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5

Sie saßen im Wagen, Bartel auf dem Bock, die Deichsel der Heimat zugekehrt.

Des guten Bartels Ohren, die dem Pastor nicht gefielen machten rein äußerlich genommen den Grund dafür nicht ersichtlich. Muscheln und Läppchen waren weder besonders groß noch unnatürlich klein, auch keine Luftruderer und Luftschaufeln, vielmehr nett und ordentlich auf hellblondem Haar gebettet, dem Kopf sich eher anschmiegend als ihn fliehend. Hatte des Geistlichen Mißfallen überhaupt eine Berechtigung, so mußten wohl die Windungen des inneren Gehörgangs die Schuld tragen, die vielleicht bei Übertragung des Gehörten in das Bewußtsein und Verständnis ihre Pflicht verabsäumten.

Bartel auf dem Bock, zwei Schwarze vor dem Wagen mit ebenmäßigem Aufschlag der Hufe ... trab ... trab ... auf die Chaussee. Die Schwarzen trabten, Bartel hielt die Peitsche lose in der Hand, das Ende über den Rossen schweben lassend. So bildete es freilich ein Damoklesschwert, aber selten oder niemals riß das Haar, woran es aufgehängt war, niemals oder selten fiel es auf der Schwarzen Rücken. Das tat aber auch nicht nötig, dazu waren alle drei, Bartel und die beiden Renner, zu gut erzogen, zu vernünftig, dazu verstanden sie sich zu gut.

Sie verstanden sich gut, das machte Bartels Aufgabe leicht und angenehm, und da auch die Straße eben war und wenig belebt, so nahm das Fahren bei Bartel höchstens fünf Prozent seiner Gedanken und seiner Aufmerksamkeit in Anspruch – fünfundneunzig konnten dem Gespräch geschenkt werden, das im Herrenstuhl ebenso sanft rollte und murmelte, wie die Wagenräder auf der Steinschlagstraße. Mit fünfundneunzig Prozent seiner von Karl Rank abgelehnten Ohren hörte Bartel zu, hauptsächlich aus Neugierde, weniger, um sich zu belehren. Denn wie oft hatte er nicht schon in seinem Leben, so jung er auch war erfahren, daß die Gelehrten die Verkehrten waren!

Fünfundneunzig Prozent Aufmerksamkeit schenkte er den Verkehrten. Und er tat es mit dem freundlichen Gesicht, das man bei ihm gewohnt war. Seine Oberlippe und seine Backen waren glatt rasiert, der Mund klein, Augen und Nase schlau – ein Gesicht, dem man es ansah, daß es einer von vorneherein fertig gewordenen Persönlichkeit angehörte, die jeden Zweifel mit einem ›Was willst du? Hebe dich weg!‹ anherrschte und in die Flucht schlug – einer, die nichts gewisser weiß, als daß es nur eine Welt und nur eine Wahrheit gibt, nämlich die von Jugend auf gelehrte Katechismuswahrheit, daß all das Mäkeln und Quarren darum herum und daran Narrenkram ist. Wer ein Gesicht hat wie Bartel Boie-Horsten, hält die übrigens von ihm für ganz vortrefflich eingeschätzte Welt an seinem Teil, das heißt, soweit sie einen Marschbauern was angeht, da hält er sie für beschlossen in Fettvieh und Fettweide, Korn und Raps und was sich sonst mit Vorteil nach Hamburg verkaufen läßt. Der blinzelt nicht nach einer über den Sternen erdichteten Welt, verschiebt die Sehnsucht nach dort vielmehr, bis man gerufen wird, im Erdenwallen niemals vergessend, daß man hier seine Leiden, aber auch seine Freuden hat, und diese ganz besonders dann, wenn die Früchte der Felder gedeihen und gut im Preise stehen.

So ungefähr war Bartels Bekenntnis, und in dem ungetrübten Seelenfrieden eines solchen Glaubens hatte er mit dem zwar nicht großen, aber doch ein wenig wulstigen Munde so oft gelächelt daß die Kräuseln davon als immerwährendes Stimmungsmerkmal seines Glücks stehen geblieben waren. Damals, als im Hause der Kanzlei der Frieden entzwei brach, war er ein ganz junger, nur ein paar Jahre der Schule entwachsener Mensch gewesen, nun aber ein ausgewachsener Mann in strotzender Kraft. Übers Jahr will der Alte ihm den Hof überlassen, mit einer Tochter des Landes aus wohlhabender Bauernfamilie ist er versprochen. Da lassen sich schon ein paar Verkehrtheiten verstiegener Studierter anhören. Und da sitzt er im Vorderstuhl und hält Leine und Peitsche, die Kräuseln der Zufriedenheit und Geborgenheit auf den Lippen, zugleich als Herausforderung an jeden Zweifler, ihn der Zerrissenheit und des Weltschmerzes zu zeihen.

