Joseph von Lauff
Die Brinkschulte
Joseph von Lauff

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Sechstes Kapitel

Jans Stedink trat bis in die Mitte der Schmiede. Dann wurzelte er an. Die grelle Esse blendete ihm zuerst die Augen, das Gehämmer nahm ihm das Gehör. Das währte nicht lange. Gleich darauf konnte er hören und sehen. Blutrot flammte es um ihn, und in dieser blutroten Lohe stand Heinrich Tillbeck, stark und mächtig und wie aus Erz getrieben.

Unter seiner Arbeit sprühten kleine, bunte, zuckende Lichter auf. Sie umspielten die Pflugschar und sanken als knisternde Sternchen zu Boden. Der Hammer machte Musik dazu, voll und dröhnend, als habe er eine wilde Freude daran, die blanken Dinger springen zu sehen.

Wortlos standen sich die beiden Männer gegenüber – der alte mit dem glutverhangenen Bart, der junge, über und über in Lohe und in der Kraft seiner Glieder. Die Brust stand offen. Jede Muskel straffte sich.

Da sagte Jans Stedink: »Das ist ja wie in der Kirche am Sonntag, und du machst die Glocken dazu.«

»Arbeit ist Sonntag!« lachte Tillbeck aus seinem Schaffen heraus.

Und wieder das Schweigen von eben.

Kein Wort mehr; nur Eisenklirren und das Ächzen der Pflugschar. Das rasselte wie auf Schilden und war urwüchsige Kraft, und in diese Kraft hinein spielte es mit bengalischem Feuer.

So verging eine Viertelstunde.

Jans Stedink hatte schon viel frische und mächtige Arbeit gesehen; aber solche noch nicht. Seit einem Vierteljahr war sie unter seinen Sparren. Er hatte einen guten Griff getan. Das merkte er daran, daß alles besser flutschte und einen forscheren Dreh hatte. Auch die Musik war ganz anders. Besonders heute, in dieser Stunde. So was konnte ein altes Herz schon in Schwung bringen. Er hielt's nicht mehr aus. Es mußte ihm von der Leber herunter.

»Dunnerwetter!« platzte er in das Dröhnen hinein, »so was hab' ich schon mal in 'nem schönen Geschichtenbuch gelesen.«

»Das hier?!« lachte Tillbeck und streckte den Hammer, daß die Muskeln aufsprangen und hart wie Stein wurden.

»Ja, das!« gab Stedink zurück, »damals, als ich so'n Dreikäsehoher war in der Schule von Sönnern. Da saß Feuer und Fett drin, und wenn man's hörte, klang's wie Ketten und Stangenbrechen.«

»So?!« rief Tillbeck und ließ den Hammer herunter, daß es klirrte und spritzte.

»Genau so! – Herrgott, ist das schön! Hab's auswendig gelernt, Wort für Wort, wenn's auch schwer fiel und langsam vorwärts ging. Aber der Kerl erst, von dem es handelt! – War einer vom Niederrhein, so bei Xanten herum, sagte der Lehrer, und war einer, der auszog, um als gelernter Schmiedegesell der Welt Moritzen beizubringen. Es liest sich wie ein Gedicht und ist auch ein Gedicht, aber ein besseres, als sie Wimke zuwege bringt. Achtung, Tillbeck!« – und er deklamierte mit ungelenkem Feuer herunter:

»Jung Siegfried war ein stolzer Knab',
Ging von des Vaters Burg herab.
Wollt' rasten nicht in Vaters Haus,
Wollt' wandern in alle Welt hinaus.«

»Famos!« sagte Tillbeck, stemmte den Hammer auf den Amboß und stützte das Kinn auf die Hände, die er kreuzweise über den Stiel gelegt hatte.

Der Alte trat näher:

»Und als er kam in finstern Wald,
Kam er zu einer Schmiede bald.
Da sah er Eisen und Stahl genug;
Ein lustig Feuer Flammen schlug.
Siegfried den Hammer wohl schwingen kunnt,
Er schlug den Amboß in den Grund;
Er schlug, daß weit der Wald erklang
Und alles Eisen in Stücke sprang.«

Seine Stimme zitterte vor Erregung.

