Joseph von Lauff
O du mein Niederrhein
Joseph von Lauff

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Drittes Kapitel

Anno Domini ... und um die Wende des 17. Jahrhunderts tragierte und agierte in der ehrenwerten Stadt Emmerich eine kuriose Geschichte.

Das ist schon lange her; ja, die kuriose Geschichte hätte sich kaum bis in unsere Tage hineingewachsen, sich nach dem Gesetz vom Hinfälligen aller irdischen Dinge und Geschehnisse langsam in sich selber aufgezehrt, wären nicht die Kamele gekommen, um die Grasnarbe von dieser heißen und längst eingesargten Aventüre zu fressen. Aber die Kamele erschienen, glotzten dumpf und schwer in die Gegend, trampelten hierhin und dorthin, bis sie letzten Endes die Stätte aufschnupperten, woselbst die schöne Katharina Rickers, die ehelich erzeugte Tochter des jovialen Schenkwirts am Krantor, gelebt und geliebt hatte, erhöht und erhoben wurde ... und begannen zu fressen.

Die Familie Rickers ist lange dahin, ihr Glück sowohl wie ihre Glorie hatten keinen Bestand, waren wie mit Goldpunkten gesprenkelte buntfarbige Schmetterlinge, die auf Blumen und Gräsern spielten und schließlich in Moder zerfielen. Alles zerging, wie von Maden heimgesucht, nahm den Weg jeglichen Fleisches, nur die Schenke mit ihren Schnapsphiolen und Geneverbouteillen, mit ihrem gestaffelten Klinkergiebel und den wohlig ausgekachelten Stuben erhielt sich bis zur jetzigen Stunde ... und der nunmehrige Inhaber, Herr Michel Virgilis Tappert, ein Mann, der den Grundsatz vertrat: » Vivo ut bibam, non bibo ut vivam,« setzte sich mit seinen zweihundertdreiunddreißig Pfund klevischen Gewichtes, seinem wolligen Castorhut und der graumelierten Keilerschwarte so gesinnungstüchtig in den Binsensessel hinein, als gälte es, in die Fußstapfen des alten Rickers zu treten, die Erinnerung des Hauses hochzuhalten, der schönen, weiß- und straffbusigen Katharina, der späteren Reichsgräfin Kolbe von Wartenberg, ein ewiges Immortellenkränzlein zu flechten.

»Prosit!!«

Herr Michel Virgilis Tappert trank sich selber 'nen steifen und handfesten Grog zu, denn er saß allein in seinem hinteren Honoratiorenstübchen, streckte die Beine, ergötzte sich an den Schildereien, die an den getäfelten Wänden hingen und sah auf den Rhein hinaus, dessen schaumige und lehmige Wasser gemächlich nach Holland schwaderten, woselbst die Herren mit den Polkahaaren und den Kabeljaugesichtern gut Regiment hielten, aber schon seit Olims Zeiten fischgrätig und schiefmäulig nach Deutschland hineinvigilierten.

Mynheer Tappert war köstlich. Die Nachwehen des entsetzlichen Krieges hatten ihn und seine Verfassung nicht aus dem Senkel gehoben, waren vielmehr spurlos an ihm und seinen Vermögenstiteln vorübergegangen. Sein Geschäft blühte, als Junggeselle hatte er keine weiteren Familiensorgen, die Spaziergänge im Irrgärtlein der alles verzeihenden und gütigen Liebe verstattete ihm seine Mamsell, ein Weibsbild aus dem benachbarten Dornick, blank und sauber wie aus einer Delfter Porzellanmanufaktur genommen, auch an Wildbret so reichhaltig versehen, als befände sie sich in immerwährender Feistzeit ... und wenn irgendeiner Michel Virgilis Tappert und sein Duweke Brinkmann betrachtete, glaubte er eine fidele Szene von dem lustigen Jan Steen oder dem noch lustigeren Adrian Brouwer vor sich zu haben, wobei eine Tonpfeife brannte, ein Zinndeckel klapperte, ein Miezekätzchen miaute, eine verstimmte Geige aus irgendeiner verlorenen Ecke herausscharmuzierte.

