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10

Eine halbe Stunde später hatte Daniel zusammen mit dem Reisemeister den Markttrubel hinter sich gelassen. Trina Mersch und der Reisemeister sind beim Mühlespielen gewesen, Daniel aber hat zum Aufbruch gemahnt. Ohne Abendbrot hat Tante ihn freilich nicht gelassen, er hat es hastig hinuntergestürzt, nun trugen sein Fuchs und der zweirädrige Kasten ihn und Klaus Frahm aus dem Ort.

Die Kirche sah, als die Räder über die Brücke donnerten, ernst und hoch auf sie herab, die Uhr gab elf volle Schläge. In dem Metallmantel zitterte es lange nach, so zitterte es auch bei Daniel im Trennungsschmerz vor Liebe und Entsagung und hochgeschwungener Hoffnung. Bei dem ›Schwan‹ ging es in scharfem Trab durch eine offene, quer über die Straße laufende Rinne, das gab einen tüchtigen Stoß, wobei die Wagenfedern sich bogen, daß der Kasten auf die Achsenbrücke schlug. ›Das ist recht‹, dachte Daniel. ›Ich bin seelisch zerstoßen, da tut ein kräftiger Ruck am Körper ganz gut.‹

Der zum letzten Viertel anstrebende Mond stand jetzt ziemlich hoch am Himmel; Natur und Landschaft hüllten sich in seinen Zauber ein. Helldunkel, umduftet von Farbentönen, die kein Wort zu fassen vermag. Wo der Weg sich auf höherem, trockenem Gelände bewegte, einen Zauberwald aus Knicken und Hecken ballend; in der Straßenzeile eine Fernsicht, wenn auch nur auf wenige Meter, vorspiegelnd; in den Gründen und vom Wiesental herauf ein Meer aus wallendem Rauch und Nebel schaffend. Und über weißen, glänzenden Hecken, über Rauch und Nebel der von keiner Wolke verdüsterte Mond in erkältender Pracht.

In der ersten Hälfte des Wegs sprachen die im Kastenwagen allerlei, wovon ihr Herz nichts wußte – vom Markt und seinen Sehenswürdigkeiten. Die Nigger und den Professor Reimers hatten beide gesehen, bei Reimers waren sie auf ihre Kosten gekommen, obgleich sie seinen Titel für ebenso unecht hielten wie die angestrichenen Schwarzen. Mitten durch ihre Gespräche flogen mit Marktgästen vollbepackte Wagen, die entweder den Kastenwagen und seinen Fuchs überholten oder von ihm überholt wurden. Helle sagenhafte Wagenlaternen beleuchteten dann auf einen Augenblick rote, angetrunkene, fröhliche Marktgesichter, rauchende Männer, singende Weiber.

Als sie die dem Kirchdorf zunächst belegenen Dörfer passiert hatten, wurde ihre Straße stiller und ruhiger. Das Gespräch nahm eine andere Wendung, der Reisemeister fing an, von sich zu reden.

»Daniel«, sagte er, »man sagt wohl, jeder sei seines Glückes Schmied, man habe seine Zukunft in der Hand. Aber das ist nur halb wahr. Ich bin seither eine Art Vagabund gewesen, und die Leute sagen, er will es nicht anders. Das ist wahr, aber auch nicht. Nicht nur mein Charakter, auch andere Umstände haben mich gehindert, den Pallisadenweg der Familie zu vermeiden und der Gründung einer eigenen aus dem Wege zu gehen und dadurch gegen ein Grundgesetz der Weltordnung zu verstoßen. Früher habe ich darüber absprechend geurteilt, das tue ich in dem Maße nicht mehr. Und mit dem Landstreichertum mache ich jedenfalls Schluß.«

Für einen Augenblick schwieg er, dann fuhr er fort: »Sieh, Daniel, die Straße vor uns im Mondschein. Zwanzig Schritt sehen wir, für zwanzig Schritt können wir bezeugen, daß kein Abgrund vor uns gähnt, daß kein Tigertier uns den Weg versperrt. Aber das, was dann kommt, verbirgt die weiße, flimmernde Wand. Wir dürften nur wagen, Schritt zu fahren, wenn wir die Wand nicht auf eigenem Scheitel trügen und vor uns herschöben. So ist es auch mit meiner, ich hätte bald gesagt: mit unserer Zukunft. Aber ich will nur von mir und meiner Zukunft sprechen.«

Er griff in die Rocktasche, kramte eine Zigarrentasche hervor, bot seinem Schüler und zündete sich selbst einen Glimmstengel an.

