von einem Mobiliar zum andern pilgern.

Nein, hatten die Auwaters 'ne genügliche Wohnung! Das blinkte und blenkerte man so, zumal die liebe Morgensonne auch das Unauffälligste in den frischesten Couleuren erscheinen ließ. Sie liebkoste alles und jedes, spiegelte sich in den blanken Läufen der Büchsen und Flinten wider, die sich schnurgerade ausgerichtet im Gewehrschrank befanden, umschmeichelte die Geweihe der kapitalen Brunfthirsche und flocht ein güldenes Kränzlein um das Bildnis des wackeren Hegemeisters Heinrich Auwater, den eine hinterlistige Spartakistenkugel allzufrüh in die ewigen Jagdgründe verwiesen hatte. Dicht nebenan dämmerte ein Rotkehlchen seine anspruchslose Waldstrophe in die Stube hinein, glitzerklar, duftig wie Thymian und Waldmeister, gleichsam aus bunten, nadelfeinen Glasfäden gesponnen, die sich verwirrten und wieder entwirrten, um letzten Endes wie eine stille und hoffnungslose Sehnsucht zu sterben.

Engelke Stappers wurde gerührt.

Die Tränen wollten ihr kommen.

Sie dachte an längst dahingegangene, verwunschene Tage... und in dieses Sinnen hinein...

»So, meine Liebe ...« und während Mutter Auwater die Bunzlauer Kanne zubrachte, einschenkte, Sahnenäpfchen und Zuckerdose anpräsentierte und sich schließlich neben die Semmelfüchsin placierte, meinte sie freundlich: »Bei Ihnen zu Hause ist wohl alles in bester Verfassung.«

»Ich danke der Nachfrage. Es geht ja so ziemlich, aber bei Licht besehen, ist doch viel Talmi dazwischen geraten.«

»Das wäre denn doch! Wie kommen Sie bloß auf Talmi? Sie und Ihre Angehörigen leben wie Turteltauben zusammen. Ehe und Haushalt sind mustergültig, und wenn man dem Kirchspiel Glauben schenken darf, haben Sie die große Nummer gezogen.«

»Ja, das sagen Sie so, meine liebe Frau Auwater, aber alles in allem genommen kann ich diesem nicht meine volle Estimierung erweisen. Gewißlich: mein kleines Pröhlzeug ist außer Wettbewerb, kann seine Lex wie am Schnürchen, ist auch gut in der Christenlehre. Die Säuglinge natürlich machen noch Umstände, aber das tut nichts. Auch über Severin kann ich nicht klagen. Er stellt seinen Mann und hat seine großen Verdienste, denn wenn er sich mit dem Herrn Pastor auf den Versehgängen befindet, die Messinglaterne vorträgt, um Jesu Christi willen mit dem silbernen Schellchen daherbimmelt, dann wird es den Sterbenden leicht, die ewige Ruhe zu finden, sich gewissermaßen auf die weißen Strümpfe ins Himmelreich zu begeben. Indessen, da sind noch andere Dinge, die einem das Dasein weniger erfreulich gestalten, Dinge ...« und ihre Stimme wurde zu einem wehen und heimlichen Flüstern: »Zärtliche Dinge, die kaum das Licht des Tages vertragen und sich glücklich fühlen, wenn sie das Düster einer Speck- und Räucherkammer um sich wissen, denn nur so können sie alter Zeiten gedenken, ihre Freude und ihr zugemessenes Leid beziehen.«

Sie sah bedrückt vor sich hin, nahm ihr Kaffeelöffelchen und begann fahrig in der duftigen Brühe zu rühren.

Mutter Auwater legte ihr begütigend die Hand auf die Linke.

»Darf man nicht wissen, meine liebe Frau Stappers...?«

»Man darf, man darf!« flötete die Semmelfüchsin, machte verliebte Nasenlöcher und legte das Kaffeelöffelchen behutsam auf seiten. »Um es mit einem Worte zu sagen: Ich kann nicht vergessen. Es ist wie 'ne alte und ganz absonderliche Wundergeschichte, und die hakt mit dem Blut des heiligen Januarius mächtig zusammen. Selbiges nun, wie 'ne schöne Legende verkündet, befindet sich für gewöhnliche Zeitläufte in 'nem eingetrockneten Zustand. Wenn man aber das Fläschchen mit unschuldsvollen Händen berührt, dazu dreimal hintereinander das Vaterunser von rückwärts herbetet, beginnt es zu fließen und aufzukochen, als säße ein überirdisches Feuer dahinter.«

»Nicht möglich!«

»Aber es ist so. Davon läßt sich kein Tiftelchen abdividieren, denn ich hab's mit eigenen Augen in 'nem ehrwürdigen Geschichtenbuche gelesen... und wie das mit dem getrockneten Blut des heiligen Januarius bestellt ist, so ist das just so mit meinem eigenen Herzen bestellt, denn wenn ich es mit irgendeiner angenehmen Erinnerung betippe, beginnt es aufzukochen und heimlich ins Fließen zu kommen.«

