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5

Von Trina Mersch kam er nicht sobald wieder weg. »Die Marktfreude kriegst noch leicht, und für junge Leute wie du, Daniel, lohnt es sich erst am Abend. – Was sagst du? Der Reisemeister ist Glock neun hier, mit dir zurückzufahren? Laß den man kommen, ich spiel mit ihm Mühle, und wenn es auch zwölf wird.«

Die fleißigen Hände in die Seiten gestemmt, in blaubunter Wirtschaftsjacke, fuhr sie, weitere Einwendungen abschneidend, fort: »Nein, mein Junge, da wird nichts aus, erst kriegst du Milch und Eier und Schinken, und dann gehen wir los, die Kühe zu besehen auf der Hundskoppel und die Kälber in der Seewisch. Mußt doch was von Trina Mersch und ihrer Wirtschaft erzählen können, wenn du nach Hause kommst. Und dann auf der Hundskoppel und Langkoppel (bei uns liegt ja leider noch alles ein bißchen weit in der Feldmark umher, nicht wie bei Lohfelderkamp vor der Tür), überall sollst du mir Rat geben. Bist ja, wie ich höre, ein fixer Bauer geworden, und ich – ich« (was da für Lichter um den Mund der vergnügten Tante flogen!) »ich bin ein altes Weib. – Den Mittag setzen wir ein paar Stunden später an.«

Es wurde, wie sie befahl. Daniel Dark aß Eier und Schinken, trank Milch dazu und ging mit Trina Mersch auf dem weiten Plan der Feldmark umher. Und weiß der Himmel, wie es kam, das Feuer der Vorfreude loderte nicht mehr so hell, wurde klein und kleiner.

Zweifel stiegen in seiner Seele auf. ›Sie soll reiner, besser sein, als die wirkliche? Ich glaube, sie ist nichts als eine Hoffnung, und mit Hoffnungen ist der Weg zur Trübsal gepflastert.‹ Das ungefähr war die Richtung des in ihm Aufquellenden. ›Und wenn sich herausstellt, daß das Ziel ein verkehrtes, verfehltes gewesen ist? Wird das, was ich schon gehabt habe, sich nachträglich in Bitterkeit verkehren?‹

So schwirrte es durch seinen Sinn, dieweil er Kühe und Kälber lobte und auf der Langkoppel ein Jahr Brache gegen Quecke empfahl.

Trina Mersch hatte sichs in den Kopf gesetzt, ihren Schwestersohn zu verderben. Als sie zurückgekehrt waren und der Mittag verzehrt, legte sie Kissen aufs Sofa, damit er etwas ruhe – eher Befehl als Bitte. »Ein Viertelstündchen, wirds ein halbes, schadet auch nicht. Man ist nachher um so frischer, und ein junger Knecht, der zu Markt will kann es gebrauchen.«

Es war ihm nicht recht, Mittagsschlaf war für ihn ein unbekanntes Ding, aber Tante wollte es so. Er streifte die Stiefel ab, ließ sich betten und ließ sich bemuttern. Und da kam auch die Müdigkeit, die zum Mittagsschlaf gehört. Tante Trinas Wunsch bescherte sie mit suggestiver Kraft, wohlige Mattigkeit begann seine Glieder zu lösen.

Die Wände der Stube waren mit Holz getäfelt, farbige, fromme Bilder hingen umher, darunter auch eines mit dem Wunder des Sees Genezareth. Petrus will in den Wogen versinken, der Herr aber befiehlt dem Kleingläubigen, und siehe, da kann auch der Jünger auf dem Wasser wandeln. Und ihm auf dem Sofa war, als schreite Gott der Herr herüber, stehe an seinem Lager und tadele ihn. Er wußte aber nicht – wurde er wegen seines Kleinmutes um Lene Springe oder gerade ihretwegen getadelt und gescholten?

Vor Daniel Darks Angesicht an der lila gestrichenen Wand hing eine braungeschnitzte Kuckucksuhr. Daniel kannte sie von seiner Kindheit her. Vor jedem Schlagen tat sich über dem Zifferblatt ein Metalltürchen auf, in dessen Öffnung ein kleiner, grün gefärbter Vogel erschien, mit Kuckucksrufen die Zahl der Stunden anzeigte, darauf verschwand, die Tür heftig, beinahe zornig hinter sich nachziehend.

Der Zeiger stand ein Viertel nach drei. »Ich lege mich auch ein wenig hin«, hatte Tante beim Weggehen gesagt, »punkt vier Uhr bringt Lina den Kaffee.«

Vor seinem Auge hing die braune Kuckucksuhr, deren Zeiger auf fünfzehn Minuten nach drei stand. Zehn Minuten vor halb und voll sagte sie mit einem kurzen harten Schlag einer schwingenden Feder an.

Vor ihm die Uhr und draußen in den Linden an der Straße Spatzenschwatz sowie Sonnenpfeile, die über Linden und Spatzen hinweg in die Stube fielen, saubere Lichtgarben auf die Wände warfen, Ähren und Körner zum Fußboden versprengend. Aber auch der ist des Lichtes voll, hell gescheuert, mit sauberem Sand bestreut, er weiß mit dem Glanz nicht wohin und wirft ihn in guter Laune an die Decke zurück.

Es ist Mittagsstunde, Daniel Dark ruht und mit ihm das große in seiner Vorstellung beschlossene All. In den Linden Vogellärm, in der Stube leises Fliegengeschwärm und der Kuckucksuhr energisches Ticktack. In wenigen Minuten wird sie zu halb ansagen, und um vier Uhr bringt Lina den Kaffee.

Daniel Dark war eingeschlafen, im Schlaf hatte er mit einem dicken Bäcker zu tun, der mit ihm über die Vorfreude stritt und behauptete, Vorfreude sei eigentlich nichts als Sauerteig. Und weiter ... in ermüdenden Abwandlungen, immer mit dem dicken Bäcker.

Ein scharfer, metallener Ton der Uhr. ›Sieh!‹ dachte Daniel, ›halb vier, um vier kommt Lina mit dem Kaffee.‹ Er hatte es aber noch kaum gedacht, da lag er wieder in Schlaf und Traum.

Er ging mit Lene Springe zusammen auf der Dorfstraße. »Nachher wollen wir tanzen«, sagte er. – »Kannst du denn?« fragte sie. – »Ich glaube.« – »Wenn das man wahr ist.« – »Warum sollte ich nicht tanzen können?« – »Kluge Leute könnens kein einmal.« – »Ich bin kein Kluger.« – »Das bist du doch. Und für Priesterleute schickt sichs nicht.«

Er wollte aufbegehren, wollte sagen, er sei kein Priestermann und wolle auch keiner werden – da schlug die Uhr, und auf dem Tisch dampfte der Kaffee.


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