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»Nein,« erwiderte Tony. »Ich werde sie noch weiter landab treiben. Ihr wißt nicht, was ich weiß. Er hat einen Aberglauben gegen Sulz. Wenn's heut' Nacht Lärmen gibt, und das wird's geben, verlaßt Euch darauf, dann wird er nicht umkehren, sondern vorwärts ziehen. Er fürchtet den Herzog weniger als den Oberamtmann, und zudem, hab' ich ihm abgemerkt, glaubt er ein Pfand an ihr zu haben, das er teuer verhandeln kann. Was soll ich dem Herzog sagen?«

»Wird er dir glauben?«

»Er wird, er muß! Er hat meinen Kopf in der Hand, und was noch mehr ist, ich hab' ja die Vollmacht, die mich als Euren Boten ausweist.«

»Nein, nein! Die läßt du mir für den Notfall, gib sie nur gleich her.«

Tony gab ihm ungern, aber ohne Widerstreben das lang entbehrte Papier zurück, nebst einem Terzerol, welches Heinrich in die Seitentasche steckte. »Ich will ein paar Worte an ihn schreiben,« sagte er.

»Man könnte uns sehen,« rief Tony ängstlich.

Heinrich griff in die Brieftasche und überreichte ihm sein akademisches Anstellungsdekret, das er daselbst verwahrte und am großen Format in der Dunkelheit erkannte. »Dies wird dich legitimieren,« sagte er. »Wie du dich darstellen willst, das mag dir selbst überlassen sein. Er will das Aufsehen vermeiden, sag' ihm, er solle eine Jagd veranstalten und uns einschließen. Aber getraust du dir zu bestimmen, wo wir morgen sein werden?«

»Sorgt nicht! Bis morgen mittag stoßen wir zusammen. Mein Bruder steht im Walde draußen auf der Wacht; mit dem will ich das Nötige schon verabreden. Sagt nur der Feddricho, sowie sie morgen den Lerchenschlag höre, solle sie antworten. Und jetzt hinein! Es ist die höchste Zeit.«

Mit bangen Zweifeln trat Heinrich wieder in die Stube. Das Geschrei hatte noch nicht nachgelassen, und noch immer blinkten die Messer; aber es war kein Blut geflossen, und die Drohungen schienen nicht sehr ernstlich zu sein. Tony schlängelte sich wie ein Blitz durch die Menge, raunte dem Fräulein zwei Worte zu und schlug seine Angetraute, die neugierig dem Lärmen zusah, von hinten auf die Schulter. Heinrich sah ihn eine Weile ganz unbefangen und zärtlich mit ihr reden, dann aber auf einmal sich ins offene Fenster schwingen und verschwinden. Nun war er allein, und das ganze Gewicht dessen, was kommen sollte, lag schwer auf seiner Seele. Lauras Augen waren auf ihn gerichtet; er blickte umher, und da Feddricho nicht weit von ihm auf einem Stuhle saß, so eilte er zu ihr und schlang den Arm um ihren Hals, wie wenn er ihr freundlich tun wollte. Mit wenigen Worten teilte er ihr Tonys Auftrag mit. Sie versprach treulich zu gehorchen und sagte mit Tränen in den Augen: »Ich merke wohl, er wird nicht wiederkommen, er will nicht länger bei uns bleiben.«

Er beruhigte sie, so gut er in der Eile konnte, und stellte sich dann als müßiger Zuschauer hinter die Streitenden. Ihr Feuer, vielfach von Hannikels rauher Stimme beschworen, hatte sich inzwischen so weit abgekühlt, daß der Bräutigam, nach der Gewohnheit der Bauern, den Krieg zum Zeichen des nahen Friedens auf das allerkleinste Gebiet zu treiben, nur noch einen Gänsediebstahl vorbrachte. Er fluchte und versicherte, er könne die Diebe mit Namen nennen.

»Du bist ein Narr,« lachte der Zigeunerhäuptling, »glaubst du denn, meine Leute hätten nötig, Gänse zu stehlen? Wenn ich wollte, so müßten mir alle Gänse in deinem Ort auf einen Strich zufliegen, und die Gänseriche ebenfalls, dich an der Spitze.«

Ein allgemeines Gelächter entstand. Hannikel sah sich schmunzelnd im Kreise um und fuhr fort: »Sei jetzt vernünftig, Dachsmichel! Du weißt, daß wir als Freunde auf deine Hochzeit gekommen sind. Mit den Gänsen sei es, wie es wolle, wir vertrinken sie in ein paar Bouteillen auf meine Rechnung. Und zum Beweis, daß jetzt Friede ist, setzst du dich hin und machst mir ein paar Schuhe; mein Wandel ist alleweil nicht der beste.«

Der Schuster und Hochzeiter, der in seinen eigenen Schuhen kaum noch aufrecht stehen konnte, behauptete, er habe heut' einen Feiertag. Hannikel aber ließ sich von einem Einfall, der ihm einmal gekommen war, nicht so leicht wieder abbringen: »Deine Feiertage sind vorbei, du Narr!« sagte er, »und ich will die letzten Schuhe haben, die du mit lediger Hand verfertigst; denn nachher würden sie mich drücken. Ich habe meinen Kopf darauf gesetzt, ich will Schuhe von dir haben in deiner Hochzeitnacht, ich werde sie gut bezahlen, hörst du?«

Aller Einwendungen ungeachtet, mußte sich der Hochzeiter sein Werkzeug holen lassen und unter dem Gelächter der Bauern die Arbeit angreifen, bei welcher ihm ein paar zu seinem Glück eingeladene Zunftgenossen behilflich waren. Die Feinheit, mit welcher unter diesen Umständen die Schuhe gearbeitet wurden, mochte viel vermissen lassen; desto weniger war aber an der Geschwindigkeit auszusetzen. Hannikel nahm zur Seite Platz, ließ Wein genug bringen und sah zu. An der Säule hob der Tanz wieder an; Laura hielt sich schäkernd zu den Mädchen, aber ihr Plan, den Freund ebenfalls herbeizuziehen, scheiterte an der Schlauheit des Anführers, der ihm alsbald wieder einen Sitz neben sich anwies. Die Schuster zechten wacker; die Braut hatte sich schmollend zu ihnen gesetzt, und die Bauern rückten auch nachgerade herbei, so daß eine nicht gewöhnliche Repräsentation des Nähr-, Lehr- und Wehrstandes beisammen war. Kaum hatten sie Platz genommen, so wurde Heinrich von ihnen, da sie durch Wein und Händel kühner geworden waren, mit qualvollen Erkundigungen nach seinem Zeichen und Charakter bestürmt, welche aber Hannikel mit dem Bescheide, sie sollten nichts fragen, was sie doch nicht verstehen würden, abschnitt.

»Wie ist's, schöne Frau?« sagte er zu der neuen Meisterin, »nicht wahr, Ihr wünscht mich samt den Schuhen ins Pfefferland? Aber seht einmal, wie es Eurem Liebsten schmeckt! Wollt Ihr den Wein nicht auch versuchen?«

»Mag nicht!« sagte sie, »'s ist ein trüber Wein, muß erst durch einen Lumpen laufen.«

Sie deutete auf ihren Bräutigam, der eben den Pechdraht hängen ließ, um, wie er sich gegen seine Mitarbeiter ausdrückte, den Wein zu versohlen. »Ich weiß nicht, was das ist,« sagte er grinsend zu seiner Braut, »ich hab' einen hohlen Zahn, der will eben immer, immer saufen, und keiner ist, der mir ihn 'rauszieht.«

Hannikel lachte unmäßig und warf ein großes Stück Zucker in sein Glas.

