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»Es muß tief in der Nacht sein,« erwiderte Heinrich, »ich wundere mich, daß Sie noch auf sind.«

»Das glaube ich,« versetzte der Kastellan, »aber ich bin vielmehr wieder auf, bei mir hat der Tag schon angefangen. Sehen Sie, ich bin ein alter Mann und lebe sehr still und einförmig; ich gehe früh zu Bett und kann nicht lang schlafen; bald nach Mitternacht treibt's mich wieder aus den Federn, und da les' ich in meiner alten Chronik, um die Zeit hinzubringen. – Aber was machen wir nun?« fuhr er fort. »Hier im alten Schloß ist nirgends ein Zimmer, das für Sie passend wäre; im neuen drüben könnten Sie freilich unterkommen.«

»Nehmen Sie keinen Anstand,« sagte Heinrich, »ich will's beim Herrn verantworten.«

»Es ist mir nicht um das zu tun,« erwiderte der Alte und sah ihn bedenklich an, »ich meine nur, weil Sie drüben so allein und abgeschieden von jeder sterblichen Seele sind.«

»Auch darüber brauchen Sie sich nicht zu ängstigen,« entgegnete Heinrich, »ich werde dann nur umso ruhiger schlafen.«

Der Alte bedachte sich noch einen Augenblick. »Nun so kommen Sie,« sagte er endlich, »und die Engel Gottes mögen über Ihnen wachen.«

Er zündete die Laterne an und hieß den Jüngling folgen. Ihr Weg ging durch den Schloßhof in ein anderes Gebäude, niedriger, aber freundlich von Holz aufgeführt, und der Kastellan brachte unseren Helden über einen langen Korridor in ein prächtiges Schlafgemach, wo ein großes blauseidenes Bett aufgeschlagen war.

Heinrich wagte nicht zu fragen, ob dies nicht des Herzogs eigenes Zimmer sei, und der Kastellan entfernte sich, nachdem er eine Kerze auf einem hohen Kandelaber angezündet und den Jüngling gebeten hatte, sie, da er neu und unbekannt hier sei, den Rest der Nacht brennen zu lassen.

Ein dumpfer Modergeruch herrschte in dem Zimmer, und Heinrich wollte, als er allein war, ein Fenster öffnen, aber der Wind drang so stürmisch herein, daß er den Versuch aufgab und sich, nur halb entkleidet, in die weichen Wellen des Lagers stürzte.

Der Überreiz der Ermattung und die versperrte Luft versetzten ihn in einen Zustand, der mehr der Betäubung als dem Schlummer glich. Er hatte nicht lang so gelegen, als er ein Geräusch zu hören meinte; mit halben Sinnen lauschte er nach jener Seite hin, da öffnete sich eine Türe in der Wand, und herein trat eine weibliche Gestalt, die sich ihm bis auf wenige Schritte näherte. Unfähig, ein Glied zu rühren, starrte er sie an; das Licht brannte trüb und bläulich, so daß die Erscheinung zuerst, wie von einem dichten Nebel umflossen, undeutlich vor ihm stand. Aber nach und nach traten ihre Umrisse schärfer hervor. es war ein schlankes Mädchen im ländlich weißen Kleide, sie trug eine Lilie in der einen Hand, mit der sie dem Jüngling ängstlich winkte, als wollte sie ihn zur Flucht aus dem Schlosse, ja zur Rückkehr von dieser Reise ermahnend die andere hielt sie auf die Brust gepreßt; ein tiefer Kummer lag in ihren Mienen, die in diesem Augenblicke eine wunderbare Ähnlichkeit mit Lottchen ausdrückten.

Da öffnete sich eine Türe in der Wand, und herein trat eine weibliche Gestalt.

Heinrich suchte sich aufzurichten, aber das Grauen übermannte ihn, er sank auf das Lager zurück und glaubte zu sehen, wie die Gestalt sich umkehrte und langsam auf die Wand zuging; hier blieb sie stehen, sah sich noch einmal um und wiederholte jene geheimnisvolle Gebärde; dann verschwand sie durch die geöffnete Tapetentür.

In diesem Augenblick empfand Heinrich eine kalte Zugluft, die ihn bis ins Herz durchfröstelte und zur hellen Besinnung brachte. »Lottchen!« rief er emporspringend, und sein Ruf hallte schauerlich von den einsamen Wänden wider. Mit einem Sprunge stand er im Zimmer und sah sich nach allen Seiten um; nichts war zu sehen, noch zu hören. »Hab' ich gewacht oder geträumt?« sagte er, nahm die Kerze und untersuchte die Wand, in der er keine Spur von einer Tür entdecken konnte. Er fühlte Schwindel und heftiges Kopfweh und vermochte vor Bangigkeit kaum zu atmen; auch wurde es ihm noch unheimlicher in der Einsamkeit, als wenn ihm die Erscheinung gegenüber gestanden wäre. Er warf sich in die Kleider, um ins alte Schloß zurückzukehren, und kaum hatte er die Türe hinter sich zugemacht, so fühlte er sich leichter und besser. Sorgfältig verwahrte er das Licht, als er aber den Hof erreicht hatte, erlosch es im Sturm, der heulend zwischen den Gebäuden durchstrich und ihm kalte Schneeflocken an die Wangen trieb. Er tappte vorwärts, fand eine Türe, klopfte und rief, und der gute alte Kastellan war bald bei der Hand.

»Ich kann in der dumpfen Luft drüben nicht schlafen, und obendrein ist mir etwas Seltsames begegnet,« sagte Heinrich und erzählte ihm sein Abenteuer.

»Mein Gott!« rief der Alte, »so ist sie immer noch nicht zur Ruhe! Verzeihen Sie mir, es ist schon so lang nichts mehr vorgefallen, daß ich's mit Ihnen wagen zu dürfen glaubte.«

Heinrich hörte diese Worte mit Verwunderung und begann lebhaft zu fragen, der Alte aber, den sie wieder zu gereuen schienen, wich ihm aus und sagte, es seien früher manchmal Leute drüben im Schlaf beunruhigt worden, er wisse aber nichts Näheres davon; den heutigen Vorfall schob er auf die verschlossene Luft, die schwere Träume zu erzeugen pflege, und ließ sich's angelegen sein, ein anderes Gespräch dazwischen zu schieben.

Er hatte unseren Freund indessen auf sein Zimmer geführt und wollte ihm sein Bett zurichten, aber Heinrich gab es nicht zu. »Die paar Stunden bis Tagesanbruch,« sagte er, »kann ich wohl auf einem Stuhl zubringen,« und rückte sich einen an den Tisch, während er den Kastellan wieder in seinem Lehnstuhl gegenüber Platz zu nehmen nötigte.

