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3

Auf Lohfelderkamp hatte man nicht viel ›Sinn für Feierlichkeit‹. Der Konfirmationstag unterschied sich daheim von anderen Sonntagen kaum. Der Mittag wurde später angesetzt, ein paar Freunde waren dazu gebeten, und wenn Daniel als ›Knecht‹ (das ist der Ehrentitel der in die Zunft der Erwachsenen Aufgenommenen) nach Hause gekommen war, gab es Hühnersuppe mit Weizenklößen und Reis – das war alles.

Mutter Grete wäre sonst natürlich mit dem eigenen Gespann zur Kirche gefahren, das ging nicht, sie hatte Reißen. Und Johann Butenop hatte weder Lust noch Verständnis für Anstand und Verwandtenpflicht. So ging Daniel, wie immer allein, zu Fuß, äußerlich unterschied sich der Tag für ihn von anderen Priestertagen nur dadurch, daß er einen neuen, schwarzen, eigengemachten Anzug und einen Regenschirm bekommen hatte.

Aber nein! Etwas Besonderes war doch dabei. Eine Viertelstunde Wegs vom Kirchdorf wohnte Frau Darks Schwester – Trina Mersch wird in der Kirche sein und die Familie auch sonst vertreten. Daniel und die in Lohe sprachen noch das alte plattdeutsche ›Mersch‹ und ›Ohm‹, die vom Kirchdorf waren feiner, die kannten nur noch ›Tante‹ und ›Onkel‹.

Daniel kam also zu Fuß. Lene Springe dagegen in der Kutsche von Reiherwisch, schwarze Pferde mit blinkendem Silbergeschirr und Stangengebiß davor.

Als die Hoftochter von Reiherwisch den Kirchensteig heraufrauschte, sah Daniel im Geiste sich selbst in grober, häßlicher Knechtsgestalt. Ein paar Augenblicke war er auf seinen Anzug stolz gewesen, aber der Stolz schmolz dahin. Mit der Wollust eines Marterzeugen malte er sich aus, wie grob und plump seine Glieder, wie hart und bäuerisch sein Gesicht, wie struppig sein Haar und wie steif seine junge Figur unter der Last der Karre, die er Tag für Tag nach der Schulzeit schob, geworden sei; in der Stimmung eines Büßers hob er ihre Gestalt, ihr Wesen, ihre Schönheit zu den Engeln empor.

Sie war in schwarzer Seide, Krausen um Hals und Kinn, goldene Brosche, Rose im Haar. Rosen um diese Zeit – wo kam die Rose her? Er dachte nicht, er wußte nicht, er hörte nur Rauschen und Knistern, wenn sie die feinen Glieder bewegte, wie es Wellen schlug, Wellen von Glück und Glanz und Farbe und Musik um sie her. Und über allem Glück und Glanz das liebe, das demütige, das freundliche Gesicht. Gesang und Gebet leiteten die Feier ein, die Orgel tat ihr Bestes und wob ein feines Gespinst der Andacht und Feierlichkeit und Erhebung durch den Raum. Eine einleitende Rede und noch einmal die Feststellung der Hauptglaubensartikel unserer Kirche durch Fragen des Geistlichen und Antworten der Kinder.

Pastor Rabe reichte eine Frage herum, es versagte überall. »Dann muß ich wohl Daniel Dark darum angehen«, sagte er. »Daniel, warum ist in dem Gebot, Gott zu lieben, alles andere enthalten?« Und wie immer bei solchen Dingen, durchbrach bei Daniel Dark der Funke die Isolierschicht und zeitigte eine Antwort, die den Kirchenherrn befriedigte. Da verwunderte man sich im Mannsstand und erstaunte im Frauensstand über so viel Weisheit, und es raunte die Bänke hinauf und hinunter: »Dat is Grete Schotten und Andreas Dark ehrn Soehn von Lohfelderkamp. De will Paster warrn.« Und die ihm gegenüber im Steig Sitzende lächelte den klugen Jungen freundlich an, freilich ein bißchen Spott lag auch jetzt drin. Wahrscheinlich hielt sie von der Weisheit des vornehmsten Gebots ebensowenig wie früher von dem Apostel Paulus und seiner Gnade.

Zum Schluß kam das nach örtlichem Gebrauch kniend abzulegende Bekenntnis. Daniel fiel auf die Matte wie ein Sünder auf die Bußbank, seiner Demut des Augenblicks entsprach nichts mehr als der Fußfall vor Gott dem Herrn. Ihm gegenüber an der Mädchenseite knisterte es eine Weile im Seidenwald. Dort nestelte man am Kleid, daß es in die richtigen Falten komme und nicht leide. ›Wie mag man nur an solche Nichtigkeiten denken!‹ schoß es bei Daniel auf. Lene aber wollte ihr Kleid schonen, sie hatte das Geschäft des Kniens zu Hause ausprobiert, da ging es ganz gut. Nun lag sie in all ihrer Bescheidenheit und Demut, mit braunem, rosengeschmücktem Haar, im schwarzen Schmuck der Seide und im strahlenden Schmuck der Jugend und Schönheit auf der Strohmatte vor Gott dem Herrn im Steig. Und beugte das Haupt. Daniel tat es auch, tat es zu tief und stieß in dem engen Steig an ihren braunen Kopf, daß es knackte. Daniel Dark schämte sich tief und freute sich doch, und wie ein Feuerstrom ging es durch ihn hin.

Oben an der Decke der Kirche war ein Dreieck gemalt und in der Mitte des Dreiecks ein Auge. Das war, hatte der Pastor erklärt, das Auge des dreieinigen, alles sehenden, alles wissenden Gottes. Und es gab keinen Platz in der Kirche, wohin nicht Gottes Auge sah, die Gedanken der Kirchenbesucher zu prüfen. »Wer unwürdig zu Tisch geht«, heißt es vom heiligen Abendmahl, »statt Segen den Tod empfäht«. Wer mit unkirchlichen, weltlichen Gedanken, mit Gedanken irdischer Leidenschaft und Begierden unter dem Kirchendach weilt, der wird einen dicken Strich in seinem Schuldbuch finden, wo er Rechnungen hätte ausgleichen sollen. Gott sieht es, vor diesem Auge ist nichts verborgen. Und was sein Auge sieht, wird eingetragen werden, das Gute und Gerechte in das Buch des Lebens, das Irdische und Frevelhafte in das Buch des Gerichts und der Verdammnis.

Was kann unheiliger und frevelhafter sein, als angesichts seines Auges, das apostolische Bekenntnis auf den Lippen, doch im Herzen arge Gedanken irdischer Liebe?

Und er – Daniel Dark?

Er, der zukünftige Pastor, fühlte es nicht einmal als Schuld und Fehl, so groß war seine Sehnsucht, so groß seine Liebe. Er konnte nicht anders, es war sein Wesen, und sein Wesen war ganz Wille, und Liebe war es und nichts als Liebe, Liebe zu ihr, die vor ihm im Kirchensteig kniete, die er mit dem Kopf gestoßen hatte. Und in demselben Augenblick, wo er sich zu Gott dem Herrn und seinem Sohn, dem Heiland, bekannte aus voller Seele und mit ganzem Gemüte, in der Aufrichtigkeit eines starken und naiven und jugendlichen Glaubens, da dachte er zugleich an die Lust und an die Last seiner großen Liebe, dachte aber immer wieder dabei, daß er und Lene Springe im Kirchensteig mit den Köpfen zusammengestoßen waren.


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