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Der Mond ist hell und kalt die Nacht,
Ich bin aus meinem Traum erwacht,
Und in dem weißen Geisterschein
Schreit' ich ins öde Land hinein.

Bald geht's noch weiter, schwer, wie schwer!
Und öder wird es um mich her.
Ich möchte bis ans End' der Welt,
Wo still ein Tau des Friedens fällt.

Mein Bleiben ist nicht dort, nicht hier:
Ach, meine Heimat war bei dir!
In deinen Liedern, deinem Blick
War meine Lust, mein Leid, mein Glück.

Und du, du warst so ernst, so mild,
In deinem Auge war mein Bild,
In deinem lieben Angesicht:
In deinem Herzen war es nicht.

Du sahst mich kommen, sahst mich gehn:
Es war dir nur wie Windeswehn.
Nun, wie du willst, nicht wie ich will!
Was hilft es? denn dein Herz bleibt still.

Der Wind fährt wild und traurig hin,
Er wär' so gern im Himmel drin,
Doch jede Pforte sagt ihm: »Geh!«
Er rauscht vor Zorn, er stöhnt vor Weh.

Der Himmel, der sein Brausen hört,
Er lächelt blau und ungestört.
Dir allen Segen, alle Ruh!
Verzeih, du holder Himmel du!

Und zieh' ich aus zum letzten Mal,
Folgt mir ein Stern aus deinem Tal.
Da um den Berg, da geht es fern,
Und hinter mir versinkt der Stern.

Leb' wohl und duld' es unbetrübt,
Daß dich ein stolzes Herz geliebt.
Ich gehe heimatlos, in Schmerz:
Leb' wohl, leb' wohl, du stilles Herz!

Ich will mit Euch nit reiten,
Und will mit Euch nit gan.
Warum wollt Ihr mich fahen?
Ich hab' Euch nichts getan.

Volkslied.

Ein kalter Strichregen, schneidend wie in diesem Frühling noch keiner gefallen war, nötigte den Wanderer, auf halbem Wege einzukehren. Er tat es ungern, denn er hatte das Haus des geistlichen Freundes noch vor Schlafenszeit zu erreichen gehofft; nun mußte er sich mit der Herberge begnügen, die ihm jedoch in ihrer altersgrauen Schindelbekleidung gar behaglich entgegensah. Er trat in ein warmes Zimmer und wurde an einen runden Tisch nahe beim Ofen gewiesen, hinter welchem bereits ein anderer Gast in schwarzem fadenscheinigen Rocke vor einem Gläschen Branntwein saß. Heinrich sah ihn an und sah ihn wieder an, bis er endlich einen halben Universitätsbekannten in ihm entdeckte, der, vormals ein lustiger »Fuchs«, seiner dürftigen Kleidung und seinem abgemagerten Aussehen nach zu schließen nicht in die besten Umstände geraten war. Auf Befragen antwortete er, er sei inzwischen Vikarius bei einem benachbarten Spezialsuperintendenten geworden und habe, in Aufträgen an einen Pfarrer verschickt, sich vor dem Unwetter hier herein geflüchtet.

Der wohlbeleibte Wirt ließ ohne viel Umstände ein Essen auftragen, nach Stoff und Masse viel zu derb für einen jungen Mann, der soeben von seiner Dame Abschied genommen hat. Sein junger Tischgenosse, welchem man gleichfalls einen Teller hinstellte, wurde feuerrot und rückte ein wenig weg, obgleich er nicht umhin konnte, dem ungeheuren Schweinsbraten einen vielsagenden Blick zuzuwerfen. Unser Freund, der den Grund dieses Benehmens leicht erriet, legte ihm alsbald vor, und die arme Haut, in welcher Eßlust und Verlegenheit miteinander kämpften, ließ sich nach einigem verschämten Weigern nötigen. »Haben Sie im Homer etwas von Ziererei gefunden?« sagte Heinrich mit aufmunterndem Lachen, als er sah, daß die Wirtsleute einen Augenblick die Stube verlassen hatten. »Odysseus war ein großer Prinz, und doch mußte er bei den Phäaken zu Tische gehen. Ohne Umstände! Wenn ›der Speisen Begier und des Trankes gestillt ist‹, dann reden wir weiter.«

In wenigen Minuten war der Braten, von welchem Heinrich ein dünnes Stückchen für sich abgeschnitten hatte, aus der Reihe der sichtbaren Gegenstände verschwunden. Dankbarkeit und Scham wechselten in dem Angesichte seines Gastes, der die Welt jetzt mit wackereren Augen anzusehen schien als vorher. »So gut ist mir's lang nicht gegangen,« sagte er aufseufzend, nachdem er dem Braten eine Herzstärkung nachgesendet hatte.