Zu fünfundneunzig Prozent stellt er seine Ohren denen im Hinterstuhl zur Verfügung. Aber was er hört, macht Gesicht und Augen um ein gut Teil ernster, als es anfangs eingestellt war. Das sind ja Verse? Und wenn ihm recht ist, Verse aus dem alten schleswig-holsteinischen Gesangbuch? Er glaubte ungefähr auch die Stelle zu kennen, wo sie standen. Es mußte in der Gegend sein, wo Professor Cramer die Eigenschaften des großen Gottes in vielen Liedern besingt, namentlich auch seine Güte, die wir in allen Früchten des Feldes genießen, im Mähen des Weizens sowohl wie im Kartoffelaufkriegen an trockenen, sonnigen Herbsttagen, wie jetzt einer in blauer Herbststimmung auf dem Lande liegt.

Nun war Bartel freilich im Irrtum, es war kein Gesangvers von Cramer, aber für ihn war er ebensogut, als wenn er im Gesangbuch gestanden hätte. Der Professor Harro deklamierte mit tönender Stimme die wuchtige Strophe des Umstürzlers, der mit dem Hammer philosophierte, um gerade die Werte zu zerschlagen, die Bartel teuer waren.

»Noch einmal, eh' ich weiterziehe
Und meine Blicke vorwärts sende,
Heb ich vereinsamt meine Hände
Zu dir empor, zu dem ich fliehe.
Dem ich in tiefster Herzenstiefe
Altäre feierlich geweiht,
Daß allzeit
Mich deine Stimme wieder riefe;
Darauf erglüht, tief eingeschrieben.
Das Wort: Dem unbekannten Gotte!

Sein bin ich, ob ich in der Frevler Rotte
Auch bis zur Stunde bin geblieben,
Sein bin ich – und ich fühl die Schlingen,
Die mich im Kampf darniederziehn
Und, mag ich fliehn,
Mich doch zu seinem Dienste zwingen.
Ich will dich kennen, Unbekannter,
Du tief in meine Seele Greifender,
Mein Leben wie im Sturm Durchschweifender,
Du Unfaßbarer, mir Verwandter:
Ich will dich kennen!«

Bartel fiel bei der Gelegenheit ein, daß inzwischen ein neues Gesangbuch gekommen war. Warum? War das alte nicht mehr gut? Hatte unser Herrgott oder unsere Religion sich geändert, daß es nicht mehr gut war? Gegen Neuerungen in Kirche und Religion war er von vornherein eingenommen; er konnte sich, so gutmütig er auch war, förmlich ärgern, daß man das alte Bewährte aufstörte, anstatt zu lassen, wie es war.

Im Herrenstuhl setzte eine Unterhaltung ein. »›Ich will dich kennen, Unbekannter‹, das läßt sich leicht sagen, ausführen läßt es sich nicht. Der Dichter weiß es ja auch, er nennt ihn ja gleich darauf: ›Du Unfaßbarer‹. Goethe trifft es doch besser: ›Das Erforschliche erforschen, das Unerforschliche schweigend verehren.‹ ›Küß ich den letzten Saum seines Kleides – kindliche Schauer treu in der Brust.‹«

Harro kam auf die Frage seines Vaters zurück: »Was bleibt von der Kirche und vom Christentum?« Karl Rank begann wieder, seine Punkte aufzuzählen, gab aber zu, daß unter den Theologen moderner Richtung kein Einverständnis herrsche. Harro meinte, mit dem Aufgezählten lasse sich nicht viel machen, zumal sich alles im Fluß befinde. Glaube an Gott und an ein Fortleben nach dem Tode sei im Grunde wohl allein das immer Gemeinsame, alles andere aber dem Empfinden und dem Bedürfnis des einzelnen überlassen. Damit könne man keine Glaubensgemeinschaft zusammenhalten, noch weniger begründen.

