Joseph von Lauff
O du mein Niederrhein
Joseph von Lauff

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Fünftes Kapitel

»Anch' io sono pittore...!«

Michel Virgilis Tappert liebte die Dämmerhelle für sein historisches Zimmer. Ohne diese konnte er sich ein zufriedenes und wohlgeordnetes Dasein nicht vorstellen. Sie war ihm Lebensbedingung, das Alpha und Omega für die Genüßlichkeit eines anheimelnden Dahinvegetierens.

Er haßte die Glühbirnen. Sie waren ihm das, was für den strenggläubigen Samen Abrahams, Isaaks und Jakobs die Frankfurter Saucischen bedeuten. Er wies sie ab im Hinblick auf seine künstlerische Veranlagung, das Empfindsame für abgetönte Farben, die zarten Schwingungen eines feinen Verstehens.

Ja, das Honoratiorenzimmer... Keine elektrische Birne wagte es hier, sich mausig zu machen, auch nur den kleinsten grellen Lichtreflex über die Tafel zu spreiten. Der Raum, den einst die schöne Katharina Rickers bewohnt und mit dem Duft ihres Haares erfüllt hatte, in dem sie erhöht und erhoben wurde, um schließlich als Reichsgräfin Kolbe von Wartenberg alle befreundeten Boudoirs und verschwiegenen Taxuslauben mit ihrem Liebesgezwitscher zu beseligen – diese, durch Tradition und Geschichte ausgezeichnete Stätte durfte unter keiner Bedingung durch das profane Licht, berechnet nach Kilowattstunden, entweiht werden. Es wäre Schändung gewesen, grobe Vergewaltigung des geschichtlichen und legendären Gedankens, ein brutaler Faustschlag in das Pudergesichtlein eines kichernden, tänzelnden und galanten Zeitalters.

Glühbirnen anzuknipsen – pfui Teufel noch mal! Nur Wachskerzen wurden geduldet, porzellanbleiche, knisternde Wachskerzen, die geheimnisvoll abtropften, dabei neckisch plauderten, ohne bei diesem Geplauder die Contenance zu verlieren oder irgendeiner delikaten Angelegenheit den allbarmherzigen Musselinschleier völlig zu nehmen.

Michel Virgilis Tappert verstand es schon, Stimmung zu machen und diese von ihm gewollte Stimmung sinnig vorzubereiten.

So auch am heutigen Abend.

Fünf Lichter flämmerten von einem schmiedeeisernen Leuchter. Drei weitere standen auf einem schweren Stollenschrank, in welchem Mynheer die von dem emeritierten Rektor und Schulmagister Sebastian Wesendonk verfaßte und edierte Historie von der schönen Katharina Rickers, seligen Angedenkens, sorglich aufbewahrte. Er hegte selbige wie seinen Augapfel, wie das Glück von Edenhall, ohne jemals auf den unseligen Gedanken zu verfallen, mit dem jungen schottischen Lord diese Kostbarkeit unwirtlichen Gesellen preiszugeben.

Nur guten und lieben Menschen ließ er die Wohltat der anregenden Historie zukommen, und wenn er es tat, nur mit äußerster Vorsicht, klugem Eindringen in die Materie bei brennenden Wachskerzen.

»Ein angenehmes Pröstchen Euerer Hoch- und Wohlgeboren,« sagte er, nachdem er sich eine frische Kalkpfeife vom Eckbrett gelangt und sie feinsäuberlichst vollgestopft hatte.

»Über das Bild geht doch nichts,« fuhr er mit eingekniffenen Äugelchen fort. »In ihm verkörpert sich ein ganzes Jahrhundert, eine Zeit, die einem so mollig mit ihren seidenen Reifröcken und sonstigen Zutaten um die Naslöcher herumfingert, daß man miauen möchte wie ein gestriegeltes Miezekätzchen.«

Er machte eine pompöse Bewegung.

