Joseph von Lauff
O du mein Niederrhein
Joseph von Lauff

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel

Die hochkelchigen Burgundergläser standen auf Reihe.

Der Herr des Hauses gab sich in seinem Samtjackett wie ein spendender Hoherpriester, dem es oblag, der trauten Versammlung das allbelebende Chrisam zu übermitteln.

Er tat es mit Umsicht, mit glücklichen Seufzern, den sinngemäßen Einflechtungen über die außer Wettbewerb stehende Spezialität seines Anwesens.

Düweke brachte die ersten, mit Spinneweben und Franzosenmoos umkrusteten Bouteillen und stellte sie ihrem Herrn und Meister handgerecht hin.

» Merci, mein Liebling. Es sind doch die von der hintersten Etage im Keller?«

»Ganz richtig, Mynheer.«

»Dann danke ich vielmals und bitte darum, jede Störung von uns abzuhalten. Wir sind für keinen zu sprechen. Selbst für den Herrn Pastor von Sankt Aldegondis nicht, falls es ihm beikommen sollte, das Honoratiorenzimmer und mich beehren zu wollen.«

Er machte eine unnachahmliche Geste.

»Goldkorn, tritt ab. Wenn angefordert – wird die Klingel ertönen. Hoheit und Feier muß sein, wenn Friedlands Sterne strahlen.«

»Herr Jeses!« schmunzelte Hemskerk, »du bist ja der reinste Komödienspieler.«

»Tragöde wolltest du sagen – Tragöde! denn in dieser hehren, fast sakrosankten Stunde wüßte ich keine bessere Bezeichnung für mich und die hohen Gefühle, die mich beseligen, aufzubringen. Goldkorn, tritt ab!«

Das tat denn auch Düweke, und Michel Virgilis sprach weiter: »Selbstverständlich – unter 'nem Tragöden verstehe ich einen, der sich nicht miesepeterig gibt, sondern einen, der den Wert des Augenblickes erfaßt, dem es obliegt, alles das an den Mann zu bringen, was der Glanz seines Hauses gebietet und die hochwohllöbliche Tafelrunde beanspruchen kann, sich im Schatten des Titanen behaglich zu fühlen... und der Titane bin ich.«

»Euerer Liebden verstehen es, den richtigen Drehpunkt zu finden, kurz den i-Punkt auf den i-Strich zu setzen. Jedenfalls trefflich geredet.«

» Merci für den getätigten Zuspruch. Aber Euerer Hoch- und Wohlgeboren werden in dieser Beziehung noch ganz andere Dinge erleben, denn wenn Michel Virgilis Tappert das Wort führt, ist es wie der Marschschritt von altpreußischen Grenadieren bei Schellenbaum, Bombardon und sonstigen Ingredienzen.«

Er musterte die Anwesenden, die ihm mit fröhlichen Augen begegneten: »Hemskerk, Mamsell, Herr Baron von und zu Borghees, meinen Gruß zuvor. Dazu meinen herzlichsten Willekumm bis auf den öbersten Söller. Die Zeiten sind elend; die mageren Zehrpfennige, die wir nach diesem unseligen Krieg noch aufbringen konnten, werden so peu à peu bis auf den schäbigsten Unterhosenknopf in Anspruch genommen. Es hält schwer, sich mit einer derartigen Finanzregulierung ins Einvernehmen zu setzen. Apage satana! Die trockene Enteignung rückt immer näher, gibt sich wie die ägyptischen Plagen oder, sagen wir besser: wie die apokalyptischen Kavalleristen. Bevor sie uns nun die letzten Reserven abhalftern – und Gott sei Dank, ich habe noch welche – wollen wir uns wenigstens Mühe geben, den poweren Rest in die zuständigen Abflußröhren zu leiten.«

Seine Hand fiel auf den Tisch.

»Wie die Gäste, so die Behandlung, wie ihre Herzen, so die Getränke,« und er umschmeichelte mit seinen eingeknallten Rehpostenäugelchen die Burgunder Bouteillen, als wären es die auf der Hochzeit von Kana spendierten Flaschen unseres Herrn und Seligmachers gewesen.

Dann schenkte er ein.

Gleich böhmischen Granaten begannen die Kelche zu leuchten.

»Gott's den Donner noch mal!« rief Hemskerk in dieses Feuerspielen hinein. »Weiß der Kuckuck, Michel, du läßt dich nicht lumpen!«

»I, wo werde ich denn?!« hielt ihm Mynheer flammend entgegen. »Romanée – St.-Vivant! Das Äußerste vom Alleräußersten! denn wenn Pitt Hemskerk mit so einer blanken Fregatte vor Anker geht... na, ich sage bloß, was ich eben schon sagte: Wie die Gäste, so die Behandlung, wie ihre Herzen, so die Getränke ... und somit...«

Feierlich hob sich sein Kelchglas.

»Der Schenke am Krantor ist Heil widerfahren. Stoßen wir an, auf daß es uns wohlergehe und wir noch lange leben auf Erden,« und wie ein feines Läuten, weit fort, jenseits von einer blühenden und verträumten Heide, die weder Anfang noch Ende hatte, so mit weltfremden Stimmen ließen sich die Kristalle vernehmen, erdenfern, mit hingebender Verzückung.

Es mutete an, als zöge der ›Engel des Herrn‹ auf weichen Socken vorüber.