»Tillbeck, verdammich! – so'n Siegfried bist du auch, aber ein westfälischer, einer von der Senne dahinten – und nu komm mal her und sieh mir ins Auge, Junge.«

Beide Hände legte er um den Hals seines Gesellen.

»So – recht tief in die Augen. Noch tiefer. Das hab' ich früher ja gar nicht gesehn, wenigstens keine Obacht darauf gegeben. Ich bin mit deinen Augen zufrieden. Die stehn auf Posten. Verdammich! – wo die drüber zu wachen haben, da kann einer schon schlafen. – Und nu deine Hand, aber feste.«

»Da, Meister,« und die beiden Hände lagen zusammen.

Jans Stedink lächelte still vor sich hin.

»Hab's mir gedacht,« freute er sich so recht tief aus dem Schurzfell heraus, »Schrauben und Klammern! – und deutsch wie das Eisen, das sich unter uns reckt, durchs Land Westfalen hindurch. Die lassen nicht die eigene Ehrenflagge von andermanns Fäusten 'runterholen. Das wollte ich wissen – um dessentwegen. Nu bin ich klar in die Sache.«

Langsam, fast vorsichtig, löste er seine Finger.

»Und nu Feierabend, Tillbeck.«

»Wo noch Arbeitslicht ist?«

»Tut nichts. Ich habe noch ein Wort mit dir nach dem Abendessen zu reden. Pardon, daß ich ›du‹ zu dir sage, aber das gibt sich runder und besser und vornehmlich um dessentwegen, was ich dir ans Herz legen möchte. Na, Tillbeck, bis gleich denn.«

Damit wischte er sich über die Stirn, winkte seinem Gesellen noch zu und ging gemessenen Schrittes aus der Schmiede.

»Er schlug, daß weit der Wald erklang
Und alles Eisen in Stücke sprang,«

sagte Tillbeck nachdenklich und besonnen vor sich hin, stellte das Handwerkszeug beiseite und löschte das Feuer.

Über Sönnern spreitete sich das Behagen und das wohltätige Genießen eines warmen Sommerabends. Ein frischer Heugeruch kam von den nahgelegenen Wiesen. Vereinzelte Schnitter gingen durch die Dorfstraße. Sie trugen je eine Wiesenblume hinter dem Ohr oder zwischen den Lippen, Salbei und Pechnelke, und strömten den kräftigen Geruch aus, der den auf den Feldern und unter heißer Sonne schaffenden Männern anhaftet. Fast alle Fenster standen geöffnet, um die lauliche Luft in die Zimmer zu lassen. Gleich Weihrauch zog es über Sönnern. Das tat die alte Dorflinde, die schon während der Soester Fehde geblüht hatte und jetzt einen Duft von sich gab, als ginge die große Prozession durch die abendlichen Straßen. Wie von hundert und aber hundert Weihrauchfässern wölkte es auf und nieder und legte sich um die Sinne der Menschen, die vor den Haustüren saßen, um die Ruhe und den Frieden nach des Tages Arbeit zu suchen. Und der ›Engel des Herrn‹ schwebte darüber hin in weichen, getragenen Tönen, und alles war Traum und Feier.

