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Umgang mit Steckenpferden

Da steht nun unser gutes Arbeitspferd. Bei dem einen rund und schwer, bei dem andern knochig und mager, da schlankbeinig und trainiert, dort behäbig und ein bißchen rassengemischt. Wir füttern es, wir putzen es, spannen es ein und aus, aber fast immer mit leisem Seufzer, mit gewohntem, mehr oder minder gleichgültigem Handgriff, manchmal kriegt es einen freundlichen Klaps auf die Kruppe und manchmal an widerspenstigen Tagen ein erleichterndes Flüchlein.

Nebenan in einem kleinen Verschlag von blitzendem Komfort aber steht unser Steckenpferd. Was die Sprache an zärtlichen Worten hat, wird ihm zuteil. Immer wieder stehlen wir unserm braven Arbeitsgaul eine Handvoll Haber, wir putzen das Steckenpferd dreimal so lang und beim geringsten Anzeichen von Verstimmung holen wir den Tierarzt.

Was unser Steckenpferd auch fallen läßt – es sind goldene Äpfel für uns. Wir tummeln das muntere Tierlein nach Feierabend und Sonntag in der Manege und haben eine helle Freude, es unseren Freunden und Bekannten vorzustellen. Der Herr Oberlandesgerichtsrat stellt seine Zinnsoldaten auf, der Geheime Medizinalrat bastelt an seiner Uhrensammlung, der Buchhalter malt Pfirsiche mit dem grausamt'nen Reif, den keiner so hinbringt, der Prokurist dichtet Schnaderhüpfel, der Dichter hat Kummer, daß in seiner Briefmarkensammlung der Rote Zehner von Schleswig-Holstein fehlt, und der Maler will in diesem Jahr noch den einarmigen Handstand fertig bringen.

Niemand ist ohne Steckenpferd. Es ist das noble Luxusgeschöpf der großen und kleinen Leute und unser aller Lieblingstier. Es ist – mehr noch als der Magen – der Weg, durch den alle Liebe geht. Streichelt das Steckenpferd! – Da ist der finstere Generaldirektor, dessen Höhle durch zehn Sekretäre bewacht und verteidigt wird. Bringen Sie ihm ein Millionenprojekt, die Zusammenfassung aller europäischen Wasserkräfte, die Entdeckung von Radiumlagern oder die Geheimakten des Konkurrenz-Trusts – der Herr Generaldirektor ist leider durch eine Sitzung in Anspruch genommen. Aber schreiben Sie ihm einen Brief, wie außerordentlich interessant Sie seinen Beitrag über »Eßbare Knollenpilze« im »Schwammerlfreund« gefunden haben, und ob Sie sich darüber nicht nähere Aufklärung holen dürften – gleich springen alle Türen auf.

Lassen Sie sich nicht einschüchtern, daß die gefeierte Sängerin von einem Wall prominentester Verehrer umgeben ist. Sie haben den Schlüssel zu ihrem Herzen: einen kleinen chinesischen Porzellanpudel von der Sorte, die sie leidenschaftlich sammelt. Der berühmte Minister und Staatsmann wird Ihnen kein Wimperzucken schenken, wenn Sie sein Schutz- und Trutzbündnis mit Andalusien bewundern. Sagen Sie ihm, daß der Greisenhaar-Kaktus Nummer siebzehn auf der Ausstellung der schönste war. Er wird strahlen. Denn er ist aus seiner Zucht. Und wenn Sie erst dem großen Philosophen mitteilen, daß er eigentlich noch viel mehr der geborene große Laubsägekünstler ist – dann haben Sie für ewig in der Philosophie einen Stein im Brett. Unsere eigenen Steckenpferde verlangen schon viel Zucker. Aber nicht genug Zucker kann man den Steckenpferden der andern geben. Das Wort am rechten Ort: An Ihnen ist ein großer ... (Passendes einzusetzen) verloren gegangen, wird stets wie eine edle Auster geschluckt. Denn an jedem von uns ist irgend ein großer ... (Passendes einzusetzen) verloren gegangen. Es ist der Grund, warum so viel in der Welt vermurxst wird.

Niemals aber sage man zum Nächsten: »Haben Sie, Verehrtester, noch nicht bemerkt, daß Ihr Steckenpferd aus Holz ist?


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