Joseph von Lauff
O du mein Niederrhein
Joseph von Lauff

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Elftes Kapitel

Nunmehr ging alles seinen geregelten Gang und seine vorschriftsmäßige Ordnung. Das Nebensächliche fügte sich dem Nebensächlichen ein, das Große dem Größeren, und so kam ein harmonisches Ganze ins Tönen, das mit Abendfeierglockenklang über Huisberden dahinläutete, als gälte es, die vielfach mißachtete Stimme des Herrn wieder zu höherem Glanz und Ansehen zu verhelfen.

Mit der dahingegangenen Primiz hatte das Alltägliche mehr an Alltäglichem verloren. Die Wässerchen gluckerten fröhlicher durch die Wiesen, die Lerchen kletterten heiterer in das Himmelreich, selbst die Sterne zogen herauf, als hätten sie ihr rätselhaftes Leuchten zu verdreifachen.

Der ehrwürdige Pastor und Domherr Herr Jakobus Johannes Aegidius Hommersum atmete sichtlich auf. Es wurde ihm licht und warm um die Seele. Er flocht seine gichtischen Hände zusammen und versuchte zu singen: » Laudate Dominum, omnes gentes, laudate Dominum, omnes populi« und siehe, es gelang ihm so ziemlich, denn der alte Herr hatte wieder Stab und Stecken gefunden.

Der junge Kaplan stand neben ihm, als wäre ihm der Drachentöter oder gar der beste Streiter Gottes, Sankt Michael, an die Seite getreten – als Harnischer, mit gezüngeltem Schwert und dem ehernen Gesicht eines Jünglings, dessen Augen in Flammenzeichen erzählten, so wie die des Papstes Klemens erzahlten: »Ich glaube, o Herr, laß mich fester glauben; ich hoffe, o Herr, laß mich zuversichtlicher hoffen; ich liebe, o Herr, laß mich inniger lieben ...« und als er eines Abends im Pastorat verweilte, da ergriff Jakobus Johannes Aegidius Hommersum die Hand seines Kaplans und blickte ihn an, wie man in die Evangelien hineinsieht, um was Großes und Heiliges herauszulesen, und dann sagte er ruhig: »Ich denke, wir zwei, wir sind nicht nur an Fleisch und Gebein, sondern auch an der Seele aus dem nämlichen Holze geschnipselt. Nur mein Holz ist im Laufe der Jahre brüchig geworden. Der Geist blieb zwar willig, aber Fleisch und Gebein sind minderwertige Knechte und Handlanger geworden. Bei Ihnen ist das anders, mein Lieber. Ihr Holz steht noch in Bast und Borke, kann dem Winter trotzen und dem Frühling gebieten: Lasse deine Säfte kreisen und deine Stürme brausen, denn ich will erstarken vom Wurzelstock bis in den Gipfel hinein, will blühen und Früchte tragen, um meinem Volke und meinem Herrn zu dienen. Es soll wieder Friede werden unter den Menschen, denn sie leben in Zwietracht und Uneinigkeit. Sie verstehen sich nicht und wollen sich nicht verstehen. Ich bin zusammengebrochen unter meinem morschen Fleisch und Gebein und nicht mehr imstande, das Heil zu erbringen, dazu frisches Öl auf die heilige Lampe zu gießen, die dem Verlöschen nahe ist. Aber Sie, Herr Kaplan ... ich glaube im stillen: Sie haben den Unterton von dem, was ich sagte, verstanden.«

»Völlig, Hochwürden,« und Klemens glaubte in eine feurige Garbe zu schauen, die ihn mit tausend und abertausend überirdischen Strahlen umbüschelte.

»Ja, ich verstehe, Hochwürden. Dem Namen nach sind wir Gottessucher und Gläubige in Christo, aber keine heldischen Deutschen mehr, keine mehr, die mit christlichen Sinnen und christlicher Opferfreudigkeit ihren Heiland suchen und gesonnen sind, ihr Siechtum von sich zu werfen. Wir sind einer großen Entweihung verfallen, stecken in unseren Unterlassungssünden wie vom Wege gekommene Ackergäule in einer gefährlichen Torf- und Moorgrube. Ja, viele unter uns sind mißfarbige und schattenhafte Larven geworden. O, ich verstehe. Hochwürden, um was Sie bangen und sorgen. So wie wir jetzt leben, schaffen und den geistigen und weltlichen Acker bebauen, das hat nicht seine richtige Art. Immer mehr entfernen wir uns von unserem göttlichen Dulder, immer weiter gehen wir in die Irre hinein, verleugnen das, was uns groß machte vor Gott und den Völkern.«

»So ist das,« nickte der Alte. »Der Herr muß kommen. Seine Wurfschaufel muß die Tenne regieren, auf daß sich die Spreu von dem Weizen fondere.«

Seine Augen brannten.