»Ihr geistlicher Oberhirt scheint den Fleischtöpfen Ägyptens nicht hold zu sein,« bemerkte Heinrich.

»Woher mein alter Spezial so fett geworden ist,« erwiderte der Vikar, »das bleibt mir ein Rätsel, wenn es nicht etwa vom Müßiggehen und Schlafen kam. Er selbst würde übrigens weder sich noch anderen zumuten, vom Worte Gottes allein zu leben, aber die Frau Spezialin ist eine Megäre, die eine ungeschmälzte Wassersuppe schon für eine Art von Luxus hält. Dafür sitzt sie den armen Pfarrfrauen in der Diözese umso strenger auf: denn wenn der Alte seine Amtsbesuche macht, die sie klüglich verteilt, so zieht das ganze Haus mit und ißt sich von einer Visitation bis zur anderen satt. Ich hoffe, man sieht mir's an, daß ich mich nicht auf Kosten der heimgesuchten Pastöre herausgefüttert habe.«

»Das weiß Gott,« erwiderte Heinrich, »und der Mensch sieht's. Aber wie können Sie sich so mißhandeln lassen? Sie sind zu schüchtern. Potztausend, der Mensch muß sich seiner Haut wehren.«

»Ich habe keine Konnexionen,« erwiderte der junge Geistliche. »Sie wissen, was das heißt. Will ich gehen, so brauche ich ein Attestat vom Alten, der unter dem Pantoffel steht. Und ich habe Ihnen noch nicht alles gesagt. Ich soll nämlich mit einer zu sehr reifen Jahren erwachsenen Tochter die Konjugation von amo samt allen Ableitungen durchmachen. Das ist es eben, was mich so ganz heruntergebracht hat. Mißverstehen Sie mich nicht – es lüstet mich gar nicht, mit ihr zu konjugieren, denn sie ist darin bereits tief ins Plusquamperfektum gekommen; in der Deklination hat sie alle Kasus durchgemacht und steht in einem übeln Vokativ. Aber die Frau Spezialin kämpft auf ihrer Seite und führt die Belagerung mit verzweifelter Hartnäckigkeit.«

»Ich verstehe!« rief Heinrich, »es ist eine von den förmlichen Blockaden, wo –«

»Wo die Belagerten zuletzt in das zäheste Leder beißen. In der Tat, die beiden abscheulichen Weibsleute suchen mir durch Hunger Appetit zu machen. Bis jetzt hab' ich mich ritterlich gehalten. Aber, Freund und Gönner, der Hunger tut weh. Sie sehen, wie die lustigste Haut im ganzen Stift zusammengeschrumpft ist; jawohl Haut! denn ich habe längst aufgehört, im Fleische zu wandeln. Wenn ich auf der Kanzel stehe und meinen wohlgefütterten Sündenschläfern von dem Wurme predige, der nicht stirbt, so schlage ich an den Magen statt ans Herz und denke oft darüber nach, ob's nicht gescheiter wäre, über den Rhein zu gehen und der Lilienfahne die Muskete nachzutragen. So, jetzt wissen Sie, warum ich so frei gewesen bin.«

»Da muß geholfen werden!« rief Heinrich. Er vertraute dem armen Dulder, wohin er zu gehen im Begriffe sei, erbot sich, ihn in sein Gastrecht einzuschließen, und schilderte ihm den wackeren Freund, mit dessen Beistand er diese ausgehungerte Festung zu entsetzen hoffte. »Der ist Manns genug, um es mit dem Teufel selbst, also auch mit einer alten Spezialissima desselben aufzunehmen,« sagte er. »Und bei seiner Frau bekommen Sie nicht bloß die Suppen, sondern sogar den Kaffee geschmälzt.«