»Wir wollen rauchen, dann plaudert es sich besser. Und den Fuchs, nicht wahr, den lassen wir langsam gehen. Ich möchte die Stunde, die ich heute abend mit dir zusammen bin, gerne verlängern. Wisse nämlich, meinen Plan, mit nach Lohfelderkamp zu fahren, habe ich aufgegeben. Deine Mutter könnte doch an dem unangemeldeten Besuch wenig Freude haben. Und meine eigene Mutter würde ihren Sohn heute abend vielleicht vergeblich erwarten; ich erinnere mich in diesem Augenblick nicht, ob ich ihr von meiner Absicht gesagt habe. Und dann das: ich glaube, du hast heute allerlei erlebt, an dem deine Seele, um mich drastisch auszudrücken, ein paar Tage zu verdauen hat. Und was du noch hören sollst, wird vielleicht der Sauerteig sein, der den Teig aufquellen läßt.«

Daniel wußte nicht, was er daraus machen sollte, in der Weise hatte der Reisemeister noch niemals zu ihm gesprochen. Das Pferd ließ er in Schritt gehen, seine Zigarre flammte auf, er antwortete: »Ich bin bereit, zu hören.«

»Zunächst will ich dir mitteilen«, fing Frahm an, »daß mein Besuch zwar aufgeschoben, aber nicht aufgehoben ist. Heute ist Montag, Freitag erscheine ich auf Lohfelderkamp, um zu sehen, wie die heute bei dir gesäte Saat keimt. Würde es Freitag wohl passen?«

Daniel Dark erwiderte, daß der Reisemeister am Freitag willkommen sein werde.

»Also zu meiner Zukunft! Das wurzellose Umhertreiben hört auf. Ich tue mich in der Stadt mit einem jungen Sprachgelehrten zusammen, wir gründen eine Privatschule, bei der ich die Leitung der Realien, er die gelehrte humanistische Bildung übernimmt. Die Bedeutung dieser Ausdrücke ahnst du, wenn du sie vielleicht in ihren technischen Einzelheiten nicht ganz verstehst. Er die fremden Sprachen und die damit zusammenhängende Gelehrsamkeit, ich das andere. Und weißt du, was unser Hauptziel sein wird? Es wird sein: Talente, denen widrige Umstände entgegenstanden, so rechtzeitig in die Laufbahn der Gelehrten einzubiegen, wie es die übliche Ordnung verlangt, mit so großer Geschwindigkeit in das Drachenblut des Unterrichts einzutauchen, daß sie die Hornhaut der Reife für Hochschulen in kurzer Zeit erlangen. Du verstehst meine Bildersprache, soviel ist dir von dem hörnernen Siegfried erinnerlich aus der Zeit, wo wir noch zusammen arbeiten durften. Bei dir ist es nicht ins Leere gefallen.

Das ist meine Zukunft, wie ich sie auf zwanzig Schritt (mehr Raum gewährt die sich vor allen Menschen herbewegende Flimmerwand nicht) sehe, soweit sie frei vor uns liegt, just wie die Landstraße vor unserer Karre und unserm guten, braven Fuchs. Aber gleichviel, vielleicht wohnt auf Lohfelderkamp ein Zögling, der guten Rohstoff für die Bildungsfabrik Fritzsche & Frahm abgeben wird. Nicht wahr? Warum soll ein Reisemeister nicht auch ein wenig Geschäftsmann sein?«

Daniel lachte und tat, als ob er es für Scherz nehme. In Wahrheit aber träumte er: ›Sollte nicht auch für Daniel Dark hinter der weißen Flimmerwand etwas wie Glück und Zukunft warten?‹

»Mit dem Reisemeistertum«, fuhr Klaus Frahm fort, »hat es ein Ende. Das war überhaupt der Eigensinn einer Wandermaus, die bei ihrer Fußreise auf einen breiten Strom stieß, von dem sie verlangte, daß er ihr aus dem Wege gehe. Sie werde jedenfalls nicht von der Stelle rücken, sagte sie. Der Strom kehrte sich nicht daran, und die kleine Maus verhungerte auf ihrer Steinplatte. Mir kam auch ein Hindernis in die Quere, als ich tun wollte wie andere, und da wollte ich dem Lauf der Welt gebieten, mir aus dem Wege zu gehen. Ich wollte der Welt in einer Art Rachegefühl wieder in die Quere kommen und anders sein als die, die sich mit dem Strom treiben ließen, freier, ungebundener als sie alle. Buchstäblich verhungern tat ich nun freilich nicht, aber ich wurde der Reisemeister, und das war auch nicht viel mehr, jedenfalls war es Unsinn. Und das merke dir, Daniel: man kann innerlich ein freier, ungebundener Mensch sein, ein Souverän, und dabei äußerlich durch Pflichten gefesselt. Man kann scheinbar im behaglichen Familienidyll restlos seine Befriedigung finden, ein Philister sein und doch ein König in dem weiten Reich seines Innern.