»Also geschehe es,« fiel der junge Kleriker ein, »sonst sind wir der Finsternis und ihren bösen Geistern verfallen. Aber die ersehnte Stunde wird kommen, muß kommen, sonst zerbricht uns der Kelch zwischen den Händen, erstarrt uns das Wort Gottes zwischen den Lippen. Wir können nicht anders. Wir müssen. Wir alle, wir müssen mit Kleinem beginnen ... in den Familien ... den Bauernschaften ... den geringsten Gemeinden. Von hier aus sind die Bausteine weiter zu tragen. Vom Kirchspiel in die Stadtpfarreien, von diesen in die Diözesen hinein. Von den Diözesen heraus in alle christlichen Stämme und Völkerschaften, die deutschen Odem besitzen und Deutschland umfassen. Segen und Sälde für alle! und meines Amtes ist es, Hochwürden, unter Ihrer Betreuung und im hiesigen Kirchspiel den Mörtel unter die Kelle zu nehmen, ein schlichter Geselle unter den schlichten Gesellen des Landes.«

»Mensch –Sie ...!«

Und der alte Herr hatte sich, so gut es seine Kräfte erlaubten, aus seinem Sessel erhoben und aufs neue die Hände seines Gehilfen ergriffen.

»Sie lieber Mann – Sie! Sie tapferer und unerschrockener Kaplan, wenn alle so redeten, so mit Engelszungen, mit dem Wagemut des heiligen Paulus, des schlichten Teppichwebers aus Tarsus, wir wären nicht das geknechtete Volk, die entrechteten Menschen, die nunmehr verdammt sind, ihr einstiges Heldengesicht mit der eigenen Schmach zu verhüllen. Ja, mein junger Kaplan, wenn alle so redeten, so mit Engelszungen und dem Wagemut des großen Bekenners ...«

Er schluchzte auf.

Sein Samtkäppchen rückte er tiefer zurück und fuhr sich sacht über die Augen.

»Ich danke meinem Herrn und Heiland, daß Sie, Herr Kaplan ...«

Seine Hand versuchte fester zu schnüren.

Auch gedachte er nochmals zu sprechen. Aber von der benachbarten Kirche schlug die Angelusglocke an, und Jakobus Johannes Aegidius Hommersum begann leise zu beten: » Angelus Domini nuntiavit Mariae, et concepit de Spiritu sancto

Klemens antwortete mit gefalteten Händen: » Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum, benedicta tu in mulieribus

Und wieder der Alte: » Ecce ancilla Domini, fiat mihi secundum verbum tuum

Und nochmals die Antwort: » Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum, benedicta tu in mulieribus

Und zum Letzten der Alte: » Et verbum caro factum est et habitavit in nobis

Da jubelte die Stimme des Kaplans auf: » Salve Regina, mater misericordiae. Ave, ave Maria!« und die Angelusglocke läutete weiter und weiter und erfüllte die ganze Umwelt mit unendlichem Wohllaut. –

Ja, nunmehr ging alles seinen geregelten Gang und seine vorschriftsmäßige Ordnung. Das Nebensächliche fügte sich dem Nebensächlichen ein, das Große dem Großen und Größeren, und so kam ein harmonisches Ganze ins Tönen, das mit Abendfeierglockenklang über Huisberden dahinläutete, als wäre mit dem Einzug des jungen Kaplans der Engel des Lichtes unter die Menschen getreten.