»Na nu!« sagte der Sprecher. Er wandte sich plötzlich, sah jeden einzeln an: »Was los denn? Das klingt ja so komisch!«

»Das macht der Burgunder,« entgegnete Hemskerk, »denn bei so 'nem vornehmen Herrn verhalten die Gläser den Atem und erlauben sich nur, ganz dusemang gegeneinander zu klingen.«

»Schon möglich!« lachte Michel Virgilis. »So 'n Weinchen hat's in sich. Erst wie 'n zimperliches Frauenzimmer, das sich, mit den ›Perlen christkatholischer Andacht‹ zwischen den Fingern, auf den Kirchgang begibt, den lieben Herrgott vom Marterholz herunterbetet, um dann zu 'ner drallen Mamsell zu werden... so ums Abendschummern herum... in den Kirmestenten... bei der Ziehharmonika... heidi und mit fliegenden Beiderwandröcken. Dann aber klingeln alle Schellen, werden alle Herzen so puppenmunter wie das des Leutnants Violla von den Windischgrätzer Dragonern, als er sich von der schwarzen Kathi aus der Hintergassen, beiläufig gesagt, sein Verhältnis, abwandte, um sich in die Gunst Ihrer k. k. Hoheit der Erzherzogin Maria Joseffa Immaculata einzuschmeicheln. Kinder, ist das eine Geschichte! Funkelnagelneu und mit vergoldeten Manschetten. Achtung!« und mit eingekniffenen Mundecken streute der Pfiffikus und Freudenspendierer von Schenkwirt die amüsante Anekdote des Leutnants Violla, der schwarzen Kathi aus der Hintergassen und Ihrer k. k. Hoheit der Erzherzogin Maria Joseffa Immaculata so kunstgerecht und brockenweise über die Tafel, daß selbst das Goldkorn sein Mauseöhrchen an die Türfüllung legte, um besser dieser launigen Erzählung folgen zu können. Sie war ihm nichts Neues, hatte sie öfters gehört, spekulierte aber immer frische Gesichtspunkte und unvorhergesehene Pointen heraus und kicherte dazu wie ein Lachtäubchen um die erste jungfräuliche Maienblüte.

Riswyk geruhte zu schmunzeln, war nicht ganz bei der Sache, blinzelte vielmehr in die ruhigen Kerzenflämmchen und gefiel sich darin, allerlei krause Gedankenfädchen durcheinander zu spinnen, während der Kapitän ganz Ohr schien, sich's in seinem Sessel bequem machte und bei jeder überraschenden Wendung ein Murksen von sich gab, das an das Murksen eines aufgebaumten Eichkaters erinnerte.

Die Geschichte ging weiter, nur unterbrochen von dem Turteln Düwekes hinter der Türe, dem genüglichen Beifall des Alten, der nicht müde wurde, immer neue Mannakörner von dem ewiglustigen Munde dieses stets die Butterseite des Lebens erfassenden Rhapsoden zu picken und jedes aufgenommene Korn freundwilligst zu quittieren.

»Grandios! über alles Erwarten!«

»Noch lange nicht aus.«

»Aber ich bitte dich, mache bald Schluß. Es ist ja, um auf die Akazienbäume zu klettern.«

Aber Michel Virgilis erzählte: »Und da eines Tages. Ein prachtvoller Morgen ging über das Manöverfeld. Im blanken Frühlicht: die Windischgrätzer Dragoner in Wichs... Parade... Standarte hoch... alles in heißer Stimmung... aufgesessen wie die schnittigsten Zuckerpuppen. 'ne ärarisch-militärische Angelegenheit, denn die Chefeuse besagter Windischgrätzer Dragoner, Ihre k. k. Hoheit die Erzherzogin Maria Joseffa Immaculata, wurden erwartet... wurden gesichtet... Galopp und Rapport: ›Euerer k. k. Hoheit Windischgrätzer Dragoner zur Stelle.‹ ›I bitt' schön, Herr Oberst,‹ und die samtbraunen Augen der hohen Dame überliefen die Glieder, erfreuten sich der jungen Kerle, der frohen Monturen. Bei den Leutnants blieben sie haften. Maria Joseffa Immaculata kannte sich aus: Hofburg... Kristallüster... einschmeichelnde, prickelnde Klänge... ungarische Geigen... die ›Rosen aus dem Süden‹ und so. Ihr zierliches Füßchen begann im Silberbügel zu wippen. Dann ein unwilliges Aufbegehren um die rosigen Mundecken: ›Aber i bitt' schön, Herr Oberst ... ich sehe ihn nicht ... ich sehe den Leutnant Violla nicht ... der Leutnant Violla ist überhaupt nicht zur Stelle.‹ Euerer k. k. Hoheit alleruntertänigst zu melden ... zu melden ... zu melden ...« ›I bitt' schön, Herr Oberst, warum diese Eile? Nur die Ruhe, die macht es.‹ ›Euerer k. k. Hoheit alleruntertänigst zu melden: der Leutnant Violla sein...‹ ›Woas...?‹« und die Stimme Mynheers wurde zu einem bedeutsamen Flüstern, zu einem Ferkelgequieks, das ansteckte wie Röteln und Masern und den braven, ausgepichten Kapitän in die übermütigste Laune versetzte.

»... Woas ...?!

»Ihre k. k. Hoheit die Erzherzogin Maria Joseffa Immaculata hatten Blut vor den Augen. Sie sah ihre Windischgrätzer Dragoner nicht mehr, nicht den Obersten mehr. Nur der abwesende Leutnant Violla stand ihr visionär in greifbarer Nähe. ›Nun muß i aber dringlichst ersuchen. Wie ist das mit dem Leutnant Violla?‹ ›Euerer k. k. Hoheit alleruntertänigst zu melden ...‹« und abermals versandete die amüsante Geschichte in einem Gemurmel, das wie ein kaum wahrnehmbares Bächlein dahinplätscherte.

Riswyk saß mit gerunzelten Brauen. Ab und zu sprach er dem roten Burgunder zu, der ihn mit heißen Küssen durchrieselte. Seine in sich gekehrten Blicke wanderten ab, suchten irgend etwas, ohne es finden zu können. Auf seinem schmalen Gesicht lag es mit dem Unerforschlichen eines Götzenbildes. Jedes gesprochene Wort berührte ihn mit Spitzen von glühenden Nadeln. Am liebsten hätte er Ruhe geboten, um dieser gepfefferten Pikanterie ein seliges Ziel und Ende zu setzen, denn etwas bewegte ihn, dem er sich nicht mehr zu entziehen vermochte. Sonst kein Spielverderber, fühlte er jetzt das Stilwidrige in der ärarisch-militärischen Harlekinade.