Er vergaß seinen nur halb überwundenen Herzenskummer über der lustigen Erinnerung, die ihn lachen machte. Sein neuer Schützling lachte verwundert mit und wollte eben Näheres über diese ungewöhnliche Bereitungsart erfragen, als die Türe heftig aufgerissen wurde, so daß der arme Vikarius zusammenfuhr und verstummte. Ein großer Hund fuhr herein und hinter ihm ein Mann, dessen Kleidung mit seinem Gesicht in einem seltsamen Widerspruche stand; denn diesem nach war er ein echter und unleugbarer Zigeuner, trug aber Soldatenuniform, und zwar württembergische. Ihm folgte ein Weib mit einem Korbe voll Porzellan, das sie alsbald den Wirtsleuten anzubieten und anzupreisen begann; Gesicht und Aussprache bewiesen unverkennbar, daß sie derselben wandernden Nation angehörte, wie ihr Begleiter. Dieser forderte einen Schnaps, den er stehend mit einem Zuge trank; dann setzte er sich barsch zu den beiden anderen Gästen und stopfte sich eine Pfeife.

Heinrich konnte sich kaum enthalten, ihm bemerklich zu machen, daß noch etliche leere Tische in der Stube seien. Er begnügte sich jedoch mit einem unwilligen Blicke, den er ihm zuwarf, und setzte die abgebrochene Unterredung lateinisch fort. Dies schien den dritten Ankömmling tief zu beleidigen. Er hörte eine Weile sehr aufmerksam zu, dann schüttelte er den Kopf, sprang auf, ging klirrend im Zimmer auf und ab und brummte allerlei von Landstreichern und Gaunersprache. Die Wirtsleute stimmten ihm flüsternd bei, welche ebenfalls durch das Benehmen der beiden Fremden vor den Kopf gestoßen waren; denn in solchen Landherbergen ist es Sitte, daß die geheimsten Angelegenheiten der Familien und einzelnen, selbst Schuld- und Liebessachen nicht ausgenommen, von den Beteiligten öffentlich verhandelt werden, und so gehört es gewissermaßen zu den Regalien des Wirts, um die Geheimnisse seiner Gäste zu wissen. Nun waren diese beiden nicht miteinander gekommen und hatten auch anfangs fremd gegeneinander getan; auf einmal aber sah man sie vertraulich zusammen reden, und während die Wirtsleute an einem anderen Tische den Nachtimbiß einnahmen, hatten sie leise und immer leiser gesprochen und sich zuletzt gar einer unbekannten Sprache bedient. Grund genug zum Mißfallen und zu unangenehmen Vermutungen, umsomehr, als Gesicht und Kleidung des einen jammernswert aussahen, der andere aber außer seinem Rock, dessen Glanz im Regen verdorben war, auch nicht viel Imponierendes aufzuweisen hatte. Man nickte zusammen, bestätigte sich gegenseitig im Murren und Brummen, und scheele Blicke flogen nach den Fremdlingen hin.

Diese hatten inzwischen ahnungslos fortgesprochen, und der Vikarius war schon im Begriff, das Anerbieten seines Beschützers anzunehmen, der ihm eine bessere Behandlung oder eine andere Stelle zu verschaffen versprach, als Heinrich das braune Weib an seiner Seite bemerkte. Sie war unhörbar herbeigeschlichen und rückte ihm immer näher, die begehrlich funkelnden Augen bald auf ihn, bald auf das große Glas mit Heidelbeergeist gerichtet, das man ihm in Ermanglung des Weines hingestellt hatte. In ihren hübschen Zügen war etwas von Entbehrung zu lesen, und ohne sich zu besinnen, bot er ihr freundlich das volle Glas. Sie leerte es mit gierigen Zügen; ehe er's verhindern konnte, hatte sie sich seiner Hand bemächtigt und bedeckte sie nach der leidenschaftlichen Weise ihres Stammes mit heftigen Küssen. Da klatschte eine Ohrfeige, das Weib fuhr schreiend empor, und ihr rauher Begleiter stand vor ihnen. »Wart, ich will dir betteln! Ich will dir schmusen!« schrie er und erhob die schwere Hand von neuem. Heinrich wollte einspringen, aber er hielt ihn mit der Linken ab, mit der Rechten gab er dem Weib einen Schlag auf den Mund, daß das Blut danach floß, und schleuderte sie in eine Ecke.