In der Nähe des Pastorats hatte er eine traute Wohnung gefunden, groß genug, ihn und später seine Mutter zu bergen, die sich innigst drauf freute, ihrem Jüngsten den Herd zu errichten und den eigenen Rauch zu betreuen, denn mit der Heirat Reiners wäre sie doch mehr oder weniger entbehrlich im Forsthaus geworden. Das sollte so nach der diesjährigen Ernte geschehen, wenn die Mieten eingebracht waren, die Kartoffelfeuer über die Äcker hinschwelten, die ersten Schneegänse hoch mit den Winden zogen und in den kühlen Lüften dahertrompeteten. Bis dahin fand Klemens Verpflegung im Pastorat, und Engelke Stappers hatte nicht Hände und Arbeit genug, ihm seine Wohnung so behaglich wie nur möglich und gleichsam zu einem priesterlichen Schmuckkästlein erster Ordnung auszugestalten.

Nichts fehlte. Das ewige Lämpchen neben der Madonna von dem Nazarener Franz Ittenbach war allzeit gesättigt, der gipsene Korpus des Herrn über der Kirschholzkommode stets mit einem geweihten Buchsbaumzweiglein versehen, die Gardinen blinkten mit jedem Morgen so freundlich auf die Straße hinaus, als wären sie auch mit jedem neuen Morgen frisch von der Bleiche und direkt vom Bügelbrett her an die Fensterrahmen gezaubert. Zu dieser Werktätigkeit fühlte sie sich heilig verpflichtet, denn als Gattin des Küsters und Kantors, als mit der Mutter Auwater befreundet, hatte sie das herzinnige Gefühl, so handeln zu müssen, zumal Klemens zu den jungen, aparten und sieghaften Naturen gehörte, die sie allzeit mit einer gewissen Zuvorkommenheit respektierte.

So war nun einmal Engelke Stappers. Als eine noch immer annehmbare und zutunliche Frau liebte sie es, der Jugend beizustehen und den frischen Männern etwas von ihrem übervollen Herzen abzugeben, ihnen die dornenvollen Pfade zu ebnen, besonders ... Ja so! es ließ sich nicht abweisen: der neue Kaplan erinnerte sie in seinem Aussehen, in seinem ganzen Tun und Gehabe an Gisbert Kreuzwendedich Riswyk, wenn er auch jünger war, jünger, viel jünger, im übrigen aber: dasselbe Gesicht mit der heroischen Nase, das Stille und Insichgekehrte, das nämliche Draufgängertum, wenn es die Stunde erheischte, kurz, Gisbert und Klemens gingen für sie ineinander über wie zwei Lebewesen, die sie kaum noch zu unterscheiden vermochte, so bodenständig kamen sie ihr vor, so mit allen Zweigen und Masern verwachsen, daß sie selber darüber erstaunte, wenn sie sich mit diesen beiden Männern beschäftigte. Was sie bei Severin vermißte, mußten ihr diese ersetzen, aber im lautersten Sinne, gewissermaßen mit den Segnungen des Agnus Dei behaftet. Sie konnte dabei getrosten Herzens die lauretanische Litanei herbeten, ohne in die Anfechtungen des Fleisches und in die der Versuchung zu fallen.

Engelke Stappers war rein in Gedanken, in Worten und Werken, nur stolz darauf, dem jungen Geistlichen die heimatlichen Gefilde eröffnet zu haben. Ja, wäre sie mit der rauhen Kamelschur umkleidet gewesen, hätte sie den Stab in der Rechten geführt, sich lediglich mit Heuschrecken und wildem Honig gesättigt, sie hätte sich für den Rufer in der Wüste und an den Gestaden des Jordans gehalten, bestellt und gesetzt, der Welt das Heil zu verkünden; denn ohne ihre Fürsprache und ihr gediegenes Zutun wäre Herr Jakobus Johannes Aegidius Hommersum nicht so ohne weiteres auf Klemens verfallen, hätte das Generalvikariat in Münster nicht seinem Ansinnen Folge geben können, wäre der Primiziant schwerlich in der Lage gewesen, seine Primiz im hiesigen Kirchspiel abzuhalten. Also sie, Engelke Stappers, war vollauf berechtigt, den Kopf höher zu tragen, sich straffer in die volle Bluse zu legen und sich zu beglückwünschen, ihrer engeren Heimat einen tapferen, deutschgesinnten und unerschrockenen Seelenhirten geliefert zu haben.