»Dieser Ansatz des Halses ... dieses Sichversenken in die feinsten Umbratöne und Schattenpartien des weiblichen Fleisches...«

»Lassen wir's gut sein,« winkte Gisbert Kreuzwendedich ab.

»Ja, lassen wir's gut sein. Es schadet dem Kappes zwar nicht, wenn man alles mit seinem richtigen Namen benennt, indessen jedoch, man soll kein Ärgernis geben, nicht in seiner Beseligung den letzten Schampagnerkorken verknallen lassen. Aber es bleibt dabei: das ist Katharina Rickers, wie sie leibte und lebte, mit all ihren göttlichen Niedlichkeiten und Anfechtungen, und ich will 'nen eingesalzenen Hering, frisch aus der Lake heraus, ohne Murren verzehren, wenn ich das Bild nicht für das beste erkläre, was jemals von ihr hingestellt wurde.«

Der Baron streckte die Rechte.

»Man sachte, mein Lieber.«

»Warum?« fragte Michel Virgilis. »Ich brauche nur den Namen Balthasar Denner zu nennen.«

»Denner ist gut, aber immer bloß hü mit die bockigen Trakehnerhengste.«

»Mumpitz!«

»Abwarten, Freundchen. Nicht immer mit dem Kopf durch die Wolken. Schließlich stößt man doch an so 'nen verfluchten Schwanzstern, daß der zertöpperte Brummschädel meint, in ihm würden ›alle Neune‹ geschoben. Balthasar Denner kann in der Farben- und Pinselwelt mit allen Ehren bestehen, ja, sogar magna cum Iaude bestehen, aber den Zauber, den dämonischen Inhalt dieser Katharina Rickers, dieser Reichsgräfin Kolbe von Wartenberg ad oculos zu demonstrieren, ihn völlig auszuschöpfen, das ist ihm leider versagt geblieben.«

Er zuckte die Schultern.

»Leider – ich kann es nicht ändern.«

»Potz Element noch mal, wo alle Welt dieses Bildnis bewundert!«

»Soll's auch bewundern, denn es ist gar nicht so ohne. Aber wie ich schon sagte: der stolzen Madam wurde nicht hinreichend Rechnung getragen, ihr nicht das gegeben, was ihr von Rechts wegen zukam und was sie beanspruchen konnte. Es mußte ein Großer heran, so ein gerissener und verflixter Franzose, ein Kerl, der mit allen Masern und Fasern im galanten Zeitalter drinstand, um die Sinnenwelt dieser einzigartigen Frau, ihre seelischen und körperlichen Reize, das Girrende, Lockende, Vibrierende an ihr und die kaum wiederzugebende Tönung ihres Fleisches auf die Leinwand zu bringen. Schon ihre Hände gaben Rätsel zu lösen, künstlerische, fast übernatürliche Rätsel... und dieser Mann wurde gefunden.«

»Was – wurde gefunden?«

»Wurde gefunden.«

Michel Virgilis setzte ein schiefes Gesicht auf. Mit spitzen Lippen stieß er drei scharfe Kringel zur Decke. Dann sagte er pfiffig: »Euer Hoch- und Wohlgeboren belieben zu scherzen.«

»Zuweilen, Maestro, nicht immer. Euch wird noch heute der Tag von Damaskus erstehen.«

»Da bin ich begierig.«

»Wird erstehen, um Euere krumme Ansicht über den Haufen purzeln zu lassen.«

»Also losgeschossen. Ich höre.«

Der Baron legte sich in seinen Lehnstuhl zurück. Umständlich brachte er eine schmale Zigarrenkapsel zum Vorschein, langte sich eine Virginia heraus, zündete sie in aller Gemächlichkeit an, betrachtete den sich bildenden Aschenkegel mit regem Interesse, führte das Etui wieder an Ort und meinte nach einigem Nachdenken: »Lieber Freund und Kupferstecher, oberster Gauner auf dem Gebiete aller gebrannten Getränke, ich hause auf Borghees.«

