Joseph von Lauff
O du mein Niederrhein
Joseph von Lauff

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Achtes Kapitel

»Hoiho, Jakobine ...!«

Die Achterkajüte spiegelte sich in ihrer eigenen Helle, tiefrot und purpurn, als sähe der brennende Herbst durch die niedrigen Fenster. Das machten die schmucken Geranienstöcke, die hinter den schmalen Gardinen standen, das tat das warme Sonnenlicht, das mit diesen blühenden Stöcken spielte, mit ihrem satten Glanz die weißlackierten Wände austapezierte, tiefrot und purpurn, und in dieses Leuchten hinein musizierte es mit dem munteren Vortrag einer Schlegelpfeife. Der schwefelgelbe Kanarier war es, der aus der Nebenkabine seine Stimme vernehmen ließ, frisch und ungebunden, wie's sich für den Begleiter eines Rheinkapitäns ziemte. Jedereins mit feinfühligen Ohren konnte sich daraus einen Vers vom Jungfernkranz und veilchenblauer Seide zusammenreimen.

»Hoiho, Jakobine! Mein Herzensdöchting, ich hab' was ganz Besonderes übergeholt. Wenn's erlaubt ist, möcht' ich's in der Achterkajüte verstauen. Also – wie wär's damit?«

»Reiner ...!«

Wie ein Schrei kam es hoch. Da legte Hemskerk seinen Arm in den des Angerufenen und sagte: »Soweit wären wir jetzt. Wir zwei beide sind einig geworden. All right! Durch dick und dünn bis zum letzten. Auch Edelmänner – und Adel verpflichtet, wie Riswyk behauptet. Hier endet mein Lotsenamt. Das deine beginnt. Drum 'rin in die Koje und fröhliche Talfahrt.«

Hierauf wandte er sich, ging straff über die Riemen. Dann blieb er stehen.

Über ihm holte es aus. Hoch und dumpf kam es von einem grauen Turme herunter.

Er zählte die einzelnen Schläge.

»Neun Uhr,« sagte er schließlich. »Noch zwei Stunden, dann heißt das: Loswerfen! Abfahren! Adjüs Emmerich! Bonus! Möge bis dahin alles gerichtet sein. Auch für mich. Kein pro und contra mehr. Alles im Lot. Damit auch für mich 'ne fröhliche Talfahrt,« und er sah den Möwen nach, die immer zutunlicher wurden... und stellte sich sein Döchting vor... und sang mit verhaltener Stimme über Deck hin, nicht schön, aber er brummelte doch:

»Es war 'ne kapteinische Tochter,
Ein wunderschönes Weib.
Die ging des Abends spazieren,
Um sich zu delektieren
An Lust und Zeitvertreib ... Hoiho!«

und die kapteinische Tochter stand inmitten der Achterkajüte, noch den Namen ›Reiner‹ auf den blutleeren Lippen, die Augen starr auf die kleine Treppe gerichtet, die schnirkelartig deckabwärts führte.

Nach heißem Ringen und Kämpfen, nach all den Anfechtungen, die sie während der grauen Nachtstunden heimgesucht hatten, erhob sich Jakobine siegreich zwischen Dielen und Decke, gefestet in sich, von der Hoheit und Heiligkeit des eigenen Wertes durchdrungen. Keine Zweifel mehr, kein Begehren mehr nach Dingen, die nach Sünde schmeckten. Ihr Blut rauschte ganz anders, reiner und frohwilliger. Sie fühlte sich als Herrin und Königin über ihr pochendes Herz, über die verzehrenden Wahngebilde der verflossenen Heimsuchungen.

»Reiner ...!« und als sie seine Schritte vernahm, da war es ihr, als wäre der Reichswald vor ihr ausgetan, als käme er in seiner ganzen Herrlichkeit und flammenden Herbstpracht in die schlichte Behausung, als dehnte sich der beschränkte Raum ins Unermeßliche, um alle diese goldenen Kronen und Wipfel aufzunehmen, diesen geheiligten Odem, dieses geheimnisvolle Wehen und Brausen. Und die Stimmen des Waldes verstärkten sich, nahmen zu an Fülle und Wohllaut, wurden zu einer gewaltigen Domorgel, sangen das liebe und gütige und doch herzzerreißende: »So nimm denn meine Hände ...«

»Ja – so nimm denn meine Hände ...« und das Rauschen des marschierenden Waldes fiel über sie her, hüllte sie ein, preßte Brust gegen Brust, drückte sie in seine Arme hinein, ließ sie die Worte stammeln: »Ach du! Ich fühle dein Blut, und dieses Blut ist ein rasches und stürmisches Blut.«

»Das glaubst du, weil ich nicht abwarten konnte?«

Sie erstickte unter seinen verzehrenden Küssen.