»Das muß wahr sein,« sagte einer der Bauern halblaut, »er lebt wie ein Graf.«

»Was ist's nun auch?« versetzte ein anderer ebenso, »ein Graf hat nicht mehr als die vier Elemente, und die kommen auch bei der Bettelpfanne zusammen.«

»Auf welche Art?« fragte Hannikel, der die letzten Worte gehört hatte.

»Erde und Feuer drunter, Herr, und Luft und Wasser drin.«

»Gut gegeben!« rief Hannikel, den Stich überhörend, der seine eigene nomadische Lebensweise traf, und reichte dem Naturphilosophen die Flasche. Er hatte aber bei dieser Unterhaltung nicht vergessen, seine Augen im ganzen Zimmer zu beschäftigen. Jetzt winkte er plötzlich seine Tochter herbei, welche eben eingetreten war: »Das ist mir eine saubere Liebe!« sagte er. »Wo ist denn dein Suselo?«

»Er ist gegangen, die Morgengabe zu holen,« antwortete sie sehr verdrießlich. »Er sagte, es wäre ja eine Schande.«

Ein Blitz fuhr aus den Augen des Zigeuners; sie begannen zu rollen. Aber im Nu war diese Erscheinung vorüber; er lächelte und sagte mit ruhiger Fassung zu ihr. »Du bekommst einen braven Mann. Ein rechter Ehemann muß beizeiten auf die Erhaltung seiner Familie denken; nicht wahr?«

Dieser Satz war auf unseren Freund gerichtet, auf den er seine Augen heftete; sie sahen ganz heiter, und doch funkelten spitzige Messer bohrend und forschend daraus hervor.

Heinrich hielt den Blick unbefangen aus und erwiderte, ein junger Mann könne sich an dieser Aufführung ein Beispiel nehmen. Hannikel trank das Wohl seines Tochtermannes und nötigte ihn, das Gleiche zu tun. Er schenkte ihm fleißig ein; da aber Heinrich dies regelmäßig vergalt und nicht die mindeste Furcht vor dem Trinken zeigte, so gab er die Operation bald wieder auf. Zugleich drängte er die Schuster, ihre Arbeit zu fördern. Unser Freund, um der Rolle des harmlosen Forschers treu zu bleiben, fragte ihn nach der Herkunft und Geschichte seines Stammes, wurde aber mit offenbaren Prahlereien bedient, und da der Zigeuner am Ende ganz ernstlich behauptete, seine nächsten Vorfahren seien noch in Ägypten geboren worden, so ward es klar, daß er nichts wußte oder nichts sagen wollte. Desto schlauer verstand er seine Gegenfragen zu stellen, und aus den zahllosen Kleinigkeiten und unbedeutenden Nebendingen, nach welchen er forschte, ersah Heinrich das Mühselige und Hundertäugige seines Gewerbes. Er sah den Haß und die Verachtung, welchen diese Menschenklasse gegen die Behörden und vorzüglich gegen die protestantischen Pfarrer hegte, und erblickte zwei Welten, von welchen eine der anderen gleich rechtlos erschien. Dabei mußte er sich beständig hüten, daß er nicht durch eine unbedachte Antwort eine für andere verderbliche Aufklärung gab; die verschiedenen Vermögensverhältnisse, über die er Auskunft erteilen sollte, waren ihm ohnehin nicht bekannt.

Dieses peinliche Examen, dem er sich nicht entziehen konnte, ohne den Frieden vor der Zeit zu brechen, erstreckte sich auch auf sein eigenes Wesen und Treiben und schloß mit einem ganz unerwarteten Antrage: »Da Sie so gut mit der Feder umzugehen wissen,« sagte Hannikel, »so könnten Sie mir eine große Freundlichkeit erzeigen. Ich bin eigentlich ein gelernter Jäger, habe aber meinen Lehrbrief einmal aus Zerstreuung ins Gewehr gestoßen, was mich manchen Unannehmlichkeiten aussetzen kann. Nun möchte ich Sie bitten, mir einen neuen Lehrbrief oder einen Ausweis zu schreiben, womit ich mich nötigenfalls behelfen könnte.«

Heinrich lehnte diese Zumutung mit Erröten ab und versicherte, in Schreibereien solcher Art gänzlich unbewandert zu sein.

»Das tut nichts,« versetzte Hannikel, »ich kann's Ihnen vorsagen«

»Wozu habt Ihr denn Freunde, Hannikel, wenn Ihr nichts von ihnen wollt?« rief eine Stimme, und ein junger Mensch von liederlichem Aussehen stand hinter ihnen, der dem Zigeuner einen vertraulichen Schlag auf die Schulter gab.

»Ah, unser junger Jäger!« rief dieser, »woher so spät? Und wo bleibt denn der Alte?«

»Er folgt mir auf dem Fuße; waren den ganzen Tag im Walde.«

»Keine Dreifüßler gesehen?«

»Nichts. Könnt ruhig sein.«

»Und wo kommt Ihr jetzt eben her?«

»Unten herauf.«

»Ah! Sehr gut. Ist Euch da keiner von den Unseren begegnet?«

»Nein.«

Hannikel sah eine Weile vor sich hin und nickte dann mit dem Kopfe, als ob er seiner Sache gewiß wäre.

»Nun, und den Paß, den Ihr da haben wollt, den will ich Euch schreiben,« fuhr der junge Bursche fort. »Ihr könnt ja keinen Menschen finden, der mit dem Forstwesen bekannter wäre. Um ein paar Flaschen Wein und einen von Euern berühmten Hunden will ich's tun.«

»Wein genug!« rief der Zigeuner erfreut, »und wenn ich wieder komme, so bringe ich ihm den Faß den Pfarrer und die Tigreß mit. Ich hab' jetzt nur zwei bei mir, die ich nicht entbehren kann. Kilian Schmid heiß' ich, daß Er's nicht vergißt.«

»Werd's gleich nachher zu Hause ausfertigen!« war die Antwort, und Hannikel ließ dem jungen und einem älteren Weidmann, der inzwischen nachgekommen war, Wein und Überbleibsel vom Hochzeitessen reichen.

»Auch Ihr müßt mir einen Gefallen tun, Alter!« wandte er sich an den letzteren, wurde aber durch einen allgemeinen Jubel unterbrochen. Was von der Zigeunerbande im Zimmer war, eilte nach der Türe, um einen eben Hereintretenden zu begrüßen. Er ging von einer Hand zur anderen und wurde mit Küssen und Umarmungen fast erstickt; denn keine Nation bereitet einen so leidenschaftlich zärtlichen Empfang wie die Zigeuner. Erst als er näher kam, erkannte Heinrich, daß es Duly war.

»Und woher so spät?« riefen alle.

»Aus dem Wildbad, vom Rhein daher,« erwiderte Duly, ging auf das Fräulein zu, gab ihr eine Rolle und sagte: »Hier, junger Herr, ist Euer Geld.«

Sie sah ihn mit Erstaunen an und gab es der Alten in Verwahrung.

Nun setzte sich Duly zu seinem obersten Gebieter, der ihn ebenfalls sehr zärtlich bewillkommte und ihm sogleich sein Glas hinreichte. Duly trank und sah seinen Hauptmann mit einem schlauen Lächeln an, was Hannikel erwiderte. Dann begannen sie eine lebhafte Unterredung in der Zigeunersprache, die aber so leise geführt wurde, daß selbst ihre Stammesgenossen nichts davon verstehen konnten. Heinrich, der am nächsten saß, hörte nur zuweilen den Namen Sulz wiederkehren. Duly zählte an den Fingern und deutete dabei, in einem wegwerfenden Tone redend, nach der fatalen Richtung, von welcher unser Freund heute hergekommen war. Hannikel schien immer beruhigter und zuversichtlicher zu werden, und am Ende lachten sie ganz vergnügt miteinander.