Aber Michel Virgilis ließ sich nicht stören. Nur ab und zu ein verhaltenes Grunzeln. Dann lief die endlose Anekdote weiter mit der regelmäßigen und totensicheren Arbeitsleistung einer tibetanischen Gebetsmühle.

»Wollen Euer Liebden nicht endlich geruhen, 'nen Knoten in den langwierigen Faden zu schlagen?«

»Nee,« kam es übermütig zurück. »Ich kann 'nen angekratzten Hasen nicht so ohne weiteres abtun. Wenigstens nicht im Handumdrehen. Dazu muß ich ihn erst bei den Hinterläufen haben. Einen Momang noch. Die Sache wird fein. Meine Spezialität, Herr Baron,« und die tibetanische Gebetsmühle haspelte weiter.

Jakobine verstand keine Sterbenssilbe davon. Sie hatte nicht einmal zugehört, geschweige denn ein Tiftelchen der reichlich ausgestreuten Paprikakörner in sich aufgenommen. Kein Stäubchen haftete ihr an. Sie ging durch Reinheit und verharrte in Reinheit. Nur erschien ihr alles so seltsam, so mit golddurchsponnenen Garnen verhangen. Ihr Vater hatte ihr ein Wunder versprochen, irgendein Zeichen, ein großes Mirakel. Sie wartete darauf wie eine Blinde darauf wartet, zu genesen und des Wunders eines weithin leuchtenden Mohnfeldes teilhaftig zu werden. Ihre weißen Hände verschränkten sich. Sie fühlte sich einer wildfremden Welt gegenüber. Eine jähe Erregung durchfieberte sie. Ihre Augenlider senkten sich tiefer. Durch sie hindurch geisterte eine flüchtige Helle, fast übernatürlich, brennend und schmal wie ein grünlicher Seidenfaden. In dieser schmalen Helle verdoppelten sich die Kerzenflammchen, die sich fast regungslos auf ihren Leuchtern erhoben. Ein goldiger Dunstkreis umschleierte sie.

Jakobine kam von diesem Dunstkreis nicht los. In seinem Flimmern und Glänzen bildete sich etwas Gegenständliches aus. Das verheißene Wunder war im Werden begriffen. Ihre Lider schlossen sich völlig. Die flüchtige Helle des grünlichen Seidenfadens löste sich auf.

»Reiner ...!« sagte sie mit heimlichen Schauern.

Das flammende Mohnfeld erschien, dieses heilige Mirakel in Herzform ... Mein Gott! Sie hätte aufschreien mögen. Das war sein Herz, Reiners Herz, das Herz des Geliebten. Sie nahm es, drückte es an ihr warmes eigenes Herz, um es nicht mehr zu lassen ... und ein Licht leuchtete ihr zu, ein heiliges, unermeßliches Licht von einem Berge herunter, der mit seinem Gipfel die ewigen Sterne berührte.

Die Kerzen tränten, zergingen.

Düweke Brinkmann sprach vor, um neue auf die Leuchter zu schieben, und wieder begann, nachdem sich das Goldkorn entfernt hatte, das trauliche Glänzen und Scheinen, das anheimelnde Tropfen und Sickern, das beseligte Aneinanderschmiegen von zwei getrennten Herzen ... als plötzlich Michel Virgilis laut wurde und den Schluß seiner Geschichte brachte: » ›I bitt' schön, Herr Oberst, aber ich muß nun endlich Ihren Regimentsrapport ... Warum ist der Leutnant Violla überhaupt nicht zur Stelle?‹ Da endlich: ›Euerer k. k. Hoheit alleruntertänigst zu melden: der Leutnant Violla sein tott. Mausetott für Euere k. k. Hoheit Windischgrätzer Dragoner, denn er und die schwarze Kathi sein fahnenflüchtig geworden.‹

›Woas ...?!‹ und Ihrer k. k. Hoheit der Erzherzogin Maria Joseffa Immaculata wurde es schwarz vor den Augen ... und diese Augen waren wie die samtbraunen Flügel eines Nachtfalters mit eingesprenkelten Glimmerpünktchen. – Aus!«

»Höhö!« lachte Hemskerk. Jede Runzel in seinem braunroten Pontakgesicht zeigte eine fröhliche Note. »Das ist ja wie in 'nem Affentheater. Da kann einer lange herumsuchen, um so 'ne k. k. Hoheit mit ihrem Leutnant Violla auf die Beine zu stellen.«

»Meine Spezialität, um es alleruntertänigst zu sagen.«

»Prachtvoll, ganz prachtvoll!« und nochmals das helle Gewieher: »Mensch, hast du noch solch' ähnliche Brumshagen von Lausogeschichten auf Lager?«

»Hemskerk zu dienen. Zehne statt einer. Zum Beispiel die von Phöns, Hendrintje und Doortje.« Michel Virgilis streckte die Deine.

