Joseph von Lauff
Die Brinkschulte
Joseph von Lauff

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Zwölftes Kapitel

Glück auf!«

Der alte Bergmannsgruß war im Industriebezirk wieder lebendig geworden. Die unheilvolle Bewegung, die stoßweise eingesetzt hatte, ebbte zurück. Der Geist des Unduldsamen und Aufhetzerischen verzog sich, die Knappschaft rückte mit neuen Kräften an, und unter Tag reihte sich Fünkchen an Fünkchen, die Getreuen der Arbeit, die wie liebe Seelen die weiten Strecken durchgeisterten.

»Glück auf!«

Es klang wie ein Befreiungsruf, wie Frühlingsstimmen. Die Zechen taten einen tiefen Atemzug, und ihre Riesengelenke griffen wieder ineinander. Das stampfte und kochte, streckte und dehnte sich. In stillen Nächten standen rotbraune Fahnen auf den Schloten, majestätische Flammenzeichen, nächtige Verkünder der neuerkämpften Arbeit und Einigkeit. Väter und Söhne, Brüder und Freunde fuhren einträchtig zur Tiefe, begrüßten einträchtig den Tag. Das gewaltige Pochwerk der Mutter Erde, das Herz, pulste aufs neue.

»Glück auf!«

Bis weit ins Land hinein drang die segenbringende Stimme. Alle hörten darauf – auch die in Sönnern, auch die auf dem Brinkschultenhof.

Als Emanuel Wimke es hörte, schlenkerte er den Seifenschaum von den Fingern und sagte, indem er sich die Sprechweise Löwenthals anquälte: »Na, Simmchen, hat Ihnen das auch Ihr Vetter Zodik erßählt, wo is ein angestellter Kommis bei's reiche Haus Siegfried Gutmann in Dortmund?«

Simmchen Löwenthal zuckte die Schultern. Etwas paßte nicht in seinen Kram; er war stutzig geworden.

»Denn nich,« sagte er abgeklärt und wiegte sich auf seinen schadhaften Füßen, »aber es is noch nich alle Tage Abend, die Herrens. Das mit Dortmund . . . nu, das haben gemacht die Dreißehners mit die vierßehnfältigen Flinten, um ßu laden von rückwärts; aber das mit dem Brinkschultenhofe . . . sie kommt ihm doch über dem Halse, die Rebellionierung.«

»Mir soll's egal sein,« konstatierte Fritze Leppers, »wenn bloß mein ›Fröhlicher Anton‹ Lunge behält.«

Dabei schlug er auf den Tisch, daß die Gläser aufhoppelten: »Finger von's Ganze!«

»Schön!« meinte Simmchen, »aber was ich sagen wollte, Herr Leppers – sie haben noch nich ausgespielt, die preußischen Trommlers.«

»Unsinn!« hielt ihm Leppers entgegen.

Emanuel Wimke trat näher.

»Simmchen,« brüllte er ihm in die Ohren, »haben Sie's nicht gehört? – Mit Ihrem gütigen Wollbenehmen: Glück auf!«

»Schön!« sagte Simmchen und zeigte ein überlegenes Lächeln, »das is ein liebreiches Wort; wenn's nur nich überschlägt in die Fitalität. Auch mein Kollege Levi Eliassohn in Werl hat liebreiche Wörter un schöne Betrachtungen; kommt's aber ßum Kuhhandel, nu, da hat er sie in den Abtritt geschmissen. Ich habe die Ehre, die Herrens.«

Damit ging er, felsenfest von seiner Meinung überzeugt, und dennoch war er so halber stutzig geworden.

Nur einer hatte seine geraden Gedanken und seine schnurgerade Ansicht.

Das war Jans Stedink in Sönnem.

Auch er hörte die Botschaft, schüttelte aber den Kopf und schlug auf sein rußiges Schurzfell, daß es aufrasselte wie eine alte Zirkustrommel.

»Glück auf!« knurrte er zwischen den Zähnen, und zwar so höhnisch, daß sich das Weiße zeigte und das Gelbe in seinen Augen noch gelber wurde. »Hat sich was mit ›Glück auf‹! Das hält so lange, wie's hält. Das ist Stümperarbeit und kann um dessentwegen vor keinem Meister bestehn. Gebt mal Achtung, wie die aufs neue die Wetterführung zertöppern und die braunen Federbüsche von den Schloten pußten, wenn's ihnen kommoder ist und die richtigen Kerls an die Spritze treten. Einer ist schon dabei, einer von den Aufgeklärten; andere kommen hinzu und tragen ihr falsches Evangelium von Zeche zu Zeche, wenn sie mehr Ellenbogenfreiheit erhalten. Aber nicht die Zechen allein, auch das Land soll davon profitieren, so denken sie . . . Indessen jedoch« – und das trockene Schurzfell rasselte wieder grimmig auf – »sollten sie sich einfallen lassen, nach Sönnern und auf den Brinkschultenhof zu marschieren, um ihre neuen Lehren frisch an den Mann zu bringen: ich heiße Jans Stedink, und wer mir nicht für voll estimiert, der kann für dessentwegen seine eigenen Backenzähne schlucken. Ich weiß, wo ich dran bin und lasse mir keine Fisimatenten vormachen. Nicht wahr, Tillbeck?« und er trat auf ihn zu und führte ihn seitwärts.

