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7

Sie bemerkten nicht, wie ein Mann rüstig den Fußsteig am Teich entlang schritt.

»Guten Tag«, sagte der Mann, als er den Weidenbusch überholte.

Noch rechtzeitig, denn just hatte Lene mit dem Umarmen anfangen wollen, da es sein mußte und Daniel nicht dazu kam, hatte seine Hände gefaßt. Nun ließen sich die jungen Menschenkinder los und fuhren auseinander.

»Guten Tag«, wiederholte der Angekommene, ein Bekannter von Daniel, es war der Reisemeister Klaus Frahm. »O«, flüsterte Lene, »das ist mein Lehrer.«

Der Reisemeister Klaus Frahm. Da stand er, lang, schmal, geschmeidig – schmales kluges Gesicht und hellblondes Haar mit einem an Schiller erinnernden Glanz. Er wäre keine üble Erscheinung gewesen, wenn er nicht die Marotte gehabt hätte, sich trotz seines gelben Haares und seiner gelblichen Gesichtsfarbe in gelbbraunen Farben zu kleiden. Da stand er, eine lange, fahle Erscheinung – war Lene Springes Lehrer gewesen, und Daniel hatte es nicht gewußt.

Der Hauslehrer gehörte natürlich zur Festtafel, er hatte sich dazu schon – gelbbraun – zurecht gemacht, ging aber vor Tisch noch eine Weile mit seiner Pfeife am Teich spazieren, wohl nicht ohne Absicht, hatte er Daniel doch gesehen und die ihm über den Hof folgende Lene.

»Nicht wahr«, rief er und machte ein unbefangenes und unbekümmertes Gesicht, ein Gesicht, das mit keiner Miene verriet, wie störend er kam und daß er das ganz gut wisse.

»Nicht wahr, Daniel?« Er musterte die Weide, als sei es ein exotisches Gewächs. »Nicht wahr, da haben wir den zweiten Fall, ein wie guter Kamerad ein Weidenbusch sein kann.«

»Ja, ja«, fuhr er fort, dabei leuchtete ihm der Schalk aus den Augen. »Es ist was Gutes, was Treues daran. Man kann ihn schneiden und aussägen, was diesem sicherlich auch schon passiert ist, um so frischer sendet er seine Schößlinge wieder heraus und wölbt seine Zweige, Geheimnisse zu bergen und zu hüten vor der neugierigen, der verständnislosen Welt.«

Lene Springe hatte ihn mit Gelassenheit angehört, nur bei der letzten Wendung wurde sie rot, was ihr übrigens entzückend stand.

Der Reisemeister wandte sich nun direkt an sie: »Kleine Lene, ich glaube, es wird Zeit für dich, wieder in die Pracht zu schlüpfen. Es wurde schon nach dir gefragt, und ich erbot mich zum Suchen. Gib dem lieben Danielchen artig Händchen und damit Adjüs. Ich geh mit ihm noch ein paar Minuten auf und ab.«

Lene zwang sich als Wohlerzogene ein Lächeln ab und tat nach Geheiß. »Ja, denn muß ich wohl. Adjüs, Daniel Dark. Und vergiß nicht, daß wir zusammen im Steig gestanden haben und was du mir da angetan hast.«

Sie flog am Ufer hin der Reisemeister sah ihr nach und blies den Rauch seiner Pfeife behaglich in die Luft.

»Ein gutes Kind, Daniel, geht aber in gefährlichen Schuhen wie jedes Weltkind, das ein Mädchen ist, gut aussieht und nach den sogenannten Freuden der Welt begehrt. Paß auf, ein halbes Jahr, und sie ist Königin auf allen Tanzböden hier im Umkreis einiger Meilen.«

Daniel sah den Sprecher bekümmert an. Tanzen war eine ihm unbekannte Kunst, die Gorgonenhäupter seiner Nebenbuhler sah er aus dem Boden wachsen.

»Du machst dazu eine betrübte Miene, mein Junge. Aber es wird nicht zu ändern sein. Sie kann doch nicht Mauerblümchen spielen, weil du sie nicht holst, überhaupt mit dir nichts anzufangen ist. Will wetten, daß ihr am Weidenbusch solche Gedanken gekommen sind. Da muß sie schon andere nehmen, die es besser verstehen.«

»So gar jung ist sie«, fuhr der Reisemeister fort, »auch nicht mehr, gewissermaßen eine Art Schicksalsgenossin von dir, beinahe ebenso alt wie du. Der Alte hat sich mal eingebildet, Freigeist zu sein, die Tochter daher nicht kirchlich einsegnen lassen wollen, erst die Bitten seiner Frau am Todbett haben ihn davon zurückgebracht. Die Freigeisterei war aber nur Modestück und ist jetzt abgelegt.

Ich sprach von ihren künftigen Erfolgen auf den Tanzböden. Die Saalbesitzer würden nicht auf ihre Kosten kommen, wenn die Natur nicht für eine ausreichende Anzahl fröhlicher, vergnügungssüchtiger, weltkluger, ein bißchen oberflächlicher und gedankenloser und dabei grundgütiger Geschöpfe, wie Lene Springe ist, Sorge getragen hätte. Ein klassisches Herdenkind, will heißen: Normalstück der Menschenart.

