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Das Gansviertel

Eigentlich wollte man das Gansviertel zum Abendessen aufheben. Aber dann war der Sonntagnachmittag so schön, und da sagte der Vater Zaglauer nach dem Mittagsschlummer zu den Seinen: »D' Sonn muaß ma ausnutz'n! De schöne Tag wer'n rar. Packts das Stückl von der Gans ei'. Heut tuat oan d'Luft grad guat. Wenn ma na ei'kehr'n, ham ma glei was zum Zuaklaub'n –. D' Natur is nia so wunderbar wia im Herbst. De Farb'npracht jetzt is unbeschreiblich. Tua's aber in a guats Pergamentpapier nei', wo d' Fett'n net durchlaßt.«

Die zwei Kinder, das Fannerl und der Maxi, werden von der Mutter geschruppt und in ihr Sonntagsanzügerl eingekleidet. Der Bappi läßt das Krawattl in den Kragenknopf hineinschnalzen, und seine Gattin nimmt den guten Schirm aus dem Kasten. »San ma's? – Na gehn ma!«

So gegen fünf Uhr bricht Vater Zaglauer die Wanderung ab. Er sagt: »Jetzt ham ma gnua von der Natur g'habt.« Er hält mit den Seinen aufatmend vor dem Gasthaus zur Post in Haglhofen, wie ein Pilger, der Mekka erreicht hat. Man läßt sich in der Wirtsstube nieder.

An ihrem Tisch sitzt noch ein einsamer Gast, der freundlich den Gruß erwidert und gleich eine zutreffende Wetterdiagnose ausgibt: »Des san g'schenkte Tageln«, sagt er und sticht mit seinem Stilet den letzten Rest Preßack vom Teller: »De dünne Luft hungert oan aus. Wenn S' da in der Wirtschaft was essen woll'n: nur den hausg'macht'n Preßack. Des is an Wirt sei Spezialität. Kriag'n S' nirgends so.«

Die Frau Zaglauer legt ihre Hände schützend, als ob sie den Goldschatz der Reichsbank zu wahren hätte, um ihre umfangreiche Handtasche und sagt mit verschämtem Stolz: »Mir ham selber was dabei. A Stückl Gans!«

»Ah so!« Der Tischgenosse schweigt achtungsvoll und anerkennend. Frau Zaglauer packt das Ganserl aus. Der Bappi zieht das Papier mit dem knusprigen Viertel zu sich hinüber. Maxi und Fanni spielen mit dem Salz- und Pfefferbüchsl Eisenbahn, und als der Maxl das Senfhaferl noch an den Zug rangieren will, kippt es um.

Die Mutter Zaglauer schaufelt zürnend mit dem Löffelchen den Senf zurück und sagt: »Grad nix wia ärgern muaßt di mit de Bams'n.«

Der Vater Zaglauer, sonst ein strenger Erzieher, ist schon durch das Gansviertel seelisch so in Anspruch genommen, daß er seine pädagogische Mission bei einem scharfen Blick bewenden läßt. Der Tischgenosse meint: »San halt Kinder.«

»Ja, Kinder!« sagt die Mutter Zaglauer. »So lang s' kloa san, tret'n s' oan auf d' Füaß, und wenn s' groß san, aufs Herz!« Sie richtet das Senfhaferl wieder zurecht.

Dann gibt sie ihren Kindern dicke Butterbrote. Der Bappi ist daran, kunstgerecht das Viertel zu verteilen. Dann trennt er ein Stück Papier ab und schiebt seiner Gemahlin ein Stück von dem Braten zu. Erst hat er schon das Schlegerl auf dem Altar der Familie opfern wollen, aber es kostete der Mutter Zaglauer geringe Überredungskunst, ihn in diesem Entschluß wankend zu machen. Sie teilt das Reststück unter sich und die Kinder. Aber die Kinder stochern in dem kostbaren Fleisch ohne übermäßige Begeisterung herum, bis der Vater die Gottesgabe energisch an sich nimmt.

»De Kinder«, sagt er, »wissen net, was guat is. De fressat'n 's nur so aus Zeitvertreib. Überhaupt is a Fleisch gar net guat dafür. Da kriag'n s' a sauers Bluat.« – Er nimmt das saure Bluat zu allen Familienlasten auch noch auf sich. Der Tischgenosse hat vom Auswickeln an die Manipulation an dem Gansviertel mit größter Teilnahme verfolgt! Er nimmt eine Brille aus dem Futteral, um seine Sinne zu schärfen. Dann sagt er anerkennend: »De is richti durchbrat'n, Frau, a kernig's Fleisch, a schöne Krust'n und recht hell. – So san s' guat.« Dann nimmt er das Augenglas wieder ab und gibt wie ein ernstes amtliches Gutachten den Befund. »A so a acht – neun Pfündl hat de g'habt. Da san S' net ausg'schmiert wor'n.«

Das findet Vater Zaglauer auch. Nachdem das Fleisch weg ist, fieselt er die Knochen so blank und sauber, als wenn sie monatelang in einem Ameisenhaufen gelegen wären. Die Kinder vergnügen sich indessen im Hausflur, indem sie von Bierbanzen zu Bierbanzen hüpfen und dann den Gutl-Automaten untersuchen.