»Duly hat köstliche Entdeckungen am Rhein gemacht!« sagte Hannikel laut. »Vielleicht brechen wir schon morgen früh dahin auf. Wir haben doch auch die Ehre Ihrer Begleitung?« fügte er gegen Heinrich hinzu.

Heinrich war überzeugt, daß dies eine Lüge sei; denn er glaubte aus der geheimen Unterredung, obgleich er kein Rotwelsch verstand, gemerkt zu haben, daß die beiden, diesmal nicht mit Unrecht das Schlimmste zu denken geneigt, dem Verschwinden Tonys eine verräterische Absicht unterlegten, daß sie ihn auf dem Wege nach Sulz vermuteten und die Zeit seines Eintreffens daselbst berechneten. Von ihrem Mißtrauen mußte er erwarten, daß sie vielleicht gar seine eigene Gefangenschaft in einem verdächtigen Lichte sahen, und obgleich sie hierin irrten, so mußte er doch ihr Mißtrauen für begründet gelten lassen. Er erwiderte, sein Beruf beschränke sich auf seinen unsteten Zögling, und solang dieser die Wanderschuhe nicht vertreten habe, dürfe auch er sein Haupt nicht zur Ruhe legen.

Laura, welche aufmerksam zugehört hatte, rief herüber: »Ob ich mitgehe, will ich bis morgen überlegen; aber so viel ist ausgemacht, daß mein Hofmeister und ich beieinander bleiben. Für jetzt wünsch' ich zu Bette zu gehen, denn ich bin müd und schläfrig.«

Sie rief den Wirt, welcher diesen Wunsch nicht erfüllen zu können bedauerte, da seine paar Zimmer von fremden Hochzeitgästen besetzt seien.

»Das hab' ich gedacht,« sagte Hannikel lächelnd, »und deshalb wollte ich vorhin unseren Alten da fragen, ob er nicht ein Bett für den Junker übrig habe.«

»O freilich!« rief der alte Jäger und glaubte seinem Freunde ganz besonders gefällig zu sein. »In meiner grünen Eckstube steht ein nettes Bettchen, und für den Herrn Hofmeister gibt's auch noch ein Kämmerlein.«

Hannikel sah ihn an, als ob er ihn fressen wollte; da aber das Fräulein in die Hände klatschte und das Anerbieten für beide mit Freuden annahm, so getraute er sich nicht, die Gelegenheit zu offenen Kriegshandlungen vom Zaune zu brechen.

Indessen waren die Schuhe mit den erdenklich weitesten Stichen fertig geworden.

»Da hast du sechs Gulden, Dachsmichel!« sagte der Zigeuner und warf ihm das Geld prahlerisch hin, »davon gibst du deinen Kameraden auch einen Teil. Nimm's für einen guten Einstand, du wirst in Zukunft wohlfeiler arbeiten müssen. Wenn du mit deinem Weib nach Hause kommst, so findest du einen fetten Hirsch; das ist unser Hochzeitsgeschenk, worüber du ein paar Gänse vergessen kannst. Und jetzt fort ins Jägerhaus! Nottele, mein Pferd!«

Die Bauern flüsterten zusammen und bewunderten seine Generosität. »Aber denk' an mich, Jogg!« raunte einer, der in Heinrichs Nähe stand, einem anderen ins Ohr. »Schuhe, die in der Trunkenheit gemacht sind, führen auf böse Wege.«

»Ja, und zu bösen Häusern,« brummte der andere.

Heinrich schloß sich dem allgemeinen Aufbruch an. Da er im Gedränge auf der engen Treppe Gelegenheit fand, sich dem Fräulein zu nähern, so zupfte er sie am Wämschen und empfahl ihr leise, die Läden in ihrem Zimmer zu schließen, die Fenster aber offen zu halten, damit er sie hören könnte, wenn sie seiner Hilfe benötigt wäre. Hannikel, der auf alles achtsam war, drängte sich schnell zwischen beide, und das Fräulein rief laut lachend: »Mein Hofmeister meint, ich solle mich in acht nehmen, daß mir die Nachtluft nicht schade.« – Heinrich wurde ausgelacht und ließ sich's gern gefallen.

Ein hübscher Schimmel wurde dem Zigeunerfürsten vorgeführt; er bestieg ihn, offenbar mehr seiner Würde zulieb als wegen der Entfernung, die nicht beträchtlich sein konnte. Duly mußte auf seinen Befehl den Junker vorausgeleiten. Zwei Zigeuner folgten dem Schimmel, den zwei mächtige Hunde umsprangen, und der Trupp setzte sich in Bewegung. Hannikel winkte den Sohn des Jägers heran und unterhielt sich angelegentlich mit ihm, aber ohne die Augen von Heinrich abzuwenden.

Der Alte hatte sich zu diesem gesellt und begehrte zu wissen, was er denn eigentlich mit seinem Zögling vorhabe; er schien sie für Reisende zu halten, welche aus Kuriosität oder vielleicht auch infolge einer nicht ganz freiwilligen Begegnung etliche Tage mit den Zigeunern umherzuschweifen gedächten, und sagte: »Nun ja, es sind ganz umgängliche Leute, mit denen es unterhaltend zu leben ist; wenn man übrigens im Frieden von ihnen loskommen will, so darf man die Batzen nicht sparen.«

Im Walde trafen sie ein großes Feuer, um welches bereits ein Teil der Bande gelagert war. Der Anführer sprang vom Pferde, erteilte einige Befehle und begab sich dann, während sein Gefolge bei den Genossen blieb, mit den übrigen nach dem Jägerhause. Das kleine Gebäude erhob sich auf einer lichten Stelle mitten im Walde; es sah so einsam und abgelegen aus, als ob meilenweit im Umkreise keine andere menschliche Wohnung zu finden wäre.

Der Jäger öffnete, ging hinauf und kam mit einem Lichte zurück, die Herrschaften zum Eintritt einladend. Hannikels Mutter und Tochter hatten sich angeschlossen. Heinrich folgte dem Fräulein zu ihrem Schlafgemache, obgleich der Sohn des Jägers ihn mit trotzigem Tone zurückzuhalten suchte, da seine Kammer anderswo sei. Er bestand darauf, seinem Zögling an der Türe, die er sich für den Fall einer Hilfeleistung merken wollte, gute Nacht zu sagen, drückte, daselbst angekommen, dem Fräulein die Hand und wurde mit einem Blick entlassen, der ihm, zu spät! sagte, wie glücklich seine Gegenwart, seine Freundschaft sie mache. Die Alte hatte sich's übrigens nicht nehmen lassen, auf einem Strohsack neben ihrem Kinde, wie sie Lauren nannte, zu schlafen, so sehr auch ihr gebieterischer Sohn sich bemüht hatte, sie davon abzubringen.

Dieser erinnerte jetzt an den versprochenen Paß und ging mit dem Jäger und seinem Sohne nach dem Wohnzimmer. »Ursula!« rief er, auf Heinrich deutend, »bediene den Herrn! Wir wollen den Leuten nicht noch mehr Mühe machen.«

Heinrich erklärte, er bedürfe keiner Bedienung; aber Hannikel ließ sich die Sorge für seine Bequemlichkeit nicht ausreden und sagte ihm aufs freundlichste und höflichste gute Nacht. Das Mädchen hatte bereits das Licht ergriffen, und er mußte ihr folgen. Sie gingen die Treppe hinab und zu einer Kammer, welche nach der Seite hinaus lag. Die junge Zigeunerin schloß auf, leuchtete vor und setzte das Licht auf einen niedrigen Schrank, den Bewohner dieses Gemachs mit einem langen Blick betrachtend. Dieser hatte sich inzwischen in seiner Höhle umgesehen, denn einer solchen sah die Kammer gleich, die für einen Knecht oder eine Magd bestimmt zu sein schien. Doch stand in der Ecke ein Bett, das frisch, wenn auch nicht fein überzogen war, das erste weiche Nachtlager nach vielen Mühsalen und Entbehrungen; nur schade, daß in dieser Nacht voraussichtlich wenig Gebrauch davon zu machen war. Das Mädchen ging still hinaus. Er öffnete einen Laden, denn Fenster waren nicht vorhanden, und sah in die Nacht hinaus; es war ihm sonderbar und schwer zu Mute.