»Ist mir bekannt, Herr Baron.«

»Daß es mir erb- und eigentümlich zufiel, und zwar in Kraft letzter Willensverfügung meines gestrengen Ohms Gideon Hans Salvator von Riswyk – auch dieses dürfte Euerer Liebden nicht verborgen geblieben sein?«

»Ist mir präsent.«

»Selbiges Chateau nun wurde von der Gräfin gebaut, ausmöbliert und in ein Buono retiro verwandelt, als ihre Berliner Verhältnisse sich zuspitzten, ihre höfischen und politischen Ambitionen in ein gelindes Wackeln gerieten.«

»Leider, leider und höchst zu bedauern.«

Riswyk hob mit Bedeutung den Zeigefinger.

»In Parenthese bemerkt: sie verdiente es reichlich, denn ihr übermütiges Pochen auf Gunst und Gnade, auf Macht und Reichtum, auf die Unwiderstehlichkeit des Weibes in ihr, überstieg jegliche Norm des gesunden Menschenverstandes. Aber fahren wir fort. Von hier aus geruhte sie, neckische Eskapaden zu machen, nach London zu reisen, Scheveningen aufzusuchen, um sich hier am Strande der Muscheln und Nuditäten als Schaumgeborene, als Venus Anadyomene bewundern zu lassen. Dann nach Paris. Hier sah sie der König... und Ludwig XIV. war ein einziger König. Ludwig le Grand. L'Etat c'est moi! Dem zeigte sie Miniaturen von drei Monarchen, alle in Gold und Brillanten gefaßt... drei Monarchen, die sich um ihre Gunst und ihre Liebe bewarben, sich ihr mit Leib und Seele verschrieben...«

»Potztausend noch mal!«

»Will ich meinen, Mynheer,« und der schnittige Kavalier stellte Daumen und Zeigefinger der rechten Hand preziös gegeneinander. »Dreimal ›Potztausend noch mal‹! denn von drei Monarchen und dem französischen Sonnenkönig angefeiert zu werden – dieses phänomenale Begebnis ist nicht auf fünfzehn präparierte Rindviehhäute niederzuschreiben, ist kaum auszudenken, läßt sich nicht mit wenigen hingehauenen Silben bis in seinen tiefsten Tiefen ausschöpfen... aber das Beste, Mynheer: sie wurde in dem Sündenbabel gemalt, gemalt von dem einzig möglichen Illuminierer, der die Fähigkeit aufbringen konnte, Gottes Wunder mit göttlichem Können und göttlicher Inspiration auf die nackte Leinwand zu setzen. Achtung, Mynheer!« und der kundige Thebaner münzte jedes gesprochene Wort zu einer vollkarätigen Goldkrone aus, indem er in der delikatesten Weise ausführte: »Wurde gemalt ohne Schönpflästerchen und Korsage, mein Bester... ohne Krinoline und Fontagne, Maestro... ganz Weib, ganz Hingebung... ohne Brabanter Spitzen und Bänder, mit einem Wort: ohne störende Zutaten... sonder Stöckelschühchen, Mynheer... Hingegen dafür: dem schaumigen Wasser entstiegen... am Strande von Scheveningen... in Schleiern und Nebeln... in ambrosischer Schönheit... selbst das kleinste betonend... mit Rosenknospen, wie nicht mehr unter den irdischen zu finden. Und was die Hauptsache ist: kein höfischer Zwang... keine Reichsgräfin Kolbe von Wartenberg... vielmehr das niederrheinische Weib, vollsaftig in seiner Größe und Herbe, seiner schmerzhaften Keuschheit bis zum letzten Hinsterben. Und der sie malte, nannte sich Rigaud.«

»Was, Rigaud aus Perpignan?«

»Derselbige Rigaud, Hyacinthe Rigaud.«

»Kreuzgewitter noch mal! und wo ist dieses Bildnis aufzutreiben?«

Gisbert Kreuzwendedich Riswyk voltigierte seinen landfremden Stengel von der einen Mundecke in die andere, tippte die Fingerspitzen fein gegeneinander und meinte mit sichtlichem Wohlbehagen: »Euerer Liebden zu melden: Home, sweet home! Nicht weit von hier. Achter de moije Kastanjeboomjes. Aus Borghees, Gestrenger.