»Ach – Reiner ...!«

»Oder hätte ich abwarten sollen?«

»Wie meinst du?«

»Abwarten sollen, bis es hieß: ›Gott mit uns‹ von Rotterdam wohlbehalten zurück ... liegt im Hafen vor Grieth ... an Bord alles in bester Verfassung ... Vater und Tochter sind herzenseinig geworden?«

»Hör' auf, du!« hauchte sie glücklich.

»Abwarten sollen, bis Nachricht eingetroffen wäre: ich habe 'ne glückliche Stunde gefunden ... Papa Hemskerk lieh mir ein geneigtes Ohr ... Verlobung genehmigt ... komm' sofort ... wir erwarten dich sehnlichst, um das Brautfest zu begehen?«

»Reiner, so war es gedacht.«

»War es, Geliebte, aber wir, die wir es so festlegten, zogen mein heißes und stürmisches Blut nicht in Rechnung. Gott sei gedankt, nicht. Ich hielt's nicht mehr aus, marschierte in den frohen Morgen hinein.«

Er stieß einen Schrei aus.

»Jakobine, was soll ich noch sagen? Was Gott zusammenfügt ...« und sein Mund lag heiß auf dem ihren, »und dieses: Ich lasse dich nicht, es sei denn, der Herr riefe mich ab, um von seinen ewigen Tischen zu essen ... und dann noch: auch an den ewigen Tischen ...«

Er vollendete nicht, was ihm die Seele bewegte. Mit rascher Hand brachte er ein schmales, silbernes Kettlein zum Vorschein, an dem ein roter böhmischer Kristall hing. Er ähnelte einem Blutstropfen.

Das bot er ihr dar.

»Von meiner Mutter,« sagte er hastig. »Das sollst du tragen, ihr zuliebe tragen. Sie schickt es dir mit heißen Segenswünschen. O, meine Mutter!«

»Reiner, wie du das sagst!« und ihre Hände tasteten nach den seinen, hielten das Kettlein ... hoben es auf ... spielten damit ... »Wie gut muß sie sein, diese Mutter!«

Sie trat einen Schritt zurück.

Der bleiche Mund zuckte auf.

Ihr Gesicht wurde schmal, nahm einen traurigen Zug an, um schließlich starr und wie aus Stein gemeißelt zu werden.

Alles Blut drängte sich dem Herzen zu. Ein körperlicher Schmerz ging über sie hin, berührte sie mit Eisnadeln.

»Reiner,« sagte sie nach einiger Weile, mit der Ruhe einer Gezeichneten, »hier dieses Kettlein – bevor ich es anlege, bevor ich sagen kann: Ich bin seiner wert und würdig ... Nein, Reiner, unterbrich mich nicht, lasse mich aussprechen. Du darfst mir diese Stunde nicht nehmen, mich nicht hindern wollen, dir das zu sagen, was Eingebung und Gewissen mir vorschreiben. Du magst dann entscheiden. Ohne Groll im Herzen, ohne mich irremachen zu lassen, ich füge mich deinem Willen, und mögen darüber Tage erscheinen, die bitterlich weinen und Blut auf den Lippen haben.«

Sie winkte ihm zu.

»Ich sehe, du lächelst. Möglich, es verdient nur ein Lächeln. Aber was hilft mir das alles? Dein Lächeln nimmt meine Unruhe nicht fort, ängstigt sie nur und bringt mir das nicht zurück, was ich flehentlich herbeisehne: den eigenen Frieden. Kurz, ich habe dir ein Geständnis zu machen.«

Er glaubte, nicht richtig gehört zu haben.