Die junge Dirne kam wieder und brachte allerlei Nötiges und Unnötiges, Waschwasser, ein Glas Gebranntes zum Schlaftrunk und dergleichen mehr. Endlich bat sie ihn, niederzusitzen, um ihm die Stiefeln auszuziehen. Er lehnte es freundlich ab und sagte, sie sei zu gut dazu. Sie blieb stehen, verwandte die Augen nicht von ihm, und er war in Verlegenheit, was er mit ihr anfangen sollte.

Da hörte er den schweren Tritt des Zigeuners auf der Treppe; er kam herab, scherzte noch mit dem Sohne des Jägers und ging der Haustüre zu. Die Türe wurde hinter ihm geschlossen, und seine Schritte verloren sich in den Wald. Heinrich atmete hoch auf; er hoffte, für den Augenblick nichts mehr von ihm befürchten und ruhig die von Tony auf diese Nacht angekündigte Änderung der Dinge erwarten zu dürfen.

Seine Blicke fielen auf die Zigeunerin, die immer noch vor ihm stand, als wäre sie seiner Befehle gewärtig. Er sagte ihr, er bedürfe nichts weiter, und sie hätte sich nicht abhalten lassen sollen, ihrem Vater zu folgen.

»Ich darf im Hause bleiben,« erwiderte sie. »Wollen Sie mich hinausstoßen?«

»Nichts weniger!« rief er und legte die größte Freundlichkeit in seinen Ton, während er ihr mit der Hand über die Stirn strich.

Sie schmiegte sich an ihn an, und ein lebhaftes Feuer leuchtete aus ihren Augen, die lichtbraun wie ihre Haare waren. »Was wird aber Tony dazu sagen?« fuhr er fort. Seine erste Absicht war gewesen, sie mit guter Manier zu entfernen, und jetzt wußte er schon nicht mehr recht, was er wollte. Sein Herz fühlte sich wieder so frei wie der Vogel in der Luft. Laura hatte dieses heimatlose Herz allzu stiefmütterlich behandelt, und die Not, in der sie sich jetzt an ihn anklammerte, flößte ihm nur noch tiefes Mitleid ein. Er war entschlossen, sein Leben an ihre Verteidigung zu setzen, wenn es sein müßte; aber dieser Entschluß war nicht aus der begeisterten Hingebung der Liebe entsprungen, er war kalt und sogar mit einer gewissen Bitterkeit vermischt. Er sah das Mädchen an: sie war wirklich schön, und er glaubte eine Seele in ihren Augen zu finden. Die Sicherheit dieser Stunde und die Ungewißheit der nächsten, beides gab seiner Lage einen eigentümlichen Reiz, wozu sich noch der Drang gesellte, das Gemüt einer solchen wilden Waldgöttin zu erforschen.

Sie war über den Namen Tony sichtlich betroffen. »Welcher?« fragte sie.

»Der Bräutigam, der die Morgengabe holt.«

»Der?« lachte sie und schlang sich seinen Arm um den Hals, »dem ist's nicht ernst, sonst hätte er keinen solchen Vorwand gebraucht, um mich zu verlassen.«

»Kennst du denn den andern auch?« forschte er weiter. Die Reden des Grenadiers und seines Weibes waren ihm wieder eingefallen.

»Nein. Warum fragen Sie das?«

»Kennst du ihn wirklich nicht?«

»So wahr ich lebe, ich habe ihn in sechs Jahren nicht gesehen, und damals war ich noch ein Kind. Warum fragen Sie denn?«

»Er rühmte sich, von einem verliebten Mädchen verfolgt zu werden, und dabei nannte er einen Namen, der auch der deinige ist.«

»So? – Damit hat er eine andere gemeint; er kennt mich nicht, noch ich ihn.« Sie sah ihm bei diesen Worten so unschuldig wie ein neugeborenes Kind in die Augen.

»Es ist gut,« versetzte er und begab sich wieder an die Öffnung, um zu hören, ob alles ruhig sei. Er vernahm keinen Laut.

Sie war ihm nachgefolgt. »Soll ich Ihnen wahrsagen?« fragte sie.

»Wenn es dir Freude macht. Verstehst du diese Kunst?«

»Ei freilich! – Nein, Sie dürfen die Hand nicht mit Geld kreuzen, ich tue es aus gutem Herzen.«

Sie betrachtete seine Handlinien, tippte mit dem Finger darauf hin und her und schien die Sache gründlich nehmen zu wollen. »Was muß ich sehen?« rief sie nach einer Weile, »dem stillen Herrn hätt' ich nicht so viele Liebschaften zugetraut. Ja, lachen Sie nur, es ist dennoch wahr.«

»Deine Kunst ist mädchenhaft,« sagte er, »weiter weißt du nichts?«

»O ich kann sie Ihnen der Reihe nach erzählen. Der ersten sind Sie untreu geworden und die anderen alle Ihnen. Das ist Sündenlohn. Aber ich weiß es noch viel genauer. Mit der nächsten werden Sie glücklich sein, ihr werdet einander treu bleiben: treue Liebe steht hier eingeschrieben.«

Sie drückte den Finger auf eine Stelle seiner Hand, und es schien elektrisch in dieselbe überzuströmen; Funken von der gleichen Natur kamen aus ihren Augen in die seinigen geflossen. Aber ihre Worte hatten ihn bitter gestimmt. »Weißt du nichts Wichtigeres?« sagte er.

»Lassen Sie Ihre Lebenslinie beschauen. O weh!« rief sie mit unverstelltem Schrecken und schleuderte seine Hand von sich, wie um des traurigen Anblicks überhoben zu sein.

»Was liesest du?« fragte er und konnte sich kaum eines leichten Schauers erwehren.

»Der schöne Herr! so jung und so gut! Es wäre schrecklich. Lassen Sie noch einmal sehen. Nein, sie ist nicht tief durchschnitten, und die Nebenlinie geht unverletzt zur Seite fort. Eine große Lebensgefahr steht Ihnen bevor! Nehmen Sie sich in acht, und zwar in der allernächsten Zeit –«

»Und wahrscheinlich eben jetzt?« sagte er, ihr Kinn emporhebend und ihr scharf ins Auge sehend.

»Das weiß ich nicht,« erwiderte sie und hielt seinen Blick ruhig aus.