An das Haus Jans Stedinks stieß ein kleines Krautgärtlein. Darin blühten schneeweiße Lilien. Sie waren die Lieblingsblumen der Frau gewesen, die vor zehn Jahren wegemüde und kinderlos, aber zufrieden in Gott und mit einem verlorenen Lächeln um die Mundecken die große Pilgerfahrt angetreten hatte. Jans war ihr allzeit ein treuer Mann, ein guter Freund und ein sorgsamer Berater gewesen. In den letzten Jahren trug er sie tagtäglich von ihrem Schmerzenslager in die warme Sonne hinein, legte ihr die Kissen zurecht und brachte sie auch wieder in die Kammer zurück, wenn die Schatten länger wurden und die Abendkühle die Blätter auseinanderfältelte. An Sonn- und Feiertagen konnte er stundenlang bei ihr sitzen. Dann glitt sie ihm mit glücklichen Fingern durch den langen, fließenden Bart, schmiegte ihr armes Gesicht an seine breite, stolze Brust und sagte mit ihrer dünnen, schon halb verstorbenen Stimme: »Du, als ich früher noch jung und schön war und ich mich so kräftig in deinen Bart hineinwuscheln konnte, ach, Jans, ist das schön gewesen!« »Das kommt wieder,« sagte er dann und sah über sie fort und nahm ihr schmales Gesichtchen zwischen seine kräftigen Hände. Dabei fiel ihr eine Träne auf die fiebrige Stirn. »Warum weinst du?« fragte sie leise. »Aus Freude,« gab er heiter zurück, »aus purer Freude, weil du nu bald wieder zum alten Birkenbaum hinauskannst, wo die Heidelerche singt und du zum letztenmal mit meinem Bart gespielt hast.« Da glaubte sie ihm und strählte mit ihren bleichen, todkranken Fingern weiter und weiter. Es half aber nichts. Jans konnte auch das Schlimmste nicht abhalten. In ihrer Gegenwart war er puppenmunter und fidel; war er jedoch mit sich allein, dann schraubte ihm das Elend und die Not um sein armes Weib die Kehle zusammen. Und eines Abends kam Eli, auf weichen Schuhen, in ihrem schwarzen Merinokleid und mit gescheitelten Haaren. Nähzeug und ein Päckchen mit weißer Leinewand, Papierröschen und Flittergold trug sie bei sich. Alles stellte sie sorglich zurecht, ließ sich eine Portion Kaffee aufschütten; setzte sich bei der Lampe nieder und begann ihre Arbeit. Da trat Jans Stedink zu ihr, ganz auseinander, und sagte trostlos: »Eli, richtet alles aufs beste her. Sie hat es verdient um mich und um mein Haus. Und wenn Ihr soweit seid, dann kommt und sagt es mir. Das Letzte muß ich selber besorgen.« Da hielt Juffer Eli die Totenwacht, betete zwischendurch und schneiderte bis in den hellichten Morgen hinein. Hierauf besorgte sie alles, was nötig war, um dem armen Frauchen die Reise leichter zu machen. Am zweiten Tage ging sie zu Jans Stedink. Er saß in seinem Sonntagsrock am Schmiedefeuer, das unter der Asche in blauen Flämmchen züngelte. Zuerst klingelte sie dieses mit ihrem Schlüsselbund an und sprach in das Klingeln hinein: »Eure Herrin ist tot!« Dann legte sie dem stillen Mann ihre Hand auf die seine und sagte: »Nun ist es soweit.« Da hob sich Jans Stedink breit und schwer auf und ging in die Kammer, wo seine Frau unter dem Leintuch ruhte, hob sie mit starken Armen auf und brachte sie liebevoll und mit verhaltenem Schluchzen in die Gute Stube, wo der Schreiner den mit zinnernen Rosetten und Beschlägen ausgeschmückten Sarg hingestellt hatte. Sorgsam bettete er sie in die schwarzen Bretter hinein, legte ihr den Kopf zurecht und gab ihr ein beinernes Kreuzlein zwischen die kalten Finger. Am andern Tage war alles vorüber. Ein Bäschen, das allein in der Welt stand, führte von nun an die vereinsamte Wirtschaft und tat alles im Sinne der Verstorbenen.

Just wie damals blühten auch heute die weißen Lilien in dem kleinen Hausgarten. Von der Guten Stube aus sah man ihre silbernen Kelche. Matte Dämmerung strömte ins Zimmer hinein. Es war noch nicht dunkel geworden. Die Sommerabende halten das langsam absterbende Licht eigentümlich fest. Es wollte nicht Nacht werden. Die Bilder an den Wänden waren noch deutlich erkennbar, auch die Porzellanvasen auf der Glasservante. – Sonst herrschte hier feierliches Schweigen, und war alles so still wie die aus blauen und weißen Glasperlen zusammengestellte Klingelschnur, die seit dem Tode der Frau nicht mehr berührt worden war. Heute jedoch, kurz nach dem ›Engel des Herrn‹, schien manches geändert, aber der selige Geist der Verstorbenen und die Liebe, die sie hineingetragen hatte, weilten wie am ersten Tage zwischen den schlichten Wänden.