»Paß Achtung, Tillbeck,« sagte er alsdann in seiner abgeklärten und selbstgefälligen Weise, »wenn einer ein Ziel vor sich hat und schießen will, so muß er Büchsenlicht haben. Denk an den Brinkschultenhof und an das, was von Dortmund kommt. Noch ist es nicht so weit. Aber ist es so weit, dann: Nervenstränge wie Schiffstaue, und eine Ruhe muß in dir sein, wie die Ruhe am Tabernakel. Hast du beides, dann ist manchem geholfen. Verstanden?«

Ja, Heinrich Tillbeck hatte verstanden, und noch einmal so kräftig handhabte er den Vorschlaghammer, daß die Muskeln aufsprangen und die Eisenstangen gleich Domglocken läuteten.

»Dann ist's gut,« sagte Jans Stedink, und des zum Zeichen legte er seine langfadigen Bartsträhnen auseinander, bedächtig und feierlich, und zwirbelte etliche Flechten hinein, daß er in diesem Schmuck wiederum aussah wie ein assyrischer König – ein assyrischer König im Abendfeuer, denn um Jans Stedink spielte die Glut der Esse mit bengalischem Licht. –

Und Wochen vergingen. Die Soester Börde lag in Brand und Brunst, denn zwischen Ruhr und Lippe breitete es sich aus wie flammende Ginsterbüsche, wie eine brennende See, über die es dahinzuckte und ‑zischte, als wollten unzählige Blitze sich umschichtig bekämpfen. So hatten die Kornfelder niemals gestanden! Leuchtende Getreidewogen wellten sich übereinander und flossen in majestätischer Pracht dem tiefen Horizont zu. Ein vollreifes Weib, dehnte und streckte sich die Erde. Sie hatte empfangen, um jetzt in ihrer ganzen Fülle und Schönheit und mit offenen Händen zu geben.

Der Brinkschultenhof versank in diesem goldenen Segen. Er stand mitten in einer feurigen Lohe, die ihn umspielte, umschmeichelte und mit lodernden Kämmen gegen ihn anrollte.

Schon seit acht Tagen war der Roggen eingebracht oder stand noch in Garben auf den geschorenen Flächen. Aber noch unberührt schoben sich die immensen Weizenfelder nebeneinander. Eine stille Sehnsucht nach der blanken Sense durchzitterte sie. Sie fühlten den Abend kommen, das leise Einschlafen, die große Ruhe. Ach, wenn die Sense erst über sie fortging, mit verhaltenem Näseln und feinem Singen! Wie schön das war! – und das sollte morgen geschehn. Morgen war der Tag des heiligen Bernhard.

Am Abend zuvor suchte Ignaz die Brinkschulte auf.

Sie saß im Wohnzimmer und ordnete alte Papiere.

»Ich komme von wegen morgen,« sagte er ruhig.

»Sind die aus dem Lippischen da?«

»Seit einer Stunde. Ein Vormäher und fünfzehn andere Mäher.«

»Wo wird zuerst niedergelegt?«

»Ich denke in der Frohnhauser Mark.«

Die Brinkschulte dachte nach.

»Einverstanden,« sagte sie schließlich, »aber nur, um von hier aus über den Hilgenkamp fort nach der Busgravener Flur weiter zu mähen. Das ist schon immer so 'ne alte Gewohnheit gewesen.«

»Toujours meine Ansicht.«

»Na denn, Ignaz – Gott segne die Arbeit.«

»Gott lohn's, Brinkschulte.«

Damit wollte er gehen.

»Noch eins, Ignaz.«

»Madam . . .

»Ich meine, seid Ihr in Sönnern gewesen?«

»Bei Jans Stedink? – War ich, Madam.«

»Wie steht's mit dem Schwingpflug?«

»Die Montierung ist fertig. Er kann jeden Tag angeliefert werden.«

»Dann also Dienstag. Um vier Uhr bin ich draußen, nach der Asbecker Scheid zu. Bestellt die beiden Oldenburger dahin. Ihr selber sollt das neue Möbel ausprobieren. Mal sehen, was dran ist. Im übrigen – gute Verrichtung. Ich meine von wegen der sonstigen Arbeit. Achtet auch auf die zugefahrenen Knechte und Mägde. Da kann man nicht Augen genug haben, daß nichts vorkommt zwischen Hecken und Hägen. Die Augustsonne schafft heißes Blut, aber schwachen Verstand, und nachher geht die arme Seele hungern.«

Ignaz nickte ernst vor sich hin.

Er kannte das.

»Wollen's besorgen, Brinkschulte,« sagte er verständnisinnig, drückte sich leise der Tür zu und ließ das Schloß geräuschlos hinter sich einklinken.

