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Die Verabredung

»Wer lieben will, muß leiden.
Ohne Leiden liebt man nicht.
Sind das nicht süße Leiden,
Wer von der Liebe spricht.«

(Alter Moritaten-Vers)

Betrachten Sie diesen Herrn! – Bisher ein leidlich guter Tänzer! – Jetzt aber irren seine Füße – fern vom Rhythmus, direktionslos und zerstreut in der Landschaft umher; sie sind nicht mehr bei der Sache. Das liebreizende, scharmante Lächeln, das bislang sein Antlitz erhellte, hat angespannter zielstrebiger Geistigkeit Platz gemacht. Seine Stimme dämpft sich zum Flüsterton, und die Bruchstücke, die Sie jetzt mit geschultem Ohr im Vorbeitanzen hören, sind Werbungen um ein Wiedersehn.

Die endgültige Verabredung erfolgt am besten in der Weißwurstpause, da hier ein gewisser moralischer Druck die Partnerin zu einem Stelldichein geneigter macht, wenn nicht verpflichtet.

Aus nein wird »vielleicht« – aus vielleicht ja – aus ja Beteuerung – aus Beteuerung Schwur. »... Aber jetzt muß ich wieder an meinen Tisch, weil Er sonst böse wird ... Also, Dienstag, vier Uhr!!«

Der verabredete Herr ist bis zur Stunde der Verabredung wohlgelaunt. – Ist er um vier Uhr verabredet, so verläßt er um ein Uhr das Haus, schön wie die Welt vor der Erschaffung des Menschen, wohlriechend, gebügelt und mit Ölen und Essenzen gesalbt wie Pharao Ramses I. nach der siegreichen Schlacht bei den Nil-Katarakten. Schlips, Wildlederhandschuhe, Gamaschen. Der Mensch ist gut. – Der Herr ist schön. Was sonst noch an Schmuck und Rüstung an und in ihm ist, können wir mehr ahnen als wissen. Kein Ort, der Schutz gewähren kann, wo seine Büchse zielt ...

Und dennoch hat die harte Brust die Liebe auch gefühlt ... Wie sie wohl bei Tag, in Zivil aussieht? – Ach wie so trügerisch sind Faschingslichter ... Vielleicht haben die weiten Pluderhosen krumme Beine verborgen, die hübsche Halskette ein allerliebstes Kröpfchen ... Und vielleicht wandelt der Tag Seide zu Baumwolle ... Unsinn! Er mit dem Blick und der Erfahrung eines vereideten Frauenkenners irrt sich nicht.

Dienstag – vier Uhr. –

Es ist ein Viertel vor vier. Der Herr ist nicht pünktlich – er ist noch pünktlicher. Er ist schon da. – Verabredete Herren pfeifen »Ramona« und tun so, als ob sie auf die Straßenbahn warten ...

Es schlägt jetzt vier Uhr von allen Türmen, und der letzte Schlag fällt auf den Herrn wie Reif in Frühlingsnacht. Die Uhr schlägt keinem Glücklichen. Jetzt müßte sie da sein. Sie sagte: »... Punkt!« Aber vielleicht sind die Straßenbahnen bei dem Schnee ein bißchen bummelig. Verdammte Schwimmerei das mit der Straßenbahn! – Der Schnee gehört eben in einer Großstadt weggeräumt ... Aber dieses München natürlich ...! Provinz!!

Fünf Minuten nach vier Uhr. – Sie haben gewiß schon einen Löwen im Käfig betrachtet, mein Freund. – Er geht mit nervöser Wendigkeit auf und ab – immer auf und ab, und die Menschen vor dem Gitter haben Mitleid mit ihm und reichen ihm an einem Spazierstock eine Wursthaut in den Käfig. – So geht der Herr im Käfig der Erwartung auf und ab – auf und ab ... Na endlich! ... Da kommt sie ja ... Aber sie ist es nicht.

Wenn ihn jetzt dieser Fatzke da drüben nochmal so unverschämt fixiert, dann geht er hin ...

Der Zeiger rückt...

Des Herrn Augen verzehren jede ankommende Sechser-Straßenbahn. Wer steigt aus? Männer mit Rucksäcken, Gouvernanten mit Kindern, Briefträger, Stadträte, alte Damen – junge Damen, aber nicht »sie«. – Der Herr tritt mit der Fußsohle Ornamente in den Schnee. Zehn nach vier! Fünf Minuten will er noch zugeben. Wenn sie jetzt kommt, so wird er kühl sein, voll kühler Ironie! Er wird sie erziehen ... Wissen Sie nicht, Stella, daß ein Mensch von Kultur – von Bildung, von Stil, pünktlich ist ..., daß dies kleine Mädchen unpünktlich ... Glühende Kohlen wird er auf ihrem Haupte sammeln.

Zwei Straßenbahnen wartet er noch ab. – Zwanzig nach vier! Wenn er jetzt einen Dolch in ihr lügenhaftes Herz bohrte – kein Richter würde ihn verurteilen. Es hat mindestens fünfzehn Grad Kälte. – Nur Frauenzimmer bringen so was fertig ...

Stella! Lächerlich, diese Kathi oder Resi! Was für Namen sich diese Puten zulegen – diese Gänse ... Sicher hat sie krumme Beine! Er denkt an die zwei Paar Weißwürste, an das stille Glück im Winkel ... Allerdings, Weißwürste sind ihrer Konsistenz nach etwas locker – unverbindlich – leicht – rasch verdaut und rasch vergessen ...

Fünf vor halb fünf!

Wenn er sie wiedersehen sollte – mit keiner Wimper wird er zucken ... Ich kann mich nicht erinnern, gnädiges Fräulein – so wird er sagen. Wenn sie wüßte, was für ganz andere Frauen glücklich wären, wenn er ... Schließlich wäre es doch nur ein Herabsteigen ... So denkt der Herr. Er strafft die Brust. Er holt tief Atem. – Er geht. – Noch einmal sieht er sich um. –

Dann schreitet er seines Wegs fürbaß ... Flüchtet – wie ein weidwunder Hirsch ins Dickicht – in die dämmernde Stammkneipe. Da singt der Lautsprecher gerade die schöne Arie aus »Boccaccio«: Hab' ich nur deine Liebe, die Treue brauch' ich nicht ...

»Wissen Sie vielleicht, was der Lautsprecher gekostet hat?« fragt der Herr die Kellnerin ...

Wenn er nämlich nicht allzuviel kostet – o welche Lust wäre es jetzt für ihn, dieses Werkerl zusammenzuschlagen ...


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