Der Greis, um ihn von dem vorigen Gegenstande abzubringen, erzählte ihm die Geschichte des Schlößchens. »Der alte, höhere Bau hier,« sagte er, »in dem wir sitzen, wurde von Herzog Christoph auf den Trümmern eines noch älteren Schlosses aufgeführt; das neue drüben hat der jetzt regierende Herr gebaut. Ach, es ist noch nicht zwanzig Jahre alt und doch schon wieder im Verfall. Ja, damals hätten Sie bei uns sein sollen! Das war ein Leben! Damals war der Herr General von Wimpfen oft hier, dem Sie so ähnlich sehen, daß ich ganz vergaß, um wie viel älter er jetzt aussehen müßte; er stand damals just in Ihrem Alter. Es war eine außerordentliche Gunst, wenn man vom Herzog mit nach Grafeneck genommen wurde; auch lebte man hier ohne alle Etikette, in der besten Vertraulichkeit. Ein Tag war schön wie der andere, und doch nicht einförmig; Musik erweckte die Schläfer, dann frühstückten sie im Freien, im Walde; nun wechselten ländliche Tänze mit Spiel, Tafel, Jagd und Fischerpartien ab, und Abends war Ball oder italienische Oper oder französische Komödie. Lieber Herr, so fein versteht kein Mensch das Leben zu genießen wie unser durchlauchtigster Herzog. Ich sage Ihnen, es war oft nur eine saure Milch, und doch, wer sie mitessen durfte, der hätte sie mit keinem Leckerbissen der Welt vertauscht, so heiter, ungezwungen und liebenswürdig war die Unterhaltung. Freilich, die jungen Mädchen von der Oper und aus der Umgegend – junges Blut hat Übermut! Und je schöner etwas ist, desto schneller geht's zu Ende. Ich will den Tag nicht vergessen, ist mir's doch, als wär's erst gestern gewesen: wir waren auf dem Hirschplan, und der Herzog hatte mit der Zeit neunundneunzig Hirsche geschossen, die ich ihm nachzählte, denn er ist der beste Schütz im Lande.«

»Ja,« sagte Heinrich, »ich hab's erfahren.«

»Nun seh' ich mich um,« fuhr der Alte fort. »›Durchlaucht,‹ ruf' ich, »›dort steht noch einer.‹

›Nein,‹ sagt der Herr, ›ich schieß' ihn nicht: neunundneunzig ist eine größere Zahl als hundert.‹ – Und dabei macht er ein Paar Augen an mich hin, wie nur er es kann. Das war der letzte Tag. Mitten in der Nacht werd' ich geweckt und zum Herzog gerufen; er sah sehr finster aus und befahl mir, Anstalten zu seiner Abreise zu treffen; dann reichte er mir die Hand, hieß mich gute Aufsicht führen, und – fort war er mit seinem ganzen Gefolge und ist seitdem nicht wieder nach Grafeneck gekommen. Auf einer Jagd bei Urach – das hat mir der Förster von Eglingen erzählt – lenkte einmal sein Kutscher, den der Fürwitz stach, auf die wohlbekannte Straße nach Grafeneck ein; der Herzog, im lebhaften Gespräch, bemerkte es nicht gleich; auf einmal aber läßt er halten, umkehren und jagt wie im Sturm davon; er soll ganz außer sich gewesen sein.«

»Seltsam!« rief Heinrich. »Was war denn die Ursache?«

Der Alte schwieg lange. »Ich weiß es nicht,« sprach er endlich, »aber – im Herbst, wenn auf einem solchen verlassenen Freudenplatze das Laub von den Bäumen fällt, da ist's am ehesten Zeit, nach solchen Dingen zu fragen.«

Er nahm das Käppchen ab und hielt es zwischen den gefalteten Händen; nicht lang, so ließ er das Haupt auf die Brust sinken und lag im Lehnstuhl, vom Gebet in den Schlummer des Gerechten hinübergeführt. Heinrich bemächtigte sich des Buchs; es war Gottfrieds historische Chronik. Er blätterte eine Weile darin, bald aber ließ auch er, von der lieblichen Wärme befangen, das Haupt tiefer und tiefer sinken und lag zuletzt, ein umgekehrter Atlas, mit geschlossenen Augen über den Folioblättern der Weltgeschichte.

War das die Meinung, Buttler, als wir schieden?
Gott der Gerechtigkeit, ich hebe meine Hand auf!
Ich bin an dieser Tat nicht schuldig!

Schiller, Wallenstein.

Die harte Lage auf Gottfrieds Chronik ließ unseren Freund nicht lang schlafen; er richtete sich verstört in die Höhe, blickte nach dem Kastellan, der noch fest schlummernd in seinem Lehnstuhle saß, dann erhob er sich und öffnete ein Fenster, um sich die brennenden Schläfen zu kühlen. Vor dem Fenster lag dichter Schnee, ein trauriger, weißgrauer Nebel, in dem sich die Grundmauern des Schlosses verloren, umhüllte die Gegend. Heinrich hielt es nicht lang aus; sowie der Alte, der ihn beim Erwachen wieder als General begrüßte, sich ermuntert hatte, brach er auf und hieß sein Pferd satteln; der Kastellan nahm sein schwarzes Käppchen ab und sagte wehmütig: »Gott schenke Ihnen eine glückliche Reise bei diesem üblen Wetter! Ich wollte, Sie wären länger geblieben, es tat mir so wohl, wieder einen Menschen zu sehen. Wenn Sie zum Herrn zurückkommen, so sagen Sie ihm lieber nichts davon, daß Sie in Grafeneck waren, er hört es vielleicht nicht gerne.«

Heinrich ritt in sonderbaren Gedanken die Anhöhe hinab; war es Wirklichkeit oder Phantasie, was er in der vergangenen Nacht geschaut hatte? Was sollte ihm diese Erscheinung bedeuten? Wollte sie ihm wohl oder übel? Sie hatte ihn zurückgewinkt: wollte sie ihn vor diesem Wege warnen? – Eine Bangigkeit lag auf seiner Seele, schwer wie die Wolken, die über der Erde hingen; sein Roß arbeitete sich mühsam durch die tief beschneite Ebene; alte Tannen standen traurig am Weg.

Die Straße führte ihn durch rauhe, öde Gegenden, die der Schnee noch einförmiger machte. Die jugendlich frische Stimmung, worin er Stuttgart verließ, in der er noch von Reutlingen ausgeritten war, hatte gewaltig abgenommen; war es das Abenteuer dieser Nacht, war es die Rückkehr des Winters, der so plötzlich alle Frühlingskeime zu ersticken drohte und diesen Teil des Gebirges so unwirtbar machte, oder war es eine Ahnung? Genug, er fühlte sich mißmutig, zerstreut und bemühte sich vergebens, seine Gedanken auf den Zweck seiner Reise, auf die Art, wie er dem Verfasser der deutschen Chronik entgegentreten wollte, zu richten. Endlich senkte sich die Hochebene, und er gelangte in das enge, tiefe Tal von Blaubeuren. Zwei alte Burgtrümmer, Rugg und das Rusenschloß, sahen ruhig von ihren ungleichen Höhen auf das wunderliche Menschenkind herab, das so hastig und verstört unter ihnen dahineilte. Der Weg führte zwischen hohen Waldbergen hin, aus welchen Klippen und Schloßruinen hervorblickten; die Blau rollte durch schneebedeckte Wiesen zur Seite. Nach einigen Stunden erblickte er einen aus weiter Fläche mächtig aufragenden Dom, er erkannte die riesige Gestalt, die ihm aus Abbildungen tief eingeprägt war, und wußte, daß er sich nun wieder auf reichsstädtischem Gebiet befinde; es war das Münster von Ulm.

Bei vorgerückter Tageszeit ritt er durch das Tor der Stadt, die sich feierlich vor ihm auftat. Die vielen steinernen Häuser, die mittelalterliche Bauart mit den Erkern und runden Fensterscheiben, die gotischen Brunnen, alles das gab ihr ein Aussehen, bei welchem man freilich nicht an das verunstaltete Reutlingen denken durfte. Er fragte nach einem guten Wirtshaus und wurde in den Baumstark, eine vielbesuchte Herberge, gewiesen. Seine erste Sorge war, den müden Mustapha unterzubringen, und sobald er sich selbst etwas erholt hatte, ließ er sich sogleich zu Schubarts Wohnung führen. Dort kam ihm eine Frau entgegen, deren angenehmes Gesicht die Spuren tiefer Leiden trug, und erwiderte auf sein Befragen. »Mein Mann ist nicht zu Hause, er hat einen kleinen Ausflug gemacht; ich erwarte ihn aber diesen Abend zurück, denn er will morgen ein Konzert geben. Ach, es ist mir immer bang, wenn er sich aus den Mauern wagt,« setzte sie niedergeschlagen hinzu, »er hat so viele Feinde, und überall wird ihm aufgelauert.« – Sie sah ihn bei diesen Worten forschend an, und Heinrich entfernte sich mit dem Versprechen, seinen Besuch morgen zu wiederholen.