»Du rätst mir zu fliehen, nicht wahr?«

»O bleiben Sie hier! gehen Sie nicht!« rief sie und legte das Köpfchen mit den reichen Locken an seine Brust. »Sie könnten ja gerade der Gefahr entgegenrennen – ich weiß nicht, wo sie herkommt – ach, und ich würde bitterlich um Sie weinen.«

»So laß mich noch einmal die lichten Seiten des Lebens ins Auge fassen!« sagte er lächelnd, indem er sich niedersetzte, »laß mich seine Schätze wie ein Geizhals überzählen, wenn es wahr sein sollte, daß schon jene düstere Pforte winkt. Meine Erinnerung ist undankbar, sie rechnet mir die Freuden spärlich vor. Laß du deine phantastische Wissenschaft in diesen Linien die glücklichen Stunden lesen, die mir vielleicht noch zugedacht waren.«

Er hielt die Hand hin. Sie kniete vor ihm nieder und sah ihm lang in die Augen, mit einem Blick, als wollte sie sagen, es sei auch ihre Meinung, daß er sein Leben noch genieße, so lang die Gunst der Stunden auf seiner Seite sei. Dann nahm sie seine Hand und erzählte ihm ein langes und breites von Mädchen, Freunden und großen Herren. Da sie sich aber zuletzt müde gesprochen hatte und gewahr wurde, daß er ihr nicht zuhörte, so schwieg sie still und ruhte mit dem Kopf auf seinen Knieen. Ihr heißer Atem glühte ihm durch Mark und Bein, und da er nicht aus Granit erschaffen war, so fehlte wenig, daß der Becher mit der süß betäubenden Blume und dem oft so widrigen Nachgeschmack ihn bis zum Vergessen seines Wächteramts berauscht hätte, wenn nicht ein durchdringender Schrei über ihnen erschollen wäre, der ihn alsbald aus dem Netze des Zaubermädchens riß.

Er fuhr empor. Das Geschrei wiederholte sich, er erkannte Lauras Stimme. Ihre weibliche silberne Stimme war es, nicht jener knabenhafte Ton, den sie sonst aus der mühsam herabgestimmten Kehle erzwungen hatte. Er hörte sie seinen Namen rufen und kämpfte mit der verführerischen Zigeunerin, die ihn flehentlich bat, sein Leben nicht in Gefahr zu setzen, sie nicht zu verlassen. Sie hatte sich um ihn festgewunden wie eine Schlange.

»Weg!« rief er, »auch du bist eine Betrügerin! Pfui über dein sanftes Lächeln, deine holde Leidenschaft! Du verdienst nicht, ein Mädchen zu heißen.«

Er mußte seine ganze Kraft anwenden, um sich von ihr zu befreien. Während er hinaus und die Treppe hinaufflog, riß er das Terzerol aus der Seitentasche und spannte den Hahn. Oben stand jemand, der ihm den Weg verlegen wollte; es schien der Sohn des Jägers zu sein. Er rannte ihn über den Haufen und kam vor Lauras Türe. Das Schloß war losgemacht, er trat ein und sah – welch ein Schauspiel! Das Fräulein mochte, nur von einem leichten Teppich bedeckt, in den Kleidern auf dem Bette gelegen haben; jetzt lehnte sie, herabgesprungen und halb in den Teppich verwickelt, am Bett und wehrte sich gegen den Zigeunerhauptmann, der heimlich ins Haus und ins Zimmer eingedrungen war. Ihr schöner Busen, einst die blendende Erscheinung eines Augenblicks, schimmerte aus dem zerrissenen Samtjäckchen hervor. Hannikel deutete mit rohem Lachen darauf.

Seine Mutter hatte sich von ihrem Strohsack aufgerafft, neben welchem das brennende Nachtlicht am Boden stand; sie hielt ihrem Sohne zitternd einen Arm. »Alter,« sagte sie mit ihrer dumpfen Stimme, »Alter, sei brav.«

Heinrich hatte einen Augenblick hingesehen. Mit einem Sprunge stand er, den Wildling umgehend, mitten im Zimmer, so daß er die Fenster hinter sich und die Türe vor sich hatte. Er trat dem Zigeuner entgegen und hielt ihm, ohne ein Wort zu sprechen, das Terzerol vor.

»Hoho!« lachte dieser grimmig, ließ das Fräulein fahren und hatte blitzschnell eine Pistole hervorgezogen, die er ihm entgegenhielt.

So standen sie sich gegenüber, der junge schlanke Gelehrte und der knochige untersetzte Räuber, der mit der Rechten die Waffe vor sich hinstreckte und in der Linken ein Stück des zerrissenen Jäckchens zusammenballte. Sie maßen sich mit den Augen und ließen ihr Tun statt der Worte sprechen.

»Das ist mir ein sauberer Hofmeister,« sagte Hannikel zuletzt hohnlächelnd, »der mit so einem schönen Junker in der Welt herumzieht.«

»Du hast ja schon ein Weib,« sagte die Alte, »bist du nicht mit ihr zufrieden?«

»Sie nimmt's nicht übel, und wenn ich noch ein Dutzend dazu nehme!« rief Hannikel. »Was wollt ihr? Diese hier gefällt mir. Ich habe den ganzen Tag schlichten und ordnen und befehlen müssen. Weiberwerk will auch vorgenommen sein, und das Milchgesicht da soll mich nicht verhindern. Nieder mit dem Gewehr!«

»Niemals!« rief Heinrich, und seine Wangen glühten vor Mut; er hätte jauchzen mögen und zitterte zugleich in dieser ungewöhnlichen Lage.

Es wurde draußen laut von Menschenstimmen und Hundegebell. Die Türe wurde aufgerissen, und die nächtlichen Gesellen, die im Walde gelagert hatten, stürzten mit Lichtern und brennenden Spänen herein. Die Alte warf sich ihnen entgegen, um sie zurückzuhalten. Die Türe wurde niedergeworfen, und immer mehrere drängten nach. Weiber und Mädchen ließen sich kaum gebieten, und Zorn und Neugier machten sich auf allen Seiten Luft.

»Hört mich!« rief das Fräulein, ihr Wämschen notdürftig über der Brust zusammenhaltend, und alle blickten sie mit Erstaunen an. »Hört mich, Ihr gewalttätiger Mann! Wenn Ihr mich zum Weibe haben wollt, so müßt Ihr wissen, daß ich eher sterben, als mich zwingen lassen will. Nehmt andere Sitten an, dann mag's Euch vielleicht gelingen, mir zu gefallen und Euern Wunsch zu erreichen.«

Die Zigeuner sahen einander an. »Was?« rief Fontin, »der junge Herr ist ein Mädchen und will unsere Frau Hauptmännin werden?«

»Ein deutsches Mädchen – das geht nicht an – wir dulden keine mehr!« riefen Männer und Weiber durcheinander. Eine alte Hexe mit funkelnden Augen trat hervor und hielt eine Rede an den Anführer, die in ihrer zigeunerischen Grammatik starke Vokabeln enthalten mochte; denn er biß die Zähne übereinander und schien auf die Rednerin losstürzen zu wollen; doch hielt er an sich.

»Mu-utter!« sagte Nottele und streckte die Hand gegen sie aus, »haltet's Mau-au-aul!« Dann zog er sich, zufrieden mit dieser Kraftanstrengung, wieder unter die übrigen zurück.

Nun trat Duly hervor und begann eine Rede in der Zigeunersprache, welche zu Gunsten des Hauptmanns lauten mochte, denn dieser nickte und lächelte ihm beifällig zu; aber er wurde bald durch das Geschrei der anderen unterbrochen, und als dieses sich legte, rief der grimmige Fontin deutsch, um von den beiden Fremden verstanden zu werden: »Wir lassen uns nicht mehr mit Deutschen ein! So oft es geschehen ist, haben wir's zu bereuen gehabt. Der Sonnenwirtle hat unser Volk verraten, der Konstanzer Hans hat es verraten, alle Deutsche sind ungetreu. Es ist genug, wenn aus unseren eigenen Reihen Verräter wider uns aufstehen. Unsere überrheinischen Brüder haben schon längst das Gesetz gemacht, keinen Deutschen mehr unter sich zu dulden, und wir haben es, durch Schaden gewitzigt, endlich von ihnen angenommen. Auch das ist gegen das Gesetz, ein Mädchen bei uns zu haben, das nicht wenigstens von einer Seite her zigeunerisch ist. Meinetwegen mag mit dieser geschehen, was da will, aber bleiben darf sie nicht, und der sogenannte Herr Hofmeister muß auch auf eine oder die andere Art verschwinden, je eher je lieber.«

So hatte es denn allen Anschein, daß der gefürchtete Hauptmann an seiner eigenen Verfassung scheitern würde. Er sah ingrimmig drein, schnaubte und schrie, aber die anderen wollten den Preis, um den sie ihm gehorchten, nicht aufgeben, und der Streit begann leidenschaftlich und ernstlich zu werden, als auf einmal schnelle Tritte die Treppe heraufstürmten.