»Ach, Sie...!«

»Meine liebe Frau Auwater, ich kann es nicht ändern, und wenn Sie verstatten, ich bin gerne erbötig...«

»Ich bitte darum.«

Frau Engelke Stappers legte bewegt ihre runden Hände um die Fülle ihrer schnacken Weste, ließ die Augendeckel herunter und sagte: »Das ist nu wohl so vor zehn Jahren gewesen. Da befand ich mich auf dem Hause Borghees bei Emmerich in 'ner gehobenen Stellung. Dort war alles vom obersten Ende. Ich konnte nicht klagen. Meine Tage schaukelten sich dahin wie Schmetterlinge über Butterblumen und Maisütchen, kurz, ich brauchte nur mit dem linken Auge zu plinkern, gleich war der junge Baron Gisbert Kreuzwendedich von Riswyk dabei, mir den geheimsten Wunsch zu verstatten, mir die schönsten Erfüllungen für die Zukunft in Aussicht zu stellen. Aber da eines Tages...«

Ihre Stimme zerbrach. Eine einsame Träne begann leise zu fließen. Kaffeeschälchen, Zuckerdose, das delikate Weißbrot und die spendierte westfälische Mettwurst, alle diese einladenden Genüsse hatten der erregten Frau nichts mehr zu sagen.

Sie weinte.

Mutter Auwater sprach ihr begütigend zu. Allein nichts wollte verfangen, bis sie schließlich in die Worte ausbrach: »Aber wie kommen Sie jetzt auf diese alte Geschichte? In diesem Momang, wo Sie doch Ihren Severin und Ihre schuldlosen unmündigen Kinder besitzen?«

»Ach, Gott – ja...!« und die Semmelfüchsin wisperte benaut vor sich hin: »Das eingetrocknete Blut des heiligen Januarius... es wurde berührt, denn ich hörte doch Ihren prächtigen Cochinchinahahn krähen.«

»Christus! was hat denn mein Hahn mit dem heiligen Januarius und Ihrem Herzen zu schaffen?«

»Meine liebe Frau Auwater, das ist es ja eben. Ich muß dabei immer an Gisbert Kreuzwendedich denken, denn er war auch so einer mit 'nem vollen Aweck und 'ner ausbündigen Lebhaftigkeit, immer kavaliermäßig, immer mit 'ner großen und aufmerksamen Liebe behaftet – bald mit 'nem Spitzenhäubchen als Sonntagspräsent, bald mit 'nem wohlwollenden Zutun und 'nem Champagnergläschen mit Pritzelwasser. Aber alles in Reinheit, alles in aloisianischer Schuldlosigkeit. Dann und wann kam zwar so 'ne kleine Amorettengeschichte dazwischen. Aber das tat nichts, denn ich konnte mich rühmen, in meinen Verhältnissen allzeit den Finger Gottes zu sehen, nicht um Haaresbreite auf die verkehrte Seite zu schielen. Das lohnte sich mächtig, denn vor meiner Eingebung war ich bereits so halber 'ne gnädige Frau Baronin geworden, zumal Gisbert schon die schwergoldenen Ringe in Bestellung gegeben hatte, eifrigst dabei, die nötigen Papiere zu's Aufgebot in Ordnung bringen zu lassen.«

Mutter Auwater schlug die Hände zusammen.

»Mein Gott, diese Aussichten!«

»Und was für welche!« hieb die Semmelfüchsin blitzsauber nach. »Aussichten mit 'nem veritablen Grund und Boden unter den Füßen, bis letzten und furchtbaren Endes der Erb- und Monokelonkel erschien und wie 'n aufgeblasener Bronzeputer daherkollerte: Gisbert, entweder die Mamsell und die Liebe, oder Haus Borghees mit allen Zutaten und meine sonstigen Besitztitel werden anderweitig vergeben. Eins von beiden, denn das Ganze paßt nicht zusammen. Ach, du mein Göttchen! wollen Sie's glauben, meine liebe Frau Auwater: ich habe Gisbert Kreuzwendedich aufgeben müssen, nur aus dem Grunde heraus, ihn nicht außer Erbfall zu stellen. Ich tat es um Jesu Christi willen und der ewigen Barmherzigkeit wegen.«

Ihre Stimme versackte in einem wehen Stammeln und Dahindämmern.