Heilo! sie wußte: nun steht ein Glaubensstarker auf weiter Flur, um die in die verbotenen Lupinenfelder abgeirrten Schafe wieder auf die regelrechte Weide zu führen ... nun predigt einer von der Kanzel herunter: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen ... nun geht einer über die Äcker, um die geworfenen Schollen mit heiligem Salböl zu salben ... nun ist einer gekommen, der nicht mit den Umstürzlern in dieselbe Kerbe hineinhaut. Heilo! ein geradliniger und straffer Mann ist erschienen, der auch im Geiste das Ehrenkleid eines Aufrechten trägt, ein Kämpfer und Streiter. Heilo! denn unser Herr und Erlöser ist auch so ein kämpfender Recke und Streiter gewesen. Er trat in die entweihten Hallen des gewaltigen Tempels und regierte die Geißel. Heilo! und wußte sie mächtig zu schwingen. Er striemte sie über die Pharisäer und Zöllner, über die Nichtstuer und Lauen und all das Ungeziefer, das nichts weiter zu tun hatte, als sich an den letzten Überbleibseln des ausgehungerten Volkes fett und rundlich zu fressen. Heilo und Hosianna dem, der gekommen ist im Namen dessen, der da aus der Wetterwolke spricht, mit den Gläsern säuselt, von dem Schmelz und der unermeßlichen Wunderpracht eines Schmetterlingsflügels verkündet!... und so ging Klemens durch sein neues Kirchspiel und waltete vorbildlich seines heiligen Amtes und erfreute sich innig seiner engeren Heimat.

Ja, es ging alles seinen geregelten Gang und seine vorschriftsmäßige Ordnung, das Nebensächliche fügte sich dem Nebensächlichen ein, das Große dem Großen und Größeren, und so kam ein harmonisches Ganze ins Tönen, das das weite Land und die unabsehbare Heide bis über den stillen Reichswald hinaus mit seinem anheimelnden Singen und Sagen erfüllte.

Über das Försterhaus kamen selige Tage. Mutter Auwater war wunschlos geworden. Ihr Glücksgefühl verstieg sich bis in die höchsten Noten hinein. Schon jetzt wähnte sie sich im Himmelreich, unter dem geheimnisvollen Wuchteln von Engelsfittichen ihre Zeit zu verbringen, und wenn sie Sonntags nach dem Hochamt auf Engelke Stappers stieß, dann ging sie allzeit getragenen Herzens und erhobenen Hauptes nach Hause, denn diese wußte ihr immer etwas Hohes und Liebes über ihren Jüngsten zu sagen. »Nein, meine liebe Frau Auwater, dieser göttliche Jüngling! So in seiner ganzen Weihe und herkulanischen Forsche die heilige Messe zu lesen, von der Kanzel herunter das Wort Gottes zu predigen – das ist doch über alles Erwarten: Männlichkeit und Priestertum in einem Atem zusammengenommen. Die weiblichen Anzüglichkeiten können nicht besser bedient werden. Wenn ich ihn anhöre, muß ich immer des Wortes gedenken: Heb' die Augen, das Gemüte – Sünder, zu der Kanzel hin, denn sein Gebet ist werktätige Arbeit... und in der werktätigen Arbeit wohnt Gott... und Gott verkörpert die heiligste Dreifaltigkeit bis zum äußersten Hinnehmen ... und das ist doch die Menschenmöglichkeit selber.«

So wurde durch Engelke Stappers eine Mandorla gesponnen, die ihn mit tausend und abertausend Strahlen und Strählchen umzüngelte, ihn verklärte, geachtet machte in seinem Kirchensprengel und weit darüber hinaus, und wahrlich, Klemens verdiente es reichlich, durch eine solche Mandorla zu schreiten, sich von ihren Perlenreihen schmücken zu lassen. Aber er tat es mit Einfalt, im Hinblick auf seine ihm übertragene Mission, die ihm auferlegte, Verpflichtungen leichter zu tragen, der Hinterhältigkeit und Treulosigkeit den derben, aber gerechten Priesterschuh in den Nacken zu setzen. So gedachte er, den Schutzpatron des Ortes zu ehren, seiner Fürbitte gewiß zu sein und im Interesse des Ganzen ein gedeihliches Leben in der Gemeinde anzubahnen, ausgefüllt durch Gebet, Arbeit und Heldenverehrung.