Jans Stedink ging mit großen Schritten und in weißen Lammfellsocken auf und nieder. Er hatte die Holzschuhe draußen gelassen, im Angedenken an seine Frau, die lange Jahre hindurch Friedhofsruhe und Kirchenstille liebte und aus ihren wehen Gedanken nicht herauskonnte.

Er suchte nach Worten. Jetzt mußte er sie gefunden haben, denn er trat auf Heinrich Tillbeck zu, der neben der Glasservante saß, und sagte: »Tillbeck, es ist nur um dessentwegen und um meinen besorgten Menschen wieder in Ordnung zu bringen, daß ich einen Ton mit dir rede. Und daß ich es tue, kommt von daher, weil du ein anstelliger und properer Kerl bist. Was du innerlich hast, ist gut, und deine Äußerlichkeit paßt zu dem, was der Herr Pastor gesagt hat: Leib und Seele müssen einander konform sein, wenn da was Richtiges herausspringen soll; ich meine, was Gutes. Das ist nun bei dir der Fall, und daher darf ich mir wohl so 'ne kleine Frage erlauben.«

»Man zu, es soll mir angenehm sein.«

»Es ist keine Neugierigkeit, Tillbeck.«

»Das weiß ich.«

»Na, denn,« sagte Jans Stedink, »dann will ich mir die Freiheit zulegen. Also antworte mal: Wann bist du eigentlich der Brinkschulte zum erstenmal begegnet?«

»Als sie hier in Sönnern war und den Schwingpflug bestellte.«

»Und da habt Ihr zusammen gesprochen?«

»'ne Viertelstunde vielleicht.«

»So! – und da ist nichts passiert?«

»Was sollte denn da wohl passiert sein?«

»Ich meine man, Tillbeck, weil Ihr es so eilig mit der Arbeit gehabt habt.«

»Meister, ich sagte ja schon . . .«

»Schon richtig, aber das war so recht nicht auf Eurem eigenen Grund und Boden gewachsen; da stimmte was nicht und waren so gedrehte ›Wenns‹ und ›Abers‹ dazwischen. Jetzt aber . . . Tillbeck, wir sind unter uns. Ich meine daher: geschieht die eilige Arbeit der da zu Liebe oder nur von wegen des neumodischen Schwingpflugs? Das sind nämlich zweierlei Dinge. Das eine sitzt hier mang die Rippen und läßt einen die Sterne ankucken, während das andere . . . Na, sagen wir, das ist wie so'n angelernter Karrengaul. Das geht so aus alter Gewohnheit und hat 'ne bekömmliche Lust daran, seine Knochen zu recken. Also – welches von beiden?«

»Wenn ich denn offen sein soll . . .«

Mit einem Ruck war Heinrich Tillbeck in die Höhe geschnellt.

»Ja, man frisch von der Leber herunter.«

»Meister, da ist denn der Schwingpflug wohl Nebensache gewesen, denn als die Brinkschulte so in ihrer ganzen Herrlichkeit vor mir stand . . .«

»Und Euch ansah,« ergänzte Jans Stedink.

»Ja, Meister.«

»Und Euch kräftig die Hand gab und sagte: Wenn Ihr mal gelegentlich auf dem Brinkschultenhof vorsprechen wolltet . . .«