Er ging verdrießlich in den Baumstark zurück und blieb den ganzen Abend in dem großen Wirtszimmer sitzen, ohne an der lebhaften Unterhaltung, die um ihn her geführt wurde, Anteil zu nehmen. Wenn er einmal mit halbem Ohre hinhorchte, so traf er auf die alte unerquickliche Wahrheit, daß die Menschen nirgends zufrieden sind. Es wurde lebhaft über einen Prozeß gesprochen, der eben damals zwischen dem Magistrat und der Bürgerschaft sich entsponnen hatte, da die Souveränität des ersteren, in welcher sogar die unumschränkte Verwaltung der Justiz begriffen war, nicht ohne Druck für die Stadt sein konnte. Aus den Reden, die bei dieser Gelegenheit fielen, konnte er sich entnehmen, daß der Unterschied zwischen den Patriziern und Bürgern schneidend gehandhabt werde.

Er suchte frühzeitig sein Lager und holte die verlorene Nacht herein. Als ihn am anderen Tag ein Kellner weckte, schien die Sonne hell durch die Fenster, die Glocken läuteten aus der Kirche, und er erfuhr, daß es beinahe Mittag sei. »Sie brauchen sich nicht zu bemühen,« sagte der Kellner, »Herr Schubart wird heute bei uns speisen; der Herr Klosteramtmann von Blaubeuren ist am frühen Morgen angekommen und hat ihn eingeladen.« – Auf diese erwünschte Nachricht kleidete er sich schleunig an. Nun hatte er noch Zeit, ein Viertelstündchen am Fenster zu verweilen und dem hellen Wintertag in die frischen Augen zu sehen. Heute erquickte ihn der Schnee, der ihm gestern so verhaßt erschienen war: so veränderlich sind die Stimmungen des Menschen, und so aufschließend wirkt ein Sonnenstrahl auf sein Gemüt!

Die Mittagstunde kam heran, und unser Freund begab sich in das Speisezimmer, aus welchem ihm schon von ferne der Ton eines Klaviers entgegenschallte. Er trat ein und wurde von einem rauschenden Allegro empfangen. An dem Flügel zwischen zwei Säulen saß ein Mann, der ihm beim ersten Anblick stark in die Augen fiel; er stellte sich ans Fenster, so daß er ihm gerade ins Gesicht sehen konnte, und beobachtete ihn, während er einen hellen Blick um den anderen von ihm empfing, ohne daß jedoch der Spieler sich hierdurch irgend hätte unterbrechen lassen. Es war ein breitgebauter Mann mit hoher Stirne, in seinen Augen lag eine ernste Glut, doch der unmäßig große Kopf ließ auf ein Mißverhältnis schließen, und das aufgestülpte Gesicht, in welchem das Kinn einen trotzigen, aber sinnlichen Mund zu verdecken und sich den Augenbrauen zu nähern suchte, stimmte nicht recht zu dem ausdrucksvollen Oberkopf. Heinrich hatte seinen guten Grund, ihn so aufmerksam zu betrachten; an dem gewandten, seelenvollen Spiel, in welchem feurige und schmelzende Akkorde abwechselten, erkannte er seinen Mann; die weitverbreiteten Beschreibungen von Schubart und der Art, wie er das Klavier zu behandeln pflegte, ließen ihn keinen Augenblick im Zweifel, daß er den merkwürdigen Dichter in Person vor sich habe. Indessen kamen noch andere Gäste, und das Essen wurde aufgetragen. Schubart mußte mehrmals gerufen werden, bis er sich entschließen konnte, vom Flügel aufzustehen. Er setzte sich neben einen Mann in einem sauberen geschonten braunen Rock, der, wie Heinrich bereits vom Kellner erfahren, der Klosteramtmann von Blaubeuren war; er hatte ein blasses Gesicht und sah wie ein gewöhnlicher Geschäftsmann aus. Ihnen gegenüber saß der Publizist Afsprung, der es wegen seiner dem Rate mißfälligen Schriften in seiner Vaterstadt nicht weiter als bis zum Kanzlisten gebracht hatte, ein stiller Mann, der nur hie und da auf eine Frage antwortete, ohne sich sonst ins Gespräch zu mischen. Heinrich konnte ein freundschaftliches Verhältnis zwischen zwei Menschen, wie Schubart und dem Amtmann, nicht begreifen; er sollte aber bald darüber ins klare kommen. Der Amtmann begann dem Dichter starke Schmeicheleien in der Manier eines mit den Musen mehr aus der Ferne bekannten Mannes zu sagen, welche Huldigung sehr bereitwillig entgegengenommen wurde und eine Szene abgab, die auf den jungen Mann nicht den angenehmsten Eindruck machte.

»Sie sind aber doch ein Tausendsasa, Herr Schubart!« fuhr der Amtmann fort; »hab' gestern wieder in der Chronik gelesen – Teufel, was kommen da für Sachen drin! Unsereins könnte sich ein ganzes Jahr lang vergebens auf so einen gescheiten Einfall besinnen, und Sie haben in einer Minute ein halbes Dutzend. Sie schütteln's aus dem Ärmel, wahrhaftig!«

An dem Flügel zwischen zwei Säulen saß ein Mann, der Heinrich beim ersten Anblick stark in die Augen fiel.

Schubart, der das letztere Lob in der Tat verdiente und dafür bekannt war, daß er jeden Augenblick über ganze Armeen witziger Einfälle zu gebieten hatte, auch keine Gelegenheit vorüber ließ, sie zu entwickeln, erwiderte auf der Stelle: »Soll ich Ihnen sagen, wie es kommt, daß ich so aus dem Ärmel schütteln kann? Ihr anderen habt zu viel Futter im Ärmel, und davor kann kein Witz aufkommen; bei mir aber ist Platz genug, deswegen kann ich auch immer ein paar Schnurren herausschütteln.«

Dieser Witz wurde umso lebhafter belacht, als der Amtmann eben ein tüchtiges Stück Ochsenfleisch in den Mund geschoben hatte und nun als Titelkupfer dasaß. Schubart jedoch verhielt sich im Essen mäßig und war, wiewohl breit und untersetzt, dennoch sehr mager. Er lachte gutmütig mit, wobei ihm eine tiefe Falte zwischen den Augenbrauen ein eigentümliches Aussehen gab, und klopfte dem Amtmann etwas derb auf die Schulter.