Da war's alle mit Michel Virgilis Tappert. Er schnellte auf, als wäre ihm ein pyrotechnisches Sprühteufelchen unter sein derbes Sitzfleisch geraten.

»Herr Baron, und das von Hyacinthe Rigaud ...?! Kapazität ...!« und seine Stimme schlug um: »Dann allerdings – dann allerdings muß ich das Pater peccavi herbeten.«

»Ich konstatiere somit,« legte sich der Borgheeser ins Mittel, »Euerer Liebden ist der Tag von Damaskus gekommen.«

»Herr Baron, sonder Besien. Sonder Rosinne en Pöntjes. Jawoll ja, mir ist der Tag von Damaskus erschienen. Ha! das Bild muß ich sehen ... per sofort ... noch in jetziger Stunde und bei Kerzenbeleuchtung. Meine Spezialität, Herr Baron. Nicht lange gefackelt. Zeit ist Geld. Wir können gleich fortmachen. Auf nach Borghees. Avanti

Schon war er dabei, seinen Castorhut vom Holzpflock zu langen, ihn grandios über die graumelierte Keilerschwarte zu stülpen. Seine Äugelchen brannten wie bengalische Feuerchen auf dem alljährlichen Schützenfest der Sebastiansbrüder in Emmerich.

» Avanti

Der Baron verhinderte es, drückte ihn sacht auf die Binsen zurück, versetzte mit stillem Behagen: »Warum das? Weshalb diese jüdische Eile? Ein Kavalier meidet diese israelitischen Gepflogenheiten, gibt das Heft nicht aus der Hand, läßt die Leine nicht schießen, nicht am Boden schleifen. Warten wir ab. Hyacinthe Rigaud und sein Meisterwerk bleiben, wo sie sich seit Anno Tobak befinden: auf Borghees, in meinem Privatkabinett, ohne die Ambition aufzubringen, auf Hasenläufen in die Kappes- und Rübenfelder abzuwandern. Immer bloß stetig. Später vielleicht. Zu einer geeigneten Stunde. Dann bin ich gerne erbötig ...«

»Na denn,« sagte Mynheer, »warten wir ab, aber ich kann mir nicht helfen: dies Weibsbild, diese Katharina Rickers, sieht in meine Träume hinein, als säße sie auf einem rosinfarbigen Tier, ganz in todschwarzem Samt, 'nen Strahlenkranz von sieben silbernen Sternen um die milchweißen Schläfen, ganz kapitale Hingebung. Herr Jeses noch mal ...!« und er stierte in die zuckenden Kerzenflämmchen, als müßte sich in dem zarten Flimmern und Scheinen ein Wesen inkarnieren, geeignet, ihn zu beunruhigen, ihm die Reizungen einer königlichen Madame en titre näherzubringen. »O du Traum meiner Nächte!«

»Halt!« fiel der Herr von Borghees ein. »Seien wir weise. Keine utopischen Anwandlungen auf diesem Gebiet. Hüten wir uns vor dem Wahnsinn herostratischer Selbstvernichtung. Solches könnte Euerer Liebden übel bekommen. Was lange dahin ist, läßt sich nicht wieder verkörpern. Spiegelbilder sind immer nur Spiegelbilder, erträumte Gestalten bleiben eben erträumte Lebewesen. Nichts weiter. Und daher: seien wir achtsam und geruhen wir ernstlich, aus den vorgetäuschten in die wirklichen und greifbaren Jagdgründe überzuwechseln, ein beschauliches Dasein zu führen und sich mit dem zu begnügen, was einem eine gütige Vorsehung auf den Präsentierteller legte. Offen und ehrlich gesprochen: ich denke dabei ein wenig an Düweke Brinkmann.«

Ein Aschenkegel pritzelte zu Boden.