So war es auch heute. Aus dem Nebenraum miaute ein Kätzchen, klapperte ein Zinndeckel, hantierte Düweke Brinkmann, auch das ›Goldkorn‹ geheißen, mit allerhand Wirtschaftsgeräten, während er selber aus einer langen Gaudaer Tonpfeife schmauchte, bläuliche Kringel gegen die Decke wölkte, mit stillem und sinnigem Behagen den Rhein und die Schildereien betrachtete, die überreich vor ihm aufgingen.

Leider zu überreichlich.

Das war es ja eben!

Die eingeknallten Äugelchen des Zapfers, die blankgeputzten Rehposten ähnelten, nahmen einen überirdischen Glanz an, blenkerten auf wie die tiefen Altwasser des Rheines, wenn das Abendleuchten über sie hingeht, so daß sie wie vergoldet erscheinen. Sie standen in heller Verzückung, in einem Rausch der Heißblütigkeit, betrachteten sie doch ein Bild, aus dessen vergilbtem Rahmen weibliche Reize und weibliche Anfechtungen hervorsahen, die nicht zu den gewöhnlichen zählten und ihm von der graumelierten Keilerschwarte bis in die Zehenspitzen hineinkribbelten. Das taten sie immer, aber vornehmlich in der jetzigen Stunde, die ihn so anheimelte wie das knisternde Kaminfeuer einen Hühnerhund mit hängenden Lefzen. Nur einmal in der Woche, am gottwohlgefälligen Sonnabend zwischen viere und achte, an welchem Tage es an Gästen mangelte und das Leben am Krantor zurückebbte, gönnte er sich diese heimliche Schau, dieses Sichversenken in jene Zeiten hinein, die die ›galanten‹ heißen, reich an zärtlichen und schuldlosen Aufmerksamkeiten, in malam partem aber auch reich an lockeren Sitten und neckischen Schäferspielen, die sich seltsamerweise nur im Schatten von Oleander- und Taxushecken ausleben wollten. In nomine patris ... Letzteres pflegte Michel Virgilis Tappen von sich zu weisen, aber er liebte es, auf das seidene Frou-Frou der Krinolinen zu hören, den Zauber von Schönpflästerchen und die Haube der Marie Angelique, Herzogin von Fontages, zu estimieren und, last not least, die pritzelnden Weisen eines Menuetts auf sich wirken zu lassen, denn Michel Virgilis hielt sich für einen bedeutsamen Künstler, für einen, den die Muse geküßt, selbigen auch so'n bißchen am Knebelbart gezupft und in die mittleren Rippen gekitzelt hatte. Von Rechts wegen, denn feiertägigen Sinnes, vollgepfropft mit krausen, wenn auch widerborstigen Idealen, suchte er die Malerakademie in Düsseldorf auf, nachdem er als strammer und feister Untersekundaner den hochmögenden Regens des Emmericher Gymnasiums, einer ihm verabfolgten Kopfnuß halber, kurzerhand in den Papierkorb spediert hatte ... wäre auch zweifelsohne des erträumten Glückes teilhaftig geworben, hätte ihm nicht sein betagter, abständiger Erzeuger kategorisch kund und zu wissen gegeben: »Michel Virgilis! Ich sehe nicht ein, warum Du immer an Ölen und Terpentinen herumzapfest, wo wir doch am Krantor dahier reichlichen Vorrat an Seydlitzlikör, Genever und Ruhrperlen besitzen. Selbige zu verabfolgen, den Wirt abzugeben und 'nen steifen Punsch und Grog zu brauen, ernährt auch seinen Mann, besser vielleicht, als Leinwand und Pappdeckel mit einem Rausch von Farben zu überkleistern, zumal mein Anwesen seine gediegene Kundschaft besitzt, aufwarten kann, sich dazu auf 'nem Grund und Boden befindet, den wir als ›historisch‹ ansprechen dürfen. Außerdem: meine Tage sind gezählt. Ich will einen Folger im Amte. Also – retour, aber etwas plötzlich, ohne lange Fisimatenten aufzustellen. Im Namen Gottes. Dein treusorgender Vater