»Ja, ja!« fuhr dieser fort, als er das Fleisch und vielleicht auch einigen Verdruß damit geschluckt hatte, »manchmal stecken aber auch verteufelte Schnurren drin. Nehmen Sie sich in acht! Zwar – so ein gescheiter Kopf ist nicht leicht zu fangen, und die Nürnberger henken keinen – Sie wissen schon! Doch dürfen Sie sich vorsehen, und ich rate Ihnen, behutsam zu sein, wenn Sie zum Beispiel irgend eine Reise über das Ulmer Gebiet hinaus machen; sei es wohin es wolle, folgen Sie keiner Lockung, und vertrauen Sie sich nur ganz bewährten Freunden!«

»Das tu' ich ja,« sagte Schubart mit einer verbindlichen Handbewegung gegen ihn. »Hier in Ulm sitz' ich sicher,« fuhr er fort, »hier kann mir kein Teufel ein Haar krümmen. Meine preußischen Werber würden eher die ganze Stadt demolieren, als mir etwas geschehen lassen. Ich kann es laut sagen; meine Feinde und Verfolger machen mir nur Spaß! Wenn so eine ganze Meute Hunde hinter einem einzigen Wild her ist, so beweist das, daß es ein tüchtiges Stück sein muß, denn wegen eines Hasen würden sie sich nicht so bemühen, und das macht mich stolz.«

»Doch heißt es im Sprichwort; viel Hunde sind des Hasen Tod!« sagte Afsprung und erhob lächelnd den Finger.

»Des Hasen, ja, aber nicht des Ebers!« rief Schubart prahlerisch, indem er auf die Tafel schlug; »der zerschlitzt einen nach dem anderen. So hab' ich wieder meinen dicken Jesuiten ein wenig am Wanst gekitzelt, daß er sein ganzes Fett verschwitzen soll! Exempli gratia!« – Er zog ein Blatt heraus und las einen Ausfall auf den Pater Merz in Augsburg, seinen erbittertsten Gegner, vor, worin solche Bomben von Witz geschleudert wurden, daß die Gesellschaft Essen und Trinken vergaß und unaufhörlich lachte.

»Mit der halben Welt sich herumbalgen!« rief der kecke Schriftsteller, der jetzt recht im Feuer war, »das ist ein Fressen für einen Mann! Das ist mein Element! Die Zeit ist so lumpig geworden, die altdeutsche Kraft ist so geschwunden, kein Haudegen darf mehr dreinschlagen im ehrlichen Kampfe, drum muß man sich durch solche Explosionen Luft zu verschaffen suchen. Ich glaube, der Schlag würde mich treffen, wenn ich ein halb Jahr lang Frieden hätte.«

»Das wäre!« sagte der Amtmann und beugte sich über seinen Teller.

»Freilich, die guten Weiber,« fuhr Schubart fort, »können so etwas nicht begreifen. Meine Helene gibt mich jeden Tag verloren und weint und betet; ich glaub', es wär' ihr am liebsten, wenn sie einen ganzen Ofenhocker aus mir machen könnte. Gestern abend, als ich nach Hause kam, lief sie mir zitternd entgegen und stotterte, es sei ein Herr da gewesen, der nach mir gefragt habe. »Was braucht's denn da zu jammern?« rief ich, »hab' ich doch ein gutes Gewissen! Und was wird's weiter sein? Er wird mich kennen lernen wollen, wie schon Tausende vor ihm.«

»Diesmal haben Sie ganz richtig vermutet, Herr Schubart,« sagte Roller, indem er sich gegen ihn verneigte, »ich war der Fremde und habe so wenig bösliche Absichten gegen Sie, daß ich vielmehr gekommen bin, Ihnen etwas Angenehmes zu sagen. Würden Sie die Güte haben, mir eine Stunde zu bestimmen, wo ich Sie ungestört sprechen kann?«

Schubart, der den jungen Mann schon mehrmals und namentlich, wenn er die Wirkung eines Bonmots oder eines markierten Wortes beobachten wollte, ins Auge gefaßt hatte, erwiderte sehr freundlich: »Ei, das ist ja recht schade, daß Sie mich gestern verfehlt haben, und doppelt schade, daß ich heute den ganzen Tag beschäftigt bin. Wie fangen wir's nur an? Heute abend hab' ich Konzert, und diesen Nachmittag muß ich meine Chronik schreiben, weil ich morgen mit dem Herrn Amtmann hier nach Blaubeuren fahren will.«

»Ja,« sagte dieser, »der Herr Schubart wollen mich obligieren und meinen Schwager wiedersehen, der auf zwei Tage zu Besuch bei mir ist.«

»Das kommt mir sehr ungelegen,« versetzte Heinrich, »ich hätte dringend gewünscht, Ihre nähere Bekanntschaft zu machen.«

»Wissen Sie was? Herr Landsmann!« sagte der württembergische Beamte, »wenn es Herrn Schubart Vergnügen macht, so will ich Sie gehorsamst eingeladen haben, auch von der Gesellschaft zu sein. Mein Schlitten hat Platz für alle drei, mein Tisch ebenfalls, und meinem Schwager wird es eine Ehre sein, Ihre Connaissance zu machen.«

Schubart bezeigte seine lebhafte Freude über diesen Vorschlag und redete dem jungen Manne so herzlich zu, daß dieser trotz einer unüberwindlichen Abneigung die Partie annahm. »So führen Sie mich also,« sagte er, »gleich den Weg wieder zurück, den ich gestern hergeritten bin.«

»Alle Welt!« rief Schubart, »dann waren wir nicht weit auseinander! Sie sind ziemlich nahe an mir vorübergekommen. Sie kennen ja wohl Söflingen, die alte Reichsabtei? Dort war ich! Hätten Sie das nur gewußt und wären hingeritten! Sie hätten Ihre Freude an dem herrlichen Klostergebäude gehabt; denn dagegen bin ich nicht blind, wenn ich auch ihre dumpfen Institutionen auf den Tod hasse.«

»Aber wie mochten Sie sich dahin wagen?« fragte Heinrich.

»Söflingen ist reichsfrei, dort konnte man mir nichts anhaben. Und wissen Sie auch, Afsprung, warum ich dort war? Das ist eine höllische Geschichte! Ich glaube, Sie haben damals den jungen Menschen von dort bei mir getroffen –«

»Den Juristen?«

»Eben den! Er war das einzige Mal bei mir, und ich lieh ihm einen ganz unschuldigen Roman, ich weiß nicht mehr, wie das Buch hieß. Vor einiger Zeit kam dieser junge Mensch in ein katholisches Wirtshaus und führte daselbst unvorsichtige Reden. Gleich fassen sie ihn am Fittich, er wird ins Kloster Wiblingen gebracht, in ein scheußliches Loch gesperrt, gefoltert und zuletzt als ein Lästerer Gottes und der Heiligen aus Gnade und Barmherzigkeit heimlich geköpft, verbrannt und seine Asche in die Iller gestreut.«

Alles schauderte bei dieser Erzählung, die Schubart mit wilden Augen vorbrachte.

»Ist es auch ganz gewiß?« fragte der bedächtige Afsprung.

»So sagte man mir wenigstens in Söflingen, wo ich mich nach seinem Schicksal erkundigte, weil er von dort gebürtig ist.«

»Nun, gottlob!« versetzte Afsprung, »wenn es noch bloße Sage ist, so kann's ja auch erlogen sein.«

»Aber eins ist wahr!« rief Schubart zornig, »die Mönche verbreiten das Gerücht, er habe seine gottlosen Grundsätze von mir geholt, und zwar soll er selbst dies auf der Folter gestanden haben.«

»Das gibt wieder neue Verfolgungen,« sagte Afsprung mit einem Seufzer.