»Du mußt nämlich wissen: ich hab' so kleine Jagdgelegenheit bei Huisberden herum. Fünf- bis sechshundert Morgen, prima Boden für Kappes- und Rübenkulturen. Wildbestand gut. Hasen über jedes Bemessen, bis die Hundsfötter von Belgier einmarodierten, um mir die Krummen schwadrons- und kompagnieweise in unverantwortlicher Aasjägerei abzuknallen. Na, wie die Belgier so sind. Kerle, um jedem einzelnen tagtäglich 'nen Tritt in den Hinteren zu geben. Aber was half das?! Meine Hasen waren fort und heidi. Nur drei blieben übrig – und das auf meinen fünf- bis sechshundert Morgen! Eben die besagten drei Krummen: Phöns, Hendrintje und Doortje. Auf Hendrintje war hinsichtlich eines erfreulichen Nachwuchses kaum noch zu rechnen. Als abgewirtschaftete Tante kam sie nicht mehr in Anschlag, während Phöns und Doortje sich in erfreulicher Liebe befanden. Ja, ich kann wohl behaupten: Pour le moment Doortje était sacrée, elle était mère, um es schicklicherweise auf französisch zu sagen. Kurz, Hoffnung war da, auch Aussicht auf reiche Vermehrung, denn Doortje und Phöns waren in dieser Hinsicht voll heiliger Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit... bis da eines frühen Morgens...«

Mynheer kam nicht weiter... »Wollen Euer Liebden nicht endlich geruhen, ein anderes Thema anzuschlagen, den Leutnant Violla nebst Phöns und Doortje in die Versenkung fallen zu lassen?«

»Na nu!«

Mynheer wandte sich jählings.

»Eine Frage zuvor und Euerer Hoch- und Wohlgeboren zur Antwort: Habe ich das als Ernst oder Spaß zu taxieren?«

»Michel Virgilis, als Ernst.«

»Was...?! Wo ich hier bei meinen Burgunderbouteillen und exquisiten Geschichten...«

»Gott's den Donner noch mal! Was denn los, Herr Baron?« legte sich auch Hemskerk ins Mittel.

Die klaren Augen brannten lichterloh in seinem Quäkerkopf, begehrten auf und waren scharf auf Riswyk gerichtet. »Wir wollen doch hier den genüglichen Abend nicht stören; sonst wäre das gerade, um 'ner pläsierlichen Miezekatze den Schwanz in 'nem Türspalt festzuklemmen. Bloß keinen Spermang, Herr Baron.«

Riswyk stand wie angepfählt.

Dann winkte er ab.

Der Mann imponierte. Der joviale Rüben- und Knollenbaron fiel ihm wie Bettlergelumpe vom Leibe herunter. Der Kavalier nicht. Der blieb ihm vom Scheitel bis zum letzten Gamaschenknopf, ließ das glattrasierte Gesicht fast stählern erscheinen. Ausgemeißelt stand es in der Dämmerhelle des Raumes. Eine steile Rune kerbte die Stirne. Die Knöchel auf dem Tisch, sehnig und kräftig, wie eine Wettertanne gewachsen, ragte er auf. Kein Zweifel mehr: Gisbert Kreuzwendedich Riswyk, Herr und Besitzer auf Borghees, hatte etwas zu sagen.

Der verstörte Mynheer und Hemskerk sahen ihn an.

Auch Jakobine.

Alles Träumen und Sinnen war ihr genommen. Kalt legte es sich über sie hin. Ihre Augen waren wie Sterne, die in der Winternacht frösteln.

Ihre Blicke begegneten sich. Nur einige Herzschläge hindurch, nur für eine Augenblicksspanne, aber sie fühlte: er suchte das niederrheinische Weib in ihr, in seiner Abweisung, in seiner Fülle und Schönheit, entkleidete es, bewunderte es, legte ihm ein Bündelchen Myrrhen und Asphodill zwischen die jungen Brüste, als gedachte er, den niederrheinischen Frauenreizen ein Opfer darzubringen.

Sie wehrte ihn ab, verschloß sich gegen seine Gedanken, gegen sein herrisches und aufdringliches Wollen, ohne die Kraft zu betätigen, ihn völlig aus ihrem Bannkreis zu weisen. Ein wechselseitiges Od büschelte aus, glitt über sie fort mit dem empfindlichen Rieseln von Eiskristallen. Um ihre Mundecken spielte ein Lächeln, aber das Lächeln nahm das einer Sterbenden an. Sie lebte in einem Zwiespalt der Empfindungen, den sie nicht mehr loswerden konnte. Aber eins blieb ihr treu: die Hoheit des Weibes in ihr, die weder rechts noch links ihren Pfad suchte, sondern geradeaus, auf dem gerechten Wog einer keuschen und alleinseligmachenden Liebe.

Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirne, als müßte sie etwas Stumpfes fortwischen, als verstünde sie nicht, was so plötzlich die geheimsten Schwingungen ihres Seelenlebens bewegte. Ihre Blicke erschlossen sich weit. Sie wähnte den Herrn zu sehen, der auf der Tenne stand, die Wurfschaufel in der Rechten führend, um die Spreuicht vom Weizen zu sondern.

Das war es.

Riswyk bewegte sich nicht.

Kein Wort war bisher von seinen Lippen gefallen.

»Aber Baron ...!«

Michel Virgilis strudelte hoch.

»Kreuzkuckuck noch mal! Darf ich Euer Hoch- und Wohlgeboren ersuchen ...«

»Schweigt, Michel Virgilis.«

Jedes Wort war wie auf dem Prägstock gestempelt. Sie lasteten schwer auf der ganzen Umgebung. Selbst die Kerzen schienen düsterer und floriger zu brennen.

»Michel Virgilis ...«

Eine schmale und doch nervige Kavalierhand streckte sich aus, um gleich darauf wieder auf den Tisch zu knöcheln.

»Was soll's denn, Baron?!«

»Euerer Liebden zu melden: Der Kammerhusar Seiner Majestät des Todes steht draußen.«

Tappert verfärbte sich, fiel in den Sessel zurück.

»Mensch,« rief er ihn an, »das ist ja, um die Kränke zu beziehen. Ihr wollt mir doch keine Totenhand über die Dielen krabbeln lassen? Was ist das mit dem Kammerhusaren?«

»Steht draußen ... klopft an ... tritt ein, um das Vornehme und Prächtige in Euerem Honoratiorenzimmer abzuwürgen.«

Mynheer sperrte Mund und Nase auf.