»Du – mir: ein Geständnis?«

»Ja – dir: ein Geständnis.«

Ihre Worte ließen sich nicht abweisen, waren fest und bestimmt. Mit schmalen Händen nestelte sie ihr Busentüchlein zusammen. Dann sprach sie weiter: »Es ist nur, um Klarheit zu schaffen, die kleinste Zelle meines Fühlens und Denkens dir restlos darzubringen. In den verflossenen Stunden war alles so seltsam um mich. Schließlich hatte ich das Vertrauen zu mir selber verloren. Durch meine Liebe hindurch wandelte plötzlich ein anderes Bild. Nicht mehr das ruhige Bild von einst und ehedem. Eine glänzende Helle blendete mich. Ich ging durch sie hindurch, als wäre jenseits von ihr eine schönere Welt ausgetan, schöner und verheißungsvoller als meine schlichte jetzige Umwelt, obgleich eine innere Stimme mir sagte: Du sollst nicht begehren.«

»Und du hast dennoch begehrt?«

»Ich tat es.«

»Und du begehrtest leuchtende Sterne, und waren auch Kronen dazwischen?«

Sie sah ihn entsetzt an.

»Reiner, das weißt du?«

»Und du begehrtest dich fort von der eigenen Scholle, in etwas dir Wesensfremdes hinein, umgeben von Glorie und Nichtigkeiten, an der Seite eines Mannes in gehobener Lebensstellung? Jakobine, auch dieses?«

»Ja, Reiner, auch dieses.«

»Und glaubtest durch Sünde zu gehen?«

»Wenn es Sünde ist, wenn man in bangen, zerquälten Stunden also begehrt, dann bin ich durch Sünde gegangen.«

»Und das ist dein ganzes Geständnis?«

»Reiner, mein ganzes.«

Da durchschnitt seine Hand die Luft wie eine pfeifende Gerte: »Gespenster!«

Mit herrischer Gewalt riß er sie an sich, bettete ihr Haupt an seine Brust, schmeichelte über Haar und Stirn hin und begann heimlich zu sprechen: »Jakobine, mir ist so wie vor vielen Jahren, als die Bratäpfel in der Ofenröhre plauderten und Großmutter erzählte: Es war einmal ... Ja, es war einmal ein allerliebstes Dirnchen ... und wohnte in Grieth bei den Weiden ... und spielte mit den Rheinkieseln ... und wurde größer und größer. Und als es in die Jahre hineinwuchs, immer schöner und eigenwilliger wurde und in den Spiegel hineinsah, da war ihm so, als stände eine Prinzessin von Hochburgund in dem vergoldeten Rahmen. Die Rheinschiffe aber, die vorbeifuhren, legten ihren besten Flaggenschmuck an, ließen ihre Sirenen spielen und ihre Katzenköpfe über Deck böllern, daß es eine Lust war zuzuhören. Dazu riefen die Matrosen, vom ersten bis zum letzten herunter: Hurra und Vivat! Die Prinzessin von Hochburgund soll leben, soll leben! Aber kein Hochmut wandelte sie an. Sie blieb was sie war: das selbstbewußte, klardenkende Weib aus der Niederung, das sich seiner schlichten Seele erfreute, straffen Wuchses über die Deiche schritt, die jungen Brüste den scharfen Ostwinden bot, ohne zu frösteln, ohne unter diesen jungen Brüsten das Verlangen zu tragen, das Weib der Niederung abzutun und die Arme nach Wesensfremdem und den Lockungen eines genußsüchtigen Lebens auszustrecken. Und dennoch: der Spiegel trog nicht. Wie eine Prinzessin von Hochburgund stand sie in dem vergoldeten Rahmen.«

Sie erschauerte in seinen Armen.

»Ich dachte mir, du wolltest mir ein Märchen erzählen,« hauchte sie atemlos.