»Mag's!« rief Schubart, »wenn ich nur wüßte, was an der Sache ist. Irgend einen Spuk haben die verfluchten Pfaffen jedenfalls gemacht. Und das Stückchen sieht ihnen gar nicht so unähnlich; denn ich weiß, wie sie's mir gemacht hätten, wenn ich in ihre Hände gefallen wäre. Da lassen Sie sich eins erzählen – Sie wissen's zwar schon, lieber Afsprung – als ich auf meiner Flucht von Augsburg nach Günzburg kam (ein preußischer Werboffizier machte die Reise mit), fand ich im Wirtshaus einen Troß dickbäuchiger Pfaffen um den Tisch sitzen. Sie soffen das Bier in Strömen hinab, und da kein anderer Tisch im Zimmer war, so mußten wir uns zu ihnen setzen. Nun können Sie sich denken, was ich für Augen machte, als ich sah, daß sie einige Nummern meiner Chronik und – mein allerhöchsteigenes Porträt in den Klauen hatten, das zum Glück eine scheußliche Fratze war. Damals hatte sich die Sage durch kluge Freunde verbreitet, ich sei unterwegs arretiert worden, und die Bestien jubelten darüber. »Jetzt hand mer den Galgenkerl!« brüllten sie, »werden 'm wohl d' Zung rausschneida und da Kätza lebendi verbrenna! Dann schreib, Hund!« – Prosit! dachte ich bei mir, und halb aus Angst, halb aus tollem Mutwillen mischt' ich mich in das Gespräch, schimpfte durch alle Oktaven auf mich selber, beschrieb mich so unähnlich als möglich, zerriß das Porträt des Belialskindes (heimlich aus Ärger über die Karikatur) und brachte so infames Zeug vor, daß sie ganz begeistert wurden und mir den Segen der Mutter Gottes und aller Heiligen auf den Hals wünschten. Mein Preuße, der so witzig war, mich mit einem falschen Namen anzureden, sah mit Behagen zu und sprach unterwegs noch oft von der Posse.«

Die Gesellschaft, deren Mittelpunkt er vom ersten Wort an gewesen war, lachte und stieß auf seine Geistesgegenwart an.

»Ja!« rief Schubart, »und pereant alle Pfaffen und Pfaffenfreunde und Tyrannen! Denn das Geschmeiß hängt wie Kletten aneinander! Sollten Sie's glauben, daß man mich jetzt verfolgt, weil ich in der Chronik gemeldet habe, Maria Theresia sei vom Schlage getroffen? Ich war falsch berichtet, aber was benimmt denn das der guten Kaiserin an ihrer Majestät, wenn sie ein Unglück hat, das dem besten und vernünftigsten Menschen zustoßen kann?«

»So sind Sie schon in Kenntnis gesetzt –?« rief Heinrich.

»Ich weiß alles!« erwiderte Schubart, »ich habe Freunde und Anhänger durch ganz Deutschland, und so lang es ein Preußen gibt, hab' ich nichts zu fürchten. – Übrigens seien Sie ruhig,« sagte er harmlos lachend zum Amtmann, »ich werde Sie morgen auf württembergischem Boden nicht kompromittieren.«

»O,« fuhr Heinrich etwas vorschnell heraus, »unser Herzog ist ganz gnädig gegen Sie gesinnt, darauf können Sie sich verlassen.«

Der Amtmann sah ihn forschend an.

»Wissen Sie das so genau?« fragte Schubart, »mir ist jedenfalls am wohlsten, wenn ich seiner Gnade nicht bedarf.«

»So ist's recht, Herr Schubart!« rief ein stämmiger Bürger vom unteren Ende der Tafel herauf, »bleiben Sie nur bei uns! Wir Ulmer lassen Ihnen nichts geschehen! Und geben Sie uns heute abend ein schönes Konzert, dann ist alles für Sie.«

Dies brachte das Gespräch auf die angekündigte musikalische Unterhaltung und auf Musik überhaupt, wodurch Schubart Gelegenheit erhielt, sich von seiner vorteilhaftesten Seite zu zeigen. Er setzte sich an den Flügel und spielte mit Geist und Kraft einige Choräle, um an dieser Grundlage der deutschen Musik nachzuweisen, welche Vorzüge dieselbe vor der italienischen habe; dann gesellte er sich wieder zu den Tischgenossen und entwickelte so neue und kühne Ideen zu Gunsten der deutschen Tonkunst, daß Heinrich ihm mit Bewunderung zuhörte. »Ach, da fällt mir eine artige Schnurre ein,« rief Schubart auf einmal: »als ich in Ludwigsburg Musikdirektor war, hatte ich schwere Mühe, die geistliche Musik unserer großen Komponisten, eines Graun, eines Bach und solcher genialen Meister einzuführen. Überhaupt gaben die Italiener den Ton an, und eine Musik war verdächtig, wenn nur ein deutscher Name auf dem Blatte stand. Nun setzte ich einmal eine Kantate und brachte sie dem Orchester zur Probe, legte sie aber unter dem Namen Trabuschi auf; sie wurde gespielt und mit glänzendem Beifall aufgenommen, Jomelli war entzückt, Lulli spielte seine Partie mit dem größten Feuer, und alle Virtuosen jubelten über den exzellenten Landsmann. Da sagt' ich: »Meine Herren, haben Sie doch die Gefälligkeit, den Namen verkehrt zu lesen! Wie heißt's?«

Man buchstabierte, lachte, und der Dichter sah sich selbstgefällig an.

Der Amtmann, der ihn im Fluß zu erhalten strebte, brachte ihn auf die abenteuerlichen Fahrten, die er seit jener Zeit gemacht, zu reden, und der lebhafte Mann war unerschöpflich im Erzählen, wobei er jedoch, uneingedenk, daß er einst zu München aus Not beinahe katholisch geworden wäre, oder vielleicht eben darum, keine Gelegenheit vorübergehen ließ, um seinem Pfaffenhasse Luft zu machen. »Nie,« erzählte er, »werd' ich's vergessen, wie ich auf meiner Durchreise durch das Ellwangische die Straßen angefüllt sah mit Blinden, Lahmen, Krüppeln und Kranken aller Art, die zum großen Wundertäter, zum Pater Gaßner, wallfahrteten, um sich heilen zu lassen. O, dachte ich, Gaßner! wenn du all diesem Jammer mit einem Segensspruch abhilfst, so will ich auf den Knien zu dir kriechen und dir meinen Unglauben und meine Ausfälle und Spöttereien abbitten; aber leider kommen diese Elenden noch elender zurück.«

»Den Gaßner haben Sie kräftig zur Ruhe verwiesen,« sagte der Amtmann.

»Er hat sich,« erwiderte der Dichter, die Augen schelmisch zudrückend, »er hat sich erst neulich verlauten lassen, er wolle mich auf ein Weinfaß bannen. – Er mag's tun!« rief er mit aufgehobenem Römer, »aber nur auf ein Faß echten Hochheimer oder Niersteiner. Da wollt' ich stolzer drauf sitzen als Bacchus, da er im Triumphe nach Indien zog, und die Löwen und wilden Pardel sollten wie Kinder um mich her greinen, ihnen Göttersaft aus der vollen Schale zu reichen. Ich aber, mit Efeu bekränzt, würde die Schale hoch emporheben und jauchzen: Es lebe die Vernunft! Es sterbe der Fanatismus und Aberglaube!«

Jubelnd stimmte die Gesellschaft in den Trinkspruch ein. Der Dichter leerte sein Glas, mit feuersprühenden Augen umherblickend; dann setzte er hinzu: »Übrigens muß man das Kind nicht mit dem Bad ausschütten! Mich empört's, wenn die Religion, wie es bei diesen Wunderkuren geschieht, auf eine schändliche und lächerliche Weise mißbraucht wird; aber die sogenannte Sympathie möcht' ich doch nicht ganz verwerfen: ich habe wirklich schon Wunderdinge davon gehört und zum Teil selbst erlebt.«

Der Amtmann erzählte zur Bestätigung von einer sympathetischen Kur, wodurch einem seiner Kinder die Warzen vertrieben worden seien, und Heinrich zitierte lachend die zwei berühmten Zeilen des Hamlet.