Michel Virgilis stöberte hoch. Er warf den Kopf in den Nacken und musterte seinen Gast herausfordernd von oben bis unten.

»Niemals. Ich denke nicht dran. Euer Hoch- und Wohlgeboren haben doch selber ...«

Eine schmale, aristokratische Hand wurde sichtbar. Richterlich stand sie zwischen Mynheer und dem Sprecher.

»Hab' ich, aber mit Einschränkung, denn ich schütte nie den Säugling mit dem Badewasser in den Rinnstein hinein. Das könnte nur Irrungen und Wirrungen schaffen. Meine aufgestellte Prämisse nebst Schlußfolgerungen bleibt bestehen, dient als Warnung, schließt aber keineswegs aus, sich mit dem Goldkorn in ein sachliches, gediegenes und liebevolles Einvernehmen zu setzen – wie rechtens. Selbstverständlich: alle Bestrebungen, die darauf zielen, mit Standesamt und Kopulation in nähere Verbindung zu treten, sind von der Hand zu weisen – kühl und mit aller Reserve, denn es bleibt noch hinreichend übrig, sich des Goldkorns erfreuen zu können. Ohne Düweke würde die Estaminet am Krantor viel an Inhalt verlieren. Der Geist dieser Jungfrau waltet mit Umsicht, kratzt die zur Zeit in Kurs gebrachten Similitaler löblich zusammen und versteht es, den Gang des Geschäftes pläsierlich und dennoch äußerst nobel über Wasser zu halten. Also – machen wir Frieden, denn ohnediesen ist kein Heil zu erwarten. Friede ernährt, Unfriede verzehrt. Das möchte ich ergebenst anheimstellen.«

» Capisco!«

»Also soll ich...?!« lachte Riswyk, bereits die Hand an der Klingel.

Michel Virgilis ließ sich wieder in den Korbsessel fallen.

»Euer Hoch- und Wohlgeboren sind doch ein verteufelter Aaskerl, so 'n richtiger Ratten- und Schermausfänger. Immer heidi und in allen Hecken und Hägen. Jawoll ja. In Gottes Namen – los denn dafür!« und die Glocke ertönte. Hell und amüsant gellte sie in die Nebenstube hinein, in die Mäuseöhrchen der bedienenden Mamsell.

Gleich darauf erschien Düweke Brinkmann aus Dornick.

An der Tür blieb sie stehen, die Arme energisch eingestemmt, den Blick fragend auf ihren Herrn und den Borgheeser gerichtete. Sie machte Figur, noch immer einen gewissen Trotz um die gefälteten Mundecken.

»Was soll ich?«

»Näher treten, mein Goldkorn.«

Der Baron schnickte mit Daumen und Mittelfinger, animierte sie weiter: »Allons, immer näher heran. So! und nun möchte ich wissen: was ist der liebwerten Hausgenossin denn eigentlich in die Krone gefahren?«

»Daß ich nicht wüßte.«

»Keine Ausflüchte, Mädel. Hier heißt es: Butter bei die Fisch', oder bin ich vielleicht der sündige Hammel gewesen?«

»Im Gegenteil und gar nicht auszudenken – die Sache. Beim Herrn Baron befindet sich unsereins immer in 'ner guten Gesellschaft.«

» Merci für die prächtige Auskunft.«

Er wandte sich an Michel Virgilis: »Ich bitte Euerer Liebden, solches registrieren zu wollen. Evatöchter aus Dornick sprechen die Wahrheit. Das muß man sich merken,« und wieder zu Düweke: »Also wer war's denn?«

