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Was wir von der Verfassung der russischen Ackergemeinde ›Mir‹ genannt, hören, will uns nicht gefallen. Die Äcker alljährlich nach Willkür der Lose unter die Hufen verteilen? Was kann daraus anders werden, als Raubbau? Wer wird Fleiß und Dünger auf ein Stück Land verwenden, das ihm nur für ein Jahr gehört? So ist es bei uns doch niemals gewesen, denken wir. Aber da kommen Gelehrte und behaupten, daß Tacitus Ähnliches von unsern Vorfahren erzählt. Die Ackerwirtschaft scheint auch in Deutschland eine ähnliche, vielleicht in dem Verlauf jeder Kultur begründete Geschichte gehabt zu haben. Freilich: die beweglichen Ackeranteile sind wohl bei uns schon auf verhältnismäßig junger Kulturstufe von der Zufälligkeit der Lose unabhängig geworden, haben ein festes Verhältnis zu den Hufen angenommen, anfangs zur Nutznießung, dann zu Eigentum, wenn auch die Allmende (Gemeinheit) als weiter Kranz von Wald und Weide die Ackerfläche umschloß.

Es gibt Dörfer, zumal in geschlossenem Weichbild erbaute, wo man noch heutigen Tages die Spuren der alten Losordnung findet. Zusammenhängende Flächen der Ackererde führen besondere Namen, etwa: im Westen »Kamp«, im Osten »Schieren«, im Süden »Lagen«, im Norden »Brook« und so weiter. Und die Hufen haben durchweg in allen Himmelsrichtungen hin Felder. Das sind die zu Eigentum erstarrten, ursprünglich nur zur Nutznießung überwiesenen Ackerlose. Eine unselige Zerstückelung der Hofländereien, Erschwerung der Bewirtschaftung ist die Folge. Dem Übelstand durch Austausch abzuhelfen, wurde früher selten versucht. Dazu bedurfte es in alter Zeit langwieriger Einigungen der Landlieger im Vertragswege; neuerdings hat sich die Obrigkeit der Sache angenommen und besondere Verkoppelungsbehörden eingerichtet, die mit sanftem Zwang und väterlicher Gewalt die Vermittelung übernehmen.

In dem Dorfe seiner Geburt, das »Lohe« hieß, verlebte Daniel Dark seine Jugend zu einer Zeit, wo man noch nichts von solcher Fürsorge des Staats wußte. Die Bauern schlugen sich schlecht und recht durch und beließen es bei dem alten Zustand, die einen in dem Gefühl der Ohnmacht oder der Bequemlichkeit, die andern aus Liebe zum Herkommen, aus frommer Scheu, am Hergebrachten zu rütteln – alles Beweggründe und Rücksichten, die sie sich selbst nur halb eingestanden. Es schien ihnen eine Art Frevel zu sein, es besser haben zu wollen als ihre Väter und Urälterväter von alters her, an der Beschwernis empfanden sie schließlich gar eine Art Freude, etwa wie der Franziskaner an seiner dicken, schweren, ihm zum Zweck der Mühsal auferlegten Kutte. Wenige machten selbst Versuche, die Sache zu ändern, und nur Johann Kühl und Detel Trede war es gelungen. Die hatten die im Dorfweichbild belegenen Ländereien verkauft und sich hinausgebaut, der eine nach den Schieren, der andere nach den Brooks.

Daniels Vater gehörte weder zu den Bequemen, noch zu den Kuttenträgern, noch auch zu den im Gefühl ihrer Ohnmacht Versinkenden, er war einer, der sich mit Plänen trug. Den Johann Kühl und Detel Trede wollte er es nicht allein gleich tun, er gedachte es sogar besser zu machen. Und der Unsinn, der in der Zerstückelung der Äcker lag, verursachte ihm als gewissenhaftem Hausvater das Gefühl, als trage er etwas Häßliches und Widriges mit sich herum, ohne dafür den Ausgleich in der Ewigkeit zu erwarten, dessen sich der Franziskaner getröstet.

»Der weitläufige Kram frißt Haus und Hof«, pflegte er zu sagen.