»Glaube an einen außerweltlichen Schöpfer, an ein Fortleben und Fortwirken nach dem Tode – das, Harro, ist jetzt doch auch dein Bekenntnis?« fragte Karl Rank.

»Gewiß, das weißt du, da sind wir einig. Es ist so, wie du meinem Vater gesagt hast. Unsere Erkenntnismittel sind der Welt der Erfahrung entnommen, können daher auch über sie nicht hinausgehen, über transzendentale Wahrheiten nichts aussagen. Was im absoluten Sinn wahr ist, wird niemand erforschen, solange er als Sterblicher im Erdenwallen befangen ist. Da müssen wir uns mit einer Zuversicht begnügen, der es nicht schaden kann, wenn die Phantasie sie ein wenig auf die Flügel nimmt.

Wie diese Zuversicht, die wir Glauben nennen, beschaffen ist, darüber läßt sich im einzelnen nichts vorschreiben, da die Antwort nach der Persönlichkeit verschieden ausfallen muß. Wer sich mit dem alten Dogma zufrieden geben kann und will – wohl ihm! Von ihm gilt die Seligpreisung derjenigen die einfachen Sinnes und Herzens sind. Wen es aber treibt, auf eigene Hand selig zu werden, muß den für ihn passenden Gott in seinem Innerm suchen und dort so lange anklopfen, bis ihm aufgetan wird. Wie jemand sich im Einzelnen Gott vorstellt, darauf kommt es schließlich, scheint mir, gar nicht so groß an, da wir die Wahrheit doch nicht schauen können. Wer da wirklich sucht, findet immer seinen Gott, der für ihn der wahre und der alleinige Gott ist. – Du kennst gewiß«, fuhr Harro fort, »das hübsche Geschichtchen: Man fährt auf eine Höhe, die Aussicht zu genießen. Prachtvoller Sonnenuntergang. Im Wagen alles entzückt. Ah! und Oh! ›Soll ich etwas näher nach der Sonne hinfahren?‹ fragt der gefällige Kutscher. – Darin liegt jedenfalls mehr Sinn als in dem Versuch, der absoluten Wahrheit von der Natur Gottes näher zu kommen und einen rechten, wahren Glauben zu verlangen. Gefühl ist alles – Name Schall und Rauch.«

›Das ist auch wieder son Schnack‹, dachte Bartel. Verstanden hatte er seinen Adoptivbruder nicht, aus dem ›Sermon‹ jedoch soviel entnommen, daß Harro ein Gottgläubiger besonderer Art sei. Jeder sich einen anderen Gott vorstellen, der immer der echte Gott – ›son Quatsch, nicht kalt, nicht warm. Das kommt von den gelehrten Schulen‹, dachte er. Er, Bartel, hatte nur die Dorfschule besucht und war dessen froh. Als Vater Hans Horsten ihn zu eigen angenommen, da hatte der es mit der Bildung auch satt gehabt und davon abgesehen, ihn auf höhere Anstalten zu schicken.

»Um wieder auf unsere Sache zu kommen«, setzte Harro hinzu. »Das, was uns Neuen gemeinsam bleibt, ist zu wenig. Die Zukunft, dessen bin ich gewiß, gehört uns, aber die Kirche, wie sie jetzt besteht, werden wir zertrümmern.«

Bartel hielt die Peitsche in der Hand, und die Schwarzen trabten sachte ihre Straße. Sanft trabten sie, und der Federwagen der Kanzlei rollte ruhig. Äußerlich war alles ein Bild des Friedens und das Wetter schön. Aber auf Bartels Angesicht senkte sich eine Finsternis, eine Wolke. Kaum gefielen ihm selbst noch seine Ohren, er traute ihnen nicht mehr, so Ungeheuerliches behaupteten sie vernommen zu haben. Sein Vetter und Adoptivbruder war doch ein Schlimmer. Er wollte die Kirche zertrümmern!? Ohne viel Nachdenken übertrug Bartel das Bild in die Wirklichkeit – und sah ... sah es wie mit leiblichen Augen:

Da liegt die Kirche seines Dorfes, schattig unter Ulmen, das rote, hochgeführte Ziegeldach darüber hinweg, und über allem der schindelgedeckte Turm. Nun kommen Harro und der Pastor: Sprengbombe, Knall ... Turm und Kirche in die Luft, Splitter und Stücke kilometerweit ... über die Kanzlei hinaus ...