Jan Tappert.«

Was blieb ihm da übrig? Nicht vieles. Erst ein dumpfes Verzweifeln und Hinbrüten, ein hochfliegendes Aufbegehren: » Anch' io sono pittore!« dann ein Hinübergleiten in ein stilleres und geruhsameres Fahrwasser, das ihm verstattete, die Autorität des väterlichen Piloten mehr oder weniger anzuerkennen. Michel Virgilis wurde nachdenklich, fast klein wider besseres Wissen. Seine Rehpostenäugelchen krochen dem oben begonnenen Kohlenriß zu, aus dem ein pompöses Gemälde gleich dem Phönix aus der Asche erstehen sollte, hierauf den steilen Schriftzügen des kurz zuvor eingelaufenen Briefes. Gewißlich, Aufriß und Anlage redeten die Sprache des Quattrocento, aber die des Schreibens war auch nicht so ohne. Drüben ein herrisches Schwelgen in utopischen Dingen und Hoffnungen, hier ein gemessenes Schreiten über fruchtbare Ackerkrumen mit 'ner gehörigen Portion Mist an den Füßen. Da kam es über ihn mit den leuchtenden Zungen um Pfingsten. »Heureka!« und Michel Virgilis stieß mit Kopf und Kragen durch Leinwand und Staffelei, schnürte sein Bündel, um erhobenen Geistes und klaren Kopfes von Düsseldorf in das Haus seiner Väter überzuwechseln. Er kam rechtzeitig genug, seinem heimgegangenen Vater das letzte Honneur zu geben. Er tat es mit Würde, in Samtjacke und Castorhut, denn ohne dieses erschien ihm das spätere Leben nicht lebenswert, kaum dazu angetan, sich 'nen spiegelklaren Genever mit einigem Anstand hinter die Weste zu gießen, ergriff alsdann das verwaiste Zepter im Sinne des Verstorbenen, führte es Jahrzehnte mit Umsicht, so daß sein Name und der der historischen Kneipe am Krantor in Emmerich bis weit ins Klevische und in die Grafschaften hinein vollauf und in allen Ehren bestehen konnte ... und so saß er denn heute am gottwohlgefälligen Sonnabend dickbäuchig, mit sich selber zufrieden in seinem hinteren Honoratiorenstübchen, schmauchte sein Pfeifchen Oldenkott Rippchentabak, wölkte bläuliche Klingel gegen die tiefhängende Decke, völlig eingefangen von den Anregungen und Hoffärtigkeiten der schönen Frau in der seidenen Wespentaille, die, wie es schien, ihm aus dem vergilbten Rokokorahmen entgegenlächelte und seine Seele mit dem Klimpern eines stöckelbeinigen Spinetts umschmeichelte.

»Göttliches Weib!« sagte er tonlos.

Die Lippen feuchteten sich, die schweren Lider fielen langsam herunter. Eine linde Hand streichelte ihn. Ein Puderquästchen glitt über ihn fort, so daß seine Gedanken sich in die seligen Gefilde versetzt glaubten, die wir die eleusinischen heißen, so wohlig kraute es ihm plötzlich hinter den Ohren, so totensicher wähnte er Stimmen zu hören, die ihm eine prickelnde Geschichte erzählten und seine ausschweifende Phantasie auf Rosenwölkchen dahintrugen.