»Warte nur ab. Und da eines Tages ... Die Prinzessin von Hochburgund erging sich am Rheinufer, eine große und reine Liebe im Herzen. In diese Liebe hinein flüsterten Wiesenblumen, duftete der Weihrauch von Edelfichten, sangen die Vögel des Waldes – und dieser Liebe genügte ein eigener Rauch über dem Herdfeuer, die Zutunlichkeit der Herzen, das trauliche Licht in der einfachen Hochzeitskammer. Da kam es plötzlich herauf. Mit vergoldetem Bug und vollen Sturmsegeln kam es herauf ... und warf Anker vor Grieth ... und führte die stolze Flagge eines nordischen Königs. Und hoch an Bord stand der nordische Königssohn. Der jauchzte ihr zu: Mein Vater ist Valdemar Atterdag, der Herrscher der Herrscher. Der strählte seinen Bart und schlug Funken und Sterne heraus und sagte: Führe mir die Feinste und Reinste aus den Grafschaften in meine nordische Hochburg. Dort soll Schildschlag sein und Harfenspielen, denn ich will sie segnen. So König Atterdag... und der schöne und blonde Königssohn lockte und winkte. Da vergaß sie in einer einzigen Stunde alles das, was die Heimat und die Liebe ihr darbrachten: ein stilles Heim mit einem eigenen Rauch... die weite blühende Heide... den deutschen Wald mit seinem gewaltigen Orgelspiel... ein treues Herz, das um ihretwillen verblutete. Und sie stieg an Bord und freute sich des bunten Scheines und des jungen Königssohnes... und freute sich seines heißen Blutes und seiner gleißenden Sterne... und sah nicht, wie sich jegliches düster umschleierte, häßliche Gesichter sie angrinsten, scheußliche Hände nach ihrem Leibe gespensterten, denn ihre Sinne wurden verstört und ihre Gedanken abwegig. Sie wandelte sich zu einem königlichen Weib in todschwarzem Samt und ähnelte dem schönen Weib, von dem die Offenbarung Johannis vermeldet. Auch trug sie eine siebenzinkige, geperlte Krone, die wie Nordlicht aufgeisterte. Da aber: eine mächtige Stimme dröhnte einher. Die war gebieterischer als die des Königs Valdemar Atterdag, zwingender als die seines Sohnes... und die Stimme gebot: Köpfe herunter! Und siehe: eine bleiche, blanke und blitzende Klinge schnitt durch die Luft und säbelte die häßlichen Gesichter und die scheußlichen Hände von den widerwärtigen Leibern. Die Sonne aber schlug Funken, vergoldete die Achterkajüte. Sonne, Leben, greifbare Wirklichkeit! Und hoch, keusch und heilig, gesundet von ihren wehen Gedanken breitete das niederrheinische Weib seine Arme der niederrheinischen Heimat entgegen und horchte hinaus. Irgendwo in weiter Ferne rauschte das Schiff auf seiner Talfahrt dahin. Sie träumte nicht mehr, sie bangte und begehrte nicht mehr. Aus dem häßlichen Traumbild schälte sich der junge Tag mit leuchtenden Farben, kleidete sich in Brokat und Purpur, und in diesem Brokat und Purpur steht einer...«

»Und das bist du!« schrie sie auf.

»Auch ein Königssohn,« lachte er glücklich, »wenn auch nur in grüner Watt, sonder Orden und Auszeichnungen.«

»Reiner, mein Reiner! Nun schmücke mich mit dem Geschenk deiner Mutter. Ich bin dessen wert und würdig geworden. Ein stählerner Ring springt mir von der Seele herunter.«

»Um sich um uns beide zu legen, als ein köstliches Ringlein, ein Zeichen dafür: nun sind wir für alle Tage verbunden, eins und herzenseinig für immer,« und er schmückte sie mit dem Kettlein, von dem ein böhmischer Stein wie ein Blutstropfen sickerte.

Ihr Mund zuckte auf, brannte auf seinem wie eine verzehrende Flamme. »O du – wie schön war dein Märchen!« und ihre stolzen Arme umschlangen ihn, ihre Lippen stammelten: »Trinke dich satt, trinke dich satt an dem heißen Quell meiner Liebe!« Aber von weither rauschte noch einmal das nordische Schiff mit seinem schaumigen Kielwasser herauf, um immerzu talwärts zu fahren, dem grauen Nebelland zu, wo der König Valdemar Atterdag in das Licht des ewigen Pols schaute und des ausgesandten Königssohnes harrte. Der aber war am Rhein geblieben und freute sich seines niederrheinischen Weibes, das im Spiegel erschien wie eine Prinzessin von Hochburgund, herrlich anzuschauen, beseligt durch sich und verklärt durch starke Mannesliebe.

Sie aber betrachtete das Geschenk der Mutter mit heiliger Inbrunst, führte es an die Lippen und küßte es innig.