Bartel saß still und finster im Stuhl und hielt die Zügel und die Peitsche und hätte gerne ein richtiges Henkergesicht gemacht, wenn er nur gewußt hatte, wie man das anfange. Und wieder entrüstete er sich über Harro. ›So gehts, wenn man vom rechten Glauben abfällt.‹ Bei diesen Betrachtungen wickelte er sich selbst so recht bequem in den Glauben seiner Väter ein. Einen besseren konnte er sich nicht denken, einen besseren gab es nicht. ›Und wie kann‹, dachte er weiter, ›die Welt und die Obrigkeit bestehen, wenn niemand mehr an Himmel und Hölle glaubt?‹

Als er soweit gekommen war, fiel wieder Sonnenschein auf seine Miene, denn im Herrenstuhl erstanden ihm Hilfstruppen, und zwar merkwürdigerweise von Harro gesandt.

»Die Kirche, wie sie jetzt besteht, wird dabei zugrunde gehen«, hörte er Harro sagen. »Und das bedaure ich von Herzen, liegt aber, wie es scheint, in der Entwicklungslinie der Menschheit. Sagte doch schon Christus zur Samariterin: ›Es kommt die Zeit, daß ihr weder auf diesem Berge noch zu Jerusalem werdet den Vater anbeten. Gott ist ein Geist, und die ihm anbeten, müssen ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten.‹ Das verstehe ich: ohne Bindung an einen Ort und an eine äußere Ordnung und ohne irgendwelche von fremder Macht zwischen uns und Gott geschobene zwingende Glaubenssätze.

Aber«, redete er weiter, und hier kam die Haupthilfstruppe, »der Übergang wird wilde Zeiten bringen. Wenn das Volk nicht mehr an Himmel und Hölle glaubt, den Gott in sich und dessen Sittengesetz aber noch nicht gefunden hat, dann erst wird offenbar werden, was für Polizeidienste der alte Glaube dem Staate geleistet hat. Mir scheint, wir merken es jetzt schon, in den großen Städten zumal, an der grauenhaften Verwilderung der Sitten.«

Eine kurze Pause, und wieder Harros Stimme: »Es ist das sicherlich in der menschlichen Natur begründet, gehört also auch wohl zu dem von Gott vorgesehenen Werdegang der Geschichte. Mir persönlich ist aber die jetzt in die Welt gekommene Unruhe verhaßt, diese Proselytenmacherei, dieser Eifer, seinem eigenen Glauben oder Unglauben Jünger zuzuführen, eine vermeintliche Wahrheit, die man gestern gelernt hat, sofort auf dem Markte auszuschreien. Was soll es mit der hergeschrienen Versicherung, man sage die Wahrheit? Wenn ich von Wahrheit, das heißt, von einer sich als absolut feststehend ausgebenden höre und bin mit einem Freunde zusammen, mit dem ich mich verstehe, wie mit dir, Karl, dann fühle und sehe ich unsere Lippen sich kräuseln, wie es den römischen Auguren passierte, wenn sie aus dem Vogelflug oder aus den Opfereingeweiden prophezeit hatten und ihre Augen einander begegneten.

Was ist Wahrheit? Überall der wahre Gott – der Dreieinige des Apostolikums so gut wie der Tausendgestaltete der Modernen. Weshalb will man dem einfachen Mann mit Gewalt den alten Glauben an den dreieinigen Gott und damit den Seelenfrieden nehmen? Es ist Verbrechen an seiner Seele.«

Der Pastor machte einen Einwurf, den Bartel nicht verstand. – »Ja«, erwiderte Harro, »wenn es gelänge, zu scheiden, hier Altgläubige, dort Neugläubige, jeder in seiner Kirche, zumal der Altgläubige, vor der Aufstörung seines Friedens sicher! Es ist nur Aushilfe, aber die beste, die unsere freudlose Zeit geben könnte.«

Nun sprach Pastor Rank, dumpfer und leiser, schien aber günstiger über den Fortbestand der einheitlichen evangelischen Kirche zu denken, nochmals auf die gemeinsamen Glaubenssätze zurückkommend.

