Joseph von Lauff
Die Brinkschulte
Joseph von Lauff

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Am Spätabend kam Eli gefahren. Sie saß zwischen einem aufgetürmten Bau von zierlichen Kisten und umfangreichen Schachteln, in denen sich allerlei Dinge für die Hochzeitsfeier befanden.

Sie selber, ernst und feierlich gestimmt, saß stocksteif auf dem Rücksitz und fuhr mit einem gewissen Selbstbewußtsein durch die fertiggestellten Girlanden und Ehrenpforten in den Hof ein, der wie auf dem Präsentierteller lag, so hell und blinkig war es mittlerweile unter dem Monde geworden.

Ohne sie ging's nun einmal nicht.

Das wußte sie längst.

Ihre Arbeit, ihr Geschmack, ihr fingerfertiges Eingreifen, kurz alles, was mit ihrer Kunst als Nähterin und Ratgeberin zusammenhing, alles das war für den morgigen Tag so nötig wie das tägliche Brot geworden.

Sie hatte die Tafeln auszuschmücken, die eine in der Guten Stube, die andere auf der mit Tannengrün austapezierten Diele, das Brautkleid noch einmal zu mustern, das Heer der Mägde hinsichtlich der Bedienung gründlich vorzubereiten und die Brautkrone durch einen weichen Lederlappen in die richtige Beleuchtung zu stellen.

Das konnte nur sie; denn in Anbetracht ihrer Geschmeidigkeit und ihres feinen Benehmens hätte sie es mit jeder Mamsell und Stadtmodistin aufnehmen können.

Während der Fahrt hatte sie ein gehobenes Gefühl, aber auch ein solches, das man mit ›bittersüß‹ bezeichnen konnte.

Sie dachte an Jans Sandhage.

Ein Zufall wollte es noch, daß ihr ein Krummer über den Weg lief, sich unmittelbar neben den Straßengraben postierte und die prächtigsten Männchen zum besten gab.

Im Mondlicht sah sie alles haarscharf und fadengenau. Nach dem dicken Kopf und der prächtigen Blume zu urteilen, war es ein selbstbewußter, ausgetragener Rammler.

Möglich, es war der verhängnisvolle Löffelmann aus dem letzten Treiben in der Uhlenbrinker Gemarkung. Ja damals . . .! – Hätten damals der Apotheker Schölwink und der dicke Kreisrichter Zumloh aus Soest sich weniger des Visierwassers bedient und besser geschossen, vielleicht wäre ihm die große Retraite geblasen worden, und Jans Sandhage hätte noch unter dem irdischen Himmel gewandelt – ihr treusorgender Mann und der Vater ihrer ganz kleinen, niedlichen, unmündigen Kinder.

Das hätte sie doch alles haben können!

Und jetzt? – Nichts, auch nicht das geringste Titelchen. Sie warf einen ordentlichen Haß auf den Apotheker Schölwink und den dicken Kreisrichter Zumloh, verfluchte alle Visierwasser der Welt und wandte den Blick von dem dickköpfigen Rammler, der jetzt mit dem rechten Hinterlauf trommelte, die Blume zeigte und äußerst gemütlich über den Sturzacker hoppelte.

So'n unverschämter, naseweiser Patron! – und Juffer Eli griff in ihren Pompadour und tupfte sich mit dem feinen Taschentuch gegen die Augen.

Ein tiefer, schmerzlicher Seufzer galt den Manen des braven Jans Sandhage aus Sönnern.

Dann war auch dieses abgetan.

Helles Licht strahlte ihr entgegen.

Fast alle Fenster des Hofes waren erleuchtet.

Eli gab sich zufrieden. Die kommenden Festtage wirkten belebend auf sie. Sie gewann wieder ihre alltägliche Form und Fassung, triumphierte mit einem erklärlichen Hochgefühl durch die duftigen Fichtengirlanden hindurch und ließ die mitgeführten Kisten und Schachteln durch Holthövel und Dörte ins Haus tragen.

Für die Nacht nahm sie Quartier auf dem Brinkschultenhof. Es gab für sie Arbeit in Hülle und Fülle, und zeitig hatte sie schon ihres Amtes zu warten.