»Offen gestanden, auch das.«

»Das wollte ich wissen . . . und da ich es weiß, sollt Ihr auch von mir eine offene Antwort bekommen. Aber das geht nicht so einfach. Da muß ich auf Umwegen 'rum. Da muß ich erst sagen: Ich habe Geschichten gekannt, die rochen nach dem Spaten und frischer Erde. Der junge Schulmeister in Werl konnte davon erzählen. Das heißt, jetzt nicht mehr, aber früher, denn das kalte Ruhrwasser hat ihm das Wort von den Lippen gespült. Und alles der Brinkschulte wegen. Tillbeck« – und seine Stimme nahm einen tieferen, verschleierten Ton an – »Ihr seid kaum ein Vierteljahr auf der Soester Börde und kennt sie noch nicht, das heißt, die Brinkschulte nicht. Auch der junge Schulmeister von Werl kannte sie nicht, sonst hätte er sich sagen müssen: Du bist nicht der richtige Mann, du gehst an diesem Weibe zugrunde. Wie du, so gibt es hundert andere. Die sind billig wie Halme. Die mäht dich einfach von der Lebenskoppel herunter. Das hätte er einsehn müssen, um dessentwegen und dafür, um sich nicht das Herz auseinander reißen zu lassen. Aber der wollte ja nicht und hatte kein Einsehn. Der mußte blindlings in die Trauerkomödie hinein, bis er schließlich das Leben über kriegte und von sich tat, als hätte er freie Verfügung darüber. – Um mit so 'nem herrlichen Weib fertig zu werden, muß man Nervenstränge wie Schiffstaue haben und Ruhe wie die am Tabernakel. Und den Geruch des Rotwildes dazu, sonst hilft das nicht . . . und dann, Tillbeck: sie ist soviel älter als Ihr und hat mehr Erfahrung und weiß mehr davon, was das Leben bedeutet. – Das muß doch erst gesagt werden, darüber muß Klarheit sein, bevor man die Sache weiter beredet. Kommt Ihr darüber nicht weg, ich meine, steht Euch die Sache konträr, dann laßt die Finger davon und sagt Euch: Ich bin für so was nicht richtig gebaut; das muß schon ein besserer machen. Glaubt Ihr aber« – und Jans Stedink ergriff die Hand seines Gesellen – »daß Ihr Nervenstränge wie Schiffstaue habt und die Ruhe dazu, wie sie am Tabernakel ist, dann, Tillbeck, wenn Ihr der Kerl dazu seid – dann in Gottes Namen, wie der Pastor sagt.«

Mit einem tiefen Atemzug gab er die Hand frei.

»Meister,« kam es aus jubelnder Brust, »ich bin so ein Kerl!«

Und da stand er wie ein prächtiger Sommersonntag, in der Kraft seiner Jugend, ein Siegfried, einer, der sich mit gewappneter Faust und aus heller Begeisterung heraus vor seine eigene Überzeugung stellte.

Heinrich Tillbeck reckte die Arme.

In seinem bartlosen Gesicht lag eine selbstgefällige Ruhe.

Und wie das auf seinem Körper spielte! – vom Scheitel bis zu den Füßen herunter. In seinen Augen brannte ein großes Licht, frei und offen und leuchtend, und nahm einen stillen und herrlichen Glanz an.

»Meister!« und er hob die Husarenmütze empor, »ich bin schon bei Königgrätz und dann als Reservist bei Spichern und sonstwo gewesen, in Kampf und Dampf und Not, und das hier hat nicht gebangt und gepuppert.«

Krachend fiel die rechte Faust auf die Herzgrube.

»Und ich sollte mich vor so einer fürchten, vornehmlich, wenn sie so rank und schön ist wie die da!«

»Herrgott, Mensch!« fiel Jans Stedink ein, und er ging in seiner Herzlichkeit und Freude über sich fort, »wenn Euch so die Brinkschulte sähe. Dunnerwetter noch mal!« – und wieder ergriff er die Hand des vor ihm Stehenden – »ja, du hast Wildgeruch, Tillbeck, und die Ruhe am Tabernakel. Na, denn man los. Viel Glück! – und macht auch hier propere Arbeit.«

Die beiden Männer standen sich groß und still gegenüber.

Sie fühlten, hier war etwas im Werden begriffen.

Wieder ging der Geist der verstorbenen Frau und die Liebe, die sie hineingetragen hatte, durch die Stube.

Fast alles Tageslicht war daraus genommen. Auch im Garten dunkelte es. Nur die Kelche der Lilien schienen noch kreidig herüber. Die Geranienstöcke, die in bunten Scherben am Fenster standen, dufteten stärker. Vereinzelte Sterne hingen am Himmel.

»Dann also bis morgen, Tillbeck,« sagte Jans Stedink und ließ die Hand durch den schwarzfadigen Bart gleiten. »Morgen das andere.«

Aber Heinrich Tillbeck rührte sich nicht. Nachdenklich fuhr er sich über die Stirn. Er suchte noch etwas.

»Was soll's noch?« fragte Stedink.