*

»Herr Zollinspektor, oder Verzeihung – muß ich Sie Generaloberzollinspektor betitulieren? Man kann immer nicht wissen, denn in den jetzigen Zeitläuften will sich jedereins wie ein Pfingstkönig herausmustern.«

»Lassen wir das, Herr Kapitän. Wir stiegen im Rang. Generaloberzollinspektor – zu dienen.«

»Dann, Herr Generaloberzollinspektor, die Frage: Haben Sie alles in Schick und Richte gefunden?«

»Ich kann wohl sagen – so ziemlich.«

»Und weiter nichts zu verzollen?«

»Nichts weiter.«

»Wundert mich sehr.«

»Warum wundert Sie das?«

»Weil vielfach die Steuern den Wert der Ladung überbieten.«

»Der Beamte tut seine Pflicht. Nichts weiter.«

»Bis der letzte Hosenknopp übergeschluckt ist und der Bürger alle Not hat, mit dem fallenden Hosenboden seine Scham zu verbergen. Im übrigen: ich halt' mich empfohlen,« und damit drehte Hemskerk ab und ließ den verdutzten Generaloberzöllner ohne Geleit wieder an Land gehen.

»Fort mit Schaden,« sagte der Alte. »Wenden wir uns Besserem zu. Da drunten scheint's ja zu flecken. In 'ner Stunde wird weiter gefahren. Aber Blexem und Donnder! Was los denn?«

Seine blitzblauen Lichter perlmutterten. Sie stielten sich teleskopartig vor, ähnlich denen eines Helgoländer Hummers. Nahmen hierauf die Schenke am Krantor aufs Korn.

Dort blieben die Leute stehen, drängten zusammen und besahen sich den altmodischen Klinkergiebel, aus dessen Bodenluke sich eine majestätische Fahne vordrängelte.

Gleich darauf entfaltete sie sich und ließ die alten glorreichen Farben im Sonnenlicht dahinflattern.

Mit dem öffnete sich auch die Haustür über der Schnirkeltreppe. Etwas Buntknalliges, Kugelartiges, Aufgestutztes, das mit einem Monstrum von Blumenstrauß eine gewisse Ähnlichkeit hatte, erschien auf der Schwelle, marschierte auf die Straße hinaus, um Richtung auf die Anlegestelle des braven Rheinschiffes ›Gott mit uns‹ zu nehmen.

Hätte Hemskerk Shakespeare gekannt und seinen Macbeth gelesen, zweifelsohne wären ihm die Verse gekommen, die da lauten:

»Fürchte nichts,
Bis Birnams Wald auf Dunsinan heranrückt ...«

denn tatsächlich schob sich so etwas Beschaffenes näher heran. Ein Riesenbukett von strotzenden Dahlien und Georginen, ein blendender Rausch von schwefelgelben, violetten, knallroten, geflammten und sonstigen Couleuren wandelte stumm seines Wegs, und wäre nicht die Spitze eines Castorhutes hinter dieser Blumenrabatte zum Vorschein gekommen, man hätte des Glaubens sein können, dieser pflanzliche Monumentalbau käme in Kraft eigenen Wollens und eigener Machtbefugnis dahergegangen. Dem aber war nicht so. Wer genauer zusah, konnte bald den Träger entdecken, und der Träger dieses blühenden Wunders nannte sich Michel Virgilis. Sein Gehabe war Würde, sein Schreiten das eines Hohenpriesters im grünen Gewand und mit klingenden Silberschellchen, wenn die Schaufaren zum Synedrion riefen. Neben ihm trippelte die Schöne aus dem benachbarten Dornick, blank und weiß, in ihrer immerwährenden Feistheit, trippelte Düweke Brinkmann, im Arm ein rechtschaffenes Körbchen, das diverse auserwählte, langproppige Burgunderbouteillen mit den zugehörigen Kristallgläsern eingeschluckt hatte.

Der Aufzug machte den Hafen mobil.

Was Beine hatte, lief zu, bildete eine via triumphalis. Durch sie schritten Michel Virgilis und Düweke Brinkmann.

Vivatrufe wurden laut, Hüte wurden geschwenkt.