Also morgen rauschten die ersten Weizenhalme auf der Frohnhauser Mark, um mit seinem Säuseln niederzufallen.

Also morgen . . .! –

Anderen Tages, als das junge Licht den violetten Streifen am tiefen Horizont niederdrückte, blitzte die erste Sense, dann die zweite, dann fünfundzwanzig auf einmal . . .

»Rietz!« machten die blanken Messer und warfen grelle Blinkfeuer über die endlosen Flächen.

Mit sanftem Schaukeln bewegten sich die Mäher in schnurgerader Linie, schritten rhythmisch vor und legten die Frucht in langen Schwaden nebeneinander, gefolgt von den Binderinnen, die sich ebenso rhythmisch bewegten, die Ähren zusammenrafften und mit Strohseilen umflochten.

Die vom Brinkschultenhof waren wieder in Tätigkeit. Die Arbeit brachte neue Sinne und hatte nicht Raum für grübelnde Betrachtungen. An den unheimlichen Abend dachten sie kaum noch. Den alten Jaspers hatten sie längst vergessen, vornehmlich jetzt, wo es alle Hände voll zu tun gab und die schwülen Abende die müden Glieder willenlos auf die Betten streckten. Auch Karl Mersmann hatte kein Besinnen mehr dafür. Er lächelte wieder. Er glaubte den Alten immer noch in den Vereinigten Staaten. Die letzten Begebenheiten waren für ihn kaum noch vorhanden. Er erinnerte sich ihrer, wie man sich eines verworrenen Traumes erinnert.

Daß er das Beil aus dem Hauklotz gerissen und es in den Türpfosten getrieben hatte, war ihm gänzlich entschwunden. Er befand sich gleichsam im Nebel auf einem hohen Berge. Nur wenn die Schleier zerrissen und vereinzelte Lücken sich zeigten, dann gewahrte er ein Stück des Lebens, aber in ungewissen Konturen, verschwommen und nur für eine Gedankenspanne, die kaum drei Herzschläge hindurch anhielt. Er ging wie im Schlummer umher, teils auf dem Hellweg, teils auf den Feldern, sprach mit den Arbeitern, sah den Krähen zu und hielt dabei lange Zwiegespräche mit Jan van Leyden und Knipperdolling.

Mit heiterem Grinsen verfolgte er das Umlegen des Getreides. Das kurze Aufblitzen der geschwungenen Sensen interessierte ihn. Dabei saß er auf einem Chausseestein und hielt eine abgerupfte Weizenähre zwischen den Zähnen. Jedesmal, wenn die Mäher zum Hieb ausholten, tat er es auch und freute sich, wenn es flirrte und säuselte und ein blankes Licht über die reichen Bestände glitt, als liefe ein mächtiger Spiegelreflex von Osten gen Westen.

»Rietz!« sagte der Spökenkieker. Er wähnte das Schwert des Wiedertäuferkönigs zu führen, unentwegt und unerschrockenen Mutes, um damit seine Herrin gegen alle Miseren, ihre Bewerber und gegen alle irdischen Widersacher zu schützen, und dann sagte er mit einem feinen Kräuseln der Mundecken: »Küsse mich, Brinkschulte. Du sollst mich küssen; das tat auch die schöne Elisabeth Wandscherer,« und er schmunzelte, und sein kranker Geist tastete glückselig durch die purpurblaue Finsternis, die Gott der Herr in seiner Barmherzigkeit um ihn ausgetan hatte. –

Die Zeit lindert und läßt das Unerträgliche weniger unerträglich erscheinen. Auch die kürzeste Zeit. Sie stellt Schatten zwischen das Gestern und Heute und gibt dem Heute Gelegenheit, in eine weniger umdüsterte Landschaft zu blicken. Mit weichen Händen zerteilt sie die dunklen Gewebe, die das Schicksal um die Stirnen der Menschen geschlungen – eine gütige Frau, eine Helferin, eine barmherzige Schwester.

Josepha Brinkschulte hatte das an ihrem eigenen Leibe erfahren. Nachdem sie den Alten abgefunden, fühlte sie sich freier. Die Schauer und Bedrängnisse der verflossenen Wochen ließen von ihr ab. Was in ihren Kräften stand, hatte sie getan, um ihr Gewissen zu beruhigen und das Andenken ihres Vaters zu retten. Weiter zu gehen, hätte ihrem Wesensinneren nicht entsprechen und wäre Schwäche gewesen. Die ersten Tage nach der Katastrophe waren ihr furchtbar. Sie brach einfach zusammen. Nur langsam erholte sie sich. Dann aber war sie wieder die alte, nur noch stolzer und insichgekehrter – und dann noch eins . . . Das bittere Leid hatte ihre Züge verändert und ihnen das Harte, Unbeugsame genommen. Was sie früher im eigentlichen Sinne des Wortes nicht besaß, das besaß sie jetzt: ihre Züge standen im Banne eigenartiger Schönheit. Zuversichtlich ging sie über das Durchlebte hinweg und war mit sich im klaren darüber: von nun an rüttelte keiner mehr an den Grundfesten des Brinkschultenhofes, weder die etwaige Schuld ihres Vaters, noch eine erpresserische Hand, selbst auf die Gefahr hin, einen erneuten Kampf bis aufs Messer führen und darüber sterben zu müssen – und dieser Wille, ehern und selbstherrlich, gab ihr Ruhe und Schönheit.