»Ja, ja,« versetzte Afsprung, »man kann auch die Aufklärung zu weit treiben. So hört man gewöhnlich behaupten, daß Träume keinen Sinn haben, und doch kann ich versichern, daß ich von Träumen weiß, welche einen tiefen Sinn, ja sogar eine prophetische Bedeutung hatten; ich kenne hier eine ganze Familie, die mit solchen Träumen, ich weiß nicht, soll ich sagen gesegnet oder gestraft ist.« – Er erzählte einige Fälle, welche die Aufmerksamkeit und Verwunderung der Gesellschaft in hohem Grade erregten.

»Ich glaube,« sagte Schubart, »es ist in solchen Dingen schwer, eine bestimmte Linie zu ziehen, eine Theorie zu bilden. So hat zum Beispiel meine gute Helene Träume und Ahnungen; davon ist nun einiges eingetroffen, anderes nicht, und ich kann also nur sagen, daß ich nicht an alle glaube, oder vielmehr, daß ich an alle so lang nicht glaube, bis sie eingetroffen sind. Dies ist namentlich gegenwärtig mein Trost und meine Verteidigung gegen das gute Weib; denn seit einigen Tagen sieht sie allenthalben Gespenster.«

Er versank in tiefes Nachdenken, eine große Stille entstand. »Sonderbar!« fuhr er auf, »da kommt mir auf einmal ein Traum wieder in Erinnerung, den ich längst vergessen hatte. Als ich von Geislingen nach Ludwigsburg berufen wurde und den Bakel mit dem Taktierstab vertauschte, was nicht ohne scharfen Kampf mit meiner Frau und ihrem Vater abging, träumte mir in einer Nacht, ich wandle einsam in der äußersten Finsternis; ich wußte nicht, wo ich war und wohin ich mich wenden sollte, mein Fuß trat unsicher auf, es wimmelte unter mir, als ob der Boden lebendig wäre; auf einmal erhellte ein roter Blitz die ganze Gegend, und ich sah mich in einer schauerlichen Wüste, Schlangen und scheußliches Gewürme zu meinen Füßen; ich schrie, da ergriff mich eine starke Hand und stellte mich auf einen Berg, der über und über mit Asche bedeckt war; durch die Asche mußte ich zu einem Turme waten, wo ein Troß Dämonen in schwarzen Kutten mich hohnneckend empfing; kaum war ich bei ihnen angekommen, so fielen sie teuflisch lachend über mich her und zerfleischten mich mit den langen Nägeln an ihren Fingern, so daß ich in Schweiß gebadet erwachte und die ganze Nacht kein Auge mehr schloß. Ich hatte damals ein unbezwingliches Vorgefühl, dieser Traum müsse in Erfüllung gehen, nachher aber vergaß ich ihn, und jetzt, nach acht Jahren, taucht er plötzlich wieder vor mir auf. Und es ist doch ominös! ein Teil davon ist bereits in Erfüllung gegangen, die Pfaffen sind mir aufsässig geworden und möchten mir wenigstens gern so mitspielen, wie es ihre Ebenbilder in jenem Turme taten.«

Heinrich schrak zusammen, denn in diesem Augenblicke fiel ihm wie durch einen elektrischen Schlag das Begegnis in Grafeneck wieder ein, das ihm während seines langen Schlafes in der vergangenen Nacht ganz aus der Seele verschwunden war. Er stützte den Kopf auf die Hand und brütete in düsterem Sinnen vor sich hin; wenn ihn jemand gerade jetzt über Aufklärung und Aberglauben befragt haben würde, er hätte keine Antwort zu geben vermocht.

»Wie, ihr Herren!« rief der Amtmann von Blaubeuren, dem diese Wendung des Gesprächs nicht nach dem Sinne zu sein schien: »lustig, aufgeweckt! wofür stehen die vollen Flaschen umher? Pfui, Herr Schubart! wo ist Ihre gute Kehle, Ihre muntere Laune, Ihr Witz? Geschwind, geben Sie uns einen lustigen Einfall zum besten, einen Vers! Warten Sie, über was denn gleich? Ja, sehen Sie, hier werf' ich diesen goldenen Ring in Ihr Glas: wenn Sie, ohne sich zu besinnen, einen Vers darüber machen, so soll er Ihnen gehören.«

Ein unbehaglicher Kampf war während dieser Worte auf Schubarts Angesicht zu lesen, das schnelle Abbrechen eines bedeutenden Gegenstandes, die Empfindung, sein Talent vor diesem jungen Mann auf eine doch nicht gar würdige Weise verwenden zu sollen, schien ihm peinlich zu sein; auf der anderen Seite aber konnte er es nicht ertragen, sich durch Stillschweigen vor der Gesellschaft eine Blöße zu geben und seinen Ruf Lügen zu strafen; vielleicht zog ihn auch das Gold einen Augenblick an, das in seinem Hause nicht überflüssig war; genug, sowie der Amtmann das letzte Wort gesprochen, ergriff er das Glas mit dem Ring und sagte ganz geläufig.

»Zwei Götter können sich zusammen nicht vertragen,
Drum, Plutus, an die Hand und, Bacchus, in den Magen!«

damit leerte er das Glas auf einen Zug und steckte den Ring an den Finger.

Heinrich war über die Schnelligkeit dieser Improvisation erstaunt, die dem Dichter, ganz wie der Amtmann gesagt, ohne alles Besinnen gelungen war; denn eine Naturgabe, die uns abgeht, setzt uns immer am meisten in Verwunderung.

»Das ist mir doch eine wahre Hexerei!« rief der Amtmann, »hätt' ich es doch nicht für möglich gehalten, daß man über einen Ring, den ich ins Glas werfe, etwas sagen könnte! Was ist da irgend Auffallendes dran? Was läßt sich dabei Vernünftiges denken? Und doch bringen Sie gleich einen Vers heraus und noch dazu einen Witz! Aber ich sag' es ja immer, Sie sind ein Tausendsasa! Das war wieder aus dem Armel geschüttelt!«

Schubart betrachtete ihn lächelnd; dann zog er den Ring wieder ab und legte ihn dem Amtmann in die Hand, indem er sagte:

»Nicht das Metall, das glatt durch schmutz'ge Hände rollt,
Dem Dichter ziemt des Weins, der Saiten reines Gold.
Dies nur gewähre mir, Apoll, und bleib mir hold!
Und nun, Herr Amtmann, hier! behalten Sie Ihr Gold.«

Hatte der erste Vers eine gute Wirkung gehabt, so erregte dieser zweite, den er ebenso leicht von sich gab, einen wahren Enthusiasmus, wovon ein großer Teil auf die seine und würdige Wendung, die der Dichter nahm, geschrieben werden durfte. Die Gesellschaft brach in lautes Beifallsgeschrei aus, Heinrich drückte ihm herzlich die Hand, der Amtmann aber nahm den Ring durchaus nicht zurück und nötigte den Dichter auf jede Weise, es würde ihm eine wahre Beruhigung sein, sagte er mit einem seltsam traurigen Blick und ließ nicht eher nach, bis er den Ring wieder an Schubarts Finger sah.