»Der Sulzer regt sich! Der Sulzer kommt!« Mit diesen Worten stürzte ein Zigeuner ins Zimmer.

»Es ist nicht wahr!« rief Hannikel, »dir trau' ich nicht! Du bist der kleine Lielensohn! Du hältst mit deinem Bruder!«

»Da seht nur selbst!« war die Antwort.

Die Zigeuner liefen ans Fenster, nach welchem jener deutete. »Fackeln durch den Wald! Von allen Ecken her! Er spricht wahr! Der Sulzer kommt! Das ist der Sulzer!« – so tönte es in großer Verwirrung durcheinander. Hannikel fluchte und gab Befehle auf Befehle, welche den pünktlichsten Gehorsam fanden. Nur von einer Seite trat ihm Widerstand entgegen; denn als er, auch in diesem Gedränge seine Verschlagenheit beibehaltend, eben die Verwirrung und die Notwendigkeit, seine Mannschaft in einzelnen kleinen Abteilungen wegzuführen, zu Gunsten seiner gestörten Absicht benützen wollte, klammerte sich Laura an ihren Beschützer an und rief laut. »Schieß' mich nieder, wenn jemand Miene macht, uns zu trennen!« – Da kein Augenblick zu versäumen war, so mußte der Zigeuner sich zähneknirschend fügen.

»Hab' ich's brav gemacht?« flüsterte der Urheber des Getümmels, indem er im Gedränge an Heinrich vorüberstreifte.

Nach wenigen Augenblicken war die ganze Bande wie eine Versammlung nächtlicher Gespenster beim Hahnenschrei auseinander gestoben.

Mein guter Herr, ich rat' aus Freundschaft Euch,
Verlaßt den Ort. – So steht des Herzogs Stimmung jetzt,
Daß er mißdeutet, was Ihr habt getan.
Der Fürst ist launisch: was er ist in Wahrheit,
Ziemt besser Euch zu sehn, als mir zu sagen.

Shakespeare, Wie es euch gefällt.

Das Fräulein war auf den Schimmel gesetzt worden, welchen Duly am Zügel führte, Heinrich und die Alte gingen nebenher, der Hauptmann, der den runden, an der Seite aufgekrämpten Hut mit einem Tannenzweige geschmückt hatte, befand sich immer spähend bald vor bald hinter dem Zuge, und so ging es rasch auf heimlichen Waldwegen fort. Die ersten Vorboten des Tages meldeten sich, als sie einen steilen Pfad zwischen Felsstücken hinabzogen und in ein Tal kamen, wo ein Flüßchen sich leise hinschlängelte und eine Mühle im stillen Grunde lag. »Wer da bleiben dürfte!« seufzte Heinrich, dem das einsame Gebäude freundlichst entgegensah; aber er konnte den beiden wohlbewaffneten Zigeunern keinen Kampf anzubieten wagen, und wo hätte er hoffen dürfen, einen sicheren Schutz zu finden, wenn nicht Rettung von Tony kam?

Ein lauer Regen strömte reichlich herab, während sie über die Brücke setzten und am jenseitigen Berge einen schmalen, beschwerlichen Weg emporstiegen. Als sie oben waren, spähte Heinrich in die Gegend hinaus und hätte beinahe seine Freude laut werden lassen, als er die Alb rechtshin streichen sah. Nun war seine Hauptbesorgnis bei dem nächtlichen Aufbruche beschwichtigt; sie zogen landeinwärts. Es war kein Zweifel mehr, daß Tony seinen Mann vollkommen richtig beurteilt hatte, dessen Schrecken vor dem vermeintlichen Verfolger indessen wenigstens insofern nicht grundlos war, als der gefürchtete Oberamtmann seine Streifzüge weit über seinen eigenen Amtsbezirk hinaus zu unternehmen pflegte. Wie sein Name und der Lärm von heute nacht gewirkt, sah Heinrich aus der Richtung, die sie nahmen. Hannikel hatte nicht bloß jede nähere und entferntere Nachbarschaft von Sulz, sondern den ganzen Schwarzwald aufgegeben und führte nun seine Bande in den Schönbuch, um entweder durch diesen nach der Alb zu ziehen oder am Hagenschieß und Stromberg hin sich ins Fränkische zurückzuwenden. Die erste Hälfte des Anschlags war geglückt; da Tony mit den Schlupfwegen, die zu solchen Zügen dienten, vertraut war, so mußte auch die zweite zur Entscheidung kommen. Heinrich wollte dies dem Fräulein mit einigen französischen Worten sagen, aber Hannikel spannte den Hahn seines Stutzens und fragte, ob er ihm einen Pfropfen auf den Mund besorgen solle. Dann entfernte er sich wieder von ihnen und hinterließ seinem Getreuen den gemessenen Befehl, die beiden nichts Heimliches miteinander reden zu lassen; »ich bleibe hier herum,« sagte er, »und die anderen sind auch nicht weit.«

Die Landschaft flachte sich allmählich ab. Auch das Gestein veränderte sich; statt des Sandes, der sonst die Füße der Wanderer elastisch beflügelt hatte, fanden sie jetzt einen aufgeweichten, schlüpfrigen Boden, durch den sie sich mit Unlust hindurcharbeiten mußten. Aber einen Freudenschrei konnte Heinrich doch nicht unterdrücken, als er, aus einem Tannenwäldchen heraustretend, endlich wieder die Laubwaldung sich ausbreiten sah, deren helles Grün ihm tausend fröhliche Grüße entgegenrief. Als er herausgeritten war, hatten sich ihm die Bäume traurig an den Weg gestellt und die dürren Arme wie zur Warnung gegen ihn aufgehoben; und jetzt waren sie alle, vielleicht über Nacht, in ihre Feierkleider geschlüpft, frischgrün, wie ein Bild der neugeborenen Hoffnung. Auch Laura stimmte in seinen Jubel ein, und Duly, nicht ahnend, daß die Frühlingspoesie diesmal eine praktische Unterlage habe, lächelte wohlweise über das kindische Vergnügen.

 

»So kann man sich schon in den April schicken lassen,« sagte er.

»Ist heute der erste April?« fragte die Alte. »Er ist meinem Sohne nicht günstig.«

»O der,« lachte Duly, »der hat den Schweif aufgerollt und denkt; Prosit, Herr Oberamtmann von Sulz.«

»Vor dieser Stadt,« versetzte die Alte, »darf er allen Respekt haben; er weiß, was ihm prophezeit ist.«

»Er pressiert auch davon wegzukommen.«

»Wenn er nur nicht allzu weit weg pressiert!« sagte die Alte.

Hannikel stieß wieder zu ihnen, und sie zogen im Bogen durch die schönen Wälder dahin. Während sie über eine abgelegene Waldwiese kamen, schritt in geringer Entfernung ein stattlicher Hirsch an ihnen vorüber. Sie hielten sich still, und Duly wollte sein Gewehr anlegen. »Bei Leibe jetzt nicht!« flüsterte Hannikel. Während sie weiter zogen, sah Heinrich dem schönen Tiere ein wenig nach, das eben in den Wald gehen wollte, als nicht weit davon die Büsche sich auseinander bogen, ein Zigeuner vorsichtig herausblickte und ihm einen Wink gab. Er erkannte ihn als denselben, der vergangene Nacht mit seinem Alarmruf so großen Schrecken erregt hatte. Im gleichen Augenblick hatte ihn auch der Hirsch gesehen; er stutzte, hielt an und setzte dann mit ungeheuren Sprüngen rückwärts über die Wiese. Der Zigeuner legte den Finger auf den Mund und verschwand. Der Hirsch hätte, an der Gesellschaft vorüberfliehend, beinahe den Schimmel wild gemacht, und Hannikel sah sich mißtrauisch nach allen Seiten um. Heinrich aber hatte in dem Winke, den ihm Tonys Bruder gegeben, ein gutes Zeichen erblickt.