Draußen schaukelte sich der Rhein gemächlich nach Holland. Schwerfällige Steamer prusteten an dem alten Weichbild vorüber, schleppten ihre braunen Rauchfahnen hinter sich her, ließen von Zeit zu Zeit ihre langatmigen Sirenen ertönen. Ein feiner Dunst stand über den Wassern. Das gegenseitige Ufer mit dem Emmericher Eiland, aus dem einige Salweidenplantagen aufragten, war mit leichter Gaze umsponnen. Die letzten Lichter des Abends vergoldeten diese Musselinschleier mit dem Glitzern von Filigrannetzen.

Von Sankt Aldegondis setzte das Glockenspiel ein. Mit der eingerosteten Stimme eines fuselseligen Kalkanten sang es stoßweise über die Stadt hin: »Alles meinem Gott zu Ehren, in der Arbeit, in der Ruh'.« Einzelne Kickser liefen mit unter. Hierauf folgten verschiedene Knarzer, die eigentlich nicht mehr zur Melodie und Weise gehörten. Dann vereinzelte Schläge, gesinnungstüchtig und volltönig.

»Fünf Uhr,« sagte Michel Virgilis, zog seine Weste drei Finger breit tiefer und horchte auf ein Geräusch, das sich plötzlich im Nebenzimmer vernehmbar machte.

Eine Tür seufzte in ihren Angeln zurück.

Herrische Schritte gingen über die Dielen.

Ein heimliches Kichern, dann eine frohe Begrüßung, die an Herzhaftigkeit nichts zu wünschen übrig ließ: »Ist Mynheer benne, mein Goldkorn?«

»Hier neben. Bitte angtree,« kam es freundlich retour.

Und wieder das verstohlene und heimliche Kichern, als würde einem appetitlichen und roggenstrohhaarigen Niederungskind in die Wange gekniffen.

»Also benne! Dann bitte: 'nen Grog, aber einen mit 'nem doppelten Schuß und 'ner dreifachen Verdiebelung.«

»So und nicht anders.«

»Höhö!«

Michel Virgilis stöberte hoch.

»Gott straf' mich. Der Knollen- und Rübenbaron!«

Er riß sich zusammen. Den Castorhut, dessen er sich nur bei hohem Besuch, in der Kirche und beim Zubettegehen entäußerte, legte er ab.

Das war heute der Fall: hoher Besuch. Also herunter mit ihm und über den Holzpflock damit. Also geschah es, während sich eine straffe Faust auf die Türklinke legte und eine Stimme laut wurde:

»Mein Liebster, ein preußischer Reiter,
Bläst morgens Reveille um vier ...«

»Brav so, aber immer 'rein nur!«

» Bon soir!« und Gisbert Kreuzwendedich von Riswyk, Herr auf Haus Borghees bei Emmerich, ein Kavalier vom Scheitel bis zur Stiefelspitze herunter, schnittig wie 'ne Stahlgerte und mit Augen in dem scharfgemeißelten Gesicht, deren Feuer eine Strohmiete hätte anzünden können, gab sich die Ehre.

Er streckte die Hand aus.

Mynheer winkte ab.

Er lächelte nur, wie die Kundigen lächeln, die eine derartige Visite einzuschätzen wissen, stellte zwei Finger empor und warf sie salutierend an die Schläfe.

»Herr Baron, meine schlichte Hütte ist zu minderwertig, solch hohen Besuch in Kost und Logis zu nehmen.«

»Nachtwächter!«

»Höhö!« lachte Virgilis. »Also noch immer derselbigte?«

»Bester aller Kneipwirte und Schenkenbesitzer, oberster Gönner auf dem Gebiete der illusteren Schnapsmischerei ...« und joviale, stahlgraue Lichter funkten ihn an: »Mensch – Ihr, wo denkt Ihr denn hin? Ein Gisbert Kreuzwendedich Riswyk ist immer derselbe.«

»Na denn, 'ran an die Ramme. Aber potztausend noch mal!« und die eingeknallten Rehposten musterten den eingewechselten Gast von oben bis unten: »Wohl so 'n bißchen knicke-knacke gemacht? Tiro, tiro! mein Bester?!«