Jetzt wurden noch ein paar lustige Flaschen geleert, Schubart blieb sich gleich und war oft groß in seinen schlagenden Erwiderungen, wobei ihn sein Witz auch nicht eine Sekunde lang im Stiche ließ; einige starke Derbheiten, die gelegentlich mit unterliefen, waren mit dieser Würze wohl durchgesalzen und für den ekelsten Gaumen genießbar gemacht.

Endlich brach der Dichter auf, um in den paar Stunden vor dem Konzert das bevorstehende Chronikblatt zu füllen. Er schüttelte unserem Freunde die Hand und sagte: »Morgen sehen wir uns also wieder! Sie müssen morgen abend mit mir zurück, wir bleiben einige Tage beisammen, und ich zeige Ihnen alle Merkwürdigkeiten Ulms, wo es manches, was sich der Mühe verlohnt, zu sehen gibt. Namentlich aber verbiet' ich Ihnen bei Leibes- und Lebensstrafe, das Münster ohne mich zu besteigen! das ist ein Gang, den wir miteinander tun müssen. Inzwischen will ich Ihnen hier eine Unterhaltung verschaffen.« – Er warf ein paar Worte auf ein Blatt, gab es ihm und stürmte hinaus. Es war eine vertraulich geschriebene Empfehlung an den Verfasser des Sigwart, den Freund und Genossen des Göttinger Hainbundes, Johann Martin Miller, der jetzt als Geistlicher in seiner Vaterstadt lebte. Heinrich machte sogleich Gebrauch davon und fand einen sanften Mann mit einer liebenswürdigen Gattin; beide sprachen mit Teilnahme und zarter Besorgnis von der Lage des rücksichtslosen Dichters. Heinrich brachte bei diesen wohlwollenden Menschen eine angenehme Nachmittagsstunde zu, welche ihm nach der geräuschvollen Fröhlichkeit äußerst wohl tat.

Abends besuchte er Schubarts Konzert und hatte Gelegenheit, seine musikalischen und deklamatorischen Talente kennen zu lernen. Er hörte ihn einige Oden von Klopstock vorlesen und bewunderte seine metallene Stimme, nur hätte er ihm etwas mehr Mäßigung in der ungebändigten Kraft seines Vortrags gewünscht. Das Publikum, unter dem er sich umsah, bestand großenteils aus Ulmer Bürgern mit ihren Frauen und Töchtern; Patrizier schienen wenige da zu sein. Der weibliche Teil des Auditoriums war sehr anziehend zu nennen; er meinte eine Auswahl der schwäbischen Frauen vor sich zu haben. Selten hatte er einen so schlanken Wuchs, eine so gefällige Haltung gesehen; eine sanfte Ruhe lag auf diesen feinen Gesichtern, deren Schönheit im umgekehrten Maße zunahm, je mehr sich ihre eigentümliche Tracht dem Mittelstande näherte. Sie schienen ihm mehr südliche Grazie in ihren Bewegungen zu haben als ihre übrigen Stammesgenossinnen, und unser Freund, ein echter fahrender Ritter, erlaubte sich nur sein Lottchen von diesem Urteil auszunehmen. Schubarts Frau saß unter ihnen mit schwermütig gesenktem Kopfe, sie nahm wenig Anteil an dem Beifall, den ihr Gatte erntete, und schien mit einer unbezwinglichen Trauer zu kämpfen; wie viel mochte diese treue Seele schon durch den unruhigen Musikus gelitten haben!

Dieser benützte eine Pause, um Roller, den er mit seinen scharfen Augen erspäht hatte, aufzusuchen und ein paar Worte mit ihm zu sprechen. Er dankte ihm lebhaft für seine Beifallsbezeigungen: »Haben Sie meinen Bruder Miller gesprochen?« rief er, »nicht wahr, das ist ein herrlicher Mensch.«

Heinrich stimmte von Herzen ein.

»Ich weiß nicht,« sagte Schubart und fuhr mit der Hand langsam über die Stirne, »es ist, als wäre etwas von meiner Frau auf mich übergegangen; sie will diese Reise kaum zugeben, und doch! was ist denn für eine Gefahr dabei? ja, wenn's nach Stuttgart, nach Ludwigsburg ginge, wo ich noch manches auf der Nadel habe, da könnte man Besorgnisse hegen, aber an die nächste Grenze! nach Blaubeuren! wer kann da an eine Gefahr denken? wie kann der Herzog etwas davon erfahren, oder hat er so weitsichtige Augen und einen so langen Arm, um mich von Stuttgart aus in Blaubeuren zu fassen?«

»Sie sind im Irrtum, liebster Schubart, wenn Sie glauben, Herzog Karl wolle Ihnen übel; im Gegenteil –«

»Still, still!« fiel Schubart lächelnd ein, »ich kenn' ihn besser, er kann mir nicht grün sein! das Land ist mir nicht umsonst verboten.«

»Es ist hier nicht der Ort, davon zu sprechen,« sagte Heinrich, »aber wenn Sie eine Abneigung haben, nach Blaubeuren zu gehen, so lassen Sie uns hier bleiben. Nehmen Sie mir meine Offenherzigkeit nicht übel, aber wie mögen Sie sich mit diesem Amtmann einlassen? er hat gar nichts, was einen Mann Ihrer Art anziehen könnte.«

Schubart lachte: »Ich will's gestehen,« sagte er, »es ist eine Schwachheit, eine Eitelkeit! Es liegt in unserer Natur, daß wir lieber nach dem Fernen greifen als nach dem Nahen, und der Beifall einer Schreiberseele tut mir oft, der Seltenheit wegen, wohler als das Lob eines Zunftgenossen. Wenn ich das Gelübde tun wollte, nur mit Poeten umzugehen, so würd' es mir oft an Gesellschaft fehlen. Was aber den betrifft, so ist er ein tüchtiger Geschäftsmann, rechtschaffen, so viel ich weiß, gewandt und von sehr raschem Wesen, und dafür hab' ich eine gewisse Sympathie. Überdies versprech' ich mir von seinem Schwager einen angenehmen Tag; ich kenn' ihn von früher her und kann nur nicht begreifen, warum er mir durch den Amtmann sagen ließ, er wünsche mich kennen zu lernen. – Nun, ich muß wieder an meine Funktion! Nicht wahr, meine reichsbürgerlichen Virtuosen halten sich brav?«

Als das Konzert vorüber war, holte Schubart ihn ab und führte ihn in eines der Schenkzimmer. »Es tut mir leid,« sagte er, »daß wir nur noch ein paar Minuten beisammen sein können, aber ich bin mit der nächsten Nummer meiner Chronik noch nicht ganz zu Ende – oder – ich weiß einen besseren Vorschlag! Gegen Sie setze ich mich über alle Förmlichkeiten weg, denn Sie tun mir den Gefallen gerne.«

»Was es auch sei!« rief Heinrich.

»Wenn ich jetzt zu Hause hinsitze,« sagte der Dichter, »so zerkaue ich mir die Feder, ihr Kritzeln stört mich jeden Augenblick, und ich brauche die halbe Nacht, bis ich etwas zu stande gebracht habe, das dann doch kalt und leer ist; dagegen wenn ich jemand hätte, dem ich's diktierte, so wär' in einer halben Stunde etwas fertig, womit ich eher zufrieden sein könnte.«

»Papier, Tinte und Feder!« rief Heinrich einem vorübereilenden Kellner zu und wollte, als das Verlangte gebracht war, sich in eine entfernte Ecke begeben, aber das war nicht nach Schubarts Geschmack. An den besetztesten Tisch, wo in einer dicken Tabakswolke kräftige Gestalten vor den schäumenden Bierhumpen saßen, wo das Gespräch am lautesten war, setzte er sich mit ihm hin und sagte. »Nun warten wir, bis der Geist über mich kommt!« – Aber es war ihm nicht anzusehen, daß er über irgend etwas nachdachte; vielmehr unterhielt er das lebhafteste Gespräch mit seinem neuen Freunde, der immer größeren Gefallen an ihm fand, und warf dazwischen Bomben nach allen Seiten hin. Die Unterredung begann allgemein zu werden; Heinrich vernahm einen kecken entschiedenen Ton, womit über die Zeitläufe gesprochen wurde, ein körniger Witz kam ihm überall entgegen, und sogar literarische Anspielungen mischten sich ins Gespräch, aus welchen er abnehmen konnte, wie tiefe Wurzeln Schubarts Wirken bereits in der Stadt geschlagen hatte.