Es war Nachmittags, als sie sich einer großen Eiche näherten. »Hier ist einmal ein alter Herzog von einem seiner Ritter aufgehängt worden,« sagte Hannikel, und Heinrich konnte bei dieser Probe historischer Gelehrsamkeit das Lachen kaum verbeißen. An einem Bühl, nicht weit von der Eiche, machten sie Halt, und gleich darauf trafen mehrere Abteilungen von der Bande mit ihnen zusammen. Den Mädchen, welche unter Fontins Leitung gekommen waren, wurde befohlen, ein Feuer anzumachen.

»Warum hier rasten?« murrte Fontin. »Mir ist's, als möchte ich weit davon sein. Wollt ihr nicht lieber vollends auf dem Stuttgarter Marktplatz kochen?«

»Nah dabei ist oft besser vorm Schuß, als weit davon,« erwiderte Hannikel.

»Das gilt aber nicht beim Sulzer.«

»Nein, aber bei Größeren. Geh' hin und mach', daß die anderen bald kommen. Wenn alles beisammen ist, so will ich euch sagen, was ich über diese beiden Fremdlinge beschlossen habe.«

Heinrich hielt sich die Hand vor die Stirne. Hilfe, so lang es noch Zeit ist! rief es in ihm. Und doch hatte ihn diese entsetzliche Spannung nicht unempfindlich gegen den Rauch gemacht, der ihm beißend in die Augen drang. Er wischte sie ab und suchte seine Stellung zu verändern.

»Was Teufels ist denn das für ein Rauch?« rief der Hauptmann, »der wird ja bis zum Monde steigen! Wer ist so unsinnig, diesen Rauch zu machen?«

»Feddricho hat so viel grüne Zweige aufs Feuer gelegt, daß wir's fast nicht erhalten können,« sagte eines der Mädchen.

»Verlaß das Feuer!« gebot der Hauptmann.

Feddricho gehorchte und zog sich mit Blättern spielend in den Wald zurück. Dann ein langes, banges Stillschweigen. Laura saß auf dem Bühl und hatte das Haupt auf Heinrichs Schulter gelegt. Hannikel hinderte es nicht; er war beschäftigt, am Zaume seines Pferdes zu bessern und blickte von Zeit zu Zeit ungeduldig durch die Bäume. Auf seinen Wink entfernte sich nun auch Duly, um die Säumenden zu holen.

Es war still, und ein leichtes Lüftchen säuselte in den Blättern. Man hörte in der Ferne eine Lerche, die ihr lustiges Lied begann. Alle lauschten unwillkürlich dem frohen Vogel, der sich in den tiefen Wald verirrt zu haben schien. Da antwortete ihm ein zweiter, der ganz in der Nähe herzhaft seine Triller aus den Büschen schmetterte. Hannikel fuhr wie ein Rasender auf und rannte nach dem Gebüsch, als ob er der Sängerin den Hals umdrehen wollte. Aber er hielt mitten auf dem Wege an, denn im Rücken, da wo sie hergekommen waren, ertönte ein lauter Hornstoß, der sogleich von allen Seiten des Waldes beantwortet wurde.

»Eine Jagd!« rief ein Zigeuner leise.

»Sie blasen gute Jagd,« sagte ein anderer.

»Gesegne's ihnen der Teufel!« rief der Hauptmann zähneknirschend.

Leise kam aus dem Walde ein Trupp Zigeuner hervor. »Endlich, Postel!« rief ihnen der Hauptmann entgegen,

»Es ist eine Jagd im Walde,« sagte Postel. »Haltet euch stille.«

»Schraubt die Hähne von den Gewehren!« gebot der Hauptmann und ging sogleich mit seinem eigenen Beispiel voran, das den loyalen Weidmann im fremden Reviere zeigen und die Strenge des Försters entwaffnen sollte.

»Weißt du auch,« sagte Postel und trat näher zu ihm, »daß es ein blinder Lärm war heute nacht? Ich habe ja die Nachhut geführt, und so lang ich auch gehalten habe, keine Seele hat sich geregt. Wir sind verblendet und behext worden.«

Hannikel ballte die Hände und schlug sich vor die Stirne. »O höllischer Betrug!« rief er aus und sah wild umher. »Aber ich will scharfe Untersuchung halten. Ich will die Spitzbuben – Wenn es nicht zu spät ist!«

Er blickte bei diesen Worten auf Duly, der atemlos herbeigerannt kam. »Wir sind eingeschlossen! Die Jagd gilt uns,« rief er.

Im selben Augenblicke schmetterten helle Fanfaren in der Nähe, die Zweige rauschten, und ein kleiner Jägertrupp kam still und schnell auf die schmale Lichtung herausgeritten. An der Spitze ritt auf einem Falben der erlauchte Jäger, welchen Heinrich einst bei der ersten Begegnung selbst für einen Wilderer gehalten hatte. An deinem grünen, unscheinbaren Röckchen war ein breiter Hirschfänger gegürtet, und ein Jagdjunker folgte ihm mit zwei Gewehren; aber er schien nicht zur Jagd allein gerüstet, denn aus seinen Sattelhalftern blickten Pistolen.

»Der Herzog Karl!« schrie Hannikel, und als ob ein Blitz unter sie gefahren wäre, so stoben die Zigeuner auseinander und warfen sich in die Gebüsche.

Laura und Heinrich waren allein auf dem Platze zurückgeblieben. Ein Jäger aus dem Gefolge des Herzogs, mit tief in das Gesicht gedrücktem Hute, sprang vom Pferde und stürzte auf das Fräulein zu. Sogleich folgten ihm andere, welche sie ergriffen und mit ihr davoneilten. Heinrich, von dieser raschen und gewaltsamen Entwicklung betäubt, wandte sich gegen den Herzog, der mit einem Blick voll schneidender Kälte auf ihn zugeritten kam.

»Aus meinen Augen!« herrschte er ihm zu.

Heinrich, der bei dem Aufspringen der Zigeuner unwillkürlich nach dem Terzerol gegriffen hatte, trat näher und wollte sich rechtfertigen. »Elender!« rief der Herzog, riß eine Pistole hervor und brannte sie ihm ins Gesicht. Heinrich hörte nur noch ein gellendes O! aus dem Walde und taumelte in das Gebüsch. »Laßt ihn!« rief der Herzog seinen Jägern zu, »es ist ein Verrückter, folgt ihm nicht!«

Als Heinrich nach einer Weile wieder zu sich kam, fühlte er, daß jemand mit ihm beschäftigt war, der den Arm um ihn geschlungen hatte und ihm das Terzerol aus der Hand nahm. Er schlug die Augen langsam auf und erblickte den untersetzten, stotternden Zigeuner, der mit grinsendem Munde zu ihm sagte: »Hat ni-i-ichts getan.«

Er fuhr sich über die Stirne. »Schwa-arz wie der T-T-Teifel!« lachte Nottele, »nur f-f-fort jetzt!« Er nahm ihn unterm Arm, und Heinrich ließ sich ohne Sträuben in den dichten Wald führen. Er war unverletzt geblieben, mochte nun die Kugel seitwärts gegangen, mochte das Gewehr durch ein Versehen der Dienerschaft blind geladen gewesen sein; nur die Gewalt des Schusses hatte ihn betäubt, und die Stirne schmerzte ihn ein wenig. Aber tiefer war eine andere Wunde gedrungen, und wenn ihm die Kugel durchs Herz gegangen wäre, er hätte nicht mehr vernichtet sein können.