Bißchen weniger, gebe ich zu, könnte unsere Helene gerne sein nach der Seite der Weltlichkeit, im allgemeinen aber ist sie so, wie die Menschen im Durchschnitt sein müssen, wenn die Welt bestehen soll, vorausgesetzt, daß ab und zu auch mal eine andere Art mit unterläuft, wie zum Beispiel (warum soll ich es nicht sagen?) Leute wie wir beide, Daniel Dark von Lohfelderkamp und der Reisemeister Klaus Frahm. Freilich, zu viel von ihnen dürfen es nicht sein, und eine Welt aus lauter Daniels und Klaus Frahms hätte kein Jahr Bestand.«

Daniel wußte nichts zu sagen, die Worte faßten ihn mit Sturmeswehen, zuletzt folgte ein milderes Säuseln, das Wehen aber tobte nach.

Der Reisemeister nahm derweilen seine Brille aus dem Futteral, putzte die Gläser und sah Daniel nun doppelt klug und blank und glänzend an.

»Was würdest du tun«, sagte er plötzlich, »wenn du Herr von Reiherwisch wärest?«

So grub der Reisemeister alle von Daniel ganz oder nur halb gedachten Gedanken auf, er war ein Seelenkünder und Prophet, und es war gut, daß er seine Augen hinter Gläsern verbarg. Beide gingen langsam den Weg in der Richtung nach dem Hof zurück, Daniel verlegen und unfrei und in der Verlegenheit an dem Butterbrot kauend, ohne daran zu denken, daß sich das eigentlich nicht schicke. Es war aber auch geradezu erstaunlich, was aus des Reisemeisters Munde kam. Was sich niemals über Daniels Lippen gestohlen hatte, geheimste Gedanken im Herzensschrein, vor des Reisemeisters Brillenaugen war es offen ausgebreitet.

»Was soll hier«, sagte der, »hier, wo nicht gebaut wird, was soll Handel mit Baumaterial? Künstlicher Dünger? Vor der Hand wird auch das nicht lohnen, freilich, wenn die Landwirtschaft sich weiter entwickelt, ließe sich darüber reden. Aber die Mühle! Die Mühle müßte in Gang gebracht werden. Weit und breit die einzige Wassermühle, von Wind und Wetter unabhängig, im Teich eine Wassermenge aufgespeichert, wie man deren nicht oft hat.

Aber was geht das uns an? Ich werde niemals Herr von Reiherwisch und du, Daniel«, da leuchtete der gutmütige Spott sogar durch die blanken Gläser, »du auch nicht. Herr von Reiherwisch wird der, der die Lene zur Frau kriegt, und das blüht uns beiden nicht, wäre auch Unsinn. Und wenn der Alte vorher schon verkauft oder, man muß alles überdenken, Bankerott macht, wird auch Helene Springes Mann nicht Herr von Reiherwisch.«

Deutlicher brauchte der Reisemeister kaum zu kommen. Der aber beschloß, gründliche Sache zu machen.

»Es tut weh, Daniel, das erste Verliebtsein geht tief. Aber zu helfen ist nicht. Ihr paßt nicht zu einander. Seifenblasen platzen, sind zum Platzen bestimmt, das ist nun mal so. Es wäre Verrat an dem Besten, was dir gehört. Schlucke die Bitternis, sie ist die erste deines Lebens, sie wird nicht die letzte sein.«

Einen Augenblick schwieg er, dann fing er wieder an:

»Vor dir dein Ziel. Du siehst es, du kennst es. Du sitzest auf dem Renner, Hindernisse und Hürden stehen im Wege, du mußt sie nehmen. Lene Springe ist nicht die kleinste, die Sporen eingesetzt, die Hürde will hoch genommen sein. Im ersten Anlauf wirst du es wohl nicht fertig bringen, aber du wirst.«

Einen Augenblick schwieg er und blies den Rauch seiner Pfeife, anscheinend überlegend, ob er das auch noch sagen solle, was ihm auf der Zunge lag. Und dann kam es:

»Ich höre, er will dich hier zu einer Art Schreiber machen. Ja, Daniel, willst du dir und deinem Wesen untreu werden, in eine Art Venusberg gehen – tu es. Aber du wirst es nicht tun, dazu bist du dem zu treu, der dich geschaffen hat, so und nicht anders, wie du nun mal bist.«

Er nahm beide Hände von Daniel und schüttelte sie herzlich. »Ich schnalle mein Bündel. Nicht lange und ich bin wieder hier, und dann sehen wir uns, diesseits oder jenseits der Hürde. Und damit Gott befohlen!«

*

Lene war derweilen von der weißgestrichenen Pforte des Apfelgartens aufgenommen worden, hinter der Hecke sah sie sich um und sah die beiden am Stauschott, Daniel Butterbrod kauend. Das erfüllte sie mit Freude. ›Ißt er mein Butterbrot‹, dachte sie, ›dann denkt er auch an mich‹. Sie war zum Lachen froh und zum Weinen betrübt. Hauptsächlich zum Weinen; die Tränen traten ihr in die Augen, und als sie über den Hofplatz ging, kühlte sie sie an der Pumpe.

Dabei überraschte sie der Reisemeister. »Ja, ja«, sagte er, »Kind, son Konfirmationstag ... da tritt das Naß in die Augen. Es braucht aber ja nicht immer Kummer zu sein.«


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