»Meister, ich weiß so recht nicht. Wenn ich darüber nachsimuliere, dann kommt mir das vor, als wenn das alles Luftschlösser wären, als läge die ganze Geschichte im Mond, als zerflösse einem das alles unter den Fingern . . . Man kann eben nicht packen und zugreifen.«

»Wieso nicht packen und zugreifen, wo's hier auf der nackten Hand liegt? Fehlt's schon an den Nervensträngen, die wie Schiffstaue sein müssen?«

»Das schon weniger,« stieß Heinrich Tillbeck so recht aus tiefster Brust heraus, »aber, Meister, wer war ich? Einer von der Senne dahinten, ein Heidevogel zwischen Torf und trockenem Buchweizenstroh, wo der Huppevogel dem Kiebitz gute Nacht sagt, und dann – was bin ich eigentlich? Weiter nichts als das, was ich hier in den Knochen habe, und das, was mir die Ehre um Kaiser und Reich unter die Rippen gepflanzt hat. Sonst gar nichts. Und da sollte mich die Brinkschulte wollen? – Und dann erst – was werde ich sein?«

»Was du jetzt bist,« kam es ihm schwer und überzeugungstreu entgegen, »ein ganzer Kerl. Das ist dein Kapital. Mit diesem hast du zu arbeiten. Und tust du es nicht . . . Dunnerwetter noch mal! – ist schon die Ruhe vom Tabernakel zum Henker?! – Jedes Kapital wird zum Unsegen, zum Plunder, wenn man es ungenutzt beiseite schiebt. Und das macht ein ehrlicher und rechtschaffener Mensch nicht. Du verstehst mich doch, Tillbeck?«

Tillbeck nickte nachdenklich und stumpf vor sich hin.

»Ja, ich verstehe.«

»Na, denn also. Mit einem solchen Kapital kann man Berge versetzen und ein aufsteigendes Malör auseinander kloppen. Tillbeck, es geschieht nicht deinetwegen allein, auch ihretwegen geschieht es, daß ich das sage. Ich habe das unbestimmte Gefühl: auf den Brinkschultenhof gehört einer hin . . . Der Großknecht – na ja, aber er hat's man in der Faust, nicht im Begriff, und daher: die Frau kann's allein nicht; sie steht allein in der Welt . . . Warum? – das kann ich alles nicht sagen. Das hängt von den Umständen ab und muß auch den Umständen nach in Beurteilung kommen – ganz allmählich und wie man das für nötig befindet. Aber eine gehörige Kraft gehört dahin. Die gilt mehr als fünfhundert Morgen Ackerland und fünfzig melkende Kühe. Da zieht ein Gewitter zusammen; da düstert und schwelt das . . . Das zieht von die Vereinigten Staaten und Dortmund herauf. Aber wenn Kraft und Liebe zusammenkommen, da kann man da noch so 'nen gehörigen Pfahl gegen aufpflanzen. Verstehst du? – und dessentwegen, Tillbeck: ich sage nichts weiter. Das übrige muß ich dem lieben Gott und dir überlassen.«

»Meister, ich will's mir durch den Kopf gehn lassen.«

»Ach was, durch den Kopf! Durchs Herz muß es gehn, das ist 'ne reellere Arbeit und 'ne einfachere Sache, und darum: besinne die näheren Umstände. Und wenn die Gelegenheit da ist – kannst du es durchbiegen – dann bieg' man. Es kommt dir und dem Brinkschultenhof und uns allen zugute. Und damit: bis morgen, Tillbeck. Gute Nacht.«

»Gute Nacht, Meister.«

Noch einmal drehte sich Jans Stedink um.

»Und will dir dabei einer in die Parade hinein,« sagte er ruhig, »dann kannst du sprechen, wie ich es in der Gewohnheit besitze: Ich heiße Heinrich Tillbeck, und wer mir nicht für voll estimiert, der kann für dessentwegen seine eigenen Backenzähne schlucken.«

Damit ging er; auch Tillbeck – und wieder schwebte der Geist der verstorbenen Frau und die Liebe, die sie hineingetragen hatte, durch die Gute Stube, selig und alles verklärend.

Es war mittlerweile völlig dunkel geworden. Aber unzählige Sterne grüßten vom Himmel und winkten den weißen Lilien zu, die sich leise im sachten Nachtwind bewegten.

 


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