»Das unterfertige ich mit meinem Kirchensiegel,« sagte Jakobus Johannes Aegidius Hommersum. Dazu machte er das Zeichen des heiligen Kreuzes: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.«

Jakobine kam häufig herüber. Ihr Erscheinen war jedesmal ein Fest und eine hohe Freude in dem friedlichen Anwesen. Ihr Kommen bereitete ein stilles Genießen, verstattete dem lieben Sonnenlicht, selbst in den verschwiegensten Winkel zu dringen. Sogar das Heimchen hinter dem Herd wagte sich auf die äußerste Holzbeige hinauf und geigte auf seinem Violinchen ihr das hochgestrichene C in die allerliebsten Mäuseöhrchen. Mit Klemens ging sie einig bis zum letzten Faden, wobei er nicht Worte genug fand, sie im stillen und vor den Menschen zu preisen. Er erkannte in ihr die Auserwählte, von der die Sprüche erzählen: »Wohl dem Manne, der eine solche gefunden. In ihrem Schatten ist gut wandeln. Sie tut ihm Liebes, dahingegen kein Leides sein Leben lang. Sie streckt die Hand nach dem Rocken, und ihre Finger fassen die Spindel. Sie macht ihm die langen Werkeltage kurz, die Sonntage hingegen zu hochheiligen und ausgereiften Sonntagen. Holdseliges Weib, du! Dein Mann wird berühmt in den Toren durch dich, wenn er sitzt im Rat unter den Ältesten des Landes...« und in weihevollen Stunden geschah es, daß er ihr sagte, was er ihr bereits bei der Primiz ans Herz gelegt hatte. Vornehmlich dann, wenn das Rotkehlchen anhub, seine stille und weltenferne Weise auszuspinnen. Dann erhob er sich im Beisein der Mutter, im Beisein des Bruders in seiner ganzen apostolischen Würde und Reinheit und sagte: »Jakobine, hoffe und harre und sei getröstet im Herrn, denn wenn die Herbstfrucht herein ist, eure Herzen sich ewiglich binden – ich werde deine Hand in die seine legen, auf daß er dir die Treue halte, dich achte und ehre, dich hochhalte unter den Frauen des Landes, bis der Herr ihm gebietet: Bette dein Haupt in die Kissen. Deine Zeit ist erfüllet.«

»Ach – Klemens ...!« und Mutter Auwater weinte still vor sich hin. Reiner aber ergriff seine Hand und drückte sie, wie man die Büchse angreift, sie anbackt, um Korn und Kimme auf ein edles Ziel zu richten: »So soll es geschehen. Ich danke dir, Bruder.«

Das Forsthaus aber lag unter dem goldenen Schein eines leuchtenden Tages. –

Um diese Zeit hatten die Heckenröschen ihre rosinfarbigen Tellerchen völlig aufgedeckt. Selbst die letzten Knospen legten sich still auseinander. Am schönsten blühten sie an den Ränften des Reichswaldes, in den Salweidenbeständen bei Huisberden, auf dem Emmericher Eiland.

In diese Idylle hinein bellte ein Schuß.

Bald darauf ein zweiter – und schließlich ein dritter.

Sie fielen kurz und scharf hintereinander, nicht weit von Huisberden, an der Kuratengrenze und in der Gemarkung, woselbst sich die von Michel Virgilis seinerzeit erzählte amüsante Geschichte von Phöns, Hendrintje und Doortje abgespielt hatte. Aber zum Kuckuck nach mal! Der Jagdherr, Michel Virgilis, hatte zweimal gefehlt, ganz hundsmiserabel gefehlt, und dabei »Gottverdammich!« gerufen. Reiner war wegen mangelnden Gesichtsfeldes nicht einmal zum Anbacken gekommen. Gisbert Kreuzwendedich Riswyk jedoch... mit einem Schnappschuß hatte er einen guten Sechser weidgerecht in den grünen Hafer geworfen.

»Hallo, horrido!« Der Fichtenbruch steckte ihm bald darauf am verschweißten Filzhut.