»Und Er, sag' ich, was braucht Er da einen heimlichen Handel mit meinem Weib anzuspinnen?«

»Ich habe nichts angesponnen,« versetzte Heinrich, »ich hab' ihr aus meinem Glase zu trinken gegeben, weil ich's überflüssig hatte.«

»Ich kann die Meinigen selbst erhalten,« rief der andere, »ich bedarf keines hergelaufenen Vagabunden dazu.«

Nun schwoll unserem Freunde die Zornader; er warf einige heftige, stolze Worte hin, und der andere rief: »Wer ist denn Er, daß Er sich da mausig machen will?«

»Da hätt' ich zu fragen,« entgegnete Heinrich, »aber ich begehre Seine Bekanntschaft nicht zu machen.«

»O nach mir darf man fragen! Ich bin Grenadier à cheval bei Haus Württemberg. Aber wer ist Er?«

»Ich bin auch einigermaßen bei diesem Hause akkreditiert und möchte ihm nur wünschen, daß es anständigere Grenadiere hätte.«

»Und ich will wissen, wer Er ist! Ich bin auch noch Zollvisitator und Hatschier dazu und habe die Verpflichtung, Vaganten anzuhalten. Also weis' Er sich aus!«

Nun würde es eine gehörige Überraschung abgegeben haben, wenn der heimliche Gewaltbote des Herzogs seine Vollmacht herausgezogen und den fußgehenden Reiter damit aus dem stolzen Sattel gehoben hätte. Aber das Papier war ihm weder von dem Fräulein noch von Tony herausgegeben worden. Er begnügte sich daher, zu sagen, er glaube als Landesbürger sich innerhalb der Grenzen nicht anhalten lassen zu müssen; aber der erbitterte und übermütige Grenadier pochte auf seine Amtsbefugnis und wagte allerlei beleidigende Vermutungen hinzuzufügen.

»Nun gut!« rief Heinrich zuletzt, »dem Schulzen will ich Rede stehen, aber nicht Ihm.«

Der Grenadier wies hohnlächelnd auf den dicken Wirt, der sich eine Brille auf die Nase setzte und gravitätisch den Löffel wischte; »Da ist der Schultheiß,« sagte er.

Unserem Helden sank der Mut; doch gab er in der Kürze seine Personalien an und behauptete zur Verstärkung, er sei auf einer gelehrten Reise begriffen, um Gestein, Boden, Waldwuchs und dergleichen zu untersuchen.

Der Wirt schüttelte den Kopf, und der Grenadier meinte, das sei ein kurioser Reisender, der wohl eher selbst untersucht zu werden bedürfe.

Heinrich nahm einen letzten Anlauf und rief, er sei von seinem Tun und Lassen in hiesiger Gegend nur dem Herzog Rechenschaft schuldig, der ihm sein Vertrauen geschenkt habe, und wolle hiermit jedermann vor einem unbedachten Schritte gewarnt haben.

Der Name des Herzogs hatte eine sichtbare Wirkung auf den Grenadier. Der Wirt und Schultheiß aber zog sich, die Brille abnehmend, bedenklich zurück, und unser Freund hatte schon das Feld gewonnen, als ein Beispiel von Treulosigkeit sich ereignete, leider nicht ohne seinesgleichen in der Welt Geschichten, seit Eva aus dem Paradiese verbannt worden war. Das Weib, das bisher leise in der Ecke geschluchzt hatte, erhob sich auf einmal gegen ihren Wohltäter, sei es nun, daß sie in blinder Rachsucht ihn als die erste Ursache ihrer Mißhandlung ansah, sei es, daß sie die Gelegenheit benützen wollte, sich bei ihrem Manne wieder einzuschmeicheln. »O es ist alles erlogen!« rief sie lachend. »Ich hab' ihn erst noch vorgestern mit der alten Geißin herumziehen sehen.«

Heinrich erschrak bei diesen Worten. Es fiel ihm bei, daß er sich jüngst auf einem Gange durch den Wald, um die besuchteren Stellen desselben zu vermeiden, von der alten Zigeunerin hatte begleiten lassen.