Das Goldkorn strahlte von ihrem Weizenschopf bis zu den stattlichen Waden herunter. Sie fühlte sich wie eine begehrte Dorkinghenne, wobei sie so gesinnungstüchtig mit ihrem wohlhabenden Hinterkastell schlenkerte, als gälte es, den vielgelenkigen, ewigjungen Huris in Mohammeds Paradies den Rang abzulaufen.

Auch auf Deck kam Bewegung. Steuermann, Schiffsjungen, Ober- und Untermatrosen streckten die Köpfe.

Hemskerk stand wie eine angewurzelte Säule, als er sehen mußte: eine ganze Dahlien- und Georginenpflanzung gab sich die Ehre, marschierte über die geworfene Planke, unter sich das gluckernde Rheinwasser, über sich den ehernen Himmel, spazierte an Bord, um ihm, dem Alten, Reverenz zu erweisen, denn aus den mastigen Blütenköpfen und Blättern rollte eine feierliche Stimme: »Hemskerk, zur Stelle.«

»Michel, Mensch, Herzensjung, du willst doch hier keine Komödie spielen?!«

»Was Komödie spielen ...?!«

Kopf und Castorhut machten sich lang, kamen zum Vorschein, überragten das Riesenbukett mit der getragenen Großartigkeit eines neuzeitlichen Beamten in gehobener Stellung.

»Nein du – nichts von Komödiantentum, nichts von Bühne und Rampenlichtern, Anch' io sono... Weihe umweht uns, Wonne haucht uns an. Wir hörten. Gestern nur schwächlich, denn die Weingeister verstörten die Sinne. Heute schon besser. Wir haben erfahren. Wir sind wissend geworden. Was in der verflossenen Nacht uns nur wie eine magere Hausschelle in die Ohren klingelte, fällt nunmehr als sonore Glockentöne von der hohen Domkirche herunter. Hier soll was passiert sein, so 'ne Art Verlobung und so ... und daher haben wir uns die Ehre gegeben – der Blumenstrauß, Düweke Brinkmann, diverse Bouteillen und ich – dem jungen Brautpaar einen duftenden, klingenden und mundlichen Willkomm zu bringen. Ich sage dem Brautpaar, denn wie ich höre, soll sich der Bräutigam gleichfalls hier unter deiner glorreichen Flagge befinden.«

»Michel, ganz richtig. Ist aber noch in der Achterkajüte beschäftigt, um dem getätigten Pakt das letzte Salböl zu geben. Aber ich denke: er ist fertig damit. Zeit hatte er in Masse dazu, denn so propter und prätorius 'ne gute und vollbemessene Stunde bemüht er sich mit dieser angenehmen Obliegenheit. Wollen mal hören,« und seine Stimme tutete wie eine Synodalposaune über die Planken: »Reiner, Herzensmamsell! 'ne löbliche Deputation ist auf Deck, gute Freunde und liebe Bekannte. Sie wollen euch und eurer Brautschaft die Ehre erweisen, und somit: zum ersten – zum zweiten – und letzten: erscheinet und laßt uns nicht warten!«

Michel Virgilis nickte ihm zu.

»Hemskerk, deine Beschwörung war gut. Meine ganze Spezialität – so 'ne schneidige und pyramidale Kürze,« und mit einem prächtigen »Ah!« auf den Lippen sah er bald darauf die also Zitierten ihrem vergoldeten Paradiese entsteigen, Hand in Hand, von der Gloriole dieser Stunde und des Friedens umleuchtet.

Der Himmel tat sich auf, und Michel Virgilis warf einen scharfen Blick auf die Seite, wobei er gebot: »Düweke, stelle den Kellerkorb hin und begib dich wieder in unsere Arche Noäh zurück. Dir ist Heil widerfahren. Du hast das erlauchte Brautpaar gesehen, und das dürfte vorderhand genügen.«

»Nee,« sagte Hemskerk, »das dürfte wohl nicht so ohne weiteres genügen, denn wer soll die Bouteillen entproppen und die Gläser anpräsentieren?«

»Auch gut. Hemskerk, du denkst doch an alles ... und Düweke – du: du bleibst und machst die Honnörs, auf daß wir uns in die richtige Stimmung begeben können.«