Beim Betreten der Diele, die bereits ein festliches Gewand angelegt hatte, überschlug sie alles noch einmal: Fünf Uhr aus den Federn; dann Toilette, aber mit allen Schikanen; sieben Uhr Kaffee mit Korinthenstuten und sonst etwas, denn sie hatte ihre fünf Sinne zusammenzuhalten; gegen acht Uhr Bedienung der Brinkschulte, Empfang der Brautjungfern und sonstige Honörs; Punkt neun Uhr Fahrt nach der Kirche. Das übrige mußte sich dann von selber ergeben.

Gleich bei ihrer Ankunft fragte sie nach der Herrin des Hauses.

Die Brinkschulte war noch nicht zu sprechen. In einer Stunde vielleicht.

»Gut,« meinte Eli, »ich werde mich inzwischen orientieren.«

Sie stellte sich mitten auf die Diele.

Von hier aus hatte sie den besten Überblick.

Alles gab sich pompös.

Kreuz und quer hingen duftige Kränze, mit Bändern verziert und mit bunten Papierfähnchen besteckt.

Ignaz hatte hier das Oberkommando.

Unter seiner Leitung wurden noch die letzten Vorkehrungen getroffen. Die Türrahmen schmückten sich mit Stechpalm und Fichtengrün, während die Musikantentribüne sich sinnreich aus den westfälischen Landesfarben herausschälte.

Es war ein köstlicher Harzgeruch in der Luft. Es duftete nach Weihrauch, wie in der Kirche.

Von der Bodenluke schwebte ein prächtiger Leuchter, den eine kunstfertige Hand aus Wagenspriegeln und Faßreifen zusammengestellt hatte. Zweihundertundfünfzig Talglichter hatten für den nächsten Abend die erforderliche Helle zu schaffen.

Eli musterte alles mit kritischen Blicken, und sie sah, daß es gut war.

Hierauf setzte sie sich an den Kopf der Haupttafel und beorderte Dörte, ihr den schmalen, weißen Karton und eine Portion Stechpalmblätter zu bringen.

Während nun Dörte das Angeforderte holte und dem Karton eine große, mit lateinischen Lettern beschriebene Pappscheibe entnahm, legte Eli ihr Nähzeug zurecht und stülpte sich den silbernen Fingerhut über.

Hierauf pinkte sie mit ihm dreimal gegen die Tischkante, daß es einen hellen, klingenden Ton gab.

Nur so leitete sie jede Arbeit ein. Das war eine alte Gewohnheit von ihr. Sie dachte dabei an die heilige Dreifaltigkeit.

»Mit Gott fang an, mit Gott hör' auf,« sagte sie still vor sich hin und begann damit, die Stechpalmblätter um den Rand der beschriebenen Pappscheibe zu nähen.

Beim ersten Aufklopfen horchte Ignaz auf.

»Das verfluchte Gepinke!« brummte er in sich hinein, denn das Klopfen mit dem Fingerhut löste bei ihm ein unangenehmes Empfinden aus und war ihm von jeher zuwider gewesen.

Nach viertelstündiger Arbeit pinkte Eli zum andern und sagte: »Ignaz, ich bitte Ihnen, den Spruch über die Tür da nageln zu wollen.«

Damit zeigte sie mit ihrem zerstochenen Finger auf die bezeichnete Stelle.

Es war die Tür, die von der Diele zu den übrigen Gemächern des Hauses führte.

Ignaz tat, wie ihm geheißen wurde, obgleich ihm das unheimliche Getue die gute Laune zu verderben drohte.

»Pompös!« sagte Eli, als sich die Pappscheibe in ihrem ganzen Glanze darbot; dann las sie:

»Viele Jahre
Beieinand';
Bis zur Bahre
Hand in Hand.«

»Schön,« versicherte Ignaz, »äußerst lieblich gesagt! Hat wohl der pensionierte Herr Rektor Klopps in Sönnern verfertigt?«

»Der?!« meinte Eli. »Na, so was! Der versteht soviel von die Kunst, wie 'ne überständige Kuh von's Klavierspielen. Und wenn der Riemsels erfindet, so haben sie Dreck an den Füßen und gehen mit schwarzen Fingern spazieren. Statt die Kinder ordentlich zu belernen, macht er in infamen Redensarten. Er ist man ein trauriges Überbleibsel von 'nem abgesetzten Magister. Mit die Gedichte ist ihm denn doch ein anderer über.«

»Wer hat's denn gemacht?«

»Emanuel Wimke.«

»Na, der auch!« bestätigte Ignaz und drehte sich Dörte zu, die sprachlos die Inschrift betrachtete und dabei die Hände respektvoll zusammenlegte, während Eli die Gute Stube betrat, um auch hier nach dem Rechten zu sehen.