»Was du sagst, Mantua!« rief der Grenadier. »So, so? Er hält's also mit den Hanniklischen? Ein sauberer Vogel, der sich auf den Herzog beruft! Es wird dem Herzog eine große Ehre sein. Nun, was braucht's da noch Umstände zu machen? Er ist mein Arrestant und kommt mit mir.«

Heinrich wandte sich noch einmal an den Schulzen. Dieser aber erklärte, er wolle nichts von der Sache hören, der Mann werde ja wohl wissen, was er zu tun habe.

Einen Blick der Verachtung warf er auf die Elende, die, neugierig wie es enden werde, vor ihm stand; dann musterte er den Grenadier, und wilde Gedanken stiegen in seinem Herzen auf. Aber der Widersacher war eine Gestalt, die von Kraft und blühender Gesundheit strotzte, und in seinen gelben Reithosen dehnten sich mächtige Schenkel; auch hatte unser armer Freund im glücklichsten Falle noch den Hund, den Wirt und die Seinigen zu fürchten, so daß er den Vorsatz, Gewalt zu brauchen, bald wieder fahren ließ.

»Marsch!« rief der Grenadier und nahm sein Gewehr.

»Wohin?« rief Heinrich mit kochendem Herzen.

»Nach Sulz zum Oberamt!«

»Gut! Da werd' ich Gerechtigkeit finden.«

»Wollen sehen!« sagte der andere trocken und schickte sich zum Aufbruch an. Er zog ein Papier hervor und wies es dem Schulzen, der ihm alsbald einen Zwanziger einhändigte.

»Ein Glas Schnaps abgezogen!« sagte der Grenadier.

»Ich hab' ihn selber umsonst,« versetzte der Wirt abwehrend.

»Dann schmeckt's nach mehr!« rief der Grenadier lachend.

Der Wirt schenkte noch ein Gläschen voll. »Auf gute Verrichtung!« rief er, »aber nicht wahr, Herr Hatschierer? Jetzt ist doch bessere Zeit, wenn man bei jedem Schulzen nur das Papier mit dem Karl Herzog vorzeigen und seinen Sechsbätzner einstreichen darf, als vorher in Gesellschaft von Nachtvögeln.«

»Hol' mich Gott!« rief der Grenadier, »es ist ein lustiges Leben! Zwar der Neid frißt sie, und sie sind mir immer auf den Fersen, aber die kriegen mich nicht. Wo diese Schlucker einen Schoppen trinken, da kann ich immer zehne haben. – Marsch!« wiederholte er gegen seinen Gefangenen.

Dieser sah sich nach dem jungen Geistlichen um, den er während des unvermuteten Auftritts ganz vergessen hatte. Er war verschwunden. Heinrich dachte an den alten lateinischen Vers von den Freunden, die mit dem Glücke schmausen und dem Unglück den Rücken kehren, und mit bitteren Empfindungen machte er sich auf den Weg.

Als sie vor dem Orte waren, gab der Grenadier seinem Weibe das schwere Gewehr zu tragen; er selbst war noch immer hinlänglich mit Degen und Pistolen bewaffnet. Das neue Kleeblatt setzte eine Zeitlang schweigend seinen Weg fort, bis endlich das Weib schmeichelnd um ihren Gebieter herumstrich, dessen Augen unter gerunzelter Stirne von Zeit zu Zeit einen Blick auf sie warfen. »Noch immer bös?« sagte sie, »mußt nicht bös sein! Will dir alles zulieb tun, was du haben willst.«

»Da küß mir die Hand!« sagte er.