So Michel Virgilis, um sich dann in seiner ganzen Feier und Aufmachung an das Brautpaar zu wenden: »Liebwerte und gefeierte Tochter meines Jugendfreundes, edler Jüngling von der grünen Farbe, zudem mein Gefährte beim edlen Weidwerk,« also begann er, wobei er die Dahlien- und Georginenpflanzen zweimal senkte und wieder emporhob. »Des besseren Verständnisses halber sage ich nochmals: Weihe umweht uns, Wonne haucht uns an. Wir hörten. Gestern nur schwächlich, denn die Weingeister verstörten in meiner historischen Stube die Sinne des sachlichen Begreifens. Heute geht's besser. Wir haben erfahren. Wir sind wissend geworden. Was in der vergangenen Nacht nur wie eine magere Hausschelle uns in die Ohren klingelte, fällt nunmehr in sonoren Glockentönen von der hohen Domkirche herunter, wandelt zu Gott und den Menschen und jubelt wie die Umwelt in den Tagen der Pfingsten: Wir haben ein Brautpaar an Bord, ein glückliches Brautpaar! und daher: die stolze und bedeutsame Pflicht liegt uns ob, selbiges zu feiern, ihm unsere heißesten Glück- und Segenswünsche zu unterbreiten. Zuerst dem Bräutchen ...« und der tönende Rhapsode trat vor und beeilte sich, sein opulentes Mitbringsel an flammenden Kelchen, an Spelzen und Sporen, an Blättern und Blüten, kurz, das immense Dahlien- und Georginengebäude in die Arme Jakobinens zu legen, welche Pause Welm und Lambert dazu benutzten, die Köpfe zusammenzustecken und sich heimlicherweise auf die Seite zu schleichen, um unter Beihilfe des Kajütenjungen die drei Schiffsböller gefechtsmäßig herzurichten und das Takelwerk unter Beflaggung zu setzen.

»Hochedle Jungfrau ...!« und Michel Virgilis reckte sich in seinem krachneuen Samtjackett so gesinnungstüchtig auf, daß davon die Nähte in ein gelindes Knistern und Knastern gerieten. »Du bist ein Licht in der Finsternis, ein kühlender Schatten während der hitzigen Zeiten, die wir zu den Hundstagen rechnen, eine wahre Labsal für den, dem es vergönnt ist, in deinen Armen das ewige Jerusalem zu finden. Hochedle Jungfrau, dich noch weiter mit Lobpreis zu überschütten, halte ich für überflüssig, denn deine Tugenden sind so reichlich vorhanden wie die Spatzen an den Futterkrippen von 'ner Fuhrmannsausspannung in Kevelaer. Ihre Zahl ist Legion, unermeßlich, nicht auszudenken,« und er wandte sich jählings: »Düweke, nu 'raus mit die Proppen!« um gleich darauf, während es neben ihm keuchte und schnalzte, ein Kork nach dem anderen Hals geben mußte, gediegen und in getragener Weise seine Rede weiter zu spinnen: »Ich brauche nicht mehr vieles zu sagen, und wenn ich gestern abend in meinen etwas übermäßigen Sinnen behauptete: so 'ne Rarität von 'ner kapteinischen Tochter wird nicht in 'nen Bauerngarten verpflanzt ... nicht ums Verrecken ... gehört aufs Parkett ... Lakaien und so ... in den Lichtschein von perlenden Lampen ... in Spitzen und Kanten – ja, meine Lieben, von diesem anpräsentierten Rodongkuchen beißt die Maus auch heute noch nicht den kleinsten Korinthenkrümel herunter, aber wenn ich mir jetzt diesen Jüngling besehe – in diesem Falle kann ich nur sagen: sie gehört in 'nen Förstergarten hinein, in ein schlichtes Haus voller Bravheit und Reinheit, denn in Reiner Auwater verkörpert sich die grüne Farbe in höchster Potenz, der Glaube an ein Wiedererwachen des Reiches, die Macht und der Wille, allen Schmutzfinken und Landverderbern, allen Heuchlern und pazifistischen Dustermännern die Faust unter die Naslöcher zu halten ... und das wertet in unseren schandbaren Tagen mehr als Wappen und Zeichen, als abstrapazierte Hoheitsrechte und die Lichtscheine von perlenden Lampen. Selbstverständlich: den Kavalier von Geburt in Ehren, denn er hat seinem Vaterland im Krieg und Frieden das Höchste gegeben, gegeben bis zur äußersten Blutleere, um in letzter Stunde noch die Fahne um seinen sterbenden Körper zu wickeln ... aber ich bitte mir aus: Hut ab auch für den Kavalier ohne Adel. Ein solcher steht vor uns, und weil er noch die Courage aufbringen konnte ...«

Und wiederum eine jähe Bewegung.