»Wieso das?«

»Michel Virgilis, hier ist Euer ureigenster Tempel. Er ist proper und urgesund bis in die obersten Dachsparren. Das soll er auch bleiben, solange ich die Ehre habe, die Füße unter diese Tempellade zu strecken. Gewiß, er hat schon vieles gehört, über sich ergehen lassen: Jagdgeschichten und andere Geschichten, ernste Darlegungen und solche, die mit den amüsanten Ferkeln aus dem Evangelium auf du und du standen. Aber alles mit Auswahl. Bei Gott, ich bin keiner von denen, die sich vor Scheinheiligkeit dreimal überkugeln, wenn etwelche übermütige Anekdotenrammler über die Stoppeln flitzen. Im Gegenteil: solche Löffelmänner bring' ich selber zur Strecke, und das mit Horrido und Weidmannsheil. Aber, wie schon gesagt: alles mit Reserve und Auswahl. Euer Tempel muß rein sein. Vornehmlich in der jetzigen Stunde. Sonst bleibt mir nichts übrig, als Seiner Majestät Kammerhusaren in die Stube zu beordern.«

Seine Stimme erhob sich: »Ich bitte mir Respekt aus. Hahn in Ruh und nicht weiter gefeuert. Es schadet dem Frieden und der Heiligkeit des Weibes. Respekt vor Demoiselle, die wir die Ehre und die Freude haben, hier begrüßen zu dürfen.«

Die Gesichter klärten sich auf. ›Moi Wetter in Sicht,‹ wie die vom Niederrhein sagen. »Läßt sich hören. Hier wird proper geweidwerkt. Ganz richtig, Tempel und Bundeslade sind außer Wettbewerb. Meine Spezialität, obgleich ich das mit dem dämlichen Kammerhusaren ...«

»Michel, laß gut sein,« lenkte Hemskerk ein. »Wir haben uns 'n bißchen weit auf den Sturzacker begeben.« Hierauf reichte er seine Hand über den Tisch: »Herr Baron, meine Achtung. So was geht 'ner alten Teerjacke sacht und mollig über den Magen.«

» Merci, Kapitän.«

»Nichts zu danken, Baron, denn ich unterfertige das ›Respekt vor den Damen‹.«

»Ich dito desgleichen.«

Der wieder auf die Beine gefallene Tappert schlug sich so überzeugungstreu auf sein Samtjackett, daß es knallte.

»Ganz meine Ansicht. Indessen, ich sehe nicht ein ... Was haben denn Doortje, Hendrintje und Phöns so Schlimmes aufgestellt? 'ne muntere Nachwuchsbestätigung meines total auf den Hund gekommenen Wildbestandes verstößt doch nicht gegen irgendeinen Sittlichkeitsparagraphen? Auch das mit Ihrer k. k. Hoheit der Erzherzogin Maria Joseffa Immaculata ... Nee Kinder, wir sind doch hier in keiner Benehme mit Mandolinenbegleitung oder sonstwo ...?!«

»Das nicht, aber wir sind hier in Damengesellschaft, und nochmals gesagt: Respekt vor Demoiselle. Ihre Gegenwart adelt. Dem ist Rechnung zu tragen.« Er atmete tief.

Die Nähe des schönen Weibes bewegte ihn sichtlich.

Jakobine nickte ihm zu.

Ihr Blick suchte den seinen und fand ihn mit einem heißen Verstehen.

Es war wie ein Dank.

»Michel Virgilis ...« und Riswyk holte zum anderen aus. Seine Worte gaben sich blank und geschliffen. »Es ist schon besser, wir führen hier ein Gespräch unter Männern, bei voller Berücksichtigung bei obwaltenden Umstände. Das Ewig-Weibliche ist wie ein Gazeschleier. In seiner Gegenwart wird kein Pfälzerkraut geraucht; höchstens eine deliziöse Import. Drehen wir die Medaille herum. Betrachten wir uns die andere Seite. Sie hat uns vieles zu sagen. Jeder Winkel dieses Gemaches redet von vergangenen Tagen, und was mein Freund und Gönner an Rarem und Exquisitem anzupräsentieren hat, mit dem soll er nicht hinter dem Berge halten, sondern hat es seinen illusteren Gästen feinsäuberlichst auf den Tisch des Hauses zu legen. Sie müssen nämlich wissen, Mademoiselle Hemskerk, wir befinden uns hier auf einem Grund und Boden, der ein Wesen zeitigte, das von sich sprechen machte. Unser Niederrhein ist überreich an eigenartigen Frauen und Mädchen. In Katharina Rickers jedoch, der schlichten Wirtstochter am Krantor, erstand eine mirakelhafte Schönheit, die, wenn sie auch letzten Endes bei ihren Perlen und sonstigen Kostbarkeiten elend verblutete, es dennoch verstand, sich und die gesamte Umwelt mehr oder weniger in Atem zu halten ... und wenn es Sie interessiert, Demoiselle...«

Vielsagend deutete er auf das Porträt der Reichsgräfin Kolbe von Wartenberg.

In dem abgedämpften Lüster der Wachskerzen schien es zu atmen.

Der Geist der seltsamen Frau trat unter sie, wurde zu Fleisch und Bein wie in den Tagen, als sie das Leben noch hatte.

Jakobinens Augen weiteten sich, opalisierten, nahmen einen Glanz an, wie aus einer heiligen Helle genommen.

»Die ...?!« fragte sie tonlos.