Mitten in der besten Unterhaltung ergriff dieser plötzlich die Feder und warf einige Worte hin, reichte das Papier unserem Freunde, welcher darauf mit einer für diesen Mann des Sturmdrangs ungemein zierlichen Hand geschrieben fand: » Memento mori für die Krittler,« und sagte: »Ich habe eben jetzt allerlei zu rezensieren, und dazu will ich mir die Grundsätze der echten Kunstrichterschaft einmal recht klar machen. Schreiben Sie, Bester! ich setze mich auf mein Rößlein, es geht auf Siebenmeilenstiefeln, schreiben Sie« – und damit begann er zu diktieren: »Hast ein Buch vor dir und möchtest's oder sollst's rezensieren, so geh in dein Kämmerlein und schleuß die Tür nach dir zu, und frag dich vor: ›Verstehst's Buch auch?‹

»Schlag nicht gleich mit dem Schwert drein, lies'st du ein schales Buch: denk, 's könnte ein alter Mann sein, der dies Buch schrieb – hat's wohl nicht bös gemeint – und du willst ihn schlagen, den Glatzkopf, der ohnehin schon zum Grabe wankt. Ihn, der vielleicht als Bürger, als Mensch und Christ manch edle Tat getan, köstlicher als das schönste Buch mit Modetitel und Modefratzen und Modewitz und Modeschnitt.

»Oder denk: 's könnt' ein Jüngling sein, der furchtsam und blöde am Nestchen steht und seine Flügelein versucht. Sieh, er wagt sich in die Luft, setzt sich wieder, flattert allenfalls auf deinen Flintenlauf, glaubt, 's sei ein Ast. Und du willst ihn morden, Barbar? Ihn, der, wo er nicht fliegen wird wie ein Adler und singen wie die Nachtigall, doch fliegen wird in Gottes Luft und zwitschern aus dem dunklen Busch!

»Da steht einer, setzt den Zirkel an, sagt bescheiden: ›Für den Kreis schreib' ich!‹ Tut's auch und verbreitet Ordnung, Wohlbehagen und Freud' in diesem Kreise – und du gehst her, erweiterst den Kreis, daß Welten drin tanzen könnten, und, siehst du, daß der bescheidene Schriftsteller nun nicht mehr ausreicht mit seinen Strahlen, gleich über ihn herfährst und ihm Perücke und Kragen und Mantel vom Leib reiß'st und über ihn kollerst und deine Gebärde verstellst, daß dir der Geifer herabfließt in deinen Bart – sag's und richte selber: bist du nicht ein unbescheidener, ungerechter, unchristlicher, herzloser Kerl, den man mit Schneeballen vom Richterstuhl werfen sollte?

»Stößt dir aber ein unbescheidener Knab' auf, der mit Schwanenstolz daherschwimmt, und spottet der Vögel über ihm, und hochhalsig anschielt die Tier' am Ufer, und hinunterstürzt nach den Fischlein im Wasser, sie zu verschlingen, den wirf, bis er liegt! Scheu nicht des Giganten Tritt und seinen Jast und sein Hohnsprechen, sondern nimm Stein' und schleudr' ihn zur Erde. Nur Demut verdient Schonung, Arroganz aber Wurf und Tod.

»Überlaß das meiste der richtenden Zeit. Sie steht mit der Wage hoch und wägt. Siehst du, wie gelehrte Spreu auffährt in der Wagschal' und Sturmwinds Raub wird? – Was willst du richten? – Siehst du die sinkende Schale mit Goldsand und Edelgestein? – Was willst du richten? –

»Und über das alles, Krittler, bedenke das Ende, so wirst du nimmermehr Übels tun. Schrecken dich die Kunstrichtergerippe und der Anblick ihrer hohlen Schädel und ihres Gebeins Dürre in Büchersälen nicht? Halt dir einen Mann nach Ägypterbrauch, der dir zuruft, wenn Galläpfelsaft in deiner Feder sprudelt: ›Memento mori!‹ Gib acht, entsinken wird die Feder deiner Rechten, und hast ein Herz im Leib, so wird ein Tränchen stürzen aufs Papier und jede Bruderbeleidigung wegflößen.

»So richte mich, Leser, ich werde sie halten, meine sieben Gebote.«

Auch unserem Freund entsank die Feder hier, die er nicht mehr in der Hand zu führen vermochte; sie hatte kaum mit dem raschen Gedankenstrome des genialen Mannes gleichen Schritt halten können, der überdies noch unter dem Diktieren an dem Gespräche ringsumher Anteil nahm und da und dorthin ein Wort, einen Witz fliegen ließ. Heinrich sprang begeistert empor. »Das könnte Goethe geschrieben haben!« rief er aus, »hoch lebe Ihr Talent, liebster Schubart! Glück und Gedeihen Ihrer frischen, lebensvollen Chronik! möge es nicht die letzte Nummer sein!«

Schubart zog ihn lächelnd nieder, und die Freunde blieben noch eine Weile aufs kordialste zusammen, bis Frau Schubart, die sich inzwischen bei einigen Freundinnen aufgehalten haben mochte, mit ihrem sanften traurigen Blick an der Türe erschien. Schubart nickte ihr zärtlich zu, sagte dem jungen Manne gute Nacht und entfernte sich mit ihr. Unser Freund war ebenfalls im Begriff, zu Bette zu gehen, da trat ihm aus einer Ecke der Amtmann von Blaubeuren entgegen, und Heinrich mußte notgedrungen Rede stehen.

»Verzeihen Sie meine Kühnheit,« begann der Amtmann, »Sie haben heute bei Tisch eine Bemerkung über unseren durchlauchtigsten Herzog in Betreff Schubarts gemacht, die mir aufgefallen ist. Sind Sie vielleicht über seine Gesinnungen näher unterrichtet?«

»Ich glaube so ziemlich,« erwiderte Heinrich kurz.

Der Amtmann rückte ihm mit einer gewissen Vertraulichkeit auf den Leib und fragte ganz leise, indem er mit den Augen zwinkerte: »Sind Sie vielleicht von Seiner Durchlaucht abgesandt?«

Heinrich war betroffen, dem Amtmann entging seine Verlegenheit nicht. »Ich bitte tausendmal um Vergebung,« sagte er, »ich habe vorhin zufällig im Stall die Schabracke Ihres Pferdes gesehen.«

Heinrich schwieg mit gerunzelter Stirne und verwünschte innerlich die herzoglichen Stalldiener und seine eigene Unbesonnenheit, die, wie ihm jetzt einfiel, schon in Grafeneck sich hätte warnen lassen sollen.

»Ich begreife nicht,« fuhr der Amtmann fort, »übrigens wenn der Herzog einem Diener wie mir etwas befiehlt, so kann er sich ruhig schlafen legen und braucht mir keinen Sukkurs zu beordern.«


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