In dieser Ruhe und Schönheit hörte sie auf das geheimnisvolle Zischen der Sensen, verfolgte sie den blanken Schein, der den schaukelnden Marsch der Schnitter begleitete, sah sie die gelbe Frucht einfahren, die mit dreißigfältiger Ernte ihre weiten Scheunen füllte.

So war der Dienstagmorgen gekommen.

Mit heißen, trockenen Augen und wacher Seele erwartete sie die vierte Nachmittagsstunde.

Der Vormittag ging unter mannigfachen Anordnungen dahin.

Sie begann die einzelnen Minuten zu zählen.

Immer näher rückte der Augenblick, den sie mit allen Fibern ihres Herzens herbeisehnte.

Gegen drei Uhr wurden die beiden Oldenburger, blank gestriegelt und im vollen Geschirr, aus dem Stall geleitet.

Ignaz Greving führte sie nach der Asbecker Scheid.

Auch Josepha Brinkschulte war fertig.

Sie konnte die Zeit nicht erwarten und hatte kein Ohr mehr dafür, daß ein Wagen einfuhr, vor der großen Dielentür haltmachte und bald darauf wieder den Hof verließ.

Mit geschürztem Rock und derben Schnürschuhen, die den Fuß bis zu den festgegliederten Knöcheln umspannten, stand sie vor dem Spiegel, damit beschäftigt, den leichten Strohhut auf ihre schwere Flechtenkrone zu drücken, als ein weicher Arm sich um ihre Taille legte.

»Guten Tag, gestrenge Madonna,« kam es von übermütigen Lippen.

Lautlos war jemand an ihre Seite getreten.

Bestürzt sah sich die Brinkschulte um.

»Also – wirklich! – du, Marie?« fragte sie hastig.

»Mit Leib und Seele!« klang es ihr fröhlich zu.

»Und du kommst . . .

»Wie mein Brief dir schon sagte: direkt von Lippstadt, um über deine selbstgewählte Einsamkeit wieder nach Dortmund zu fahren. Ich will doch wissen, wie es um dich steht, ohne die Hand auf alte Wunden zu legen. Was dir inzwischen passiert ist, weiß ich von meinem Mann. Man muß sich eben mit solchen traurigen Tatsachen abfinden. Doch schweigen wir davon. Nur dich will ich haben, nur dich in deiner verträumten Stille und doch in deiner ganzen Herbe und Schaffensfreudigkeit. Und wenn es dir recht ist, drücke ich mich sacht in die Kissen des Brinkschultenhofes und lasse mir von den ehrwürdigen Eichen etwas vorrauschen: alte Geschichten, Märchen, verklungene Lieder . . . Bis morgen habe ich Urlaub.«

Die Brinkschulte trat einen Schritt zurück.

»Also bis morgen?« fragte sie lächelnd, »und ob es mir recht ist . . .

Dann breitete sie die Arme: »Hierhin gehörst du . . .!« – und Brust ruhte an Brust und Seele an Seele, und stille Gedanken nahmen sich bei den Händen und wanderten über dämmerige Wiesen, die mit köstlichen Blumen bestellt waren und an die Ewigkeit grenzten.

Für einen Augenblick herrschte tiefes Schweigen. Es war so, als senkte sich etwas über sie nieder – unauffällig, langsam, sie einhüllend . . . und aus diesem Schweigen heraus glitt die Brinkschulte mit stillem Blick über die Gestalt ihrer Freundin, die sich weltverloren an sie geschmiegt hatte.

Sie wußte, wie es um das junge Weib stand. Das hatte sie vor langen Wochen, schon aus dessen Brief erfahren. Heute sah sie es mit eigenen Augen. Eine selige Verklärung lächelte sie an. Andere hätten gar nichts gesehen. Aber sie sah es. Kaum wahrnehmbar, in keuscher Verschwiegenheit, köstlich wie das geborgene Saatkorn im Schoß der Mutter Erde, also reifte auch hier das süße Geheimnis seiner Ernte entgegen.

»O du, du . . .!« sagte die Brinkschulte, »herzlich willkommen!« und ihr Mund legte sich heiß auf die Stirne der gesegneten Frau.

Dann fragte sie leise: »Und wann hoffst du darauf?«

»So Gott will, um Weihnachten. Es soll ein Christkindchen werden.«

»Du bist gebenedeit unter den Weibern, während ich . . .«

»Aber, Josepha . . .

