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Der Leidensweg des Strohwitwers

Stroh-Feuer – Stroh-Mann – Stroh-Witwer. Dieses Wörtchen »Stroh« bedeutet nach allem Vergleich nichts anderes als eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, juristisch gesprochen also eine Stroh-Tatsache. Der Stroh-Witwer ist die Atrappe eines Witwers, durch weibliche Empfindung gesehen: ein Trugbild, eine Fata-Morgana von Herrn in sicherer Position und angesehener Stellung in bestem Alter. Sozialbio- und -zoologisch betrachtet ein Amphibium, das weder ins Gewässer der Ehelosen noch aufs Trockene der Verheirateten gehört. Zur Klasse der Junggesellen kann man ihn keinesfalls rechnen, da er nur gewisse äußere Gepflogenheiten dieser Menschengattung und diese nur auf Zeit ausübt. Der Strohwitwer ist selten unglücklich, aber, um gerecht zu sein, nie ganz vollkommen glücklich. Seine Frau ist verreist. Der erste Tag ist für den Strohwitwer nach einem kurzen schnellen Aufatmen fast unerträglich. Hilflos wie ein ausgesetztes Kind bewegt er sich in den vier Wänden, und es fehlt nicht viel, so würde er sich vor dem schwarzen Mann fürchten. Sobald es die Schicklichkeit zuläßt, flüchtet er sich ins Gasthaus, nur um Menschen um sich zu haben. Er kennt seit Jahren das Gasthaus zur Mittagszeit nicht mehr; denn der häusliche Herd hat ihn von zwölf bis zwei Uhr in seine warmen Arme genommen. Jetzt ist das wirtshäusliche Mittagessen eine Sensation für unsern Strohwitwer. Er, dessen Wochen-Menü feststand wie eine Felsenburg, bekommt jetzt eine Speisenkarte in die Hand mit dreißig lockenden Gerichten. Da will er sich nun einmal etwas besonders Gutes tun. Es ist ihm zumute wie einem Sechzehnjährigen, der heimlich mit seinem Taschengeld »erwachsen« spielt und nun großartig bestellt. Rindfleisch mit Beilage. Das hat's nämlich am Montag daheim auch gegeben. Nachdem er die anderen Gerichte gewogen und zu leicht befunden hat, ist er auf den guten Gedanken gekommen, dasselbe zu speisen wie daheim. Wir wollen die ferne Frau nicht kränken. Es hat dem Strohwitwer gut geschmeckt. Denn der Reiz der Neuheit war die beste Beilage zu seinem Rindfleisch. Am ersten einsamen Abend wollte er eigentlich länger ausbleiben als sonst – aber da fällt ihm um elf Uhr ein, daß er vielleicht den Gashahn nicht geschlossen hat, und nun ist kein Halten mehr. Im Taxi rast er heim, katastrophenbang. Aber Gott sei Dank, der Hahn ist zu. Die eindringliche Mahnung der Frau ist nicht wirkungslos geblieben. Der Strohwitwer hat im Unterbewußtsein den Gashahn zugedreht. Am frühen Morgen erwacht der Strohwitwer an der tiefen Stille, die in der Wohnung herrscht. Gleich kommt er in Bewegung auf der Suche nach einem frischen Handtuch. Aber weder Handtuch noch Eier, weder Kaffeemühle noch Marmelade ist an dem Platz, an dem er sucht. Seine Frau hat ihm alles genau gesagt. Aber sie muß sich geirrt haben. Die verflixten Schlüssel passen nicht an Schränke und Kommoden. Der Wasserhahn im Bad läßt sich nicht drehen, diese blödsinnige Jalousiemechanik bringt der Kuckuck auf. Der Strohwitwer lernt nun Stück für Stück seine Wohnung kennen, und tausend Nücken und Tücken, von denen er während seiner Ehezeit nichts spürte, dringen wie kleine Teufel auf ihn ein. Er holt seine verblaßten Kenntnisse und Fertigkeiten aus seiner Rekrutenzeit zu Hilfe und putzt seine Schuhe mit Spucke und alten Taschentüchern, weil natürlich dieser blöde Wichskasten wieder weiß die Hölle wo steht. Sein rührender Versuch, das Bett zu machen, erstickt im Keime. Dann klingelt's, und Leute, von deren Existenz er nie geahnt, wünschen ihn in den schwierigsten Angelegenheiten zu sprechen. Da kommen der Kartoffelmann und der Lichtzähler und die Frau, die das Treppenputz-Geld einkassiert, und einstweilen brennt das Fett in der Pfanne an, und der Gasherd bullert so verdächtig. Das Haus wird dem Strohwitwer zum Gespensterheim. Er flüchtet ins Freie und betritt nur bebend wieder seine Schwelle. Aber schon nach einigen Tagen ist unser Strohwitwer leichter im Gewissen geworden, und nach einer Woche sieht sein trautes Heim aus wie der Keller eines Altwarenhändlers. Ein liebliches Geläute wie aus fernen Junggesellentagen zieht leise durch sein Gemüt. Er wendet gewandt den Kragen um, wenn die rechte Seite nicht mehr ganz einwandfrei ist. Er trägt unbekümmert die Ziehharmonikahose, zumal ihm bei dem Versuch mit dem elektrischen Bügeleisen durch einen allerliebsten Brandfleck die helle Sommerhose verziert wurde. Der Strohwitwer sieht im weiteren Verlauf seiner Strohwitwerschaft mit einer unleugbaren Wärme gutgewachsenen Mädchen im Treppenhaus nach, diskret natürlich und eigentlich rein reflektorisch, er versucht sich in Gesellschaft in der fast verlernten Kunst des Hofmachens und gibt – glücklich, daß es ohne Unfall gelang – einem holden Gegenüber einige Komplimente zum besten, denen ein leiser Kampfergeruch entströmt. Die Freunde haben es nicht schwer, ihn nach einem vergnügten Abend noch in ein Tanzlokal zu verschleppen, und seine Walzerkünste, durch Jahre brach gelegen, versuchen noch einmal ihr Glück. Der Strohwitwer ist bei alledem treu. Er spielt nur wie ein der Gefahr nicht bewußtes Kind an allerlei Feuern. Aber sein Halt bei allen Schicksalen und Abenteuern ist der Gedanke, daß er vielleicht den Gashahn vergessen haben könnte. Er steht wie der mahnende Finger des Ehegewissens vor ihm und führt ihn aus allen Fährnissen zurück an den zwar verwaisten, aber dennoch trauten häuslichen Herd.


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