»Allerdings – ja, und wenn Sie gestatten ...«

»Dann möchte ich bitten ...«

»Michel Virgilis ...« und Riswyk machte es sich wieder bequem, lehnte sich in den Sessel zurück und dekretierte: »Dann ergeht an Euer Liebden die Aufforderung, uns die Lebens-, Leidens- und Liebesgeschichte dieser außerordentlichen Dame, dieses niederrheinischen Kindes von allergrößtem Ausmaß, nicht länger vorzuenthalten. Solches ziemt sich besser für diese historische Stätte, als sich mit Doortje und Phöns zu befassen, Ihrer k. k. Hoheit der Erzherzogin Maria Joseffa Immaculata ein Tugendkränzlein mit auf den Weg zu geben.«

»Bravo!« rief Hemskerk. »Michel, laß dich nicht lumpen.«

»Erst frische Bouteillen, sonst kann ich den richtigen Drehpunkt nicht finden,« und als diese zugebracht waren, die Kelche aufs neue wie böhmische Granaten aufglühten, warf sich Tappert forsch in die rotgepunktete Weste, striegelte seinen Knebel aufwärts und meinte mit listigem Blinzeln: »Ja, meine Herrschaften, wenn der Kavalier denn absolut will ... Gegen so 'nen vornehmen Wind kann unsereins nicht anbellen. So geschehe es denn in seinem Namen.«

Dem Stollenschrank entnahm er das Kleinod des Hauses, legte es wie eine Opferschale vor sich hin, streichelte über den mageren Drucksatz in Folio und setzte sich wieder. Dann las und predigte er mit der Verve eines ber Jünglinge im feurigen Kalkofen:

»Leben, Meinungen und Taten der nunmehr in Gott ruhenden Katharina Rickers, der ehelich erzeugten Tochter des Herrn Jodokus Kasimir Rickers, Schenkwirts am Krantor dahier, und seiner Frau Gemahlin Sabine Gudula, geborene Spring über den Heuvel, verfaßt und niedergelegt von Sebastian Wesendonk, emeritiertem Rektor und Schulmagister im Kirchspiel von Sankt Aldegondis.«

Er räusperte sich: »Großartig – was?!« um dann weiter zu lesen: »Im Jahre, da man zahlte nach der Geburt unseres Herrn 1609, erlosch die Stammfolge der Herzöge hiesiger Grafschaften. Kleve ging an das Haus Brandenburg über. Johann Sigismund, Georg Wilhelm und der Große Kurfürst hielten gut Regiment dahier. Auch ihr Folger im Amt, Friedrich I., der nachmalige König, gefiel sich darin, des öfteren im Schlosse zu Kleve hofzuhalten, zu bankettieren und die Jagd im dasigen Reichswald anblasen zu lassen. Dieser Grandseigneur wußte zu leben, gerecht und weise, wenn auch vielfach mit den Absonderlichkeiten eines äußerst sublimen Herrn. In seinem Schatten weilte und wirkte Herr Biedekamp, ein Kammerdiener, der die Flöhe husten hörte, ein nicht unebener Mann, aber wie Harpagon darauf erpicht, Speziestaler um Speziestaler seiner unergründlichen Kammerdienertasche einzuverleiben. – In selbiger Zeit nun stand obengemeldeter Herr Jodokus Kasimir Rickers hinter seiner Theke am Krantor, immer beschäftigt, immer überlaufen von seiner weitverzweigten Kundschaft, denn sein Genever und seine Ruhrperlen erinnerten an das heutige Destillat, das Herr Underberg-Albrecht eigenhändig ansetzt und unter dem gefeierten Namen ›Bonekamp of Magenbitter‹ dem Weltmarkt zugute kommen läßt. Rickers konnte sich sehen lassen. Sein Betrieb war der eines Gerechten. Er lebte in Gott; seine Linke wußte nicht, was die Rechte verausgabte.«

Michel Virgilis, dieser ausgetragene Schwerenöter, blinzelte spitz auf die Seite.

»Ungefähr so wie ich,« sagte er leise.

»Wollen Euer Liebden bitte geruhen, das Renommieren zu lassen.«

»Bloß Selbsterkenntnis, Baron, denn ich liebe es nicht, meine Laterne unter die Futterschwinge zu setzen.«

»Michel, hast recht,« nickte ihm Hemskerk zu. »Aber immer nur weiter im Text.«

»Schön, fahren wir fort. – Also Herr Jodokus Kasimir Rickers war vollauf beschäftigt. Auch wußte er nicht, daß in seinem schlichten Anwesen sich eine Menschenblüte entfaltete, wie sie bis dato in sämtlichen Grafschaften des Niederrheins zu den Raritäten gehörte. Aber die Umwelt wußte es, alle die Menschen, die bei Rickers vorsprachen, die Matrosen auf den Rheinschiffen, die im Hafen von Emmerich vor Anker gingen, selbst die Salmoniden, die silberigen Schuppenträger der blauen Tiefen, streckten ihre Glotzköpfe aus dem Wasser heraus, wenn Katharina Rickers sich am Ufer erging, um sich eine angenehme Brise um das Näschen spielen zu lassen. Sapienti sat! Genug für den Einsichtigen. Der gesamte Niederrhein mit Einschluß der Kreise Geldern, Kleve und Mörs stellte sich auf den Kopf. In der Wirtstochter am Krantor hatte die Güte des allbarmherzigen Gottes ein Weib geschaffen, das in die Träume der Männer hineinsah wie die schöne Lilith, die Königin aller Empusen und Herzensbrecherinnen.«

»Wohl zu bemerken,« flocht Mynheer sachgemäß ein, um dann weiter zu lesen: »Hellhörig und weitsichtig, wie er nun einmal war, erkannte das auch Herr Biedekamp, verließ eines Morgens spazierenderweise die Klevische Hofhaltung, schnürte sich in besagte Schenke hinein, willens, seinen hübschen Ersparnissen noch einen besonderen Glanz zu verleihen. Er warb um Katharina. ›Warum nicht?!‹ meinte Herr Rickers. ›So 'n kurfürstlicher Kammerdiener ist gar nicht so ohne. Ihm haftet was Gräfliches an‹, schlug ein ... und nie wohl hatte die Kirche von Sankt Aldegondis eine derartige solenne Hochzeitsfeier gesehen. Die junge Frau wußte ihre Tage zu nutzen. Sie dachte höher von sich als ihr braver Erzeuger, hielt Biedekamp in gemessener Entfernung, lebte in einer sogenannten Josephsehe dahin, stets darauf bedacht, ihre übermenschliche Anmut zweckdienlicher an den Mann zu bringen. Nicht Kammerdienerhände hatten ihr den Gürtel zu lösen, nur solche, die den Galanteriedegen führten und neben ihrem Solitär die freiherrliche oder gräfliche Krone zeigten. Anderen Falles gelobte sie, wie ein Nönnchen von der ewigen Anbetung und somit als Jungfrau zu sterben.«