»Richtig gepfiffen.«

»Auf dem Emmericher Eiland?«

»Auch dieses. Zwei Doubletten beim ersten Debouchieren. Dann aber ... das Teufelsgeflügel war auf und davon, als wäre es mit Kopf und Kragen in Mistus und Morastus versunken. Leider, nichts mehr zu machen, und nun bin ich hier ...«

» Capisco, um sich die Nase mit meinem delikaten Grog zu begießen. Dran soll es nicht fehlen, denn ich – ich, Michel Virgilis Tappert am hiesigen Krantor, kann mich rühmen, den besten auf Lager zu haben. Süperbe!« und Daumen und Zeigefinger stellten sich subtil und schleckersüchtig gegeneinander. »Äußerst süperbe! Meine Spezialität, Herr Baron.«

»Renommiste, infamer!«

»Geb's respektvoll zurück, Herr Baron,« und eilfertig befreite ihn Michel Virgilis von Rucksack und Flinte, stülpte den verschweißten Filz über den Riegel, brachte die Jagdtasche mit den Entvögeln an den seidenen Galgen so würdig und zart auf die Seite, als hätte er als weichfüßiger Synagogendiener die Sefer-Thora in eine verschwiegene Ecke zu tragen. Dann wandte er sich. Seine Äugelchen strahlten wie bengalische Blinkfeuer.

Der Besuch machte ihm Freude, denn mit Gisbert Kreuzwendedich Riswyk war allzeit gut Kirschenessen gewesen. Mit dem Mann ließ sich auskommen.

»Salve!« rief er ihn an und deutete auf den bequemsten Sessel hinter dem Honoratiorentisch, der höchstens dem Landrat des Kreises oder Seiner Hochwürden dem Ehrendomherrn und Pastor von Sankt Aldegondis zustand, falls sich einer dieser Herren bewogen fühlte, ein Dämmerschöppchen in der historischen Schenke zu sich zu nehmen. »Ich bitte Euer Hoch- und Wohlgeboren sich gefälligst placieren zu wollen.«

Mitdem brachte Düweke Brinkmann den Grog zu, wiegte sich wie die Lieblingsfrau eines Hererohäuptlings in den saftigen Hüften und flötete mit verhaltener Stimme: »Wohl bekomm's, Herr Baron von und zu Riswyk.«

»Danke, mein Goldkorn!« Seine ringgeschmückte Hand fuhr ihr sacht und sanft über den molligen Ärmel.

»Hahn in Ruh!« lachte Michel Virgilis, wobei er den nächsten Sessel beehrte. »Ich bitte mir aus: meine Jagdgründe sind nicht für andermanns Flinten.«

Ein Blick flog ihm zu, der sein breites Lachen hinwegnahm.

»Michel, benimm dir,« und das prächtige Goldkorn drehte bei, gab alle Segel her, wobei die preziösesten Waden blank wurden, geeignet, einen andalusischen Steinesel ins Wiehern zu bringen.

»Gottverdorie, so'n Weibsbild!«

Mynheer schien krötig zu werden.

»Aber warte, mein Hühnchen. Es ist noch nicht aller Tage Abend geworden. Einen so zu blamieren! Anch' io sono pittore! Das wird auf dein Konto geschrieben, und wenn's geschieht, dann mit allen Schikanen.«

»Recht so.«

»Wieso denn?«

Der Baron blieb die verkörperte Ruhe. Er streckte die Beine, zündete sich eine Virginia an und tippte die gepflegten Fingerspitzen scharf gegeneinander. Die Nasenflügel kräuselten sich. Um die feinen Mundecken des nicht uninteressanten Gesichtes spielte es mit den anregenden Nichtsnutzigkeiten eines Kavaliers vor einem Glase Sherry-Cobbler.