Im Herrgottswinkel des ›Goldenen Ankers‹ wurde das gezeitigte Resultat gebührend begossen, wobei der Jagdherr nicht umhin konnte, dem Rüben- und Knollenbaron die dicksten Kartoffeln unter die Nase zu halten, hingegen sein eigenes Pech unter den größten Jauchekübel zu setzen. »Jawoll, Euer Hoch- und Wohlgeboren, ich mit meiner ausgeknobelten Pechspezialität und Ihr mit den immer fetten Baronskartoffeln, das ist schon dazu angetan, um mit 'nem gewissen Doktor in Kleve rund um den Narrenturm zu fliegen und den ausgesuchtesten und dämlichsten Mistus in die Welt hinauszutrompeten,« was den Borgheeser aber veranlaßte, ihm auf die Schulter zu klopfen und geziemend zu sagen: »Bravo, mein Junge! Vom Goldkorn versteht Ihr schon was, auch 'ne Punschbowle richtig herzurichten, sie sachlich auf den Tisch des Hauses zu stellen – auch diese Fähigkeit wird Euch in allen Ehren zugebilligt, aber von der edlen Jägerei habt Ihr 'ne Ahnung wie besagter klevianischer Doktor von der löblichen Schreibkunst. Seine Elaborate sind Hofgang- und Hüskenprodukte.«

» Capisco! Hab' ich auch schon gesagt,« und Michel Virgilis lachte, daß sich ihm die Schwarte abledern wollte. »Euer Hoch- und Wohlgeboren treffen doch immer das Köpfchen von 'nem fünfzölligen Zimmermannsnagel.«

» Merci, und wohl bemerkt, denn ich sehe: Euer Liebden goutieren ein kleines Späßchen. Gott lohn's Euch. Im übrigen schadet es dem Kappes nicht, wenn der Jagdherr auf seinem eigenen Grund und Boden nicht immer alle Neune herunterkegelt. Aber, aber... unser Neidgenosse von der grünen Farbe, mein Kamerad und Kampfgenosse im äußersten Westen, der, Seite an Seite mit mir, sich stündlich darauf gefaßt machen mußte, für Kaiser und Reich in den grauen Sand oder in das graue Wasser zu beißen, dem hätte ich zu gerne den heutigen Fichtenbruch vergönnt, schon um der Kameradschaft willen bei den Schleusen von Ypern.«

»Herr Baron...!«

»Warten wir ab,« und Gisbert Kreuzwendedich Riswyk hielt ihm sein Glas hin. »Auf Borghees, nicht weit von der holländischen Grenze, steht ein Kapitaler zwischen den Schilfkaupen, ein Schwarzer, ein ungerader Achter, ein ausgemachter Urian. Der wartet auf Sie. Außerdem hofft die Gräfin Kolbe von Wartenberg baldigst auf gütigen Zuspruch. Also, meine Herrschaften, wenn die Heckenrosen dahin sind und die Gartenrosen sich in voller Blüte befinden...«

»Herzensbaron,« fiel ihm Michel Virgilis ins Wort, »wir lassen uns nicht lang invitieren. Sonder Rosinne en Pöntjes, wir warten auf Order. Weiß der Kuckuck noch mal! der Rüben- und Knollenbaron hat doch seine verdammten Meriten. Hallo, horrido!« und zum guten Beschluß des heutigen Tages ließ er sich einen Semper idem, einen Bonekamp of Magenbitter, anpräsentieren, um ihn sanft und selig hinter die Binde zu gießen.

*

Die Heckenröschen hatten ihre köstlichen Tellerchen verstreut, ihre vornehmen Schwestern hingegen sich in voller Blüte ausgetan.

Auf Borghees stand das Rosarium in einem märchenhaften Rausch von wollüstigen Kelchen, als hätte eine gütige Fee die Gärten von Schiras in diesen verlorenen Erdenwinkel übergeleitet. Auch in Grieth flankierten zwei mächtige Rosenbüsche den Eingang, der zum Anwesen des Kapitäns Hemskerk führte, zwei kapitale Bauernsträuße, mit pausbackigen Zentifolien überschüttet, die in bester Laune die sogenannte ›Gute Stube‹ durch die blankgeputzten Scheiben beäugelten.

Hier gab's was zu sehen.