»Aber Sie taten's, um den braven Herrn Stappers zu nehmen.«

»Gewißlich, meine liebe Frau Auwater. Auf Borghees war meines Bleibens nicht länger. Die Verhältnisse spitzten sich zu, ich mußte mich sonstwo umsehen, um noch den nötigen Anschluß zu finden, und so bin ich denn auf Severin Stappers verfallen, bereu' es auch bis zur jetzigen Stunde nicht, denn wie schon oben bemerkt: er ist nicht von heute und gestern, riecht allzeit lecker nach Mannsleut', hält sich toujours proper im Zeug, und wenn er sich bei's Kerzenziehen befindet, kommt einem immer so 'n angenehmes Odol unter die Nase, aber Hand aufs Herz,« und ihre Rechte legte sich breit auf die Chiffonbluse, »dessentwegen brauche ich meine verjährte Liebe nicht in den Schornstein zu schreiben, denn ich bin bis zur jetzigen Stunde völlig kumpabel, als ehemalige baronliche Braut aller Welt offenkundig in die Augen zu sehen. Indessen, wenn mich eins bedrückt, so ist es der Umstand, daß Gisbert noch immer einhäusig ist, schwer daran trägt, sich ohne zweckdienliche Lebensgefährtin einrichten zu müssen. Da werden ihm die Tage zu lang und die Nächte zu Nächten, die in ihren riemigen Hirtzensprüngen kein Ende finden können.«

Mutter Auwater nickte ihr zu: »Kann es mir denken... und wie geht es ihm sonst, ich meine...?«

»Wie ich höre, ausnehmend gut. Er befindet sich in adretter und schuldenfreier Verfassung, denn nach dem Ableben des Onkels mit dem fatalen ›Entweder oder‹ ist dessen ganzer Besitzstand, mit Einschluß von Borghees und Liegenschaften, als erb- und eigentümlich an Gisbert übergegangen. Ich aber... wenn ich mich jetzt in den erhofften Umständen befände, könnte ich auf stund's im Auto oder mit sonstigen Kommoditäten ins Hochamt fahren, auch mich anderweitig honorig erweisen. Das ist es.«

Ihre Partnerin winkte ab: »Lassen wir das, meine liebe Frau Stappers. Seien wir zufrieden mit dem, was wir haben, und seien Sie überzeugt: ich bin keine von denen, die den ersten besten Stein von der Landstraße heben, um ihn auf Ihre junge Liebe zu werfen. Das steht mir nicht an, dafür habe ich zuviel Estimierung Ihrer Person gegenüber, aber besser ist besser ... und Sie als nunmehrige Gattin und Mutter sollten ein Ende finden, dem Verlorenen nicht nachtrauern, eifrigst bemüht sein, den letzten Rest davon aus Ihrem Herzen zu reißen, denn ein solches Erinnern und eine solche aussichtslose Liebe haben bloß Leid im Gefolge.«

Die Semmelfüchsin flocht die Hände zusammen.

»Allerdings richtig,« sagte sie mit weher Betonung. »Leid in Masse, aber ein auserwähltes und heiliges Leid, das große Leid wie am Kalvarienberg, denn ein solches Leid findet Einlaß im Himmel, man kann wohl behaupten: wird besonders von der heiligen Jungfrau Maria in Schutz und Achtung genommen, wie überhaupt jegliche Liebe schmerzhafte Zutaten aufweist und gut daran tut, sich mehr oder weniger auf traurige Zeiten vorzubereiten.«

Mutter Auwater fuhr erregt in die Höhe.

»Das ist aber eine kühne Auslegung.«

»Leider, so ist das. Ich habe sie auch bloß im Namen Gottes und im Namen meiner eigenen Seelenruhe verkündigt, weil sich daraus für meine Person bedeutsame Milderungsgründe ergeben, wenn ich auch nicht abstreiten will, daß manche Liebe weniger Leid besitzt, sogar triumphierend einhergeht, wie zum Beispiel ...«

»Nein, meine gute Frau Stappers, ich kann nicht mehr folgen. Ihre Ausführungen sind bitter wie Wermut. Ich danke meinem Herrgott im hohen Himmel da droben, daß wir im hiesigen Forsthaus von der Liebe bis zur jetzigen Stunde noch kein Tiftelchen verspüren, und wenn sie erscheint, dann darf sie nur im Namen Gottes, durch mein mütterliches Zutun und meinen mütterlichen Segen erscheinen.«

Die Semmelfüchsin erhob sich. Um ihre rosigen Lippen kringelte es sich mit dem feinen Kringeln eines Eidechsenschwänzleins.

»Aber ich sage Ihnen: sie steht vor der Türe. Bloß abwarten. Sie werden noch Ihr blaues Wunder erleben.«

»Und ich für meine Person bestätige nochmals: mein Reiner freit nicht und heiratet nicht, bevor nicht mein zweiter, der Klemens, die priesterlichen Weihen hinter sich hat, sich als seligmachender Kaplan in Amt und Würden befindet.«

Die junge Frau legte ihr lächelnd die Hand auf die Schulter.