Schmunzelnd fiel es ihm von den Lippen herunter: »Euer Liebden, darf ich mir erlauben, dem geschätzten Michel Virgilis Tappert, meinem großgünstigen Freunde, Gönner und Schnapslieferanten, eine weitere Belehrung zu unterbreiten?«

»Warum nicht?! Euerer Hoch- und Wohlgeboren halte ich mich allzeit in Gnaden empfohlen.«

Mynheer kniff ihm ein Äugelchen zu.

»Ich ersterbe in Ehrfurcht.«

»Alter Gauner!«

»Meine Spezialität, Herr Baron.«

»Also hören wir zu,« und der Knollen- und Rübenkavalier von Haus Borghees knipste den ersten Aschenkegel von dem landfremden Stengel herunter. »Ich möchte von dem menschlichen Wesen erzählen, das die Zoologen und Schriftgelehrten unter dem vielbezeichnenden Namen ›Weib‹ registrieren. Es ähnelt im großen und ganzen einem Geschöpf von unserer Fakultät, ist vielfach seidenfadig und biegsam, dazu mit einem zärtlichen Miauen behaftet, dem wir eine gewisse seelische und körperliche Anregung nicht absprechen können. Wir verspüren dieses zusprechende Miauen und Miezen gleichsam mit dem heiteren Pritzeln des süßen Schaumes von Epernay, ohne dabei unseren Verstand in Rechnung zu ziehen und die weiteren Folgen ängstlich abzuwägen... und diese Folgen sind vielfach unangenehmer Natur, fast heikel zu nennen.«

»Hm, hm!« machte Mynheer. Er dachte an Düweke Brinkmann, die nebenan lauter und herausfordernder mit ihren Kasserollen und Zinntellern hantierte.

»So ist das, Maestro.«

Ein zweiter Aschenkegel löste sich von der schlanken Zigarre.

»Selbiges Weib nun,« mit diesen Worten spann der selbstgefällige Rübenkavalier des Weiteren aus, »ist nach den Ansichten vieler lieblich anzuschauen, die Trägerin eines wohlgeordneten Hausstandes, die Hüterin des Herdfeuers, gleichsam berufen, bei Mann und Junggeselle die Liebesgeige mit einem zarten Pizzikato zu spielen. Ja, manche behaupten, ihm, dem Weibe, sei ein aromatischer Duft zu eigen, schwer wie der Ruch nach jungen Fichtennadeln, die Sinne betörend wie das Arom nach dem frischen Grün von schlanklinigen Heidebirken. Zugegeben, Maestro. Aber die Kehrseite der Medaille zeigt eine andere Note. Das zusprechende Miauen und Miezen, das genüßliche Düfteln nach jungen Fichtennadeln und frischem Birkengrün wird vielfach von der werktätigen Arbeit scharfer Krällchen begleitet, fähig, einem das Dasein zu einer immerwährenden Bitternis zu machen, und schließlich: wo wir einzuheimsen gedenken, sind vielfach schon kundige Thebaner bei der Hand, die sorgfältig vorbereitete Ernte in die eigenen Scheuern zu tragen – alles Dinge und Erwägungen, die man jedem Junggesellen mit auf den dornenvollen Weg geben sollte, falls er sich genötigt sieht, diese werktätigen Krällchen ertragen zu müssen.«

Der dritte Aschenkegel stiebte zu Boden.

»Ein jedes Weib, cum grano salis natürlich, ist wie eine schlanke Fichte in der hellen Christnacht, frisch aus dem schneeblauen Winterwald. Aber, was nützt mir der schönste Weihnachtsbaum, wenn seine Lichter für andermanns Herzen und Augen brennen? Hiermit schließe ich meine Belehrung mit der Bitte, sie wohlwollend in Erwägung zu ziehen.«

»So!« fiel ihm sein Partner ins Wort und deutete fidel mit seinem breiten Daumen über die Schulter. »Das wäre also, um es mit kurzen Worten zu sagen, auf mich und die Mamsell gemünzt?«

Der Baron winkte ab.