Daniel stellte sich unter ›Kram‹ ein Tier vor. Er fragte die Mutter: »Ist es im Stall?« Mutter lachte und nannte ihn einen dummen Jungen, Vater aber wiederholte: »Es ist mein Ernst, Grete. Was meinst du, wenn wir uns nach den Kämpen hinausbauten?«

»Nach den Kämpen.« Andreas war ein ernster Mann; was er sagte, war mehr als Spiel mit im Ernst nicht gehegten Absichten.

Mitwirkend war ferner ein Gedanke, der auf im Dorf sonst nicht gerade üblichen Gründen beruhte und auch bei ihm nur verschämt Unterschlupf fand: auf einsamen Feld, im frischen Wind, unmittelbar vor den weiten, breiten Wiesen, ganz allein in Herrgotts Hand, keinem Menschen dienstbar – das muß ein Gefühl der Kraft und Herrlichkeit erzeugen, wie es Könige beseelt, die über die beschwerlichen Dinge des Alltags hinweggehoben sind.

Da kam Friedrich Stabes große Essenhochzeit und Andreas Darks Sündenfall, der ihm ein so tiefes Gefühl der Scham auferlegte, daß er glaubte, sich im Dorf nicht mehr vor Leuten sehen lassen zu können. Also hinaus nach den Kämpen! Er wollte sich das zur Strafe dienen lassen, was er sich bisher halb und halb als Feiertagslohn für den Rest seines Lebens versprochen hatte – Flucht in die Einsamkeit, hinweg von den Zeugen seines Fehltritts! Der Verkehr mit den Dorfsleuten erschien ihm wie eine Art Spießrutengang, klarer trat auch der wirtschaftliche Vorteil hervor, Andreas Dark fing an, scharf zu rechnen.

Bei ihm lag die Sache nicht am schwersten. Im Dorf hatte er nur das Haus und den Kohlhof und die von Daniel zum See Genezareth erhobene Wiese, außerdem eine Streubüchse Acker im Osten, alles andere in den Kämpen. Dreißig Minuten hin, dreißig Minuten her, Verbrauch von Menschen und Pferden, Verschwendung lebender Milch, wenn man die Kühe nach Hause holte – das Wort blieb wahr: es fraß Haus und Hof.

Er hätte gleich Hand anlegen sollen, tat es aber nicht. Hemmungen und Bedenken traten auf, die das Entfalten zur Tat verhinderten – Überbleibsel der Kuttenträgerei und Rücksichten gegen geheiligte, verjährte Mißbräuche und Überlieferungen, Sachen, über die er sich erhaben geglaubt hatte, die jetzt aber mit schleimiger Zähigkeit die Achse seiner Gedankenmaschine, wie dick und schmutzig gewordenes Öl, stocken machten. Er war auch nicht mehr der alte, zwar niemals vollsäftige, aber doch leidlich gesunde Andreas, und die Kränklichkeit war vielleicht nicht der geringste Grund dafür, daß er sich in einem Irrgarten des Erwägens und Planens herumtrieb, ohne den Ausgang zu finden.

Andreas Dark fing an zu grübeln, er grübelte lange Zeit – jahrelang. Er gedachte die Hindernisse hinweg zu grübeln, grübelte sich aber darin fest. Und über dem Grübeln wurde er zuletzt wirklich krank, sogar sehr krank.

An einem rauhen, trüben Herbsttag hatte er sich beim Ziehen eines Grabens in den Kämpen warm gearbeitet. Die dicke Wattenjacke (Koller) war zu Hause vergessen, auf dem langen Heimweg wurde er kalt, ein paar Tage kroch er still im Hause umher, klagte über Seitenstechen, dann fing das Fieber an, und als der Zustand bedrohlich schien, zog man den Doktor zu. Der sprach von Lungenentzündung und machte ein ernstes Gesicht. Auf Befragen, ob Hoffnung: »Ja, wenn das Herz es aushält.«