Sie faßte seine Hand und küßte sie mehrmals, gurrend wie eine Taube. Als sie ihm auch das Gesicht streicheln wollte, schleuderte er sie weg und sagte: »Genug! Ich bin schon zufrieden.«

»So muß man diese Kreaturen behandeln!« wandte er sich nach einer Weile zu seinem Gefangenen. »Nur immer recht kurz halten! Und von Zeit zu Zeit einen Puff, wenn sie einen Kuß erwarten! Dann fressen sie einen vor Liebe. Diese da hab' ich dem Bruder des Hannikel abgeführt; sie war so vernarrt in mich, daß sie ihren Zuhälter samt drei Kindern im Stich gelassen hat, und wenn sie auch nicht förmlich mein Weib geworden wäre, sie könnte doch nimmer von mir lassen. Ja, man muß das Ding nur verstehen! Es ist eine wie die andere. Die Tochter meines Erzfeindes läuft sich gegenwärtig die Beine ab nach mir; das wird noch einen Hauptspaß absetzen. O sie sind alle wie Motten, die sich am Licht verbrennen. Gelt, Mantua? Da, küß mir die Hand noch einmal«

»Tu, was du willst, du magst mich doch!« rief sie und umschlang ihn. »Aber nimm dich in acht mit der Ursul, sie meines nicht ehrlich.«

»Halt's Maul oder du kriegst wieder eins!« sagte er, sie abschüttelnd, und fuhr in seinen Prahlereien fort. Er wurde so gut gelaunt, daß Heinrich, obgleich von seiner Vertraulichkeit nicht eben sehr erbaut, sich fragte, ob es nicht am klügsten wäre, mit etwas Klingendem herauszurücken und so allen weiteren Unannehmlichkeiten zu entgehen. Während er dies erwog, begann der Grenadier: »So? Der Herr ist also mit der alten Geißin bekannt? Ich kenne sie auch, und das recht gut.«

»Hol' mich Gott!« rief der Grenadier, »es ist ein lustiges Leben!«

Heinrich versetzte, wenn man sich von einem alten Weibe den Weg durch den Wald zeigen lasse, so könne das noch keine nähere Bekanntschaft genannt werden.

»Nun gut, ich habe das nicht zu untersuchen,« sagte der Grenadier. »Übrigens, wie dem sein möge, ich will diese Leute nicht gerade geflissentlich gegen mich aufbringen; sie sind mir schon gram genug. Es war mir eigentlich mehr um den Schulzen zu tun, daß er mir keine Nachlässigkeit vorwerfen kann. Also, wenn der Herr eine kleine Erkenntlichkeit für meine Mühe nicht anschlägt, so mag meinethalben der Spaß jetzt ein Ende haben.«

Wie oft geschieht es, daß die unerwartete Erfüllung eines soeben gehegten Wunsches eine ganz entgegengesetzte Wirkung auf den Menschen hat. Heinrich, dessen Gemüt voll feindseliger Bitterkeit war, glaubte sich durch diesen Antrag, den er vor wenigen Sekunden beinahe selbst getan hätte, jetzt erniedrigt zu fühlen und sagte: »Ich habe ein gutes Gewissen und brauche mich nicht durch Bestechung loszukaufen.«

»Und ich hab' nichts gesagt,« versetzte der Grenadier trotzig.

»Es ist alles erlogen!« rief das Weib. »Ich will's bezeugen.«

Der Rest des Weges wurde stillschweigend zurückgelegt. Es war schon dunkle Nacht, als sie, einen Berg herabsteigend, das Städtchen erreichten, welches heute das unfreiwillige Ziel unseres Abenteurers sein sollte. Eine Brücke führte hinein, unter welcher ein schmales Flüßchen mit bescheidenem Rauschen hinzog. Es war der Neckar. Der Grenadier klopfte an das geschlossene Tor, das sich nach einer Weile knarrend öffnete.

»Da hab' ich Euch einen Gefangenen, den Ihr gleich unterbringen könnt,« sagte der Grenadier zum Wärtel, »denn in der Oberamtei wird man doch nicht mehr ankommen.«

»Ei doch!« rief der Nachtwächter, der sich im Torstübchen gütlich tat, zum Fenster heraus. »Ich hab' eben noch Licht in der Amtsstube gesehen.«

»Vorwärts!« sagte der Grenadier, und sie gingen eine dunkle Straße entlang, während der Nachtwächter die Stunde hinter ihnen her tutete.