»Warten wir ab. Der göttliche Amor läßt sich nicht abweisen. Der stört sich nicht an priesterliche Weihen und Würden. Der hat mit Ihrem Klemens gar nichts zu schaffen, überhaupt keine Gemeinschaft, läßt sich von ihm überhaupt nicht imponieren. Der greift sich einfach den andern und schießt mitten ins Schwarze.«

»Und das ohne mein Zutun?«

»Ja, ohne Ihr Zutun!«

»Frau Stappers,« und in den grauen Augen der Alten begann es mit erregten Fünkchen zu spielen, »was Sie auch aufstellen – gegen mein Wissen und Wollen wird sich Reiner niemals verloben, niemals, so wahr ich hier stehe.«

Die Semmelfüchsin blieb die verkörperte Ruhe.

»Dann lassen Sie sich sagen, meine liebe Frau Auwater, er hat's schon.«

»Wa ...was ...?!«

»Vollständig fertig, und das in Ehren und mit heiliger Inbrunst.«

»Christus, wer ist's denn?«

»Um es mit einem Wörtchen zu sagen: dem Kaptän Pitt Hemskerk die seine.«

»Was – Jakobine ...?!«

»Ja, Jakobine, die schöne Jakobine, Jakobine Hemskerk aus Grieth, nach der sich alle die Finger belecken.«

»Himmel, seit wann denn?«

»Seit gestern. Grieth und Huisberden liegen dicht zusammen.«

»Also wirklich versprochen, ohne mir davon auch nur ein einziges Sterbenswörtchen zu sagen!«

»Er wird seine Gründe wohl haben.«

»Mein Gott und mein Heiland!«

Mutter Auwater verfärbte sich, sank auf ihren Sessel zurück und sah verworren ins Leere. Durch ihr wehes Gesichtsfeld zogen graue und verwaschene Fäden. In diesem grauen und verwaschenen Gespinst verlor sich alles und jedes, was sie jemals an Vertrauen und Zuversicht, an Freude und Hoffnung in ihrem Herzen getragen hatte. Wie harte Kiesel fiel es ihr von den Lippen herunter: »Und so was muß ich an meinem Sohne Reiner erleben?! O du grundgütiger Himmel, o du Mutter der Schmerzen und der Barmherzigkeiten!«

Die Semmelfüchsin fiel ihr energisch ins Wort: »Was, Sie wollen noch hier lamentieren, wo ich annehmen mußte, Sie hätten sich in dreifachen Seligkeiten befunden? Sie wollen hier die Miesmacherin spielen, wo die Erkorene aufwarten kann, Schwung und Freiheit ins Haus bringt, alle Spiegel ihr zurufen: Du bist die Schönste im Land und heilig berufen, 'nem Prinzen die Federposen anzuwärmen, ohne darüber erröten zu müssen? Sie sollten sich schämen, so den göttlichen Amor von ihrer Haustür zu weisen. Nein, so was ist auf Erden noch nicht jung geworden, seitdem ich vom lieben Herrgott meinen Atem beziehe.«

»Alles schon richtig. Nur – ich kann es nicht fassen, meine liebe Frau Stappers.«

»Das müssen Sie aber, wo Sie mit Reiner 'ne leuchtende Brautschaft betreten. Ich kenn' mich in Grieth und Nachbarschaft aus, denn wenn ich mir den Kapitän Hemskerk mit seinen majestätischen Rheinkähnen besehe, wenn ich mir seine Weidenkoppeln betrachte, die an vierhundert Morgen ergeben, dann kann ich nur sagen: Sie und Ihr Reiner haben in dreiundfünfzig nebeneinanderstehende Fettnäpfchen gegriffen, beziehen neben diesem grandiosen Profit noch 'ne extraordinäre Schönheit auf Lager, und wenn Sie darüber nachdenken, werden Sie sagen: Frau Stappers hat ehrlich gesprochen. So – nu muß ich wohl gehen und hab' nur noch wegen des Auftrages zu fragen ...«

»Ach ja!« kam es schluchzend zurück. »Wenn Sie so gütig sein wollen, möchte ich um 'ne Flasche ›Ruhrperlen‹ bitten. Reiner kann sie auf seinen Reviergängen gebrauchen.«

»Wird in Bestellung genommen. Bei Michel Virgilis Tappert am Krantor sind die besten zu haben. Adjüs denn!«

»Adjüs denn!«

Mutter Auwater sah ihr mit toten Augen nach. Aber diese Augen wandelten sich. In ihnen stand plötzlich eine glänzende Helle. Ergeben legte sie die arbeitsfrohen Hände zusammen und hörte auf das märchensüße Singen des Rotkehlchens, dessen gesponnene Weisen immer zärtlicher und zutunlicher wurden.


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