»Das war groß von der Dame,« unterbrach sich Mynheer. »Nur ein Weib mit niederrheinischem Blut in den Adern vermag sich zu einer solchen Weltanschauung aufzuraffen. Also höchste Bewertung der eigenen Person. Hut ab vor der nunmehrigen Madam Biedekamp, die wir die Ehre haben in ihrem Werdegange weiter zu verfolgen.«

Mit einer gewissen selbstherrlichen Wichtigkeit legte er das Blatt auf die andere Seite.

»Biedekamp ging mit seinen angehäufelten Speziestalern, wenn auch arm an Liebe, den Weg allen Fleisches. Für Madam war der erhoffte Stern im Aufstieg begriffen. Berlin stand in heller Begeisterung. In der kurfürstlichen Residenz brannten alle Lüster, knisterten Krinolinen, blitzten Ordenskreuze, reihten sich die Damen des Hofes wie Perlenschnüre nebeneinander. ›Was – Madam Biedekamp hier?! Nicht möglich!‹ Aber Fanfaren klangen ihr zu. Neidische Blicke, verzückte Blicke, erstaunte Blicke folgten ihren zierlichen Stöckelschuhen. Jetzt nicht Madam Biedekamp mehr. Erhöht und erhoben, führte der kurbrandenburgische Premiergewaltige Kolbe von Wartenberg sein junges Weib zur Defiliercour, erfreute sich ihrer Schönheit und seines stolzen Besitzes... und wenn auch die weise und philosophische Sophie Charlotte ihre Nase rümpfte und sagte: ›Madam, das hiesige Parkett ist ein glattes Parkett. Euer Liebden werden einst stolpern‹, was tat es? Als Reichsgräfin paradierte sie weiter, entflammte die Herzen, sah gekrönte Häupter zu ihren Füßen.«

»Donner und Doria!« rief Hemskerk.

Jakobinens Augen begannen zu glänzen.

»Herzensmamsell, und sowas stammt vom Niederrhein ... aus unserer Gegend ... von unserer Art und Beschaffenheit ...!«

Er schüttelte den Kopf und schliff mit Zeige- und Mittelfinger zwischen Kragen und Bartfräse hindurch: »Nicht zu glauben – die Sache.«

»Hemskerk, nun kommt es, denn der Chroniste tut kund und zu wissen: Mit diesem Tage setzte ihr Triumphzug ein. Perlen, Kleinodien, Güter, Liegenschaften, herrschaftliche Besitzungen fielen ihr zu, als wenn diese nur einen Spatzendreck gegolten hätten. Der große Schlüter bildete ihre junonischen Formen aus karrarischem Marmor. Denner und andere Größen malten sie. Um ihretwillen rannten sich die Kavaliere ihre Degen wechselseitig durch den Leib. Der Herr von der Lietzburg trank ihr Wohlergehen aus ihrem goldenen Pantoffel. Lord Fenimore Stanhope verfiel in einen ewigen Spleen, weil er sich fünf Jahre damit beschäftigte, das Seelenleben und das sonstige Leben dieser Frau zu ergründen, ohne damit fertig zu werden. In Schönheit lebte sie, in Schönheit liebte sie, in Schönheit sah sie das Gestirn ihres Glückes über sich stehen ... und leider: ihr Stolz verstieg sich ins Ungemessene, verlor sich in utopischen Formen, denn als wieder die Fanfaren zur Cour riefen, die Gemahlin des holländischen Gesandten van Lintlo vor ihr den Staatsrang verlangte und nicht Raum geben wollte, setzte sie dieser eine wohlassortierte niederrheinische Ohrfeige mit den heroischen Worten in das erstaunte Schellfischgesicht: ›Eine Reichsgräfin Kolbe von Wartenberg hat immer den Vortritt‹, um dann weiter zu rauschen. Und das war ihr Ende,« seufzte Michel Virgilis, »denn nunmehr geschah es...«

»Halt und Vorhang herunter!«

»Was, wo ich jetzt den Kaviar auftischen will ...?!«

»Euerer Liebden zur Kenntnis: wir wissen genug. Alles das, was die Demoiselle interessieren konnte, wurde erledigt. In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister. Seien wir barmherzig. Was nun folgt, lassen wir unberücksichtigt. Kolbe von Wartenberg fiel in Ungnade, segnete bald darauf das Zeitliche. Schwarzumflorten Immortellenkränzen soll man nicht nachgehen. Der kalten und herzlosen Welt und ihren Verleumdungen stehen wir skeptisch gegenüber. Den letzten Gottesheller, den sogenannten denier à Dieu, wollen wir ihr gnädigst erlassen. Sie hat viel geliebt, und ihr muß viel vergeben werden. Ihre späteren Lebensjahre waren ein ewiges Hasardieren: rouge oder noir, pair oder impair, passe oder manquerien ne va plus. Denken wir menschlich über das Menschliche. Ziehen wir den Schleier des Vergessens darüber. Die Kristallkronen dunkeln ein, die Nelken in den hohen Stengelgläsern welken, leben nur noch einer schmerzlichen Erinnerung. So auch die gefeierte Reichsgräfin Kolbe von Wartenberg. Lassen wir sie in Anmut sterben, dahingehen wie ein königlicher Falter unter Akelei und sonstigen Wiesenblumen.«

Seine Stimme ging auf leisen Sohlen und sagte: »Hätte man das Weib in ihr besser geleitet, dem schönen Gefäß wäre ein ebenso schöner Inhalt verblieben. Es sollte nicht sein. Haus Borghees, auf dem sie ihre letzten Jahre verbrachte, liegt still und vereinsamt. Ihr Geschlecht ist erloschen. Die Riswyks hausen nun dort. Ihr Bild von Hyacinthe Rigaud ist in meinem Besitz. Ich betrachte es oft in weihevollen Stunden – und falte die Hände.«

Ein tiefes Schweigen folgte.

