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Der Glaskasten

In der guten Stube im Bauernhaus, in alten Bürgerwohnungen, in den »schönen Zimmern« draußen in stillen Märkten und Landstadtein, da findet man ihn noch, den guten alten »Glaskasten«. Ein Basl, ein geruhsames goldenes Hochzeits-Ehepaar, ein alter schrulliger Spitzweggevatter, eine Großmutter – sie haben da noch alle die kleinen Sacherl aufbewahrt, die ein Leben spielerisch begleiten. – Der Boden in der niederen Stube ist mit langen Bretterdielen belegt. Tritt man darauf, so hört man im Zimmer ein ganz leises silbernes Klirren und Klingeln. Das kommt vom »Glaskasten« her, und oben am Sims zittert ein dicker rotbackiger Apfel ein bißchen mit.

Den Glaskasten beim Basl anschauen, das war zu unserer Kinderzeit ein Fest. Ein Museum ist sicher vieltausendmal reicher, schöner, kostbarer, und vor Ritterrüstungen, Schwertern, Morgensternen, vor Hellebarden und Trommeln, vor Staatsgewändern und Prunkmöbeln entzündet sich auch die Kinderphantasie. Aber so schön war's doch nicht, als wenn man die Herrlichkeiten im Glaskasten anschauen durfte.

Alles ist darin aufbewahrt, was in einen kleinen bürgerlichen Alltag einen Schimmer von Glück und Glanz brachte. Da war der Brautkranz mit dem Schleier, der die Mädchen bannte, den schon die Urgroßmutter getragen. Eine silberne Glocke durfte man – einmal im Jahr – an dem schwarzen Ebenholzgriff in die Hand nehmen, und das Läuten klang nach Christkindl und Lichtern. Der große rubinrote Bierkrug gehörte dem Großvater. In das Glas sind Rosen eingeätzt, schaut man durch, so strahlt die Welt in magischem Licht, und hier: im Stiel eines beinernen Löffels sieht man durch winziges Löchlein – ein Auge zugedrückt – den Wallfahrtsort Birkenstein.

Aber vielleicht war es noch schöner, wenn das Basl nach vielen Verwahrungen und Ermahnungen die Spieldose herausnahm. Rundum ist das Gebirge gemalt mit Almen und Kühen, Adlern und Gletschern, Jäger und Sennerin, und wenn man an der kleinen, weißköpfigen Kurbel drehte, so klingelte daraus ein zärtlicher Landler wie aus einer überirdischen Welt.

Von mystischer Feierlichkeit erfüllt war der rote Wachsstock, goldornamentiert mit dem flammenden Herzen in der Mitte. Er hatte den Zauber des winterlichen Adventmorgens an sich, wenn in der dunklen Kirche im unendlich weiten, tiefen Raum die Lichtlein vor den Engelamt-Beterinnen schwammen, auf dem Messingbeschlag der Bank das Metall aufblitzte, das »Tauet Himmel ...« zum Gewölbe sang, und kam man aus der Kirche, so roch es durch die dämmernde Frühe herrlich nach Kälte und Schnee, nach Kaffee und frischen Nudeln. Auch das Heidnische war nicht fern, der schaurig schöne Schrecken früher Kindertage: ein kauernder Chinese, der mit seinem fratzenhaften grinsenden Kopf unendlich oft nickte, tippte man nur ein bißchen mit dem Finger daran. Von einem seefahrenden Vetter war die große perlmuttrige Muschel, aus der dem glühenden Ohr der Ozean geheimnisvoll entgegenrauschte. Die größeren Buben durften manchmal die silberbeschlagene Tabakspfeife eines Ähndels in den Mund nehmen und daraus imaginäre Wolken paffen.

Ein beineres Büchslein war da, auf dessen Deckel ein liebliches Elefantenkind stand – erster und nachhaltigster Eindruck aus der Zoologie fremder Zonen. Goldene und silberne Riegelhauben und Borten machten die Wangen der Mädchen rot vor Freude, wenn das Basl sagte: »Schön brav wenn's seid's, dann kriegt ihr's einmal ...« Ein prächtiger Rauschgoldengel, flimmernd, glitzernd, in metallischem Purpur, Gold und Silber, funkelte wie ein kleiner Gott hinterm Glas, das silberne Schepperl aus der Zeit, da das alte Basl noch ein kleines Kind war, hat noch das verblaßte rosafarbene Seidenbandl um, mit dem es die Spenderin schmückte. Filigranrosenkränze sind da und Firmungsbilder, Kommunionkerzen und ein silberbeschlagenes Gebetbuch mit blauem Samtdeckel, zinnernes Miniatur-Meßgerät von einem Kinderaltärchen, steinharter Christbaumschmuck aus farbigem Tragant. Eine wächserne Krippenfigur, ein Heiliger Drei König im Brokatmantel, hält gute Nachbarschaft mit geschliffenen Weingläsern und schön beblumten goldrandigen Namenstagstassen von Taufund Firmpaten. Die Schäferin aus Porzellan, ein Schühlein, gefüllt mit Stoffblumen, ein kleiner Bacchus auf einem goldenen Füßlein bringen weltliche Luft in die fromme Umgebung. Himmelblau ist der Glaskasten austapeziert, und an den Kanten der Tragbretter sind Papierspitzen.

Mag sein, daß den Kindern von heute der Zauber eines solchen Schreins nicht mehr so ans Herz klopft wie ehedem, als der Hansl oder das Annerl noch keinen Unterschied zwischen Zwei- und Viertaktmotor kannten. Sie haben heute eine andere Romantik. Man soll nicht sagen, daß sie deshalb ärmer geworden sind; denn Kinder sind in allen Verkleidungen der Zeit die wahren Phantasienaturen, die sich über alles Gegenständliche hinaus eine Welt in den Himmel bauen.

Die Vitrine hat im Bürgerhaus den alten Glaskasten verdrängt. Porzellan, edel und kostbar, ist in geschmackvoller Auswahl und Anordnung da untergebracht. Aber selten fällt ein Blick darauf; denn Kostbarkeit und Geschmack allein ist noch nicht Leben. Die Kinder im Haus müssen recht Obacht geben, daß man nicht im Eifer von Spiel und Balgerei hingerät. Das ist alles für sie. Der alte Glaskasten mit seinem lieben Kram war uns mehr.


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