Alles blitzte man so: der große Spiegel mit den beigesteckten Pfauenfedern, die Musselingardinen und Schildereien, die Glasservante mit den Porzellanraritäten aus Delft, die hochlehnigen Binsenstühle, der Dreimaster unter der niedrigen Balkendecke, ein Meisterstück Hemskerks, an dem er drei lange Winter hindurch herumgebosselt hatte, auch sonstige Dinge, die von seinen weiten Reisen erzählten ... und die neugierigen Zentifolien sahen: der Alte war zu Hause, um sich für eine längere Tal- und Bergfahrt vorzubereiten.

Mit seiner Tochter und Reiner saß er beim Kaffee, schon dabei, sich 'ne Tonpfeife anzubrennen. Letzterer hatte es sich nicht nehmen lassen, den freien Sonntagnachmittag bei seiner Braut zu verbringen.

Eine köstliche Sommerbrise schmeichelte sich in das Zimmer. Der Rhein blaute herauf, weiße Wolken, leuchtend wie geputzte Zinnkasserollen, übersegelten den Strom und die weiten Liegenschaften, die die hauptsächlichen Besitztitel des Hausherrn ausmachten, reichlich besetzt mit smaragdgrünen Teppichen und mastigen Runkelrübenfeldern.

Er selber schmunzelte, freute sich seiner einzigen Tochter und seines schmucken Besitzes, als schwere, majestätische Schritte die Rheinstraße heraufkamen und über die Schwelle in den Hausflur rumpelten. Dann wurde angeklopft. »Engtree!« und Michel Virgilis Tappert, der bis dato den Grundsatz vertrat: » Vivo ut bibam, non bibo ut vivam,« schob seine zweihundert und dreiunddreißig Pfund klevischen Gewichtes in die Stube hinein, rückte näher heran und pflanzte sich bei dem wohlausgespreiteten Tafeltuch auf.

Mynheer Tappert imponierte.

Im Samtjackett, den mächtigen Castorhut, von dessen Rand sich eine pielgerade Fasanenfeder aufsteilte, über die graue Keilerschwarte gezogen, so stand er, machte Reverenz, warf den rechten Zeigefinger an die Krempe und sagte, indem er einen stattlichen Brief mit einem freiheitlichen Petschaft in seiner Linken auf- und niederbewegte: » Salve! Anch' io sono pittore. Daneben auch Schankwirt am Krantor in Emmerich. Dieses heute nur in Parenthese gesprochen, denn ich komme als Sendling, gewissermaßen im Auftrage meines Freundes und Gönners, dessen Kavalierscheitel Gottes Sonne bescheinen möge für immer und ewiglich.«

»Bravo!« rief Hemskerk.

» Merci,« entgegnete Tappert. Er ließ den Zeigefinger wieder fallen und sagte: »Bevor ich mich selbst invitiere oder invitieren lasse, mich an den trefflich assortierten Kaffeetisch zu setzen, wohlbestellt mit Korinthenwecken, Spekulatiusmännchen, Janhagel und Nymwegener Moppen, habe ich an die Präsenz des hochwohllöblichen Hauses Hemskerk 'ne angenehme und bekömmliche Botschaft zu richten. In nomine des Herrn Barons Gisbert Kreuzwendedich Riswyk – sie lautet:

Gegeben Haus Borghees.

Viellieber Zapfer, Pünschler und Trautgeselle in Sancto Huberto! Ich wende mich in vorliegender und dringlicher Sache an Euer Liebden, weil ich mich des Glaubens hingebe, in Euch den besten Fürsprecher und Interpreten gefunden zu haben.«

»So ist das,« unterbrach sich Mynheer in selbstgefälliger Weise, um dann weiter zu lesen.