Du willst wissen, was mir beim Lauf der Welt in die Quere gekommen ist?«

Daniel hatte es just nicht gesagt, aber es doch so lebhaft gedacht, daß ihm beinahe schien, er habe die Frage gewagt.

»Das läßt sich leicht sagen. Ein Spruch unseres Altmeisters Goethe ist schuld daran, das heißt – nicht der Spruch an sich, sondern die Wahrheit, die darin liegt. »Die Frauen«, sagt er, »sind silberne Schalen, in die wir goldene Äpfel legen.« Das heißt: Männerliebe verschließt die Augen vor dem Erdigen und Irdischen, das den Geliebten, so lieb und gut und engelhaft sie immerhin sein mögen, anhaftet; sie hebt sogar die Mängel und Fehler in den Äther der Verklärung hinauf. Die Mannesseele ist nun mal – Daniel, das wollen wir uns auch in dem Zeitalter der Umkehrung der Geschlechtsgewalten nicht nehmen lassen – Männerseele ist doch vorzugsweise das Gefäß hoher Ideale. Im allgemeinen sind Frauen vernünftiger, nüchterner, prosaischer, die Lebensverhältnisse, das heißt die kleinen, richtiger einschätzend. Freilich, wo das Gemüt überquillt, da kommen auch wohl Leistungen vor, die uns überraschen, Leistungen wirklicher Seelengröße, schmerzensvolle Enttäuschungen heroisch niederstampfende, die der Durchschnittsmensch männlicher Gattung nicht fertig bringt. Es fließt aus der Anlage eines alle Vernunft gefangennehmenden, überströmenden Gefühls und Gemüts, wobei der Wille, ja selbst die Phantasie steuerlos Hinterhertreiben. Was dagegen der Durchschnittsfrau fehlt, das ist der Flug des Willens und der Vorstellungen in die Weite; fehlen tun die in das Dauernde, vom Zufälligen gereinigten, zumal in das Ewige verlegten Ziele und Idealbilder. Das ist Sache des Mannes. Aber, was tut der verliebte Mann? Er übersieht das, was der Frau fehlt, vergrößert ihre Vorzüge ins Titanenhafte, ins Übermenschliche, wirft goldene Äpfel in die silberne Schale.

Ich rede da was her, das verstiegen klingt, es auch wohl ist und von dir wohl kaum völlig verstanden wird. Ist auch nicht nötig – du ahnst den Sinn, und das ist vor der Hand genug. Bei dir fällt nichts ins Leere. Wenn die Stunde kommt, werden meine Worte wiederklingen, und dann wirst du auch ganz genau erkennen, was der Reisemeister dich gelehrt hat, als du mit ihm zusammen auf dem Kastenwagen vom Jahrmarkt nach Hause fuhrst.«

Er schien mit seinem Vortrag über die Frauen Schluß machen zu wollen, setzte aber hinzu: »Nur das eine sei noch schnell gesagt. Wenn Lachen Glücksgefühl anzeigt, wenigstens das natürliche Lachen, dann gibt es keine glücklicheren Wesen als junge Weiber. Denn nichts lacht mehr über allerlei Nichtigkeiten, als das. Nun ist die Welt und ist das Leben aber gar nicht zum Lachen, und es ist auch gar nicht unsere Bestimmung in der gegenwärtigen Form unseres Seins, das zu sein, was man im gemeinen Sinn glücklich nennt. Wiederum ein Beweis, wie wenig so ein junges, albernes, kicherndes Ding den Sinn unseres Dasein ahnt.«