Mit einer jähen Wendung löste sich die Freundin aus der zärtlichen Umarmung. Ihre Brust ging auf und nieder.

»Du könntest auch dieses Glückes teilhaftig werden,« sagte sie zuversichtlich, »wenn du nur wolltest.«

»Wenn ich nur wollte . . .

In den Augen der Brinkschulte blitzte es auf.

»Ja, wenn du nur wolltest.«

Marie Berlage trat einige Schritte zurück.

»Und wie du aussiehst, Josepha! – Du bist aus deinem grauen Denken heraus. Weißt du noch im Klostergarten zu Dorsten – wie sie dir scheu aus dem Wege gingen?! Nur ich nicht. Ich wußte, in der Brust der steinernen Madonna ruhte ein heißes Herz, heißer als die Herzen anderer Menschen. Aber es schlummerte – und es schlummerte Jahre um Jahre. Jetzt aber . . . Etwas Frauenhaftes geht über dich hin. Die Rose ist aufgewacht. Ihr Duft hat deine Sinne geweckt . . .«

Und wieder war sie bei ihr und hatte ihre Hände ergriffen: »Du hast dich gefunden, Josepha. Erinnere dich meines Briefes . . . rufe die einzelnen Zeilen zurück . . . besinne dich auf die Worte, die ich dir in diesem Schreiben zuflüsterte: Öffne nur die Tore deiner Seele, und du wirst wie ein blühendes Weizenfeld sein. Und dann – habe ich recht oder nicht? – du hast in den Spiegel gesehn.«

»Ja, ich habe in den Spiegel gesehn.«

»Wann?«

»Damals, als du mir schriebst.«

»Und was sahst du, Josepha?«

»Nun, ich fand deine Behauptung bestätigt. Ich war noch keine alte Jungfer geworden.«

Da drängte es sich still und warm an ihre Seite, und ein weicher Odem raunte ihr zu: »Endlich! – so habe ich doch nicht vergebens gesprochen. Das Weib in dir ist geweckt. Das übrige findet sich. Der Herr wird schon kommen.«

»Aber, Marie . . .

Mit einem kurzen Laut brach sie ab. Purpurne Glut bedeckte ihr Gesicht. Ein Schluchzen war in ihr und doch ein Glück, das in den Himmel hineinwollte. Dann riß sie sich auf. Ihre Hand streifte die ihrer Freundin.

»Jetzt komm,« sagte sie mit scheuer Betonung.

»Was befiehlt meine aufgewachte Madonna?« kam es von heiteren Lippen.

»Ich dächte doch, du wolltest mich in meiner Tätigkeit sehen.«

»Und darf ich fragen in welcher?«

»Als Abnehmerin eines schottischen Schwingpfluges.«

»Und da willst du mich mitnehmen?«

»Aber natürlich.«

»Und das gleich?«

»Wenn es dir recht ist.«

»Dann schenke mir noch zwei Minuten, um mich fertig zu machen.«

»Und um einen kleinen Imbiß zu dir zu nehmen,« ergänzte die Brinkschulte. »Drum komm jetzt,« und damit zog sie die Freundin mit einem sanften Druck an ihre Seite, legte ihr den Arm um die Taille und geleitete sie auf die Fremdenkammer.

Bald darauf gingen sie der Asbecker Scheid zu.

Ein tiefblauer Himmel lag über der Erde. Nur im fernen Westen stand es majestätisch und regungslos. Ein aufgetürmtes Gebirge von lichten, silbrigen Wolken grenzte den Horizont ab.

Ein sanfter Windhauch ging über die immense Ebene. So weit das Auge reichte, stand alles unter dem Pflug des Brinkschultenhofes – bis zu den Pappelreihen, die den Blicken Einhalt geboten. Ab und zu trat ein massiger Eichenkamp in die Erscheinung, geballt und schwerfällig am Boden liegend. Tiefe, violblaue Schatten waren von der Hand Gottes hineingetupft worden. Wie Giganten ruhten diese Eichenpartien auf der fruchtbaren Erde, Kinder der Vorzeit, alter Sitte und steifnackigen Westfalentums.

Graue Stoppelfelder und noch bestellte Weizenschläge wechselten mit grünen Kleeäckern ab.

Ein monotones Schwirren begleitete die Feldwege.

Es kam von den Grillen her, die vor ihren Röhren lauerten und den warmen Sommertag ansangen.

Seitlich eines schmalen Haferstückes ließ der alte Brügelmann zwischen den Stoppeln weiden. Fünfhundert Schafe waren ihm unterstellt, ausgezeichnete Tiere, eine Kreuzung von Rambouilletböcken und Merinoschafen, rot gezeichnet, mit breiten Köpfen und abgerundeten Nasen.

Wie ein Patriarch stand der Alte auf weiter, einsamer Flur, stumm seine Befehle gebend, langsam weiter ziehend. Zwei Hunde umkreisten ihn und die Herde, lautlos, zwei Schatten, die auch dem kleinsten Augenzwinkern gehorchten.