»Dörte, habt Ihr's gehört?« fragte Ignaz, als Eli außer Hörweite war. Dann zeigte er geheimnisvoll über den Rücken.

»Was meint Ihr damit?«

»Na – das verfluchte Gepinke. Ich kann mir nicht helfen – aber wenn die Eli hier ist und schneidert und dann so ganz leise und sachte und doch so infam und deutlich mit dem Fingerhut auf den Tisch kloppt, dann ist mir toujours, als wenn der Totenwurm im alten Holz herumarbeitet.«

»Aber, Ignaz . . .

»Dörte, ich sage Euch, akkurat wie'n Totenwurm, der was von schwarzen Brettern erzählt.«

Dörte war außer sich.

»Wie kommt Ihr grade heute darauf?« fragte sie endlich.

»Wie kommt der Mensch zu 'ner Ahnung?«

Dabei zuckte er mit den Schultern, wandte sich ab und ging die Viehstände durch, um dem Bullen und den ausgezeichneten Kühen die Hörner festlich zu vergolden.

Eine halbe Stunde später saß Juffer Eli bei der Brinkschulte, hatte die Sattelmeierkrone vor sich stehen und pflegte sie mit zärtlicher Sorgfalt.

Bei jeder Bewegung klingelten die einzelnen Goldplättchen lieblich gegeneinander.

Insichgekehrt verfolgte die Brinkschulte die Arbeit der Nähterin. Noch etwas bleich sah sie aus; aber nichts verriet in ihrem Wesen, was sie noch vor wenigen Stunden Entsetzliches durchlebt hatte. Sie fand sich damit ab, wie man sich mit dem Unabänderlichen abfindet. Auch das mußte sie auf sich nehmen. Sie tat's zu dem übrigen. Sie hatte schon so vieles erduldet. Auf ein Mehr oder Weniger konnte es jetzt nicht mehr ankommen. Derartige Dinge mußte man mit sich selber abmachen, und daher: sie erwähnte den traurigen Vorgang mit keiner Silbe. Auch Ignaz Greving und Holthövel schwiegen darüber.

Immer lieblicher und freudiger klingelten die Goldplättchen zusammen, und die Brinkschulte horchte darauf, als wären es überirdische Klänge. –

Der Abend ging hin. In sehnsüchtiger Feier kam die Nacht herauf. Sie lag so hell unter Gottes wolkenlosem Himmel, als wäre es Tag gewesen.

Auf der Diele holte die alte Kastenuhr zum Schlag aus. Elf langsam aushallende Schläge reihten sich nebeneinander.

Bald darauf machte das stolze Anwesen die Augen zu. Nur in dem Erdgeschoß war noch Licht. Es kam aus der Schlafkammer der Herrin.

Dann verlosch auch dieses.

Lange konnte sie den Schlaf nicht finden. Durch das nur angelehnte Fenster kamen die Stimmen der Nacht, unmerklich und auf zärtlichen Schwingen. Aber sie hörte jede Bewegung: das Auf- und Niederschwanken der Zweige, das artige Geigen der Heimchen, das Stampfen der Pferde . . .

Einer umkreiste den Hof.

Das war Ignaz, der mit dem Neufundländer die Runde machte. Er ging von einer Scheune zur andern, von einem Schuppen zum andern. Er hielt sich im Schatten auf, in den Remisen. So trieb er es eine Zeitlang hindurch.

Dann hörte sie, wie er das Haus betrat, abschloß und seine Kammer aufsuchte.

Nur der Hund hielt noch einsame Wache. Stetig und mit leisem Gehechel trollte er seine ihm vorgeschriebenen Wege.

Das große Schweigen kam und mit ihm die ersehnte Stunde der Ruhe.

In ihr lag die Seligkeit im Traum und das Vergessen im Leide.

Da war es ihr plötzlich . . .

Der Nachhall irgendeines verlorenen Klanges drängte sich an sie heran.

Aufrecht saß sie zwischen den Kissen und horchte.