»Ihr wißt doch, Maestro: aus Euern wenig ergiebigen Jagdgründen, gelegen im Kirchspiel von Huisberden, genau auf dem Acker, der sich rühmen durfte, die Geschichte mit Phöns, Hendrintje und Doortje erlebt zu haben, wo Ihr den guten Sechser verfehltet, dann hinterher im dasigen ›Goldenen Anker‹, woselbst Ihr nicht umhin konntet, Euch einen Semper idem zu genehmigen, haben wir bereits die fragliche Angelegenheit im großen und ganzen besprochen und umrissen. Heute nun komme ich darauf zurück und möchte Euch, dem Herrn Kapitän, seiner hochgemuten Tochter und meinem Kriegsgefährten an den verheerenden Schleusen vor Ypern und Dixmuiden folgendes unterbreiten. Dem Herrn von der grünen Farbe zur Kenntnis: seine Birsch ist höchlichst erwünscht. Auf Borghees platzt jetzt der Kapitale, der ungerade Achter, zwischen den Schilfkaupen, als wäre er vom leibhaftigen Gottseibeiuns besessen. Ihm die weidgerechte Kugel aufs Blatt zu setzen, ist Angelegenheit meines Kriegskameraden. Weidmannsheil und herzlich willkommen! Der Kapitän soll sich meiner Bouteillen annehmen. Sie harren des Pfropfenziehers, einer ausgepichten und ergiebigen Kehle. Profiziat und auf ein fröhliches Trinken! Auf Demoiselle Jakobine warten die Rosen. Alle Rosen auf Borghees, alle in Lauben und Hecken, auf Rabatten und Rainen – alle freuen sich darauf, der Herrin des Niederrheins mit ihren köstlichsten Düften zu huldigen. Außerdem: die schöne Gräfin Kolbe Wartenberg läßt grüßen. Sie ist gerne bereit, den Preis mit Demoiselle zu teilen, und somit: im Namen aller Damaszenerrosen und der sonstigen Rosen – auf Borghees nächsten Mittwoch herzlichst willkommen. Es sollen richtige Sonnenscheinstunden werden. Also, alter Junge, besorgt mir den Auftrag. Immer zu Dank und Gegenleistung verpflichtet.

Riswyk.«

Michel Virgilis ließ den Schriftsatz herunter. Triumphierend sah er über den Tisch hin.

Er salutierte: »Hört, hört! So 'n Kavalier weiß seine Freunde nicht nur zu suchen, sondern auch zu finden. Die Finger des Staates greifen unverfroren in jedermanns Taschen, poweren sie ratzekahl aus, die des Barons hingegen wissen zu geben, und nicht nur zu geben, sondern dies Geben auch mit 'ner beachtenswerten Noblesse zu vereinigen. Kurzum, in der Spiegelscheibe der Geschichte wird sich eine solche selbstlose Invitation widerspiegeln müssen. Ich habe gesprochen.«

Erst Mäuschenstille. Hierauf wandte er sich an die grüne Farbe: »Was, Reiner, so 'n Kapitaler, so 'n ausgetragener Urian, ohne Verletzung des Kurzwildbrets, also einer mit mächtigen Stangen und sonder Perücken, ist nicht alle Tage vor Korn und Kimme zu kriegen... und solche Bouteillen, Kaptän... und solche Rosen, Mamsell...! Also, meine Herrschaften,« und er setzte sich schwer an den Tisch hin, direkt neben Jakobine, »sonder Besien en sonder Rosinne en Pöntjes, was soll ich für 'ne Meldung überbringen?«

Jakobine verfärbte sich, wollte Einwendungen machen, wandte sich an den Geliebten und fragte ihn heimlich: »Wie denkst du darüber?«

»Ich...?!« fragte dieser. Der ungerade Achter stieg ihm heiß in die Kehle. Sein Weidmannsherz pochte und hämmerte.

»Blexem und Donnder!« fiel der Alte mächtig dazwischen. Dabei stieß er einen Pfiff aus wie der Klabautermann zwischen der Takelage. »Natürlich, Reiner denkt so wie ich, wie du und Michel. Wir sind doch keine Pottfische. Selbstverständlich: gemeinsame Fahrt und gemeinsame Pläsierlichkeiten. Sonst Fixfeuer auf unsere dämlichen Köppe. Wir müssen doch dem Baron, dem Kapitalen in den Schilfkaupen, seiner Honorigkeit und den prächtigen Rosen die Ehre erweisen. Nicht, Jakobine?!«

Jakobine sah verloren ins Leere. Aber sie nickte, wenn auch mit einem schmerzlichen Lächeln.

»Dann befände sich alles in bester Butter,« triumphierte Michel Virgilis, langte zu und genehmigte sich ein delikates Schälchen.

»Meine Spezialitat, diese Angelegenheit geleistet zu haben,« dachte er glücklich und tauchte ein Nymwegener Möppchen mit geberischer Spendierlaune in die duftige Kaffee- und Milchbrühe.


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