»Ich münze niemals, mein Lieber. Ich gebe nur Anweisungen, aber solche mit einer tiefen Begründung.«

»Dann eine Frage.«

»Genehmigt, mit meinem Petschaft darunter.«

»Hier ist sie. Sind Euer Hoch- und Wohlgeboren niemals in dieser Beziehung belastet gewesen?«

»Komisches Ansinnen. Daß ich nicht wüßte! Nie sollte ich auch? Haus Borghees und meine Rübenkampagnen sind so hasenrein wie die Liegenschaften hinter dreifachen Klostermauern.«

»Mann Gottes, daß ich das heulende Elend nicht kriege!« und eine Lachsalve knallte ihm zu, fähig, ihm, dem Baron, das Hören und Sehen abzusprechen. »Hätten Euer Hoch- und Wohlgeboren nicht ventre à terre bei den Deutzer Kürassieren geritten, nicht wie ein Großer und Aufrechter bei den Schleusen von Ypern auf Posten gestanden, nicht in Damengesellschaft und bei knallenden Schampagnerproppen den unwiderstehlichen und galanten Schwerenöter abgegeben – halten zu Gnaden, man könnte vor diesen angezogenen Klostermauern Estimierung besitzen. Aber so...! Nee, mein Bester, das gesamte Rheinwasser mit seinen Woijen und Kolken wäscht Euerer Hoch- und Wohlgeboren gewisse kleine Exkursionen nicht aus dem sonst so properen Kittel. Wäre es anders, ich müßte ein Ragout von Mäusen verzehren.«

Der Borgheeser lächelte bittersüß und hielt ihm die geöffnete Handfläche zu.

»Euer Liebden, lassen wir das?«

»Im Gegenteil. Seien wir fröhlich im Herrn, gestehen wir freudig von der Leber herunter: Ich armer sündiger Mensch bekenne vor Gott und den Menschen ... und da ich in meiner Person zu den sogenannten Menschen gehöre ...«

Er schnappte ab, um dann mit einem pfiffigen Blinzeln seinem Freund und Gönner etwas näher auf die schuldlose Pelle zu rücken.

»Herr Baron, ich möchte geziemend darauf hinweisen: vor einigen Tagen, sagen wir einfach anfangs der Woche, ist Engelke bei mir gewesen, um sich 'ne Bouteille mit delikaten Ruhrperlen einzuhandeln. Ruhrperlen! Meine Spezialität, Herr Baron.«

»Ruhrperlen und Engelke?! Was sollen mir diese?«

Gisbert Kreuzwendedich Riswyk tat wie aus allen Wolken gefallen.

»Engelke, Engelke ...!« wiederholte er mit gerunzelten Brauen.

»Aber gewiß doch. Engelke – nunmehrige verehelichte Stappers, dem langstieligen Küster und Kantor Stappers die seine, ein rassiges Ding mit frischen Kulören, einst ansässig auf Borghees, bis zum heutigen Tage noch immer so semmelknusperig, als wäre sie direktemang vom Bäckermeister Dores van de Linde bezogen.«

»Ach – die ...!«

»Na also! Gut Ding, was sich bessert.«

»Verjährte Geschichte!« und der Überführte pfiff sacht und leise vor sich hin: »Ich habe sie nur auf die Schulter geküßt. Die ganze Affäre, 'ne Liebelei, ohne die geringste Bodenständigkeit unter den Füßen, sozusagen 'ne Eintagsfliege von heute auf morgen. Nichts weiter.«

»Nehmen wir an. Aber nu macht Engelke 'nen Sums um diese Eintagsfliege, als sei ihr das gebrannteste Herzeleid angetan worden, ja, als sei sie vollauf berechtigt, von Euerer Hoch- und Wohlgeboren in 'nem glanzvollen Mercedeswagen in die Kirche von Sankt Aldegondis gefahren zu werden.«