Da war es wieder – das von soeben.

Kurz und scharf schlug der Hund an, um gleich darauf ein freudiges Belfern von sich zu geben.

Dann hörte sie nichts mehr.

Träumte oder wachte sie?

Sie wußte es selbst nicht; aber sie hatte das unbestimmte Empfinden: der Hund ist beruhigt worden.

Möglich, die Knechte waren schon munter.

Von der Diele her wurde die Stunde angesagt.

Sie zählte die einzelnen Schläge.

»Vier Uhr,« sagte sie still vor sich hin; »also sind es die Knechte gewesen. Ach! – wenn der Tag erst käme!«

Grau in grau hingen die Fenstervorhänge, lange, unbewegliche Schemen. Alles Mondlicht war von ihnen und von der Erde genommen.

Sie sank wieder in die Kissen zurück – glücklich und schlummermüde. Sie lächelte im Schlaf. Ohne Erregung gingen ihre Atemzüge durch die friedliche Stille.

Die Wunschlosigkeit stellte sich ein. Sie fand eine traumlose Ruhe.

* * *

Und der Morgen kam.

Laternen huschten über den Hof, lichterten durch die Ställe und Geschirrkammern.

Die Raufen wurden bestellt und den Krippen Hafer und Häcksel zugemessen, die einzelnen Wagen in Reih' und Glied gefahren.

Auf den Schornsteinen zeigten sich die ersten Krüsel. Kerzengerade stiegen sie in die heitere Luft. Fast Frühlingswetter.

Ignaz trat zu den Knechten: »Holthövel!«

»Hier!«

»Alles in Ordnung?«

»Allens.«

»Dann nochmals gesagt: den Oldenburgern über die Hinterbacken gestriegelt, daß sie aussehn wie 'ne sanftene Decke. – Beim Einsteigen wird geknallt, und denn los dafür, was hast du, was kannst du. Dem neuen Schulten zu Ehren. Das heißt, ich fahre. Und was das bedeutet . . . Hast ja auch bei die Kürassiere gedient?«

»Nee,« sagte Holthövel, »bei's Trainbataillon.«

»Bleibt sich gleich. Aber denn: toujours pläng schaff über die Asbecker Scheid nach die Kirche. Das muß seinen ordentlichen Schwung haben. Schulte Rumphorst und Schulte Sprickmann sind mit von der Partie. Hochnäsig Volk. Das mustert alles und vigiliert durch eichene Kisten hindurch. Die Kerls sollen doch wissen, daß die Brinkschulte hochzeitert. Verstanden?«

Ja, Holthövel hatte verstanden, und Ignaz machte eine Bewegung, als ließe er eine elegante Peitschenschnur über einen prächtigen Viererzug gleiten.

»So wird's gemacht,« sagte er hierauf und begab sich zum Frühstück. –

Der Morgen wurde immer weitsichtiger.

Die Laternen verloren ihr Licht. Dafür warf die Hand Gottes eine Portion Dämmerhelle durch Stallungen und Kammern.

Der Hof drängte sich massig und selbstbewußt aus dem Morgengrau heraus.

Juffer Eli saß bereits beim Kaffee, fix und fertig und mit einem funkelnagelneuen Merinokleid ausstaffiert. Ein keckes, leichtes Kapotthütchen, auf dem sich zwei stocksteife Schirtingrosen erhoben, zierte ihre straffgescheitelten und weit über die Ohrläppchen gelegten Haare. Schwere Goldgehänge bammelten darunter hervor und glitzerten bis zu den Schultern herab. Es machte sich großartig, dieses sanfte Glitzern und das kaum merkliche, zeremoniöse Nicken der Blumen.

Mit Daumen und Zeigefinger tunkte sie ihre Korinthenbrötchen in die rahmweiße Brühe und ließ es sich schmecken.

Sie mußte eine gründliche innere Auspolsterung haben, um den Anstrengungen des frühen Morgens begegnen zu können.

Ignaz setzte sich zu ihr und langte zu.

»Aber den Henker noch mal!« sagte er plötzlich, »nu schlag doch kien Mensk siene Kinder daud, man weet nich, wat der noch ut wären kann. Nee, Eli, diese prima Merinowolle . . .

»Kömmt mi to,« versicherte Eli, machte hierauf den Hals lang und glitt mit musterndem Blick über die langen Falten ihres Festkleides.