Er selber hob sich in seinem weißen Leinenkittel scharf gegen den Westen ab. Mit seiner sehnigen, ranken Figur schien er in den Himmel zu wachsen.

Von Zeit zu Zeit schob er die flache Hand vor die Stirn und sah in die Landschaft. Mit langsamen Blicken strich er über die weite Gegend. Dann horchte er auf. Es klang ihm wie ferne Musik zu. Eine Sense wurde gedengelt, zwei Sensen, drei Sensen. Hierauf ging es wieder: »Rietz, rietz!« – wie das melancholische Singen eines weltfremden Vogels, der sich darin gefiel, seine Weise unentwegt über die sommerliche Erde zu schicken.

Es mochte auf vier gehn.

Die Wärme des Tages ließ nach.

Der Wind nahm an Stetigkeit zu. Dem feinen Wetzen und Sensen gesellte sich das Rauschen des Weizens – da hob Brügelmann den Stab und senkte ihn wieder. Dreimal trieb er dasselbe Spiel hintereinander.

Es war denen ein Zeichen, die an der Asbecker Scheid auf die Brinkschulte warteten.

Jetzt mußte sie kommen.

Alles war für ihren Empfang bereit.

Der neue Pflug hielt mit seinen Scharen und Messern, die blank wie Silber glänzten, auf dem abgeernteten Roggenacker, der dem Wege zunächst lag.

Die Oldenburger waren angesträngt und gewärtig, sich in die Kummetgeschirre zu legen.

Ignaz führte die Leine.

Jans Stedink und Heinrich Tillbeck machten sich noch an der Pflugschar zu schaffen, prüften die Streichbretter und zogen einzelne Bolzen nach.

Als die beiden Frauen erschienen, knöpfte Jans Stedink seinen Vollbart aus der Weste heraus, strählte ihn mit breiten Fingern und ließ ihn im laulichen Sommerwind fließen.

Hierauf trat er auf die Brinkschulte zu, ganz Würde, ganz selbstherrliche Befriedigung, und sagte: »Tag, Brinkschulte; die Arbeit ist angeliefert – und wartet.«

Sie gab ihm die Hand. Dann sagte sie mit fester Stimme: »Gott segne das Handwerk.«

»Gott lohn's,« gab Jans Stedink zurück, »aber darf ich mir 'ne Frage erlauben?«

»Ich bitte darum.«

»Na denn, Brinkschulte – Ihr habt wohl Ignaz bestimmt, den Acker brechen zu lassen?«

»Das war allerdings meine Absicht.«

»Dann möchte ich bitten, daß mein erster Gesell Heinrich Tillbeck von der Paderbörnschen Senne die Arbeit besorgt.«

Sie errötete bis in die Haarwurzeln hinein, faßte sich aber und sagte: »Warum gerade dieser?«

»Von wegen der neumodischen Sache. Um dessentwegen ist er gekommen. Allerhand Achtung für Ignaz, aber jedes neue Werkzeug will sich erst in den Griff hineinwachsen. Wir haben den Pflug angeliefert, besitzen daher und sozusagen ein Interesse daran, daß er auch proper vor Augen geführt wird. Und darum bin ich der Ansicht, daß Heinrich Tillbeck aus dem Dings da herausholt, was 'rauszuholen ist – von wegen meiner Reputierlichkeit. Es ist kommoder für mich und bringt die zugelieferte Arbeit in bessere Beurteilung.«

Die Brinkschulte warf einen scheuen Blick auf Tillbeck, der bei den Pferden stand und mit weicher Hand über das spiegelglatte Haar des einen glitt.

»Wird er das Ungewohnte auch leisten können?« fragte sie unsicher.

»Na und ob!« meinte Jans Stedink und wandte sich an seinen Gesellen: »Nu sprich du, denn nu bist du an die Reihe gekommen und zeige, was du auf die Paderbörnsche Senne gelernt hast. Tillbeck, kannst du das Werkzeug regieren, oder kannst du es nicht? Das ist nu deine Sache geworden.«

Da trat Heinrich Tillbeck vor, eine Siegfriedsgestalt, wie sie gestanden haben mochte unter den Augen Hermanns, des Cheruskers, als das Sturmbardiet klang:

»Hermann, sla Lärm an,
Lat piepen, lat trummen –
Wer Kaiser will kummen . . .«

und offenen Gesichtes sagte er: »Um Vergebung, Brinkschulte, aber ich meine: wer imstande ist, einen schottischen Schwingpflug zu montieren und in Schick und Richte zu bringen, der muß auch den sogenannten Grips in sich haben, ihn führen zu können. Außerdem: als ich noch jung war und ohne Schurzfell herumging, da habe ich schon für den Heidekossäten den Acker gebrochen; Ödland war's und hart und trocken wie gebackene Ziegelsteine. Und doch war die Sohle tiefgründig, und die Furchen liefen schnurgerade nebeneinander. Also, wenn es Euch recht ist . . . es ist gerne geschehn.«

Jans Stedink nickte. Er war zufrieden mit seinem Gesellen. Allen Respekt! – Der Mensch hatte Lebensart und das Wort bei der Hand. Die Madam war schon an die richtige Schmiede gekommen.