»Als Herrin von Borghees?«

»So ähnlich.«

»Und ich ihr Chauffeur?«

»Auch dieses.«

»Schluß!« rief der Baron und lachte ein übermütiges Lachen. »Da habt Ihr's! Der beste Beweis für meine aufgestellte Prämisse. Meine hemmungslosen Aperçus sind gar nicht so ohne, besser als die Sprüche und Verse von Bonifazius Kiesewetter.«

»Höhö!«

»Abwarten, Michel!« und in dem glattrasierten Gesicht des Barons spielte es mit neckischen Lichtern. »Schweigt mir von Rom, dito von Engelke Stappers, denn das sind Puffbohnen mit durchräuchertem Speck. So was gibt bloß niederträchtige Winde. Bleibt mir mit solchen Weibern vom Halse. Dagegen, ich für meine Person drehe den Spieß um und behaupte: eines Tages wird das Goldkorn beim üblichen Lever mit der selbstverständlichen Frage erscheinen: Mein lieber Freund und Kupferstecher, wann dürfte ich mich als die rechtliche Frau Düweke Tappert betrachten, als solche meine grünen Plüschpantoffeln unter die gemeinsame Bettstelle placieren? Das liegt näher als Engelke mit ihrem erträumten Mercedeswagen, um als Frau Baronin Gisbert Kreuzwendedich Riswyk auf Borghees in die Kirche von Sankt Aldegondis zu tuten. Verstanden?«

» Capisco!« und der prachtvolle Mynheer mit der Keilerschwarte und seinen zweihundertunddreiunddreißig Pfund klevischen Gewichtes sah seine feinsten Kalkulationen wie die Felle eines verstörten Lohgerbers auf und davon schwimmen. »Herr Jeses noch mal! Mir geht eine Talgleuchte auf!« und sein Dulderhaupt senkte sich betrüblich nach vorne.

Draußen war das Wetter weniger diesig geworden. Über dem Rhein stand ein feiertägiges Leuchten, das den Strom und die gegenüberliegende Niederung weithin verklärte. Die letzten Reflexe des sterbenden Tages sahen ins Fenster hinein, spiegelten sich in den Gläsern und Ofenkacheln, um mit einem allbarmherzigen Schmunzeln auf Michel Virgilis Tappert haften zu bleiben.

Das beseligte ihn.

»Herr Baron,« fuhr er auf, »was sollen die Miesepetereien hier frommen? Fort damit. Anch' io sono pittore!« und er rührte die Klingel.

Das Goldkorn erschien mit wehenden Röcken.

Michel schenkte ihm nicht die mindeste Achtung. Verächtlich rief er über die Schulter: »Per sofort – zwei neue Grogs. Verstanden – du Ziege?«

»Aber Mynheer ...!«

»Ruhe!« gebot er. »Zwei Grogs von Jamaikarum!« um sich dann an Gisbert zu wenden: »Meine Spezialität, Herr Baron.«

»Weiß es zu schätzen, aber nicht so heftig, mein Gönner. Man darf nicht à tout prix aus dem Röllchen fallen.«

»Strafe muß sein, denn ohne diese ist das Weibsvolk nicht an der Kandare zu halten,« und als das Goldkorn wiederum antrat, das Verlangte mit gerümpftem Näschen zubrachte, sich schnippisch entfernte, erhob Michel Virgilis sein Glas, schwenkte es der üppigen Dame im verblichenen Goldrahmen zu und sagte aus tiefster Weste heraus: »Katharina Rickers, Reichsgräfin Kolbe von Wartenberg, es gilt. Nun bist du allein meine einzige Liebe geblieben.«

»Gar nicht so ohne,« konstatierte der Knollen- und Rübenbaron, »wäre sie nicht bereits seit Anno Tobak bei ihren Vätern versammelt. Aber das tut nichts. Sonnen wir uns im Licht und in der Liebe dieser einzigen Dame ... und sollte mir heutigentages eine ähnliche kommen ...«

»Pst!« machte Michel Virgilis und sah auf die Seite, aber die dampfenden Gläser klingelten auf das Wohl der schönen Katharina hell und fröhlich zusammen.


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