In einem Winkel des Marktplatzes trafen sie das Oberamtsgebäude und traten ein. »Hier im Gange bleibst du stehen und rührst dich nicht!« sagte der Grenadier zu seinem Weibe; dann klopfte er zweimal an eine Türe, und als er keine Antwort erhielt, öffnete er barsch.

An einem langen Tische saßen zwei Männer, in vertraulicher Unterhaltung begriffen; eine Flasche Weins stand zwischen ihnen, und das Zimmer duftete pestartig nach schlechtem Käse. Der eine war bäurisch gekleidet; der andere trug einen grauen Rock und hatte den Kopf behaglich auf den linken Arm gestützt; der rechte lag in seiner ganzen Länge auf dem Tische; an jedem Ellbogen trug er einen herzförmigen Besatz von Leder, um den Ärmel zu schonen, und eine Feder hinter dem Ohr verkündigte seinen Beruf. Er wandte den Kopf ein wenig bei dem Geräusch, das die Eintretenden machten; dann hörte er ruhig wieder dem anderen zu, ohne sich weiter um sie zu bekümmern.

»Ja, wie ich Ihnen sag', Herr Sub'stut,« fuhr der Bauer fort, »es sind herbe Zeiten, schlechte Zeiten sind's; ein ehrlicher Mann kann fast nicht mehr durchkommen. Ich möchte nur auch wissen, warum man unsereinen so drücken muß. Was, Herr Gott, wenn ich dran denk' –«

Bis hierher hatte Heinrich ihn reden lassen; als er aber sah, daß er nicht beachtet wurde, trat er, etwas fester als gewöhnlich, einige Schritte gegen die Tafel vor, worauf, wie er nun sehen konnte, neben der Weinflasche noch ein Kartenspiel, umgeben von Käserinden, lag, und sagte mit lauter Stimme: »Wollen Sie die Gefälligkeit haben?«

Der Schreiber sah sich um und öffnete einen Mund, der sich von einem Ohr zum anderen zog; aber das Erstaunen über diese vorgreifende Kühnheit hatte ihn der Sprache beraubt. Nun erblickte er den Grenadier, der seinem Arrestanten pflichtschuldigst gefolgt war, und mit einem halb mürrischen, halb freundlichen Grinsen sagte er: »Da ist ja unser Zigeuner! Wie steht's, wie steht's? Auf Urlaub?«

»Ja, Herr, hab' wieder ein wenig Urlaub erhalten,« war die Antwort.

Heinrich hatte sich auf eine zermalmende Rede vorbereitet. »Mit gerechter Entrüstung,« begann er, »komme ich –«

Der Substitut, ohne ihm einen Blick zu schenken, wandte sich an den Soldaten: »Was will dann der da? Wen bringt Ihr mir dann?«

»Einen Vagabunden, Herr.«

»Was, Ihr wollt schon gehen, Schultheiß?« rief der Schreiber und drehte sich gegen den Bauer herum, der seine Schmerkappe ergriffen hatte.

»Ja, Herr Sub'stut,« sagte dieser, »es ist schon spät, und meinen Weg hat der Fuchs gemessen. Meine Käther wird mich ausschelten, daß ich so lang auf mich warten lasse. Einen schönen Gruß soll ich von ihr ausrichten, und Sie sollen übermorgen auch ein wenig so frei sein zur Metzelsupp!«

»Werde nicht fehlen,« erwiderte der Schreiber schmunzelnd. »Ja, und mit dem übrigen, Schultheiß, verlaßt Euch darauf, daß ich's schon in Ordnung bringen werde.«

»Hab' keine Forcht nicht,« sagte der Bauer und räusperte sich. »Wenn man so einen Herrn zum Freund hat – Aber daß ich's nicht vergesse, was ich da verspielt hab' in der Karte!«

»Das hat keine Eile,« rief der Substitut und streckte die Hand hin, in welche der Bauer ein paar Taler gleiten ließ.

Heinrich stampfte vor Ungeduld auf den Boden. Der Schreiber kehrte sich mit ein paar großen Augen um und warf ihm einen Blick zu, in welchem ein Todesurteil geschrieben stand. Der Schultheiß verabschiedete sich, und der Schreiber sagte: »Jetzt, Herr Generalfeldmarschall! Was habt Ihr mir da für einen Patron mitgebracht?«


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