»Düweke, nu eingeschunken und anpräsentiert. Ja, meine Herrschaften,« fuhr er mit erhobener, fast trompetender Stimme fort, »weil er noch die Courage aufbringen konnte, dem gewaltigen Kaptän und Rheinbären Hemskerk seine beste Ladung zu kapern und auf sein eigenes Schiff überzuleichtern, dafür wird er von uns dreifach und vierfach bewundert.«

»Bravo!« rief Hemskerk.

»Düweke, fertig?« fragte der Redner.

»Dann, meine Herrschaften ...« und Michel Virgilis stand wie ein Zinshahn, hob das ihm dargereichte Spitzglas mit purpurtrunkenem Burgunder: »Weihe umweht uns, Wonne haucht uns an. Wir alle stehen unter dem Zauberbann des großen Geschehens. Haus Borghees schickte die stolzlichen Blumen, ich die Bouteillen. Meine Spezialität, das Beste vom Besten. Beim Farbenrausch dieses Buketts, auf dem Rheinschiff ›Gott mit uns‹, im Angesicht des erhabenen Rheinstroms – ich spreche die Worte: Reiner, es ist ein Hohes und Schönes, ein stolzes Weib zu gewinnen. Jakobine, dito ein Gleiches um einen treuen und klugen Haushalter. Umschichtig habt ihr solches gefunden. Und daher: Hurra und Vivat, es lebe das Brautpaar!«

Da – bums! Düweke Brinkmann knallte mit ihrem Hinterkastell auf die Riemen – vor Schreck, vor eitel Entsetzen, denn die drei Katzenköpfe rumpelten so mächtig über Deck, spektakelten so überraschend in das feurige Hoch hinein, daß selbst der Kapitän für einen Augenblick die Contenance verlor, dann aber loslegte: »Blexem und Donnder! Michel, meine besondere Hochachtung. Der schönste Tag meines Lebens. Fixfeuer auf alle, die da willens sein könnten, mir diesen Tag zu verbiestern. Selbstverständlich, meine Herzensmamsell, aus der holländischen Reise kann für dich nun nichts mehr werden. Da drüben in Huisberden wartet eine auf dich, wartet eine Mutter auf dich. Kinder, mit Gott denn.«

Er wische sich 'ne schwere Träne von der Backe herunter.

Dann wandte er sich: »Michel – und du ...«

Die beiden Alten sahen sich tief in die Augen.

»Ich danke dir, Michel. Deine Rede ging mir warm und mollig über die Weste.«

»Die Spezialität meines Hauses,« sagte Mynheer und äugte scharf Nordost gegen Ost.

Auch er mußte seine Erregung verbergen.

Eine kleine halbe Stunde später lichtete ›Gott mit uns‹ die Anker. Mit vollen Segeln, im Schmuck seiner Flaggen und Topps glitt das Schiff feierlich aus dem Emmericher Hafen. Kurs Rotterdam.

Jakobine und Reiner, Mynheer und das Goldkorn standen dicht an der Kaimauer und winkten hinüber.

Auf Achterdeck erhob sich der Brandfuchs und ließ seine Harmonika spielen. Dazu sang er mit tönender Stimme:

»Es war 'ne kapteinische Tochter,
Ein wunderschönes Weib.
Die ging des Abends spazieren,
Um sich zu delektieren
An Lust und Zeitvertreib.

Es war mal ein munterer Knabe,
So recht ein rassiges Blut.
Dem war zu jeder Stunde
Und tief aus Herzensgrunde
Die kapteinische Tochter so gut ...«

»Hoiho!«

»Hoiho!« kam als Antwort zurück.

Da legte Michel Virgilis dem jungen Brautpaar die Hände auf und sagte mit flehenden Augen: »Bevor ihr nach Huisberden macht, trinken wir noch 'ne genügliche Bouteille zusammen.«

»Jawohl ...« und sie schritten dem Krantor zu.


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