»Um es mit einem Worte zu sagen: Herr Tappert.«

»Aber Kreuzkuckuck noch mal...!«

»Ruhe, Mynheer! Laut Abkommen habe ich den Vorsitz zu führen und die Friedenspräliminarien in die Wege zu leiten. Also, Düweke, darf man nicht wissen? Immer klaren Wein in die Buddel.«

»Na denn, wenn's nicht anders zu machen ist...« und ihr getragener Busen erging sich in einer erregten Dünung der fernen Südsee: »Herr Baron, ich kann solche Redensarten, die sich Mynheer Tappert genehmigte, nicht leiden.«

»Was für Redensarten?«

»Die mit dem Flintenhahn und die sonstigen Anzüglichkeiten.«

»So so?! Dann paß mal auf. Du kennst mich doch, Düweke?«

»Allemal, Herr Baron.«

»Und weißt auch, ich will nur deinen Vorteil?«

»Auch dieses.«

»Na denn...« er nahm ihre Hände, zog das rundliche Weibsbild, so wie es leibte und lebte, zwischen die Knie und sagte: »Alles im Leben bemüht sich um wechselseitiges Verstehen und Nachgeben, sollen gute Früchte gezeitigt werden. Besonders am Krantor. Hier ist heiliger Boden, historischer Boden. Hier lebst du in guter Obhut, ohne Sorgen und Bedrängnisse. Deine Stellung ist eine gehobene Stellung, dein Amt ein ehrenwertes Amt... oder bin ich fälschlich berichtet?«

»Meine Stellung kann ich bloß als 'ne opulente bezeichnen.«

»Schön! und wie hat mein Freund und Gönner sich dir gegenüber im allgemeinen benommen?«

»Ich kann nicht klagen, Herr Baron.«

»Also nicht klagen! Bleiben somit nur noch der Flintenhahn und die sonstigen Anzüglichkeiten. Dieses, mein Kind, fällt nicht schwer in die Wagschale, hat nichts weiter zu sagen, sind lediglich jagdliche Ausdrücke, die das Herz erfreuen und so billig zu haben sind wie die Brombeeren auf dem Emmericher Eiland. Mich hat er selber gefragt: Wohl so 'n bißchen knickeknacke gemacht? Tiro, tiro! mein Bester?! Also fort mit dem Flintenhahn und den sonstigen Anzüglichkeiten... und wenn man sie richtig betrachtet, kann man sie mit gutem Gewissen als Liebe, Vertrauen und Zuneigung ansprechen.«

Düweke machte Augen wie holländische Teetassen.

»Wenn Sie denn meinen...?«

»Ich meine immer, mein Goldkorn, und sehe somit: du bist also gesonnen, Reue und Leid zu erwecken?«

»Ach Sie, wenn Herr Tappert denn will...«

»Er will,« sagte dieser.

»Dann vorwärts, mein Herzblatt.«

Der Baron striegelte ihr einen Klaps über die ausladende Backbordseite, daß es so knallte.

» Actum ut supra. Der Friede am Krantor ist fix und fertig geworden!«

»Höhö!« lachte Mynheer.

Er fühlte zwei weibliche Arme, die ihn innig umschlangen.

»Ach Michel! wie konntest du nur, wie konntest du mir dieses gebrannte Elend nur antun?! Ich bin ja sonst nicht so und kann mich beherrschen. Aber dieses Mal...« und sie klebte ihm einen saftigen Kuß auf, der nicht zu den schlechtesten zählte, und dieser Kuß hätte noch diverse Nachkommenschaft gezeitigt, wäre die Hausglocke nicht mit hellem Bellen in dieses versöhnliche Walten des Schicksals hineingefahren.

»Um Gott nicht – die Schelle!«

Das Goldkorn flitzte ab, wie aus der Pistole geschossen, um gleich darauf den Kopf wieder durch den Türspalt zu schieben.