Zwei Sekunden hindurch sahen sich Tillbeck und die Brinkschulte an, Auge in Auge – nur zwei Sekunden hindurch, aber so, als wenn des einen Blick den des andern ausforschen wollte . . . als sie ein bejahendes Zeichen machte und zur Seite trat.

Da warf Heinrich Tillbeck den Rock von sich, wulstete die Hemdärmel zurück und trat hinter Pflug und Gespann.

Mit kurzem Griff packte er die Leine.

»Hia da hüp!«

Erst gemächlich, fast zögernd, in beinahe ängstlicher Weise lenkte er das Werkzeug, tastend, suchend, jedem Stein aus dem Wege fahrend . . . dann aber . . .

»Hia da hüp!«

Fast urplötzlich packte er zu, mit nerviger Faust und herrlicher Mannesgewalt, und der harte Glanz seiner grauen Augen wurde metallisch. Dann ein Rucken und Stoßen – und das tiefgehende Pflugmesser warf die Scholle beiseite und schlitzte den Leib der Erde in klaffender Wunde auf. Es war so, als ließe sie ein banges Wimmern vernehmen, das stetig mitzog und nicht aufhören wollte. Die abgelöste Erde knirschte am Streichbrett. Fruchtbarer Duft stieg auf. Die Schollen dampften und legten sich poliert auf die Seiten. Der Pflug lebte; unter der gebieterischen Hand Heinrich Tillbecks war er zum folgsamen Haustier geworden, das den leisesten Wink seines Herrn und Meisters befolgte.

Die Brinkschulte stand atemlos. Ihre stolze Brust hob und senkte sich stürmisch. Mit heißen Blicken folgte sie jeder Bewegung. Ihr Antlitz schien blutleer zu sein, und dennoch war es verklärt von einem sonnigen Leuchten. Hochaufgerichtet verfolgte sie sein Schreiten und Schaffen. Was der da vollführte, das war mit dem Herzblut gegeben. So hatte sie noch keinen gesehen – so nicht; er war einer von denen, die, obgleich unter einem Strohdach geboren, unbewußt nach einem Zepter greifen und etwas Zwingendes um die Stirne tragen – ein Herrscher ohne Hermelin . . . Wie er dahinschritt, mit eherner Stirn, zielbewußt und in der ganzen Schönheit echter Kraft und Gliederfreiheit! Ja, er war einer von denen, die leben, um jeden Widerspruch zum Schweigen zu bringen und imstande sind, ohne eigenes Zutun ein stolzes Weib in die Knie zu zwingen.

Sie mußte an sich halten, um ihre innere Bewegung nicht offenkundig zu machen. Aber ihre Augen taten sich weit auf, wie in Verzückung. Eine sinnliche Welle strömte über sie fort und machte sie trunken. Ihre Gedanken waren bei ihm, sponnen ihn ein, legten sich um ihn wie unzerbrechliche Fesseln. Ob er es spürte, ob er die Glutwelle erriet, die von ihr ausging und ihn mit heißer Kraft umbrandete? Ja, er mußte es spüren, er mußte ihre Gedanken erraten, die Schauer des Weibes fühlen, das den Wildgeruch des Mannes witterte – denn wenn schon andere es taten . . .

Josepha Brinkschulte bezwang sich.

Ihre Freundin sah sie von der Seite an. Was war das nur? Hier war etwas im Werden begriffen. Es streckte sich mit Masern und Fasern. Und das mit einem Mal . . .?

Wie eine Offenbarung kam es über sie, und wenn da irgend welche Zweifel waren, in diesem Augenblick gab es keinen Zweifel mehr für sie. Es fiel wie Binden von ihren Augen. Da waren zwei Menschen, die sich etwas zu sagen hatten, zwei eigenartige Menschen mit starren Herrennaturen und doch von sinnlichgierigen Flammen umzüngelt. Und dann wußte sie noch: die Soester Börde hatte für immer ihre steinerne Madonna verloren.

»Hia da hüp!«

Das blanke Messer schnitt weiter. Stetig und gleichmäßig fraß es sich ein und warf Scholle bei Scholle. Tiefgründig legte sich Furche bei Furche. So totensicher hatte noch kein Werkzeug gearbeitet, war es noch von keiner Faust regiert worden. Und diese Faust gehörte Heinrich Tillbeck aus dem verlorenen Winkel, wo die Leute barhaupt gehen und sich den Heidewind um die Nase pfeifen lassen. Das gibt Kraft und ruhige Sinne. Und mit dieser Kraft und mit diesen ruhigen Sinnen führte er die Zügel, lenkte er den Pflugbaum, zog er Gasse bei Gasse, schnurgrade, wie mit der Leine gezeichnet. Immer der rhythmische Gang und der feste Blick seiner Augen! Erdgeruch umwölkte ihn, Zuversicht war bei ihm, Hoffnungsfreudigkeit begleitete ihn. Schon zweimal hatte er den schweren Acker in der Längsrichtung durchbrochen – jetzt machte er wieder kehrt und schnitt eine neue Furche an, geradeswegs auf die Brinkschulte zu. Festen Schrittes, mit offner Brust, die sich nervig dehnte und wölbte, war er bis in ihre Höhe gekommen, als Jans Stedink gebot: »Tillbeck, halt an!« – dann auf die Brinkschulte zutrat und sagte: »So, das wäre geleistet. Ich rechne auf Abnahme.«