»Nee – und das Hütchen . . .! – Forsch und aufgeschirrt wie'n Kutschpferd.«

»Desgleichen dito. Kömmt mi ebenfalls to. Alles zu Ehren von der da.«

Mit einem schnellen Ruck machte sie eine Halblinksdrehung, daß sich die steifen Rosen energisch auf ihren Drähten bewegten, und zeigte mit dem Daumen über den Rücken.

Sie wies auf das Schlafzimmer der Herrin.

»Pst! – Ignaz, ich hör' was. Ich glaube, sie reibt sich den Schlaf aus die Augen. Wie spät schon?«

»Der Geitlink singt all. Es läuft so auf achte.«

»Jesus, mein Christus!« sagte Eli eilfertig und stülpte die leere Kaffeetasse auf das Unterschüsselchen. »Denn wird's Zeit; denn muß ich ihr völlig aus Morphe–us Armen erwecken.«

»Schön gesagt,« meinte Ignaz und sah mit einer gewissen Bewunderung auf Eli.

Diese aber ging auf den Zehenspitzen der mittleren Tür zu, klopfte an, horchte geraume Zeit, um dann ihre schmale Gestalt in die Kammer zu schieben.

»Na, denn in den Staatsrock,« meinte Ignaz und stülpte ebenfalls seine Kaffeetasse zu unterst.

Eine Stunde später setzte der Auftakt ein.

Die Sonne stand leuchtend am Himmel; Goldschaum rieselte von den Dächern, von den knochigen Eichenstämmen; Goldschaumteppiche lagen auf der kahlen Erde. Es sah aus, als ständen hundert und aber hundert Morgen Ackerland in prächtiger Rapsblüte. Und in dieses Leuchten, in diesen Goldschaum hinein brüllte der Zuchtstier.

Die Stallpfosten bebten. Die Wände zitterten davon. Es klang wie aus dem Boden, wie vom hohen Himmel herunter. Eine hallende Stimme war's, die an Menschen und Tieren rüttelte. Wie dröhnende Hornrufe marschierte sie weit ins Land hinein.

Die ersten Freudenschüsse fielen in der Nachbarschaft. Andere folgten. Dann war ein minutenlanges Geknatter. Von der Hügellehne kam das Echo zurück. Die ganze Gegend stand unter dem Banne eines Freudentaumels.

Die ersten Wagen fuhren ein. Schulte Rumphorst und Schulte Sprickmann erschienen mit ihren Frauen, behäbige Damen, die in strotzender Seide gingen und wie fette, weiße Mutterschweinchen über den Hof blinzelten. Hinter jeder standen wenigstens hundertfünfzigtausend preußische Taler, ihr Zugebrachtes gar nicht einmal zu rechnen.

Die jungen Burschen, die dem Brautwagen das Ehrengeleit zu geben hatten, kamen auf schweren Ackergäulen geritten, alle in langen Stiefeln, kurzen Jacken und flottierenden Bändern. Von rot und blau und grün wirrte es bunt durcheinander.

Immer frische Zugänge stellten sich ein.

Ein Schäschen ratterte vor. Alles lächelte, denn hinter dem Spritzleder saßen Simmchen und Blümchen.

»Wo erhaben! – wo erhaben!« kam es schmalzig von seinen Lippen, während er die Zügel beiseite legte.

Blümchen strahlte.

Als sie ausstieg, mußte die dicke Rumphorsten die Hand vorhalten, um von dem Indigoblauen nicht geblendet zu werden. Sie rümpfte die Nase.

»Die auch!« meinte sie spitzig.

Das kümmerte Blümchen nicht. Sie gab etwas auf sich, sah einfach über die Rumphorstsche fort und ließ das Indigoblaue knistern und knastern. Dabei stellte sie ihre rechte Hand, die mit Ringen über und über besät war, in die schicklichste Ansicht.

Simmchen trat auf die beiden Schulten zu, die bislang Pferde und Wagen mit kritischen Blicken gemustert hatten.