»Mynheer, Nachricht vom Rheinschiff ›Gott mit uns‹. Es ist eben vor Anker gegangen.«

»Angtree!«

Der Brandfuchs erschien und straffte sich hoch, den ihm übergebenen Brief zwischen den Fingern.

»'ne schöne Rekommandation vom Kaptein, und ich soll hier das übermitteln.«

»Her damit, und laßt Euch von Düweke 'nen doppelten Korn und 'ne Zigarre anpräsentieren.«

» Merci, Mynheer.«

Die Tür schnappte ein und wisperte nach wie ein gefangenes Mäuschen. Die Kerzen, die durch den Luftzug aufbegehrt hatten, begannen wieder besonnener und geruhsamer zu brennen. Das Honoratiorenzimmer lag aufs neue in vornehmer und stiller Beleuchtung, durch die sich bläuliche Rauchfäden kringelten.

»Exküsiert, Herr Baron,« und Michel Virgilis Tappert erbrach das übermittelte Schreiben. Dann las er mit schwerer Betonung, gleichsam aus einer leeren Gießkanne heraus:

»Hoiho! großgünstiger Schwalbenfänger und Geneverpötter. Mit Gottes Hilfe und Barmherzigkeiten bin ich hier vor Anker gegangen. Zwei Jahre haben 'nen verdeubelten Atem, denn so lange wird's her sein, daß wir uns gegenseitig nicht mit unseren Flossen beglückten. Es war nicht zu machen. Das kommt vor unter Freunden, wird aber heute abgestellt, denn ich bugsiere mich gleich ans Krantor heran, um den inneren und äußeren Menschenkadaver so 'n bißchen auszukalfatern. Führe auch 'ne adrette und schmuck aufgetakelte Fregatte im Schlepptau. Wirst Dich wundern, oller Punsch- und Grogbrauer. Zehnjährig war sie, als Du ihr zuletzt die Hand auf den Kopp legtest, und zwar in dem Momang, als meine Frau selig sich in schwerer Seenot befand, dazu nicht mehr den richtigen Kurs aufbringen konnte. Aber lassen wir das. Es ist nichts dran zu ändern. Morgen geht's weiter. Auf Rotterdam zu. Also bis gleich denn. Keine besondere Ehrung. Nur bitt' ich mir aus: Alle Mann auf Deck, Topps hoch und Segel in Wind. Gleichzeitig 'ne propere Salve von Leeseite her. Darüber würde sich freuen, der sich freundlichst unterfertigt als

Pitt Hemskerk,
Kaptän vom Rheinschiff ›Gott mit uns‹, zur Zeit vor Anker im Emmericher Hafen. All right

Mynheer legte den Schriftsatz ab.

»Potztausend, der Hemskerk!« und mit Stentorstimme rief er über die Schulter: »Mamsell!« und als diese erschien, gab er folgende Orders: »Der Zappes mit der Haus- und Bundesfahne postiert sich am Eingang. Karline und du, ihr verseht euch mit Zinndeckeln und ähnlichem Werkzeug, und wenn Hemskerk eintriumphiert, dann die Bundesfahne geschwenkt und geschwunken. Gleichzeitig los mit die Janitscharenmusik, daß alle Kakerlaken ins Rheinwasser übersiedeln.«

»Mynheer, die haben wir nicht.«

»Um so besser, mein Liebling. Desungeachtet: Musik wird gemacht und die Fahne geschwunken, auf daß wir 'ne noble Einführung haben.«

» Well!« lachte das Goldkorn, drehte bei und verschwand in der Anrichte, während Michel Virgilis die Dielen nach Länge und Breite durchmaß, mit Armen und Beinen gestikulierte, den Kapitän über den grünen Luzernerklee lobte, ihn als den Ausbund aller rheinbefahrenen Menschen hinstellte, sein Licht leuchten ließ wie eine schöne, heilbringende, geruhsame Laterne von der höchsten Stenge des Fockmastes und sich dann an der geöffneten Türe des Honoratiorenzimmers wie einer der wilden Männer im Wappen der preußischen Könige aufpflanzte – Hacken zusammen und mit geschulterter Kalkpfeife.