Das Fieber stieg, und in den Träumen des Kranken handelte es sich immer um die Abbaustelle im Kamp. Er bereitete die Baustelle, es wollte aber nicht werden. Bald wich der Grund ins Bodenlose, dann regte sichs darin wie menschliche Wesen, wenn man den Spaten ansetzte. Es wird nicht. Aber hindurch klang Gretes Stimme: »Andre, sei getrost, es ist nicht so schlimm!« Und zuweilen glaubte er zu sehen, wie die Gebilde seiner Fieber und Träume nichts seien als der unzuverlässige Baugrund seiner Entschlüsse und alles das, was er sich beim Grübeln selbst in den Weg gelegt hatte. Er wollte hoffen und leben, aber es ging nicht, wollte nicht gehen. Da verzweifelte er und beschloß zu sterben.

Und als er an das Tor des Himmels klopfte, und die schweren Angeln knarrten, sah er dem alten Paradieswächter ins Angesicht. Und der strich sich den Bart, lächelte ein wenig und fragte: »Andre, was willst du? Wir haben dich nicht gerufen.«

Und Andre antwortete: »Ich bin krank, und mir deucht, es geht zu Ende.«

Und dagegen Petrus: »Ich nähme dich gern ins Himmelreich, aber es geht noch nicht. Du bist da unten nicht fertig, bist noch was schuldig.«

»Was bin ich schuldig?« fragte Andre. »Ich habe immer redlich bezahlt, ein paar Kladdeschulden und der Doktor mögen geblieben sein, aber auch die werden ihre Richtigkeit finden. So schlecht ist es in Lohe bei Andreas Dark nicht bestellt. Die blaubunte Kuh ist an Schlachter Heitmann verhandelt, volle sechzig Taler kostet sie, und das Geld steht noch aus, der zwölf Tonnen Roggen nicht zu gedenken, die Kruse genommen hat. Und die Meinigen behalten Land und Sand.«

»Das meine ich nicht«, entgegnete Petrus und lächelte wieder, daß es beinahe ein Lachen war und man seine Zahnstümpfe sah. »Hast du nicht immer gesagt, das frißt Haus und Hof? Ist das in Ordnung? Nichts ist in Ordnung! Und du willst davon gehen, und Frau und Kind davor sitzen lassen?«

Da sah Andreas ein, daß er wieder gesund werden müsse, und wurde auch gesund. Und als er gesund geworden war, warf er die Ungetüme seiner Bedenken hinaus und brachte die Sache zurecht.

Das alte Darksche Haus mußte leider abgetragen werden, Stein und Holz fanden zum Teil bei dem Aufbau des neuen Hauses in den Kämpen Verwendung. Den Hausplatz mit Garten und Kohlhof und die Wiese übernahm Nachbar Wendel, über die Darksche Herdstätte geht jetzt sein Pflug. Die alten Eichen aber muß er stehen lassen, das hat Andreas sich ausbedungen. Die im Dorf belegenen Äcker hat Nachbar Wendel gleichfalls erworben, und das im Osten belegene Land Kahlke erhalten. Als Entgelt haben beide ihre in den Kämpen belegenen Ländereien an Andreas Dark abgetreten. So ist allen gedient, zumal auch Peter Kahlke, der für seinen Sohn, der Müller geworden ist, ohnehin nach einem passenden Grundstück gesucht hat, eine Mühle hinzusetzen. Und dazu eignete sich das Darksche Feld im Osten wie kein anderes. Es ist der höchste Punkt des Geländes, hat den Wind aus erster Hand und ist von drei Dörfern leicht zu erreichen.

Wenn man von Westen her durch die weiten Wiesen nach Lohe blickt, dann gewahrt man erst, wie hoch die Kämpen eigentlich liegen. Nun winkt dort durch Duft und Dunst ein freundliches Haus herab. Der rote Backstein der Wände, die grün und weiß gestrichenen Fenster und Türen und Giebel – alles leuchtet durch Licht und Luft, vorderhand noch ohne viel Schattenspiel, denn der neu hingepflanzte Baumschlag ist noch klein. Nach ein paar Jahren wird er aber anfangen, das Haus zu beschatten, und dann erst werden die besten Reize, die besten Farben dem Bilde hinzugetan.


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