Jakobine saß wie entgeistert. Ihre junge Brust stürmte. Die weißen Hände flochten sich scharf ineinander. Sie hob langsam die Augen, die Augen, die wie Florentiner Steine erschienen. Da sah sie...

Ihr Vater wuchtete sich ernst an der Tafel hoch, legte Riswyk die Hand auf die Schulter und sagte mit der Würde und der gesinnungstüchtigen Ambition eines Lord-Oberrichters: »Herr Baron, das ehrt Sie. Das ist wie Öl auf 'nen schweren Seegang. Blexem und Donnder! Diese Noblesse. Das war interessant und christlich gesprochen, sozusagen von 'nem kavaliermäßigen Standpunkt herunter. Allerhand Achtung. Nur geht es mir wider den Strich, so ein schönes Menschenleben verbluten zu sehen.«

Er legte den Kopf auf die Seite und machte eine ernste Bewegung: »So glanzvoll begonnen und so miserabel geendet. Mit vollen Segeln Kurs geradeaus und dann alle Ratten von Bord... Schiffbruch...«

»Herr Kapitän...!«

Riswyk stand wie ein eingerammter Schleusenpfahl.

Seine Blicke umgriffen das einzige Weib, das die Tafelrunde beehrte.

»Herr Kapitän! Die Gestirne wechseln. Das eine geht unter, das andere erhebt sich in strahlender Helle. Ein neues Gestirn ist im Aufstieg begriffen. Was tot ist, mag ruhen. Es lebe das Leben, denn ich habe nicht lange zu suchen, um einem heißen und blühenden Leben meine Huldigung zu Füßen zu legen.«

Alles verstummte.

Jakobine rang sich empor.

Ihr Medaillengesicht war wie ein Sterbelaken geworden.

»Herr Baron, das sagen Sie mir?!«

»Ihnen Demoiselle, denn Schönheit verpflichtet... und wenn Sie wollen: auf Borghees – ich trete Beweis an; nur – in Ihrem stolzen Gefäß ist eine reinere Seele gebunden. Es läßt sich nicht ändern. Der Niederrhein ist um ein Mirakel reicher geworden. Die Gestirne wechseln... ein neues erhebt sich. Diesem glanzvollen Stern meine Grüße.«

Sein Spitzglas stand hoch im Raum.

Der Burgunder leuchtete wie Blut, wie das Blut im heiligen Gral.

»Der Demoiselle! Es lebe das Leben!«

»Bravo!« rief Michel Virgilis. Sein Gesicht war eine grunzelnde Wonneseligkeit... und in das Klingeln der Gläser hinein – die Stimme des Kapitäns: »Mynheers, ich ersuche darum... bei diesem steifen Seegang... Kinder, bringt meine Herzensmamsell nicht in 'ne schwere Predullig.«

»Ach was – in Predullig!«

Tappert war Feuer und Flamme. Er brannte los: »Hat sich was mit deiner Predullig. Kurz und bündig und wie auf dem Wetzstein geschliffen: hier deine Tochter wird nicht in 'nen Bauerngarten verpflanzt... nicht ums Verrecken... gehört aufs Parkett... Lakaien und so ... in den Lichtschein von perlenden Lampen... in Spitzen und Kanten... in ein Häubchen à la Maintenon, wenn die Kammerjungfer meldet: Madam...«

»Michel, hör' auf.«

»Nee, ich höre nicht auf.« »Schluß!« donnerte Hemskerk. »Mein Herz trägt schon schwer genug. Es ist um die Kränke zu kriegen.«

Seine Rechte fuhr scharf durch die Luft.

»Nichts mehr aufzustellen. Vor zwei bis drei Stunden vielleicht ... aber jetzt ist's zu spät ... leider zu spät.«

»Was ist zu spät?«

»Blexem und Donnder!«

Jakobine hatte sich an ihn geworfen.

»Mein Döchting ...! Mein Döchting ...!«

Die Decke senkte sich tiefer. Die Dielen schwankten unter ihren Füßen.

Noch einmal tauchte das Gesicht von Riswyk in ihrem wehen Gesichtsfeld auf. Dann versackte alles um sie her. Sie sah durch einen blutroten Nebel. Alle Geräusche verstummten oder kamen für sie aus gespenstischer Weite herüber. Nur hörte sie noch: es wurde von Reiner gesprochen ... von einem baldigen Wiedersehen auf Borghees ...

Sonst nichts mehr.

Dämmerungen hüllten ihre Sinne ein. Willenlos ließ sie sich führen.

Eine frische Brise wehte sie an.

Sie atmete Rheinluft.

Der breite, majestätische Strom zog still seines Weges.

Hoch über ihm brannten die Sterne auf dem blauen Atlas des Himmels in unendlicher Klarheit.

Ruhig lag das brave Schiff ›Gott mit uns‹ vor Anker.

Lässig gurgelten die Wellen an den dunklen Planken vorüber.

Vom Fockmast grüßte die rote Laterne.

Es war das heilige Licht, das sie suchte.

Unter seinem Schutz wohnten die Herzenseinfalt und der Friede in Gott.


 << zurück weiter >>