»Ich tat also«, fuhr Klaus Frahm in seiner Erzählung fort, »goldene Äpfel in eine Schale, die ich für golden hielt, die aber wahrscheinlich nur silbern plattiert war. Was alles dichtete ich meinem Mädchen an, sie war gar kein menschliches Wesen mehr, war ein Gott. Dabei tat ich nur Minne mit den Augen, wie gewisse andere junge Leute auch«, (Daniel knipste verlegen mit der Peitsche, Klaus Frahm lächelte ihn an), »wie es andern jungen Leuten auch passiert. Und dann verschwand ich auf zwei Jahre als Schulpräparand nach einer großen Stadt, hielt aber, so hoch dachte ich von ihr, mich nicht für würdig, an sie zu schreiben, erwartete jedoch nichtsdestoweniger, als ich wieder erschien, den alten Backfisch wiederzufinden, mit dem ich das Augenspiel von vorne anfangen könne. Ja, für so echt golden hielt ich die Schale. Aber mein Backfisch in ihrem plattierten Silber war ein reifes, ihre Netze auswerfendes Mädchen geworden. Und glücklicher oder, wie man will, unglücklicherweise sah ich schon in den ersten Tagen frühmorgens einen Nebenbuhler aus ihrem Kammerfenster steigen. Da war es mit meiner Liebe aus, denn weißt du, Daniel, darüber konnte ich nicht hinweg. Und als ich das gesehen hatte, da glaubte ich mich gegen den Gang der Welt auflehnen und ein Reisemeister werden zu dürfen. Was für ein Unsinn!«

Daniel erwiderte nichts, aber er dachte: »Du hältst meine Schale auch für silbern plattiert; ich will nicht behaupten, daß sie massiv golden ist, jedoch – echt silbern, dafür komme ich auf.«

»Hätte ich damals«, fuhr der Reisemeister fort, »hätte ich den Philosophen gekannt, auf den ich jetzt so viel gebe, der auch noch mal dein Lehrer sein wird, Daniel; hätte ich den gekannt, dann würde ich in der Lage gewesen sein, einzusehen, daß das, was mir passierte, nicht gegen den Lauf der Welt war, sondern ganz zu ihm paßte. Die Natur gibt den Tieren ein Hochzeitskleid, wenn die Zeit gekommen ist, dem Gebote: »Seid fruchtbar und mehret euch!« nachzukommen. Mit den Mädchen ist es nicht anders. Da kommt die Allerschafferin und überschüttet sie mit Schönheit und übertreibt das Abbild der Tugenden, die in ihren Herzen wohnen, in dem süßen Lärvchen. Wozu? Damit wir Männer anbeißen. »Bauernfängerei«, denkst du, aber das ist gefehlt. Denn an sich wäre unser Anbeißen ganz in Ordnung, wenn nicht die Kultur gekommen wäre und alle Verhältnisse verzerrt hätte. Vielleicht hinkt die Natur nur nach, vielleicht kommt einmal die Zeit, wo sie den Mädchen das Hochzeitskleid mit fünfundzwanzig Jahren, uns Männern aber mit fünfunddreißig Jahren anzieht.«

Sie waren an der Stelle angelangt, wo der Weg von Bramberg und von Reiherwisch in die Hauptstraße einmündete. Und noch immer sprach Klaus Frahm:

»Hier kam wohl der Reiherwischer Wagen, wenn ihr zur Konfirmationsstunde gingt. Nicht wahr, den Schleier wußte die kleine Hexe kokett nachflattern zu lassen?«

Daniel wurde rot, im Mondschein sah man es aber nicht.

»Und nachher das kleine Abenteuer, wo du sie auf dem Schoß hattest? Sie erzählt es ja selbst. Artig, für Schulkinder beinahe ein bißchen zu sehr. Lieber Daniel, ich glaube, echt silbern ist die Schale nicht, in die du deine goldenen Äpfel tatest.«

Daniel antwortete nichts, aber dachte: ›Silbern ist sie doch!‹

Der Reisemeister schwieg auch, steckte sich aber eine neue Zigarre an, ohne seinem Begleiter anzubieten. Wahrscheinlich vergaß er es. Er paffte. Der Fuchs ging wieder in Trab. Der Nebel war dichter geworden, die Wand, die die Zukunft verhüllte, war näher als im Anfang. Und dann hielt Daniel an, sie waren an dem nach Westerhorn abbiegenden Wege.

»Jawohl«, sagte Klaus Frahm, »es bleibt dabei, heute gehe ich heim, aber Freitag bin ich bei dir.«

Als er vom Wagen stieg, sagte er halb für sich: »Es ging ein Säemann aus zu säen – einiges fiel auf Stein, einiges unter die Dornen, einiges auf fruchtbares Land. Also Freitag – und gute Nacht!«

»Ich will nicht sagen«, dachte Daniel, »daß deine Worte nichts mehr nützen und Saat sind, die in bereits aufgegangene Halme fällt; in der Hauptsache aber ist der Acker schon bestellt. Du weißt viel, guter Reisemeister, alles ist dir aber doch nicht bekannt.«

Der Reisemeister verschwand im Mondschein und Nebel. Aber aus Mondschein und Nebel klang es noch einmal zurück: »Überdenk es, wir wollen Freitag darüber sprechen: Wie ist es mit der Vorfreude?«

Es hatte Daniel Dark schon längst im Sinne gelegen, daß die in Erwartung dessen, was ihm der Tag bringen werde, gehegte frohe Stimmung von heute früh nur eine bedingte Freude gewesen sei, auch als solche von ihm empfunden worden. Die Freude, die er erhofft hatte, trug er nicht heim. Aber doch eine Freude. Was er von ihren Lippen bekommen hatte, das gehörte ihm für immer zu eigen. Und was die jetzt in festen Linien vor ihm liegende Zukunft bot, war mehr als Reiherwisch. Das, was er jetzt hoffte, konnte sich nicht als trügerisch erweisen, weil es allein auf seinen Willen gestellt war.