Und wieder drang Harros hellere Stimme durch. »Du nennst die Erlösung. Ja, Erlösung. Ich fühle mich erlösungsbedürftig, ich füge hinzu: merkwürdigerweise, da ich mir in meiner endlichen Erscheinung Willensfreiheit nicht beilegen kann. Grund und Ursache meines Schuldgefühls verlege ich daher in ein Vordasein, wo ich ganz freier Geist war. Indessen, das mag sein wie immer. Aber was Christi Leiden und Sterben mit meiner Erlösung zu tun hat, ist mir vollständig dunkel, die Theorie des Opfertodes in Stellvertretung klingt mir nach heutiger Auffassung geradezu verboten.«

Das war nun wieder ein Angriff, der dem Mann im Vorderstuhl die Grundlagen des Friedens antastete. Wie sündigte der Bruder Harro doch gegen die soeben von ihm selbst aufgestellten Grundsätze! ›Was wird Karl Rank antworten?‹ dachte Bartel. ›Der Verkünder vom Worte Gottes darf und wird doch die Erlösung durch Christi Leiden und Sterben nicht preisgeben?‹. In seinen Predigten nahm er sich ja immer in acht, an dem Frieden der altgläubigen Gemeinde zu rühren, wenn auch sicherlich kein Wort aus seinem Munde kam, das nicht seiner Überzeugung entsprach. Wenn Karl Rank nur recht laut sprechen wollte! Auf Harros Rede mußte er doch was sagen. Es schien dem Lauscher auch, als ob der Pastor dem Professor widerspreche. Das geschah aber in seiner tiefen Sprechweise: Bartel erfaßte leider den Zusammenhang nicht. Unglücklicherweise kam nun auch eine Wegstrecke, wo frischer, ungewalzter Steinschlag auf die Chaussee gebracht worden war. Alle Worte gingen in dem mißtönigen Knirschen verloren.

So mußte Bartel sehen, über das, was ihm angetan war, mit eigenen Mitteln hinwegzukommen. Er konnte es nicht sofort und nicht leicht. Er dachte und überlegte. Hier auf Erden tat er seine Pflicht, versuchte es jedenfalls, aber ohne Sünde und Schuld ging es natürlich nicht ab. Dagegen waren Beichte und Abendmahl gut, dafür durfte er sich des Leidens und Sterbens unseres Herrn und Heilands getrösten. Christi Blut und Gerechtigkeit, das war gewissermaßen das aus den Heilswahrheiten fließende Sparkassenkapital seiner Seele, wenn sie in Sünde gefallen war. Und nun saßen zwei verkehrte Gelehrte, jedenfalls ein Verkehrter im Hinterstuhl seines Wagens und wollte es ihm nehmen.

»Christus hat den Kreuzestod freiwillig auf sich genommen, erkennend, daß das zum Siege seiner Lehre notwendig sei. Auch Gott hat es zugelassen, ja gewollt, es lag im Plan seiner Weltregierung, obgleich ihm von allen Menschen keiner lieber sein konnte als der Stifter unserer Religion. Das gibt uns einen Begriff von der überwältigenden Hoheit der sittlichen Güter, woran wir durch Christum Teil haben, und erhöht unsere Kraft, der Erde Leid und Schuld zu tragen. Die endliche Erlösung dürfen wir freilich erst in einer Höherentwicklung nach dem Erdenwallen erwarten.«

So ungefähr hatte die Rede von Karl Rank gelautet, die für Bartel in dem Knirschen der Räder verloren gegangen war. Er bedauerte es zwar, aber ohne Grund, denn an seinen Ohren hätte der Pastor doch vorbeigeredet.

Nun hatte der Steinschlag ein Ende, und das gleichmäßige Rollen setzte wieder ein. Im Hinterstuhl wurde weitergeredet – freilich ein anderer Strahl als der, der im Rädergeräusch vergraben worden war, aber auch einer, von dem Bartel nichts verstand, wofür er sich nicht einmal interessierte. Die Worte hörte er noch einigermaßen, ein Sinn war aber für ihn nicht vorhanden. Was tut man mit einem Gequatsch von Willensfreiheit und paulinischer Gnade, von Augustin und Luther? Und gerade wegen der Unverständlichkeit erlangte er merkwürdigerweise das Gefühl der Überlegenheit zurück, das er immerdar aus seiner Einfachheit geschöpft hatte, das aber vorübergehend bei den Unterhaltungen der Verkehrten in ihm verwirrt worden war. Er fühlte sich wieder im ungestörten Besitz dieses Guts und konnte mit allen kleinen Schlangenlinien seines guten Gesichts wieder lächeln und lachen.


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