So stand er, so wartete er, ganz Gravität und atemlose Hingebung ... und keine fünf Minuten vergingen: der Zappes schwenkte, was das Zeug halten wollte, die Zinndeckel topfdeckelten los, lärmten und krachten, als spektakelten Jan Steen und der Höllen-Breughel aus ihren Schildereien heraus, als wäre der leibhaftige Gottseibeiuns lebendig geworden.

»Gottverdomie – der Hemskerk...!«

»Bin ich – und wenn's erlaubt ist, mit 'nem propern Weibsbild.«

»Angtree, angtree!« und Hand in Hand standen die beiden, Auge in Auge und Stirne gegen Stirne, sich des Wiedersehens erfreuend und die Stunde genießend, während der Lärm verstummte und Jakobine sich an der Seite des Vaters hielt, ganz benebelt von den Eindrücken, die so ganz eigenartig und wider Erwarten auf sie losstürmten.

»Kaptän, meine Achtung, denn so was ist noch nicht jung geworden auf Erden.«

Mynheers Rehposten brannten wie Lichter, als er des schönen Weibes ansichtig wurde.

Riswyk erhob sich.

»Meine Zeit ist gekommen,« sagte er schlicht vor sich hin.

Michel Virgilis wandte sich jählings.

»Was ›Zeit ist gekommen‹?«

»Ich störe bloß hier.«

»Unsinn – verfluchter! Wo so 'n Vater und so 'ne opulente Fasanenhenne von Weibsbild meine Honoratiorenstube beehren... Das ist doch nicht alle Tage zu haben,« und er stellte vor: »Gisbert Kreuzwendedich von Riswyk, Herr und Besitzer von Borghees.«

»Auch der Knollen- und Rübenbaron im Volksmund geheißen,« kam es zurück.

Hemskerk trat vor.

Seine Hand streckte sich aus.

»Wird akzeptiert, Herr Baron. Im übrigen – ich glaube, wir sollten uns kennen. Blexem, das war ja...«

»Natürlich, Kapitän...«

Riswyk schlug ein. Stählern klammerte sich Rechte um Rechte. Die Blicke begegneten sich.

»Und überhaupt so. Wer hätte nicht schon vom Kapitän Hemskerk gehört?! Weiß der Geier, von Mannheim bis Duisburg-Ruhrort... selbst in Rotterdam ... na, und so weiter... Aber ich freue mich herzlich.«

»Weiß es zu schätzen.«

»Kinder, das paßt ja! Hurra die Enten!« und der köstliche Tappert dekretierte an den Fingern herunter: »Düweke, Achtung! Lokal reservieren! Gläser heran und echten Burgunder! Platz genommen! Die Bundeslade ist fertig, und wenn ihr wollt, ich lasse mir 'n Harfenspiel bringen, um wie David 'nen ›Lirum-larum Löffelstiel‹ mit acht Saiten Begleitung durch mein historisches Kabinett zu tanzen. Alles meinem lieben Hemskerk und seinem prächtigen Anhängsel zu Ehren. Kinder, die Freude!«

Seine Stimme schwoll an: »Also placiert euch! Burgunder heran... Romanée – St.-Vivant... feinster Ausbruch und von der allerobersten Sorte! Meine Spezialität und nur am Krantor zu haben.«

»Glorioser Musjö!« lachte Hemskerk.

»Alter Rheinbär, bin ich noch immer. Darf ich bitten, Mamsell...« und mit dem solennen Gehabe eines Hofmarschalls mit 'nem properen Stammbaum geleitete Michel Virgilis das schöne Kapitänskind an Ort und Stelle, erklärte sie als Maienkönigin der auserwählten Tafelrunde, um kichernd zu sagen: »Gloria, Viktoria, wir können beginnen!«


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