Sie betteln die Mami um ein Zehnerl an. Aber sie sagt: »Nix da! Da hat jed's a Laug'nbretz'n!« Und der Vater meint, am letzten Knöcherl nagend: »Wo kummat ma da hi, Kinder müass'n si was versag'n kinna!«

Die Mutter Zaglauer hat ihr Stück, nachdem sie ein Bröckerl abgeschnitten hat, wieder eingewickelt. »I hab leicht gnua! Tuas nur du ess'n, Bappi.«

Aber Vater Zaglauer bleibt fest: »Waar no schöner! Des is grad no was für di, auf d' Nacht, Rosina, waar scho' guat, wennst du leer ausgangst!«

»Da ham S' no a schöne Mahlzeit, Frau«, sagt der Tischgenosse.

Die Mammi verstaut das kleingewordene Paketchen in der Handtasche und schnabuliert eine Semmel, hin und wieder mit einer Prise Salz gewürzt.

Vater Zaglauer sagt: »Richtig o'ess'n sollt ma si halt an ara Gans könna. So a schöns Trumm auf oan Sitz!«

»Geh«, sagt seine Frau, »wer'n mas jetzt rumschlepp'n! De ess'n ma jetzt z'samm – na is weg.«

Der Vater, ein bißchen verlegen: »I sag net naa! Auf a kloans Stückl laß i mi ei!« Und er schneidet die Hälfte vom Gansrestl ab.

Zaglauer ist kein zaghafter Esser. Er ist fertig, als die Mammi eben die ersten Stückchen kunstvoll auf ihrer halben Semmel verteilt.

Sie schneidet ihren Rest nochmal in zwei Teile und schiebt ihrem Gatten die eine Hälfte über den Tisch: »Is ja recht, wenn's dir schmeckt! I hab ja no gnua auf der Semmi!«

Vater Zaglauer zerlegt mit drei festen Schnitten sein Restchen, und ehe die Mammi mit ihrer halben Semmel fertig ist, putzt er das Messer am Papier und sagt: »So, des war jetzt a schöne Brotzeit!«

Soll eine Frau mit Appetit schmausen, indes ihr Mann vor leerer Tafel sitzt und traumverloren, schwärmerisch auf die Knöchlein des Mahles blickt? So kalt ist keines Weibes Herz. Sie reicht ihm das letzte Stück hinüber und sagt: »Raam auf mit dem Bröckerl, daß guat Wetter werd!«

Kann ein Mann gegen solche Eindringlichkeit hart sein? Er nimmt das Opfer auf sich und sagt: »No, so tua's her in Gott'snam'. Is net der Müah wert, daß ma's no rumziagt!« – Und er macht reinen Tisch.

Mutter Zaglauer schaut im Hausflur nach ihren Sprößlingen und spendiert am Automaten doch ein Zehnerl für die Minzenkugeln. Dann nimmt sie aus ihrer Tasche ein römisches Weckerl und verzehrt es an der Sonnseite des Gasthofs, weil sie schließlich auch ein bißl Appetit nach dem Spaziergang hat.

»Sehng S'«, sagt in der Stube Vater Zaglauer zu dem Tischgenossen, und das Ganserl gibt seinen Worten noch einen leisen, aromatischen Nachhall, »hat scho was für sich, as Familienleb'n, wenn oan aa Kinder manchmal Verdruß macha! Ma teilt halt Leid und Freud mitanander. – Hat ma amal a guats Bröckerl, ham alle ihr Freud dro, und des freut oan na als Familienvater aa! Ei'teil'n muaß ma's halt!

Sehng S', i selber brauchat in de schlecht'n Zeit'n koa Gans. I kunnt's g'rat'n. Aber seine Leut möcht ma halt doch manchmal was zuakumma lass'n. Seit'n Fruahjahr liegt mir mei Frau in de Ohr'n weg'n so ara Gans. Gibt ma halt amal nach! Hat sunst aa net vui, de Frau.«

Der Tischgenosse nickt voll Weisheit und Güte: »Da ham S' recht«, sagt er, »manchmal muaß ma so an Glustn von de Weiberleut nachgeb'n.«


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