»Tag, Herr Schulte Rumphorst, Tag, Herr Schulte Sprickmann. Wie geht es? Wie is die Bekömmnis? Ich habe die Ehre. Aber ich bitte, die Herrens! – der Brinkschultenhof sieht aus, als wollte er Laubhüttenfest machen. Bin ich meschugge, die Herrens! – nein, er sieht aus wie der Erbdrostenhof oder wie'n anderes Kavalierenpalä von die Herrens in Münster. Es is 'ne große Erhabenheit unter dem Himmel.«

»Möglich,« versetzte der dicke Rumphorst, griff in die Tasche hinein und ließ etliche Taler dicknäsig gegeneinander klingen. »Unser Hof kann sich auch sehn lassen. Der versäuft in seinem eigenen Fett. Im übrigen, wie steht's mit den Kornpreisen, Simmchen?«

»Nu, wie soll's stehn?« meinte Simmchen. »Ich bin jetzt in 'ner festlichen Stimmung un habe die Kornpreise ßu Hause gelassen.«

Neue Ankömmlinge erschienen und machten der Unterhaltung ein Ende.

Es ging auf halb neun.

Da trat Eli aus der Kammer, ganz Feier und Würde und mit einem heiligen Ernst auf der Stirn.

Sie hatte ihres Amtes gewaltet. Die Braut war eingekleidet; die Krone der Sattelmeier ruhte auf ihren blonden Flechten.

»Wie sieht sie denn aus?« fragte Dörte.

»Still, Dörte, ganz still!« sagte Eli, legte die Hände zusammen und schlug die Blicke nach oben. »Wie 'ne Madonna, wie 'ne überirdische Königin. Ich nehm's auf meine erste heilige Kommunion, wenn sie nicht direkt in den Himmel hinein triumphieren könnte. Aber ich will nichts berufen . . .«

Sie streifte ihren Fingerhut über und klopfte dreimal gegen den Türpfosten: »Dörte, ich will gar nichts berufen, absolutemang gar nichts berufen.«

Dörte sah sich ängstlich um: »Wie meint Ihr das, Eli?«

»Na, das von wegen dem Himmel.«

»So!« machte Dörte, »und wann kommt sie?«

»Wenn's Zeit ist; sie hat noch mit ihrem Heiland zu sprechen.«

Eli wurde unterbrochen.

Ferne, lustige Musik setzte ein, ein fröhlicher Marsch, kernig und taktfest wie der rhythmische Gesang von Dreschflegeln.

»Sie kommen, sie kommen!«

Wie ein Flackerfeuer in dicht gereihten Strohdiemen pflanzte sich der Ruf fort.

Alles stürmte hinaus, auch Eli, auch Dörte, und trieb lawinenartig dem Sönnerer Weg zu. Wohl eine Viertelstunde hindurch lag das Herrenhaus wie ausgestorben.

Aber da draußen . . .

Herrgott! – war das eine Fülle von Licht und Freude.

Immer näher kam die Musik.

Auf dem ersten Wagen saßen die Musikanten, zwei und zwei hintereinander. Eine Frau mit einer großmächtigen Harfe war dazwischen.

»Schönemann und Schönefrau!« jubelten alle.

Neben dem Kutscher saß Wimke, wirbelte seinen bebänderten Stock durch die Luft und schwenkte den Hut. Bunte Schlängelchen drehten sich keck durcheinander.

Im zweiten Wagen saß Heinrich Tillbeck, neben ihm Jans Stedink, ruhig wie eine Bildsäule, in seinem neuen Düffelrock, die Enden seines langen, gleißenden Bartes zwischen den Fingerspitzen.

So still und groß und ruhig wie selten! Er war Trauzeuge.

Es ging etwas Prophetisches von ihm aus.

Als sie in den Hof einfuhren, stimmten die Musikanten ein neues Stück an. Das knallte man so in die heitere Stimmung hinein, und Wimke sang dazu:

»Ich bin der Hochzeitsbitter hier –
Fiedewitt bom bom!
Die liebe Braut ich invitier' –
Fiedewitt bom bom!
Sie soll zur Kirche mit uns gehn
Und vor dem Altar Gottes stehn –
        Fiedewitt juchheirassa,
        Fiedewitt bom bom!
                Aus . . .«

Die Musik verstummte a tempo. Wimke sprang ab, desgleichen die anderen; sie umkreisten ihn, während Emanuel Wimke dreimal mit den schlenkrigen Fingern knallte, den Stock neben sich stellte und mit einem Lächeln aufwartete, das halb an Theaterschminke und halb an Rindspomade erinnerte. Hierbei ließ er das buntgewürfelte Sacktuch lang aus der Rocktasche hängen, räusperte sich und deklamierte mit wichtiger Pose:

»Marjo! – das Schöne bleibt nicht aus –
Und somit: guten Tag ins Haus!
Denn nach der Kirche mit Pläsier
Da lad' ich euch zu's Hochzeitsbier.
Mit Gabels, Löffels und Behagen
Sollt ihr euch voll die Wamke schlagen.
Dann eßt ihr mich,
Dann trinkt ihr mich.
Dann stippt ihr mich in Fett und Supp'
Und eßt mich ratzekahlen up:
Wie Torten, Enten, Gans und Weck
Und Bohnen mit durchwachsen Speck
Und Sauerkraut, Korinthenstuten,
Geschlagene Eier, Ferkelschnuten
Und Buttermilch, so weiß wie Schnee,
Geschmortes, Hühnerfrikassee
Und Tittenklein von Muttersauen
Und Würste, dick wie Ärmelmauen,
Sell'riesalat mit Kümmelkräuter
Und Hecht und Gans, gebackne Euter . . .
So eßt ihr mich,
So trinkt ihr mich,
So stippt ihr mich in Milch und Supp'
Und eßt mich ratzekahlen up.
Und dazu singt ihr ›Trialo‹
Bei Langkork, Warmbier und Burdo.
Und abends, wie das Mode ist.
Da wird die schöne Braut vermißt.
Der Hinrich, der ist auch nicht dumm,
Der sieht sich erst verwundert um.
Und dann, mit Zieren und vor Tag,
Springt er dem lieben Bräutchen nach.
Marjo! – wie immer es geschah –
Dann geht die Musik ›Trullala,‹
He hoppla, heißa, hopsassa!
Dann geht die Musik ›Trullala.‹
          Musieke . . .

 

»Hoch soll sie leben . . .

Wimke hob den bebänderten Stock und setzte sich unter Händeklatschen und Flintenschüssen an die Spitze des Zuges. Schönemann und Schönefrau folgten. Sie mit der Harfe. Die Spielleute bliesen einen zündenden Marsch auf.

Von Eli geleitet ging der Zug durch die Ehrenpforte, an der großen Scheune vorüber, durch das allmächtige Dielentor auf die Diele.

Als sie dort eintraten, holte die Kastenuhr bedächtig aus und schlug die neunte Morgenstunde.

Das soeben noch stille Herrenhaus war ein Haus der Freude geworden.

Durch alle Räume und Geschosse lief ein Poltern und Lärmen. Ein Toter hätte davon aufwachen können.

»Welche Fetierung! – Welche Fetierung!« rief Simmchen ein über das andere Mal, »'ne Förschtin kann es nich reicher besitzen.«

Blümchen nickte und ließ ihr Indigoblaues über den Estrich gleiten.

Tillbeck und Jans Stedink gingen dicht hinter den Spielleuten.

Tillbeck war seltsam erregt. Sein Herz klopfte, aber seine Gedanken flogen sieghaft in die kommenden Tage.

»Weißt du noch, Tillbeck,« flüsterte ihm Jans Stedink zu, »was ich damals gesagt hab'? Brinkschulte, hab' ich gesagt, wenn Ihr den da, den Heinrich Tillbeck, mal gebrauchen könnt, sei es so oder so, in guten oder in bösen Tagen . . . Brinkschulte, ich heiße Jans Stedink und weiß, was ich anpräsentiere. – Tillbeck, heute ist deine Stunde gekommen. Halte das Weib hoch, daß du ihm und mir Ehre machst, daß es dir wohlergehe auf Erden und ich nicht die Worte 'runterfressen muß: Ich weiß, was ich anpräsentiere.«

Tillbeck nahm seine Hand und drückte sie an Eides Statt, und Jans Stedink begriff, was er sagen wollte.

»Es ist gut,« meinte er ruhig, und seine Gestalt dehnte sich wohlig.

So waren sie bis zur Brautkammer gekommen.

Rechts und links von der Tür standen die Brautjungfern, verschämt und mit niedergeschlagenen Augen.