In einem Winkel eines mit Gestrüpp überwachsenen Baches kauerte der Zigeuner mit ihm nieder und wusch ihm die geschwärzte Stirne. Dann hieß er ihn stille sein, ein Gebot, das überflüssig war, da unser Freund einem Toten glich, der nur durch einen Zauber von außen her in Bewegung erhalten wird. Die Hörner bliesen ferne durch den Wald, und der Zigeuner stotterte: »Sie blasen den Kehraus. Schon zu Ende?« – Das Geräusch der Jagd verhallte nach und nach, und es wurde zwischen den Bäumen still. Der Zigeuner horchte mit weit offenen Augen, als ob diese ihm zum Hören statt zum Sehen gegeben wären, durch das Dickicht hinaus. Heinrich saß regungslos neben ihm und starrte in den Boden. Eine geraume Zeit war so verflossen, da stand der Zigeuner auf und entfernte sich einige Schritte. Bald erhob sich von der Stelle, wohin er gegangen war, ein Wachtelschlag. Der Ton war so täuschend, daß jeder ihn für den natürlichen Laut des Vogels gehalten haben würde, nur der nicht, der den Künstler in der Nähe wußte und die Bedeutung des Signals unschwer erraten konnte. Heinrich aber hörte in stumpfer Bewußtlosigkeit zu, und die harmloseste Stimme des Waldes hätte nicht unbeachteter an sein Ohr klingen können. Es knisterte rechts und links in den Büschen. Er sah nicht auf, bis eine rauhe Stimme ihn anfuhr. Jetzt hob er langsam die Augen auf und fand sich von einem Teil der Zigeunerbande umringt.

»Ich lass' mir's nicht nehmen, er hat mitgeholfen!« schrie Duly, der unter ihnen war, und wollte auf ihn los.

»Ged-d-duld!« sagte Nottele und trug darauf an, daß nichts vorgenommen werde, bis der Rest der Ihrigen zu ihnen gestoßen, bis wenigstens Hannikel bei ihnen sei.

Seine Genossen stimmten ihm zu, und Duly fügte sich.

Drei kurze Pfiffe schnitten gleichsam fragend durch den Wald, Nottele antwortete mit seiner Wachtelstimme, und in kurzem war der Erwartete in ihrer Mitte.

Er sah den Gefangenen mit einem langen scharfen Blicke an, der zuletzt an der bleiernen Gleichgültigkeit desselben abglitt. Dann wandte er sich zu den Seinigen. »Nun, Duly!« rief er, »wie steht's? Wo ist denn das Teufelsvolk alles hingeraten?«

»Sie werden wohl in Sicherheit sein,« antwortete Duly, »außer Fontin, Dodelo und Hellele hab' ich keine Gefangene gesehen.«

»Hatten diese die Hähne abgeschraubt?«

»Fontin hat. Von den anderen weiß ich's nicht.«

»Der Fontin ist ein schlauer Spitzbube,« sagte Hannikel mürrisch. »Ich denke, es wird ihnen nicht viel geschehen. Er hat sie bloß zum Zeitvertreib mitgenommen. Wenn er uns hätte fangen wollen, diesmal hätt' er uns alle gekriegt. Aber er ist zu stolz dazu, er läßt das seinen Fanghunden über. Bin doch fuchsteufelswild, ich habe meinen Schimmel bei der verfluchten Affäre gelassen.«

»Du mußt aber auch Hasen gefressen haben!« rief Duly lachend, »so sah ich dich noch niemals laufen.«

Hannikel runzelte die Stirne. »Es war kein Spaß,« sagte er.

»Nach deinem Vögelein fragst du ja gar nicht?« bemerkte Duly.

»Weiß wohl warum!« rief Hannikel mit verdrießlichem Lachen. »Seit ich zugesehen habe mit eigenen Augen, wie ein Wagen im Walde stand, wie sie sie daherbrachten und hineinsetzten und mit ihr davonfuhren, seitdem, Duly, ist mir das Fragen vergangen.«

»Mit diesem Fang,« sagte Duly, »war die Jagd vorbei.«

»Freilich,« versetzte Hannikel und spielte mit einem Edelsteine, den er vor das Auge hielt, »es muß etwas ganz Besonderes dahinter stecken. Ich werde nicht klug daraus.«

»Ich weiß, was ich weiß,« sagte Duly.

»Und was weißt du dann?«

»Daß der Schurke, der Tony, an allem schuldig ist.«

»Der Tony?« rief Hannikel und wurde aufmerksam.

»Ja, der Tony! der war mitten unter den Jägern und trug ihre Livree. Wie wir aus den Büschen lugten, was weiter folgen würde, erkannte ich ihn gleich, wiewohl er sich entstellt und den Hut über die Stirn hereingezogen hatte. Ich war meiner nicht mächtig, nahm das Gewehr an Backen und wollte auf ihn schießen; aber da wurd' ich erst gewahr, daß ich den Hahn abgeschraubt hatte. Der Tony aber vom Pferd herab und hat sie in den Armen – hast du ihn denn nicht erkannt? Der fromm' ehrlich' Tony mochte es wohl anders vorhaben; aber es kamen gleich noch ein paar Jäger dazu und halfen ihm.«

»So, der Tony!« rief Hannikel, der unter diesem Tony keinen anderen verstehen konnte, als den Grenadier, während Duly, der erst spät zur Hochzeit gekommen und bei der Benamsung und Verlobung nicht zugegen gewesen war, diese Denunziation seinem alten Freund und Befehlshaber zugedacht hatte. Das rachsüchtige Kind der Natur hatte jenen kleinen Wortwechsel und Tonys angemaßtes Ansehen nicht vergessen, wenn ihn auch bei allen seinen Handlungen zum Teil die größere Anhänglichkeit an Hannikel leiten mochte.

»Der Tony!« wiederholte dieser. »Jetzt begreif' ich die Sache wenigstens halb. Aber jetzt ist ihm auch der Tod gewiß.« – Er sann nach, und nun mochte ihm erst wieder der andere Tony vorschweben, der ihm das Sulzer Donnerwetter in den Nacken gezaubert hatte; denn nach einer Weile rief er aus: »Am Ende sind sie doch alle beide unter einer Decke gesteckt!«

»Was denn sonst?« rief Duly, auf Heinrich zugehend. »Ich hab's ja gleich gesagt. An den nächsten besten Baum muß er!«

»Der?« sagte Hannikel und drückte seine Lippen hervor, indem er mit richterlicher Würde auf den Angeschuldigten sah. »Nein, der ist soweit unschuldig. Wofür hätte er denn sonst Pulver schmecken müssen? Überdies sind sie nicht die aufrichtigsten Freunde, er und der Tony.«

»Ist auch wahr!« rief der Ankläger, und beide brachen, obgleich aus verschiedenen Gründen, in ein rohes Gelächter aus.

Hiermit war die größte Gefahr vom Haupte des Gefangenen abgewendet.

Ein Wiehern, das durch den Wald erscholl, unterbrach die Verhandlung. Hannikel tat einen Freudenschrei und dann einen Pfiff. »Das ist mein Schimmel!« rief er.

Es glänzte weiß durch die hereinbrechende Dunkelheit, und das ersehnte Roß gesellte sich, von dem jungen Hannikel geführt, zu der Versammlung.

»Du B-b-blitzkrot'!« rief der Stammler dem Sprößling seines Oberhauptes bewundernd entgegen.


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