Er rührte die Peitsche und der Fuchs setzte sich in seinen gewohnten Dauertrab. Je mehr man sich den Wiesen näherte, um so dichter wurde der Nebel, um so weißer und wuchtiger ballten sich die Laken der in der Niederung wallenden Gespenster, um so enger hüllte ihn die vor seiner Zukunft aufgespannte Wand ein. Aber um so getroster und selbstsicherer fuhr Daniel in sie hinein, niemals zweifelnd, daß sie sich vor ihm teilen oder vielmehr sich vor ihm und seinem Fuchs herschieben werde. In Lohfelderkamp stand sie aber so fest auf den Wiesen, daß der immer noch helle Mond brav mit dem Gespenstergesindel zu kämpfen hatte.

Im Hause lag alles, was atmete, in tiefem Schlaf. Daniel Dark schirrte den Fuchs aus, zog ihn in den Stall, gab ihm Wasser, rieb ihn mit Stroh und füllte ihm die Krippe. Den Kastenwagen schob er in das Wagenschauer und schloß es ab. Eine Stunde saß er noch bei spärlicher Lampe auf der Futterdiele, dem braven Pferd nachzufüllen, dann führte er es auf die hinter dem Hause belegene hohe Weidekoppel. Da konnte der gute Fuchs zum Nachtisch soviel Grassalat essen, wie er mochte.

Als Daniel Dark durch das Hecktor zurückkehrte, mit dem Angesicht nach den Wiesen hin über die runden, im weißen Mondlicht gespenstisch leuchtenden Findlinge hinwegblickend, da sah er ...

Einen Augenblick stand er still. Seine Erregung – alles, was an dem Tag auf ihn eingestürmt hatte, mußte ihm einen Streich spielen. Aber er sah ...

Hinter den großen Steinen wogte der zum Weltmeer ausgeweitete See Genezareth. Und eine Gestalt schritt auf den Wassern im weißen Nebel. Im wallenden Gewand ... den Glorienschein himmlischer Majestät um das Haupt ... der Gott-Erlöser seiner Kindheit.

Daniel Dark hatte auf dem Heimweg hartes Gericht mit sich gehalten, sich seine Sünden, seine Fehler, seine Torheiten vorgehalten, hatte sich gescholten, wie er sich durch Frauenliebe habe abwendig machen lassen wollen davon, was er doch einstmals als seine Lebensbestimmung erkannt hatte: Gott dem Herrn zu dienen, sei es im schwarzen Rock auf der Kanzel, sei es auf anderen Wegen, als Mann der Wissenschaft oder der Kunst. Von ihr erst hatte er sich sagen lassen müssen, daß sie und die Liebe zu ihr Fremdkörper in seiner Seele sei, den auszustoßen schon längst seine Pflicht gewesen.

Er hatte mit den letzten Widerständen seiner Seele gekämpft. Nun kam der Herr des Himmels in Person, ihn zu stärken. Was wird er tun? Den Gottesarm um seinen Nacken legen, ihm ein gutes Trostwort sagen? Er tat mehr, er tat Größeres. Die Dornenkrone umwand sein Haupt, ein rohes, zum Kreuz zurecht gehauenes Eichenholz bog die erhabenen Schultern. Aber das von innerem Siegesgefühl verklärte Dulderantlitz grub seine Augen in Daniel Darks vor frommer Andacht versteintes Gesicht. ›Nimm das Kreuz auf dich und folge mir nach!‹ Das stand in dem Gottesleuchten seiner Augen, die Rechte aber wies hinauf nach den keimenden Sternen.

Am frühen Morgen unterschied Daniel nicht mehr genau Gesicht und Traum, die Fäden hatten sich zu einem feinen Gespinst vernestelt. Aber das wußte er: wenn der Reisemeister Freitag kommt und Antwort heischt, dann wird er sagen: »Wohlan, Daniel Dark ist Zögling der neuen Schule von Fritsche & Frahm!«


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