Die Musik, die kurz zuvor geschwiegen hatte, setzte aufs neue ein, und Wimke sang wie vorhin:

»Ich bin der Hochzeitsbitter hier –
Fiedewitt bom bom!
Die liebe Braut ich invitier' –
Fiedewitt bom bom!
Sie soll zur Kirche mit uns gehn
Und vor dem Altar Gottes stehn –
Fiedewitt juchheirassa,
Fiedewitt bom bom!
        Aus . . .

 

Dann kirchliche Stille, die den ganzen Brinkschultenhof erfüllte, als wären die Herzen aller plötzlich stehengeblieben.

Hierauf trat Juffer Eli feierlich auf die oberste Stufe der Kammertreppe, zog den Fingerhut über und klopfte dreimal vernehmlich gegen die Brauttür.

Ignaz Greving drehte sich verärgert ab.

»Wieder das verfluchte Gepinke!« sagte er erregt vor sich hin.

Noch einmal pochte Juffer Eli an, klingend und spitz: »Brinkschulte, macht fertig, der Hochzeiter ist draußen.«

Keine Antwort erfolgte.

»Brinkschulte, sie warten schon alle!«

Wieder keine Antwort.

Dann rief sie: »Brinkschulte, wir müssen zur Kirche!«

Es war Angst in der Stimme, obgleich die Juffer zu lächeln versuchte.

Aber die Brautkammer lag wie unter dem Bahrtuch.

Da sah Eli sich um und sah, daß sich alle verfärbten.

»Dann muß ich selber . . .«

Und sie legte die Hand auf die Klinke.

Sie brauchte die Tür nicht zu öffnen.

Sie tat sich von selbst auf und drehte sich ruhig in den Angeln, geräuschlos, wie von Geisterhänden in Bewegung gesetzt – und da war es Eli, als müsse ein furchtbarer Name von ihren Lippen herunter.

Sie taumelte von den Stufen.

»Karl Mersmann . . .

Und Karl Mersmann stand auf der Schwelle, ernst und bedachtsam, nur totenbleich, Moorwasser und zermürbtes Heidekraut an den verlumpten Kleidern.

»Sie schläft man, aber sie schläft lange . . . Zwischen ihr und euch liegt das Schwert Knipperdöllings. Er und Jan van Leyden haben Gericht abgehalten.«

Eine grausame Härte überflog seine Züge. Und in seinen Blicken stand es, als er Heinrich Tillbeck gewahrte: »Ich habe sie besessen, als sie noch jung war. Bekommen habe ich sie nicht. Aber du kriegst sie auch nicht.«

Dann ging er, unbehelligt, unberührt, von keinem mehr gesehen. Eine Maschine, die unbewußt und willenlos ihre Arbeit getan hatte, schritt er durch die verwehten Menschen. Erstarren und Entsetzen hinter sich lassend – also schritt er über die Diele, über den Hof fort, dem nahen Düstermoor zu, das schweigend und mit seinem schwarzen Torfwasser unter einem sonnigen Himmel ruhte.

Spurlos wie er gekommen, so war er auch spurlos verschwunden.

Nur das Entsetzen blieb.

Und dann ein Schrei, den der furchtbare Aufschrei der Hochzeitsgäste nicht zu übertäuben vermochte.

Heinrich Tillbeck stürzte vor und umklammerte die Knie des stillen Weibes, das friedlich zwischen den Lehnen des schlichten Korbsessels ruhte.

Den Kopf in ihren Schoß gepreßt, erstarb der Ausbruch seines gemarterten Herzens in einem fast lautlosen Wimmern.

Eli war dicht an seine Seite getreten.

»Sie ist tot,« hauchte sie, »die Brinkschulte ist tot.«

Da saß sie – im Brautkleid – im leichten Schleier – die Krone der Sattelmeier auf den goldigen Flechten – mit gefalteten Händen – ohne Schmerzensausdruck und mit einem Antlitz wie aus kaltem, weißem Marmor geschlagen – schön wie eine tote Königin.

Ihr Haupt ruhte etwas nach rückwärts. Nichts verriet die Ursache ihres gewaltsamen Todes. Nur um ihren schneeigen Hals lagen die Spuren von umschnürenden Fäusten.

In die Knie . . .! In die Knie! – und alle knieten – alle, alle . . .

Nun war Josepha Brinkschulte wieder, was sie früher gewesen: die steinerne Madonna von der Soester Börde.

 


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