In ihrem Gesicht zuckte es auf. Sie wußte nicht, was sie antworten sollte. Ihre Gedanken waren nicht bei der eigentlichen Sache gewesen, hatten nichts mit dem neuen Pflug zu schaffen und nichts gemein mit den blanken Riesenschollen, die er spielend zur Seite geworfen hatte – und doch antwortete sie schließlich: »Ich danke Euch, Meister. Ihr habt gute Arbeit geliefert.«

»Keinen Dank, Brinkschulte,« gab Jans Stedink zurück, »denn wir haben nichts weiter getan als unsere Pflicht und Schuldigkeit, das heißt: ich bin man so obenhin dabei beteiligt gewesen, aber der da« – und er zeigte auf Heinrich Tillbeck, der dicht neben ihm stand – »der da hat es gemacht, aus Liebe zur Arbeit heraus, na – und so weiter, und wenn Ihr dem Heinrich Tillbeck danken wollt, ich glaube, er würde sich freuen. Und dann noch eins, Brinkschulte« – und er teilte seinen Bart in zwei mächtige Hälften und spielte damit, gewissermaßen, um besser und solider nachdenken zu können – »wenn Ihr den da mal gebrauchen könnt, sei es so oder so, in guten oder in bösen Tagen . . . Brinkschulte, ich heiße Jans Stedink und weiß, was ich anpräsentiere. Und wer mein Wort nicht für voll estimiert . . .« Er schluckte den letzten Teil des Satzes herunter, um dann gleich weiter zu sprechen: »Brinkschulte, wie schon angemerkt, ich heiße Jans Stedink, bin aus Sönnern gebürtig und habe das Meinige in der Welt prestiert. Also um dessentwegen kann ich schon ein Wörtchen riskieren und daher: wenn Ihr mal in Not seid, oder will da einer den Frieden zertöppern, der bei Euch mit gefalteten Händen am Feuer sitzt und nach getaner Arbeit Amen sagt und sich ein Pfeifchen anzündet – Brinkschulte, das kann von die Vereinigten Staaten und Dortmund kommen . . . Brinkschulte« – und seine Stimme wurde anempfehlend und treuherzig – »dann erinnert Euch, was ich in diesem Momang über Heinrich Tillbeck von die Paderbörnsche Senne gesagt hab'.«

Damit trat er zurück.

Seine Worte hatten magische Kraft.

Die Brinkschulte hörte darauf wie auf eine himmlische Botschaft. Sie hatte das unbestimmte Gefühl: hier redet das Schicksal mit dir – und was ihr abhanden gekommen war, das hatte sie wieder. Der eben noch stürmisch bewegte Spiegel ihrer Seele war ruhig geworden, lag eben und glatt da, aber das selbstherrliche Weib in ihr hatte seinen Meister gefunden.

Sie bot Tillbeck die Hand und sah ihm fest und froh in die Augen.

»Habt Dank,« sagte sie mit ihrer klaren und zuversichtlichen Stimme. »Ihr sollt mir willkommen sein, so wie es Meister Stedink gesagt hat.«

Wortlos standen sie gegeneinander – mehr als zwanzig Herzschläge hindurch: das Weib und der Mann, und fühlten wechselseitig den Druck ihrer Hände. Ein sonniger Feiertag hatte sich um sie gespreitet.

»Brinkschulte, ich komme, so wie es Meister Stedink gesagt hat.«

Dann schieden sie. –

Sie ging wie aus einer fremden Welt heraus in ein neues, glückliches Leben hinein – an der Seite ihrer Freundin, die ihren Arm preßte und sie nach Hause geleitete. Keiner wagte zu sprechen. Selbst das Laub hielt mit Rauschen inne, aus Furcht, eine stille, heilige Stunde gewaltsam zu stören.

Aber zu Hause, als sie allein waren – ganz allein in der Kammer, wo die Krone der Sattelmeier hinter der großen Bettlade aufleuchtete und ein stilles, verklärtes Licht mit den weißen Gardinen spielte, da kam es aus übervollem Herzen heraus: »Josepha . . .

»Marie . . .

Und zwei Frauen schlossen sich in die Arme, glückselig und glücksberauscht – eine gesegnete Frau und eine, die das Los der andern herbeisehnte, um endlich der Bestimmung des Weibes teilhaftig zu werden.

»Josepha . . .

»Marie . . .

 


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